VwGH 99/02/0335

VwGH99/02/033528.1.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Breunlich, über die Beschwerde des H K in L, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Fromherz, Rechtsanwalt in 4010 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Burgenland vom 11. August 1999, Zl. E 013/02/1999.061/4, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §66 Abs4;
FrG 1997 §61 Abs1;
FrG 1997 §66 Abs1;
FrG 1997 §72 Abs1;
FrG 1997 §73 Abs2 Z2;
EMRK Art5 Abs4;
PersFrSchG 1988 Art6 Abs1;
AVG §37;
AVG §66 Abs4;
FrG 1997 §61 Abs1;
FrG 1997 §66 Abs1;
FrG 1997 §72 Abs1;
FrG 1997 §73 Abs2 Z2;
EMRK Art5 Abs4;
PersFrSchG 1988 Art6 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Nach dem eigenen Beschwerdevorbringen und den Feststellungen im angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer am 21. Juni 1999 auf Grund des Verdachtes der illegalen Einreise nach Österreich festgenommen. Er ist afghanischer Staatsangehöriger. Nach seinen Angaben in einer Niederschrift vom 21. Juni 1999 stellte er über Vermittlung seines Onkels Kontakt zu einem Schlepper her, der ihn abgeholt und mit einem LKW weggebracht habe. Er sei dann in einer Holzkiste zusammen mit einem iranischen Staatsbürger auf einem anderen LKW sieben oder acht Tage weiter gereist, wobei er die genaue Fahrtroute nicht wisse. Der LKW-Lenker habe ihm beim Aussteigen in den Morgenstunden gesagt, dass sie in Deutschland seien; der Beschwerdeführer selbst wolle nach Deutschland, weil dort ein Cousin von ihm lebe und er gehört habe, dass Deutschland afghanischen Asylwerbern Asyl gewähre. Der Beschwerdeführer stellte einen Asylantrag.

Mit Bescheid vom 22. Juni 1999 verhängte die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl/See über den Beschwerdeführer die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung sowie ab deren Durchsetzbarkeit zur Sicherung der Abschiebung.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 6. August 1999 Beschwerde an die belangte Behörde. In dieser brachte er insbesondere vor, dass die Schubhaft infolge der rechtlichen Unmöglichkeit einer Abschiebung grundsätzlich unzulässig sei und rügte die fehlende Abwägung der gemäß § 66 Abs. 1 FrG 1997 anzuwendenden gelinderen Mittel.

Mit ihrem Bescheid vom 11. August 1999 wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab und stellte fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen im Zeitpunkt ihrer Entscheidung vorlägen.

Der Beschwerdeführer bekämpft diesen Bescheid vor dem Verwaltungsgerichtshof wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften; er erachtet sich in seinem einfach gesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit gemäß dem § 61 ff FrG 1997 sowie auf Anwendung gelinderer Mittel und Nichtverhängung der Schubhaft gemäß § 66 Abs. 1 Satz zwei FrG 1997 verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bekämpft zunächst die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Schubhaftbehörden nicht zu prüfen hätten, ob die Abschiebung tatsächlich durchführbar und möglich sei. Die Beschwerdeausführungen geben indes keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, die vom Verwaltungsgerichtshof auch für die Rechtslage nach dem Fremdengesetz 1997 fortgesetzt wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. März 1999, Zl. 98/02/0309, mwN). Auch der Hinweis auf Art. 5 (näher: Abs. 4) MRK führt die Beschwerde nicht zum Erfolg:

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 23. September 1994, Zl. 94/02/0209 zum § 51 Abs. 1 Fremdengesetz 1992 (im Folgenden: FrG 1992) zum Ausdruck gebracht, die dort geregelte Beschwerde (an den unabhängigen Verwaltungssenat) sei als "Haftprüfungsbeschwerde" konzipiert. Mit dieser Bestimmung, die ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 129a Abs. 1 Z. 3 B-VG und Art. 6 Abs. 1 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit (im Folgenden: PersFrG) habe, sei in Anlehnung an den Standard des Art. 5 Abs. 4 MRK ein Haftungsprüfungsverfahren geschaffen worden; Art. 6 PersFrG orientiere sich - so die Gesetzesmaterialien - an Art. 5 Abs. 4 MRK.

