VwGH 99/20/0126

VwGH99/20/012617.9.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des T in W, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 20. November 1998, Zl. 200.325/0-VI/16/98, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, reiste am 5. Juli 1997 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 9. Juli 1997 Asyl. Dieser Asylantrag wurde vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 17. Juli 1997 gemäß § 3 AsylG 1991 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 AsylG 1991 wurde dem Beschwerdeführer ein (in der Folge mehrmals verlängerter) befristeter Aufenthalt im Bundesgebiet bis 17. Jänner 1998 bewilligt (Spruchpunkt II.).

Zu seinen Fluchtgründen brachte der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Bundesasylamt vor, dass er wegen der ihm drohenden Hinrichtung wegen des Vorwurfes des Ehebruches aus dem Iran geflüchtet sei. Er habe um die Jahreswende 1995/96 eine Frau kennen gelernt, die ihm erklärt habe, dass sie geschieden sei. Mit dieser Frau habe der Beschwerdeführer seit Juni 1996 in der Stadt Mashhad in Lebensgemeinschaft gelebt. Am 26. Juni 1997 habe der Beschwerdeführer während seiner Arbeit in einem Restaurant von Freunden erfahren, dass seine Verlobte verheiratet und deren Gatte nunmehr über das Verhältnis informiert sei. Seine Verlobte sei laut Aussage der Freunde bereits von Sicherheitskräften in der Wohnung des Beschwerdeführers verhaftet worden. Seine Freunde hätten ihn daher noch am selben Tag mit einem PKW nach Teheran gebracht. Andere Freunde des Beschwerdeführers hätten ihm am nächsten Tag Kleidung, Bargeld und seinen Reisepass gebracht. Sie hätten ihm erzählt, dass noch am 26. Juni 1997 der Besitzer des Restaurants, in dem der Beschwerdeführer gearbeitet habe, im Elternhaus des Beschwerdeführers angerufen und erklärt habe, dass im Restaurant Sicherheitskräfte auf den Beschwerdeführer warten würden. Der Beschwerdeführer habe sonst nie Probleme mit den Behörden seines Heimatlandes gehabt. Da nur seine Mutter und eine Tante seiner Verlobten von dem Verhältnis gewusst hätten, sei die Lebensgemeinschaft ein Jahr lang unentdeckt geblieben. Schließlich führte der Beschwerdeführer noch an, dass er mit seiner Verlobten vor einem Mullah eine sogenannte Kurzehe ("Sigheh") eingegangen sei, um sich mit seiner Lebensgefährtin bei einer allfälligen Straßenkontrolle ausweisen zu können.

Das Bundesasylamt stellte fest, der Beschwerdeführer habe den Iran verlassen, weil er wegen seiner Beziehung zu einer verheirateten Frau die Hinrichtung befürchte. Rechtlich führte das Bundesasylamt aus, der Asylbehörde sei bekannt, dass Ehebruch im Iran mit der Todesstrafe - z.B. durch Steinigung - geahndet werde. Der Beschwerdeführer habe demnach staatliche Verfolgung zu befürchten gehabt, dem geltend gemachten Fluchtgrund fehle es aber an der Asylrelevanz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention.

Gegen die Abweisung des Asylantrages (Spruchpunkt I.) erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er u.a. ausführte, der Islam sei die Basis des iranischen Staates. Ehebruch werde nicht nur als Verstoß gegen ein religiöses Gebot geahndet, dem Beschwerdeführer werde auch unterstellt, dass er die Notwendigkeit des Islam in Frage stelle. Dieses Delikt werde daher als Angriff auf den islamischen Staat, die islamische Gesellschaft und deren Werte qualifiziert, wodurch sich die drastische Strafe für Ehebruch erkläre. Die dem Beschwerdeführer drohende Todesstrafe durch Steinigung müsse daher als Verfolgung aus religiösen und politischen Gründen angesehen werden, sodass dem Beschwerdeführer Asyl hätte gewährt werden müssen.

