VwGH 99/08/0089

VwGH99/08/008923.4.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der I in W, vertreten durch Dr. Georg Freimüller, Univ.-Doz. Dr. Alfred J. Noll, Dr. Alois Obereder und Mag. Michael Pilz, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 21, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 20. April 1999, Zl. 121.516/1-7/99, betreffend Versicherungspflicht nach dem ASVG und AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1. A GesmbH & Co KG in L; 2. Wiener Gebietskrankenkasse, 1103 Wien, Wienerbergstraße 15-19; 3.

Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1; 4. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter Straße 65; 5. Arbeitsmarktservice Wien, Landesgeschäftsstelle, 1011 Wien, Weihburggasse 30), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;
AVG §1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 7. Oktober 1997 stellte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse fest, dass die Beschwerdeführerin auf Grund ihrer Beschäftigung als Angestellte bei der erstmitbeteiligten Partei auch in der Zeit vom 1. April 1995 bis 30. September 1995 der Voll- (Kranken-, Unfall-, Pensions-)versicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 ASVG iVm § 4 Abs. 2 ASVG und § 11 Abs. 2 ASVG und der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterliege.

Begründend führte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aus, dass die Beschwerdeführerin seit 9. November 1989 beim genannten Dienstgeber beschäftigt gewesen sei. Nach einer vom Dienstgeber am 9. Dezember 1994 bzw. am 13. Dezember 1994 per 31. März 1995 ausgesprochenen Kündigung habe die Beschwerdeführerin Klage beim Arbeits- und Sozialgericht Wien erhoben. Gegenstand dieser Klage sei die Anfechtung der Kündigung bzw. das Begehren auf Unwirksamerklärung der Kündigung gewesen. Am 1. März 1996 sei von den Streitparteien ein gerichtlicher Vergleich geschlossen worden, der in Folge auch rechtswirksam geworden sei. Mit diesem Vergleich sei das Dienstverhältnis zum 31. März 1995 beendet und der Beschwerdeführerin unter anderem eine "Zahlung für den Verzicht auf Arbeitsleistung § 67 (8a) Einkommensteuergesetz" gewährt worden.

Rechtlich beurteilte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse diesen Sachverhalt dahingehend, dass die Beschwerdeführerin eindeutig auf Fortbestand des Dienstverhältnisses geklagt habe und dass damit auch die Zahlung von Entgelt zwangsläufig in Zusammenhang stehe. In diesem Sinne habe die im Vergleich vereinbarte Zahlung für den Verzicht auf Arbeitsleistung eindeutig den Charakter einer Kündigungsentschädigung. Die Pflichtversicherung sei daher unter Berücksichtigung des bis 31. März 1995 gebührenden Entgeltes gemäß § 11 Abs. 2 ASVG bis 30. September 1995 zu verlängern gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Einspruch. Der Landeshauptmann von Wien gab diesem Einspruch mit Bescheid vom 12. Jänner 1998 keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. In der Rechtsmittelbelehrung wird ausgeführt, dass der Bescheid binnen zwei Wochen nach Zustellung durch schriftliche Berufung an das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales angefochten werden könne.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung der Beschwerdeführerin vom 30. Jänner 1998 keine Folge gegeben und die Verlängerung der Pflichtversicherung nach Ende des Beschäftigungsverhältnisses gemäß § 11 Abs. 2 ASVG erneut bejaht.

Gegend diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, in eventu wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift - ebenso wie die mitbeteiligte Pensions- sowie die Unfallversicherungsanstalt - Abstand genommen und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die übrigen Parteien haben sich am Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Sache des Verwaltungsverfahrens war ausschließlich die Frage einer Verlängerung der Pflichtversicherung gemäß § 11 Abs. 2 ASVG.

§ 415 ASVG idF BGBl. Nr. 189/1955 lautete:

"Die Berufung an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gegen den Bescheid des Landeshauptmannes steht in den Fällen des § 413 Abs. 1 Z 2 allgemein, in den Fällen des § 413 Abs. 1 Z 1 jedoch nur zu, wenn über die Versicherungspflicht oder die Berechtigung zur Weiter- oder Selbstversicherung entschieden worden ist."