Aus den Gesetzesmaterialien zu den §§ 51 und 52 des FrG 1992 (692 BlgNR 18. GP, 54) ergibt sich, dass die Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat den vom PersFrG vorgegebenen Standard für das (zukünftige) FrG 1992 umsetzen soll; es handle sich um ein "habeas corpus-Verfahren" im Sinn des Art. 5 Abs. 4 MRK. Von daher gesehen kann nach Ansicht des Gerichtshofes kein Zweifel bestehen, dass sich die in § 52 Abs. 2 Z. 2 FrG 1992 geregelte Frist von einer Woche, innerhalb der die Entscheidung zu ergehen hatte, an Art. 6 Abs. 1 zweiter Satz PersFrG (der eine solche Frist normiert) orientiert. Diese Überlegungen haben sinngemäß für die diesbezüglichen Bestimmungen der §§ 72 und 73 FrG 1997 (insbesondere hinsichtlich der einwöchigen Entscheidungsfrist des § 73 Abs. 2 Z. 2 leg. cit.) zu gelten (vgl. dazu auch die RV 685 BlgNR 20. GP, 82). Daraus folgt, dass bei der Beantwortung der Frage, welche Prüfungen durch den unabhängigen Verwaltungssenat im Rahmen der Schubhaftbeschwerde durchzuführen sind, von der verfassungs- und einfachgesetzlich vorgegebenen einwöchigen Frist auszugehen ist. Daraus folgt aber weiters auch, dass "eingehende" amtswegige Ermittlungen von vornherein ausgeschlossen sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1999, Zl. 99/02/0294).

Soweit der Beschwerdeführer davon ausgeht, dass die belangte Behörde auch die Frage der rechtlichen Zulässigkeit der Abschiebung zu beurteilen gehabt hätte, so legt er diese seine Ansicht nicht näher dar. Im Zusammenhang mit § 21 Abs. 2 erster Halbsatz AsylG 1997, wonach ein Asylwerber nicht in den Herkunftsstaat zurückgewiesen und überhaupt nicht zurückgeschoben oder abgeschoben werden darf, hat der Verwaltungsgerichtshof dazu in dem bereits erwähnten Erkenntnis vom 23. März 1999 Stellung genommen und dargelegt, welche Kriterien hiefür zur Beurteilung durch die Schubhaftbehörde heranzuziehen sind. Dass der Beschwerdeführer die näher dargelegten Voraussetzungen für die Unzulässigkeit der Schubhaft erfüllt, lässt sich der Beschwerde und den Feststellungen der belangten Behörde im bekämpften Bescheid nicht entnehmen.

Der Beschwerdeführer rügt weiters, der angefochtene Bescheid enthalte eine "formelhafte Begründung" zur Frage der Abstandnahme von der Anordnung gelinderer Mittel.

Gemäß § 66 Abs. 1 FrG 1997 kann die Behörde von der Anordnung der Schubhaft Abstand nehmen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass deren Zweck durch Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Gegen Minderjährige hat die Behörde gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn, sie hätte Grund zur Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann.

Anders als die Behörde erster Instanz hat der Unabhängige Verwaltungssenat Burgenland auf den Seiten 5 und 6 des angefochtenen Bescheides ausführlich dargelegt, warum seiner Meinung nach Grund zur Annahme bestehe, dass der Zweck der Schubhaft bei Anwendung eines gelinderen Mittels nicht erreicht werden könne. Zutreffend hat er in diesem Zusammenhang darauf verwiesen - was im Übrigen gar nicht bestritten wird -, dass der Beschwerdeführer illegal über die grüne Grenze nach Österreich eingereist sei, kein Reisedokument vorweisen habe können, was den fehlenden Nachweis der Staatsbürgerschaft und seiner Identität bedeute, in Österreich über keine gesicherte Unterkunft verfüge und ihm auch ausreichende Unterhaltsmittel fehlten. Die belangte Behörde hat aber auch noch weiters - was gleichfalls unbestritten geblieben ist - darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer unter Schlepperbeteiligung von Afghanistan nach Österreich gelangt sei, jedoch nach Deutschland zu einem Verwandten weiterreisen wolle. Die belangte Behörde hat daraus - ungeachtet der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers - abgeleitet, dass die Gefahr des "Untertauchens" bestehe, da eine persönliche Bindung zu Österreich oder hier lebenden Personen nicht erkennbar sei, sehr wohl aber eine solche betreffend die Bundesrepublik Deutschland. Die belangte Behörde hat weiters gefolgert, dass nach der negativen erstinstanzlichen Asylentscheidung dem Argument, eine Weiterreise vor dem Entscheid über den Asylantrag hätte "keine positive Konsequenz", keine Bedeutung zukomme.

