VwGH 99/18/0205

VwGH99/18/020527.11.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Bazil, über die Beschwerde des H O, (geb. 9.6.1971), vertreten durch Dr. Achim Maurer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 27-28, Stiege 2/19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 25. März 1999, Zl. 862/98, betreffend Aufhebung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §114 Abs3;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
FrG 1997 §114 Abs3;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1.1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 13. Dezember 1996 war gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Uruguay, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden.

In der Begründung dieses Bescheides wurde unter anderem Folgendes ausgeführt: Der Beschwerdeführer sei im Jahr 1976, im Alter von fünf Jahren, zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern nach Österreich gekommen und sei hier als Flüchtling anerkannt worden. Mit Rechtskraft des Bescheides des Bundesasylamtes - Außenstelle Wien - vom 13. September 1993 habe der Beschwerdeführer gemäß § 5 Abs. 1 Z. 3 des Asylgesetzes 1991 das Asyl verloren. Grund für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei gewesen, dass der Beschwerdeführer am 10. August 1993 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels gemäß § 12 Abs. 1 sowie wegen des Vergehens gemäß § 16 Abs. 1 SGG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden sei und sich dabei herausgestellt habe, dass der Beschwerdeführer schon vom Jugendgerichtshof (Wien) mit Urteil vom 16. April 1991 wegen Suchtgiftbesitzes gemäß § 16 Abs. 1 SGG rechtskräftig (Schuldspruch ohne Strafausspruch) verurteilt worden sei. Ab Februar 1993 habe der Beschwerdeführer dann zusammen mit einem Anderen eine größere Heroinmenge erworben, wobei er nur einen geringen Teil für den eigenen Bedarf verwendet und zumindest 50 g Heroin in Verkehr gesetzt habe. Damals sei dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht worden, dass eine Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und weitere fremdenpolizeiliche Maßnahmen angestrebt würden. Vom Strafbezirksgericht Wien sei der Beschwerdeführer in der Folge am 14. September 1993 (neuerlich) wegen des Vergehens gemäß § 16 Abs. 1 SGG rechtskräftig verurteilt worden. Am 6. April 1994 sei eine Anzeige gegen den Beschwerdeführer wegen Verdachtes des Betrugs erfolgt. Vom Strafbezirksgericht Wien sei der Beschwerdeführer am 19. Juli 1994 wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 88 Abs. 1 StGB rechtskräftig verurteilt worden. Die belangte Behörde sei zu dem Ergebnis gelangt, dass auf Grund der Verurteilung des Beschwerdeführers jedenfalls (in mehrfacher Hinsicht) der Aufenthaltsverbotstatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG gegeben sei. "Das zu Grunde liegende Verhalten" gefährde ohne jeden Zweifel nicht nur die öffentliche Sicherheit und laufe den im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwider, sondern lasse auch die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen, nämlich zum Schutz der Gesundheit und zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, dringend geboten erscheinen, weshalb ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers zulässig sei.

Die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde (u.a.) des Beschwerdeführers wurde mit hg. Erkenntnis vom 26. Juni 1997, Zlen. 97/18/0192, 97/18/0308 bis 310, als unbegründet abgewiesen.

1.2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 25. Juni 1998 auf Aufhebung des besagten Aufenthaltsverbotes gemäß § 114 Abs. 3 iVm § 44 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, abgewiesen.

Den vorliegenden Antrag habe der Beschwerdeführer im Wesentlichen damit begründet, dass er von klein auf im Bundesgebiet aufgewachsen wäre und sohin der Erlassung des Aufenthaltsverbotes die nunmehr in Geltung stehende Bestimmung des § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG entgegenstünde. Ausgehend von der nach § 114 Abs. 3 und § 44 FrG gegebenen Rechtslage sei zunächst festzuhalten, dass im Fall des Beschwerdeführers hinsichtlich der Sachlage keine rechtserhebliche Änderung eingetreten sei. Bereits bei der Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei auf sämtliche familiären und privaten Umstände des Beschwerdeführers Bedacht genommen und das Aufenthaltsverbot gemäß den §§ 19 und 20 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992, als zulässig erachtet worden. Auch der Verwaltungsgerichtshof habe sich in dem zitierten Erkenntnis mit der familiären Situation des Beschwerdeführers auseinander gesetzt und die gegen den Aufenthaltsverbotsbescheid eingebrachte Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Das vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang geltend gemachte Wohlverhalten seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes stelle keine Änderung des Sachverhalts zu seinen Gunsten dar, weil im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität der seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes verstrichene Zeitraum von nicht einmal zweieinhalb Jahren keineswegs ausreiche, um von einem Wegfall der für die Erlassung der vorliegenden Maßnahme maßgeblichen Gründe sprechen zu können. Im Übrigen könne von einem Wohlverhalten des Beschwerdeführers keine Rede sein. Er sei zwar im September 1995 von seiner damaligen Adresse in Wien abgemeldet worden, doch würden sich aus dem Akteninhalt zahlreiche Hinweise dafür ergeben, dass dieser nach wie vor seiner Verpflichtung zur Ausreise aus dem Bundesgebiet nicht nachgekommen sei. So sei er etwa am 14. Oktober 1996 wegen eines in Wien "versuchten Verkehrsunfalles" befragt worden. Auch im vorliegenden Antrag führe der Beschwerdeführer aus, "von klein auf ständig in Österreich zu sein". Das Vorbringen in der Berufung vom 23. Oktober 1998, wonach der Beschwerdeführer mit seinen beiden minderjährigen Kindern "im ständigen familiären Kontakt (sei)" deute ebenfalls darauf hin, dass er sich nach wie vor - und so unrechtmäßig - im Bundesgebiet aufhalte. Unter diesem Blickwinkel hätten sich die für die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes sprechenden öffentlichen Interessen verstärkt. Auch die Absolvierung einer Drogentherapie reiche keinesfalls aus, um die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr zu verringern. Dieser habe vielmehr in der Vergangenheit sehr deutlich gezeigt, dass er nicht einmal von bereits erfolgten rechtskräftigen Verurteilungen abgehalten worden sei, neuerlich - und noch dazu einschlägig - straffällig zu werden. Eine Änderung des Sachverhalts zu Gunsten des Beschwerdeführers sei sohin keinesfalls eingetreten.

Das vorliegende Aufenthaltsverbot hätte aber auch nach den Bestimmungen des FrG erlassen werden können. Das den gerichtlichen Verurteilungen zu Grunde liegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers verwirkliche nicht nur den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG, sondern darüber hinaus auch die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 leg. cit.. Die Bestimmungen der §§ 19 und 20 Abs. 1 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992, seien (inhaltsgleich) im § 37 Abs. 1 und 2 FrG normiert, sodass auch hinsichtlich der nunmehr anzuwendenden Gesetzesstellen keine relevante Änderung eingetreten sei. § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG komme ebenfalls nicht zum Tragen, da auch hinsichtlich der hier entscheidungsrelevanten Frage, ob dem Beschwerdeführer vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes, die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 hätte verliehen werden können, keine Änderungen der Rechtslage eingetreten sei. Letztlich erweise sich auch die Auffassung des Beschwerdeführers, der Erlassung des Aufenthaltsverbotes würde die Regelung des § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG entgegen stehen, als verfehlt. Er sei nach der Aktenlage am 28. Oktober 1976, also im 6. Lebensjahr, in das Bundesgebiet eingereist. Nach den Intentionen des Gesetzgebers und nach den zum FrG ergangenen Erläuterungen in der Regierungsvorlage solle die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen Fremde, die seit ihrer Geburt bzw. seit ihrem zweiten oder dritten Lebensjahr im Bundesgebiet lebten, unzulässig sein. Der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Bestimmung des § 21 Abs. 2 ABGB komme in diesen Zusammenhang keine rechtliche Relevanz zu. Vor dem Hintergrund des bisher Gesagten und im Hinblick darauf, dass gerade den öffentlichen Interessen an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität ein besonders hoher Stellenwert zukomme, könne ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers auch nicht im Rahmen des der Behörde nunmehr zustehenden Ermessens in Kauf genommen werden.

Da sohin das Aufenthaltsverbot auch nach den Bestimmungen des FrG hätte erlassen werden können und die Voraussetzungen des § 44 leg. cit. nicht vorlägen, sei der Antrag des Beschwerdeführers zu Recht abgewiesen worden.

2. Gegen den letztgenannten Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der Übergangsbestimmung des § 114 Abs. 3 FrG sind (auf Grundlage früherer Bestimmungen erlassene) Aufenthaltsverbote, deren Gültigkeitsdauer bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes (mit 1. Jänner 1998) noch nicht abgelaufen sind, auf Antrag oder - wenn sich aus anderen Gründen ein Anlass für die Behörde ergibt, sich mit der Angelegenheit zu befassen - von Amts wegen aufzuheben, wenn sie nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes nicht hätten erlassen werden können. Nach dieser Bestimmung sind Aufenthaltsverbote somit dann aufzuheben, wenn sie bei fiktiver Geltung des FrG im Zeitpunkt von deren Verhängung nicht hätten erlassen werden dürfen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. September 2000, Zl. 2000/18/0016).

2.1. Nach § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist. Entgegen der Beschwerde erfüllt der Beschwerdeführer die Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle schon deshalb nicht, weil er - wie sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten (vgl. Blatt 2) ergibt - am 28. Oktober 1976, somit erst im Alter von mehr als fünf Jahren, nach Österreich kam und von daher auf dem Boden der hg. Rechtsprechung nicht "von klein auf" im Inland aufgewachsen ist (vgl. den hg. Beschluss vom 17. September 1998, Zl. 96/18/0150, und das hg. Erkenntnis vom 2. März 1999, Zl. 98/18/0244, auf welche Entscheidungen gemäß § 43 Abs. 2 VwGG - hinsichtlich des genannten Beschlusses iVm § 43 Abs. 9 VwGG - verwiesen wird). Der Beschwerdemeinung, im besagten Aufenthaltsverbotsbescheid sei festgehalten worden, dass sich der Beschwerdeführer bereits seit 1975 im Bundesgebiet befinde und bei seiner Einreise erst vier Jahre alt gewesen sei, steht im Übrigen der klare Wortlaut dieses Bescheides entgegen, in dem Folgendes festgehalten wird: "Der Berufungswerber ist im Jahr 1976, im Alter von fünf Jahren, zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern nach Österreich gekommen und ist hier als Flüchtling anerkannt worden."

3. Dennoch ist der Beschwerde Erfolg beschieden. Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311, hätte verliehen werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes im Grund des § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG ist zu prüfen, ob der Fremde vor Verwirklichung des ersten der von der Behörde zulässigerweise zur Begründung des Aufenthaltsverbotes herangezogenen Umstände, die in ihrer Gesamtheit die Maßnahme tragen, die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 erfüllte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. September 1998, Zl. 98/18/0170, auf das ebenfalls gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). In diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof näher dargelegt, dass dieses Verständnis von der Auslegung, welche die mit § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG vergleichbare Regelung des § 20 Abs. 2 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992, z.T. durch den Gerichtshof erfahren hat, abweicht. Wenn die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid festgehalten hat, dass bezüglich des § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG im Vergleich mit der früheren Rechtslage keine Änderung eingetreten sei, hat sie daher die Rechtslage verkannt. Von daher hat sie auch die zur Beurteilung des Beschwerdefalles im Licht des § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG erforderliche Feststellung darüber, wann das (nach dem zitierten Erkenntnis Zl. 98/18/0170 maßgebliche) der ersten Verurteilung vom 16. April 1991 zu Grunde liegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers gesetzt wurde, unterlassen. Eine solche Feststellung lässt sich auch weder dem besagten Aufenthaltsverbotsbescheid noch den vorgelegten Verwaltungsakten entnehmen. Auf dem Boden des Gesagten wäre sie aber erforderlich, um beurteilen zu können, ob der Beschwerdeführer vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 leg. cit. erfüllte, weshalb dieser - sekundäre - Verfahrensmangel den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung des angefochtenen Bescheides hindert.

4. Da die belangte Behörde somit in Verkennung der Rechtslage zu dem Ergebnis gekommen ist, dass das Aufenthaltsverbot auch nach dem FrG hätte erlassen werden können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 27. November 2001

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