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 20. November 1998 wurde die Berufung gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, sie übernehme die Feststellungen der Erstbehörde und schließe sich deren rechtlichen Ausführungen vollinhaltlich an. Ergänzend führte die belangte Behörde unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Dezember 1996, Zl. 96/20/0793, aus, der Beschwerdeführer habe zwar aufgrund des Ehebruches staatliche Verfolgung zu befürchten gehabt bzw. sei ein Eingriff von erheblicher Intensität mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, jedoch basiere dieser Eingriff nicht auf einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe. Der Asylwerber habe ein unter Strafsanktion stehendes (nicht politisches) Delikt begangen, sohin gegen die Rechtsvorschriften seines Heimatstaates verstoßen und deshalb auch Verfolgung wegen einer begangenen Straftat gemäß den Rechtsvorschriften seines Heimatlandes zu erwarten. Ehebruch könne weder als politischer Akt noch als Form der Glaubensbetätigung angesehen werden, und sei auch in klassisch demokratischen und rechtsstaatlichen Ländern mit Strafe bedroht.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 44 Abs. 1 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) waren am 1. Jänner 1998 bei den Asylbehörden anhängige Verfahren nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen.

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der FlKonv genannten Endigungs- oder Ausschließungsgründe vorliegt. Flüchtling im Sinne der FlKonv ist gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Flüchtling ist auch, wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Die belangte Behörde stützte die Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers darauf, dass keiner der in der FlKonv genannten asylrelevanten Fluchtgründe vorliege und begründete dies mit einem Hinweis auf das - noch zum AsylG 1991 ergangene - hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1996, Zl. 96/20/0793.

Damit hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt. Der Verwaltungsgerichtshof hat in neueren, bereits zum geltenden Asylgesetz ergangenen Erkenntnissen wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass im Zusammenhang mit der Verquickung von Staat und Religion im Iran das Erfordernis einer Prüfung auch dem Schutz religiöser Werte dienender Strafvorschriften unter dem Gesichtspunkt einer unterstellten politischen Gesinnung besteht (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0350, und 16. September 1999, Zl. 98/20/0543, die Strafverfolgung wegen Weitergabe einer Bibel bzw. Besitzes eines Buches von Salman Rushdie betreffend; vom 27. September 2001, Zl. 99/20/0409, und 16. April 2002, Zl. 2001/20/0361, die Strafverfolgung wegen der Lebensgemeinschaft bzw. sexueller Kontakte mit einem Christen betreffend; vom 17. Oktober 2002, Zl. 2000/20/0102, die Strafverfolgung wegen Fluchthilfe für eine wegen Ehebruches verfolgte Frau betreffend; vom 24. April 2003, Zl. 2000/20/0278, die Steinigung als Strafe für Ehebruch und vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0033, die im Ausland geführte Lebensgemeinschaft mit einem Nichtmoslem betreffend). Der Verwaltungsgerichtshof ist der Auffassung, dass die völlige Unverhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen, die wegen eines Verstoßes gegen bestimmte im Herkunftsstaat gesetzlich verbindliche Moralvorstellungen drohen, darauf hindeuten kann, dass diese Maßnahmen (im vorliegenden Fall die wegen Ehebruches drohende Hinrichtung) an eine dem Zuwiderhandeln gegen das Gebot vermeintlich zugrunde liegende, dem Betroffenen unterstellte Abweichung von der ihm von Staats wegen vorgeschriebenen Gesinnung anknüpfen (vgl. insbesondere das oben zitierte Erkenntnis vom 27. September 2001 mit weiteren Nachweisen; siehe etwa auch Kälin, Grundriss des Asylverfahrens (1990) 112 ff). Diesem Gesichtspunkt hat die belangte Behörde mit dem Hinweis darauf, dass Ehebruch weder ein politischer Akt noch eine "Form der Glaubensbetätigung" und im Übrigen auch in anderen Ländern strafbar sei, nicht Rechnung getragen.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 17. September 2003

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