Damit aber hat die belangte Behörde nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes ausreichend begründet, warum sie im Sinne des § 66 Abs. 1 zweiter Satz FrG 1997 zum Schluss gekommen sei, sie hätte Grund zur Annahme, dass der Zweck der Schubhaft mit der Anwendung gelinderer Mittel nicht erreicht werden könne. Es liegt daher kein Begründungsmangel des angefochtenen Bescheides vor. Es ist aber auch der dargelegten Begründung des Bescheides eine inhaltliche Rechtswidrigkeit nicht zu entnehmen, zumal sich der Beschwerdeführer vor dem Gerichtshof darauf beschränkt, die von der belangten Behörde gezogenen, nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes denkmöglichen und nahe liegenden Schlüsse zu bestreiten, ohne jedoch überzeugend darzulegen, zu welch anderen Ergebnissen die belangte Behörde hätte kommen müssen.

Der Beschwerdeführer räumt selbst ein, dass die "materielle Begründung des nunmehr angefochtenen Bescheides entgegen der ... vertretenen Rechtsansicht die Rechtmäßigkeit der Schubhaft begründen könne"; in diesem Fall sei jedoch die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides unzureichend, weshalb die belangte Behörde die Schubhaft bis zu ihrer Entscheidung als unrechtmäßig hätte erkennen müssen.

Dem vermag der Verwaltungsgerichtshof aus folgenden Überlegungen nicht zu folgen:

Abgesehen von der negativen Entscheidung der Asylbehörde erster Instanz lagen alle für die hier zu entscheidende Frage der Zulässigkeit der Schubhaft maßgebenden Umstände bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung der ersten Instanz vor. Auch die Schubhaftbehörde erster Instanz hat in ihrem Bescheid - wenn auch nach Ansicht des Beschwerdeführers und der belangten Behörde "floskelhaft" -begründet, warum sie zu der Annahme gelangt ist, dass der Zweck der Schubhaft durch die Anwendung gelinderer Mittel im Beschwerdefall nicht erreicht werden könne. Wenn nun der angerufene unabhängige Verwaltungssenat die rechtliche Beurteilung der Schubhaftbehörde erster Instanz teilt und diese ausreichend begründen kann, ist er nicht gehalten, den Bescheid erster Instanz deshalb aufzuheben, weil der Bescheid erster Instanz in manchen Punkten noch hätte eingehender begründet werden können (vgl. § 66 Abs. 4 AVG).

Soweit der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften noch rügt, die belangte Behörde hätte es unterlassen, ein Ermittlungsverfahren zu konkreten Gründen durchzuführen, welche der im Gesetz grundsätzlich vorgesehenen Anwendung gelinderer Mittel entgegen stünden, so ist er auf das Vorgesagte zu verweisen, zumal er selbst nicht ausführt, zu welchen (anderen) konkreten Ergebnissen die belangte Behörde bei Unterlassung des behaupteten Verfahrensfehlers gelangt wäre.

Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang die Verletzung seines Rechts auf Gehör insbesondere durch die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde geltend macht, ist ihm zu entgegnen, dass es ihm freistand, in seinem an die belangte Behörde gerichteten Rechtsmittel alle Umstände vorzubringen, die für die Anwendung gelinderer Mittel seiner Ansicht nach ins Treffen zu führen wären. Welche konkreten anderen Tatsachen bei einer persönlichen Befragung des Beschwerdeführers hervorgekommen wären, die die belangte Behörde zu einer anderen Entscheidung hätten veranlassen können, legt der Beschwerdeführer nicht dar; der Verwaltungsgerichtshof vermag daher die Relevanz dieses behaupteten Verfahrensmangels nicht zu erkennen. Allein die Gewinnung eines persönlichen Eindruckes vom Beschwerdeführer vermag konkrete Behauptungen über entsprechende Tatsachen nicht zu ersetzen.

Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen ließ, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nicht öffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 28. Jänner 2000

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