VwGH 99/02/0237

VwGH99/02/023722.3.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 26. Juli 1999, Zl. UVS-01/50/00063/99, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: EM in Wien), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs4;
FrG 1997 §66 Abs1;
AVG §66 Abs4;
FrG 1997 §66 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 15. Juli 1999 wurde über die mitbeteiligte Partei unter Berufung auf § 61 Abs. 1 FrG 1997 die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

In der Begründung dieses Bescheides wurde u.a. ausgeführt, dass der Mitbeteiligte an einem näher genannten Ort in Wien betreten worden sei, wobei festgestellt worden sei, dass er sich seit 4. Jänner 1996 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Die Bundespolizeidirektion Wien, Fremdenpolizeiliches Büro, habe gegen den Mitbeteiligten ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen. Die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung des fremdenpolizeilichen Verfahrens bzw. die Abstandnahme von der Verhängung gelinderer Mittel sei notwendig, weil gegen den Mitbeteiligten ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot bestehe und er es unterlassen habe, trotz dieses Aufenthaltsverbotes das Bundesgebiet zu verlassen, bzw. das Bundesgebiet wieder betreten habe und somit auf Grund seines unerlaubten Aufenthaltes im Bundesgebiet eine Gefährdung der Sicherheit darstelle, und die Durchsetzung der fremdenpolizeilichen Maßnahmen unumgänglich sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der am 20. Juli 1999 in Schubhaft genommene Mitbeteiligte gemäß § 72 FrG 1997 Schubhaftbeschwerde an die belangte Behörde.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 26. Juli 1999 gab die belangte Behörde der Schubhaftbeschwerde des Mitbeteiligten gemäß § 73 FrG 1997 Folge und erklärte die Festnahme und Anhaltung in Schubhaft "seit 21. Juli 1999, 19.30 Uhr," im Polizeigefangenenhaus Wien für rechtswidrig. Diese Entscheidung begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass "weder aus den Akten des vorliegenden Schubhaftverfahrens noch aus der Begründung des Schubhaftbescheides" zu entnehmen sei, dass die erstinstanzliche Behörde die Möglichkeit der Anwendung gelinderer Mittel überhaupt in Erwägung gezogen oder deren Anwendung überprüft habe. Schon aus diesem Grund sei die Schubhaft gegenüber dem Mitbeteiligten als rechtswidrig anzusehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende auf Art. 131 Abs. 2 B-VG in Verbindung mit § 74 FrG gestützte Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die beschwerdeführende Partei wendet u.a. ein, es sei gegenüber dem Mitbeteiligten ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Unter einem sei gemäß § 64 Abs. 2 AVG die aufschiebende Wirkung einer Berufung ausgeschlossen worden, weil die vorzeitige Vollstreckung im Interesse des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzug dringend geboten gewesen sei. Da bereits zum damaligen Zeitpunkt die Bundespolizeidirektion Wien der Ansicht gewesen sei, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten durch die Verhängung der Schubhaft zu sichern sei, sei er (erg.: vom 29. Dezember 1995 bis 6. Jänner 1996) in Schubhaft angehalten worden. Der Mitbeteiligte habe jedoch durch seine von ihm herbeigeführte Haftunfähigkeit die Entlassung aus der Schubhaft erreicht. Nach seiner Entlassung aus der Schubhaft am 6. Jänner 1996 sei er bis zu seiner neuerlichen Inschubhaftnahme am 20. Juli 1999 untergetaucht. Die öffentliche Ordnung werde schwer wiegend beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, sich unerlaubt nach Österreich begeben würden, und damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen stellten. Der Mitbeteiligte habe am 21. Oktober 1994 von der österreichischen Botschaft in Kairo für die Zeit vom 5. November 1994 bis 26. November 1994 einen Touristensichtvermerk zur Einreise in das Bundesgebiet erhalten. Dieser Touristensichtvermerk sei nach den Bestimmungen des Fremdengesetzes 1992 ausschließlich für Reisen erteilt worden, deren Zweck in Besichtigung, Besuch oder Durchreise bestanden habe. Der Touristensichtvermerk nach dem FrG 1992 habe nicht dazu benützt werden können, sich zunächst Einreise und Aufenthalt zu Tourismuszwecken zu erwirken, um in der Folge den Wunsch auf Niederlassung offen zu legen. Nach Ablauf der Gültigkeitsdauer seines Touristensichtvermerks habe der Mitbeteiligte das Bundesgebiet jedoch nicht verlassen, sondern seinen Aufenthalt illegal fortgesetzt. Auch die Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes habe den Mitbeteiligten nicht dazu bewegen können, aus Österreich auszureisen. Er habe ganz im Gegenteil seinen illegalen Aufenthalt über den Zeitraum von mehr als viereinhalb Jahren aufrecht erhalten.