Mit der 55. Novelle zum ASVG, BGBl. I Nr. 138/1998 (ausgegeben am 18. August 1998), wurde die Bestimmung wie folgt geändert und ein Abs. 2 angefügt:

"(1) Die Berufung an das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales gegen den Bescheid des Landeshauptmannes steht in den Fällen des § 413 Abs. 1 Z 2 allgemein, in den Fällen des § 413 Abs. 1 Z 1 jedoch nur zu, wenn über die Versicherungspflicht, ausgenommen in den Fällen des § 11 Abs. 2, oder die Berechtigung zur Weiter- oder Selbstversicherung entschieden worden ist.

(2) Der Versicherungsträger, der den Bescheid in erster Instanz erlassen hat, hat die Berufung beim Landeshauptmann einzubringen."

Die Neuregelung trat gemäß § 575 Abs. 1 Z 1 ASVG mit 1. August 1998 in Kraft; eine Übergangsregelung für in diesem Zeitpunkt anhängige Berufungsverfahren enthält das Gesetz nicht. In den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (1234 BlgNR XX. GP, S. 39) wird lediglich ausgeführt, dass in Angelegenheiten des § 11 Abs. 2 ASVG (Verlängerung der Pflichtversicherung durch gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich) eine Berufung an das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales aus verfahrensökonomischen Gründen in Hinkunft nicht mehr zulässig sein solle. In den finanziellen Erläuterungen (aaO, S. 50) wird dazu bemerkt, dass die Maßnahme der Verhinderung von Personalmehraufwand beim Bund dienen solle.

Im Zeitpunkt der Erlassung des Einspruchsbescheides vom 12. Jänner 1998 bzw. der Einbringung der Berufung gegen diesen Bescheid am 3. Februar 1998 (Datum des Einlangens bei der Gebietskrankenkasse) stand die Regelung des § 415 ASVG noch in der Stammfassung (BGBl. Nr. 189/1955) in Geltung, weshalb die Berufung damals (entsprechend der im Einspruchsbescheid erteilten Rechtsmittelbelehrung) noch zulässig gewesen ist. Ob die belangte Behörde zur Erlassung des angefochtenen Bescheides zuständig war, ist jedoch nach den in diesem Zeitpunkt geltenden Zuständigkeitsvorschriften zu beurteilen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 16. November 1993, Zl. 90/07/0036; zur Unzulässigkeit einer Säumnisbeschwerde infolge Wegfalls der Zuständigkeit der säumigen belangten Behörde zur Nachholung des versäumten Bescheides infolge nachträglicher Gesetzesänderung vgl. die hg. Beschlüsse vom 21. Mai 1991, VwSlg. 13442/A, und vom 30. September 1996, Zl. 96/12/0101).

Die belangte Behörde war daher auf Grund der nach Erhebung der Berufung, aber vor Erlassung des Berufungsbescheides in Kraft getretenen Gesetzesänderung im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht mehr zuständig, über die Verlängerung der Pflichtversicherung gemäß § 11 Abs. 2 ASVG zu entscheiden (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 99/08/0035), weshalb sie die Berufung hätte zurückweisen müssen (anders in jenen Fällen, in denen der Landeshauptmann auf Grund eines Devolutionsantrages in erster Instanz entschieden hat, vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 3. Juli 2002, Zl. 98/08/0397).

Die Unzuständigkeit der belangten Behörde führt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch dann, wenn sie in der Beschwerde nicht geltend gemacht wurde, zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides (vgl. hiezu Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 581); dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das auf den Ersatz von Stempelgebühren gerichtete Mehrbegehren war im Hinblick auf die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestehende sachliche Gebührenbefreiung gemäß § 110 ASVG abzuweisen.

Auf die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist gegen den Einspruchsbescheid des Landeshauptmannes von Wien gemäß § 46 Abs. 2 VwGG innerhalb der in Abs. 3 dieser Bestimmung genannten Frist wird hingewiesen.

Wien, am 23. April 2003

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