Die belangte Behörde - so die beschwerdeführende Partei weiter - behaupte im angefochtenen Bescheid, dass die Bundespolizeidirektion Wien keinerlei Prüfung dahingehend vorgenommen habe, ob ein gelinderes Mittel den Sicherungszweck der Schubhaft erreichen hätte können. Tatsächlich habe die Bundespolizeidirektion Wien bereits bei der Erlassung des Schubhaftbescheides gegenüber dem Mitbeteiligten eine dahingehende Prüfung unternommen. Diese Prüfung habe ergeben, dass die Bundespolizeidirektion Wien keinerlei Grund gehabt habe, davon auszugehen, dass die Anordnung gelinderer Mittel an Stelle der Verhängung der Schubhaft der Sicherung der Abschiebung des Mitbeteiligten in gleicher Weise dienen hätte können. Der Mitbeteiligte habe jahrelang die Verpflichtung zum Verlassen des Bundesgebietes nicht beachtet. Die Bundespolizeidirektion Wien habe vertretbarer Weise davon ausgehen können, dass der Fremde die ihm in Folge eines gelinderen Mittels weitestgehend belassene Bewegungsfreiheit nur dazu nützen werde, sich neuerlich dem angestrebten Zweck zu entziehen. In Anbetracht der aufgezeigten Umstände habe die Bundespolizeidirektion Wien keinen Grund zur Annahme gehabt, dass der Zweck der Sicherung der Abschiebung durch die Anordnung eines gelinderen Mittels erreicht werden hätte können, sodass die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft gerechtfertigt gewesen sei.

Gemäß § 61 Abs. 1 FrG 1997 können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft nur verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

Nach § 66 Abs. 1 erster Satz FrG 1997 kann die Behörde von der Anordnung der Schubhaft Abstand nehmen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass deren Zweck durch Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann.

Entgegen der Darstellung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid hat sich die Bundespolizeidirektion Wien sehr wohl - was der belangten Behörde entgangen sein dürfte - im Schubhaftbescheid vom 15. Juli 1999 mit der Frage der möglichen Anwendung von gelinderen Mitteln auseinander gesetzt (vgl. die obzitierte Begründung desselben). Die von der Fremdenbehörde erster Instanz getroffene Ermessensentscheidung, im Beschwerdefall keine gelinderen Mittel anzuwenden, war im Hinblick auf das bisherige Verhalten des Mitbeteiligten (langjähriger illegaler Aufenthalt in Österreich ohne entsprechende behördliche Meldung in dieser Zeit, Nichtbeachtung des über ihn rechtskräftig verhängten Aufenthaltsverbotes und der damit zusammenhängenden Ausreiseverpflichtung) nicht als rechtswidrig zu erkennen. Das von der beschwerdeführenden Partei aufgezeigte längerfristige Untertauchen des Mitbeteiligten nach dessen Entlassung aus der Schubhaft im Jahre 1996, welches gleichfalls dem Fremdenakt zu entnehmen ist, war überdies selbst bei Zutreffen der von der belangten Behörde festgestellten Umstände (familiäre Bindung, aufrechte polizeiliche Meldung) ein schwer wiegendes Indiz für die Annahme, dass sich der Mitbeteiligte im Falle einer unterbleibenden Inhaftierung erneut dem Zugriff der Fremdenbehörden zwecks Verhinderung der drohenden Abschiebung entziehen werde.

Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28. Jänner 2000, Zl. 99/02/0335, darauf hingewiesen, dass in jenen Fällen, in denen der angerufene unabhängige Verwaltungssenat die rechtliche Beurteilung der Schubhaftbehörde erster Instanz teilt und diese ausreichend begründen kann, er nicht gehalten ist, den Bescheid erster Instanz deshalb aufzuheben, weil der Bescheid erster Instanz in manchen Punkten noch eingehender hätte begründet werden müssen.

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 22. März 2002

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte