Normen
AsylG 1997 §7;
AVG §37;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §41 Abs1;
AsylG 1997 §7;
AVG §37;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §41 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein der albanischen Ethnie im Kosovo angehörender jugoslawischer Staatsangehöriger, reiste am 25. September 1997 nach Österreich ein und stellte am 2. Oktober 1997 einen Asylantrag. Bei seiner niederschriftlichen Vernehmung durch das Bundesasylamt am 1. Dezember 1997 gab er zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen Folgendes an:
Er habe den Asylantrag gestellt, weil er in seinem Heimatland von der Polizei verfolgt werde. Die Polizei werfe ihm vor, in Albanien gewesen zu sein und dort militärische Übungen mit der "Befreiungsarmee Kosovos" gemacht zu haben. Er sei aufgefordert worden, Mitarbeiter dieser Organisation bekannt zu geben. Die Polizisten seien am 15. September 1997 um 5.00 Uhr früh gekommen und hätten ihn auf die Polizeistation nach Pristina mitgenommen. Die Einvernahme habe zehn Stunden gedauert. Dabei sei er auch über die Ziele und die Organisatoren der "Befreiungsarmee Kosovo" befragt worden. Danach sei er entlassen worden; es sei ihm aufgetragen worden, sich am nächsten Tag wieder zu melden. Er sei jedoch nicht nach Hause, sondern zu seiner Schwester gegangen und habe sich am folgenden Tag nicht bei der Polizei gemeldet. Dort habe er sich bis 24. September aufgehalten. Während dieser Zeit sei die Polizei zweimal in seinem Elternhaus gewesen. Dies habe er von seinem Bruder erfahren. Aufgrund seiner Abwesenheit seien keine polizeilichen Maßnahmen gegen seine Eltern oder seinen Bruder gesetzt worden.
Die Frage, welcher Wochentag der 15. September 1997 gewesen sei, konnte der Beschwerdeführer zunächst nicht beantworten. Über Nachfrage des Verhandlungsleiters vermutete er, dass es ein Sonntag gewesen sein könnte, was nicht richtig ist (es war ein Montag).
Dem Beschwerdeführer wurde bei der Vernehmung vorgehalten, dass seine Angaben nicht glaubwürdig seien. Es sei "mit logischen Abläufen nicht in Einklang zu bringen", dass er wegen des Verdachtes, der "Befreiungsarmee Kosovos" anzugehören, zehn Stunden vernommen worden, dann jedoch lediglich mit der Aufforderung, am nächsten Tag wieder zu erscheinen, freigelassen worden sein soll. Vollkommen unglaubwürdig sei es auch, dass infolge des "derart relativ schweren Verdachtes" gegen den Beschwerdeführer infolge dessen Abwesenheit nicht auch Maßnahmen gegen dessen Familie ergriffen worden seien. Überdies sei der Beschwerdeführer auch deswegen unglaubwürdig, weil er den Wochentag seiner zehnstündigen Vernehmung hätte im Gedächtnis behalten müssen.
Der Beschwerdeführer meinte dazu, dass ihm die Behörde glauben könne; er habe nicht gelogen.
Mit Bescheid vom 1. Dezember 1997 hat das Bundesasylamt den Asylantrag abgewiesen. Dabei führte es aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers über seine Bedrohung nicht glaubwürdig sei, weil es aus den dem Beschwerdeführer bereits bei der niederschriftlichen Vernehmung vorgehaltenen Gründen "der Plausibilität" widerspreche.
In der dagegen gerichteten Berufung macht der Beschwerdeführer erkennbar geltend, dass die Behörde erster Instanz die Frage seiner Flüchtlingseigenschaft unrichtig beurteilt habe. Aufgrund einer "schweren Krankheit" sei es ihm zur Zeit nicht möglich, für die Berufung nötige Unterlagen zu beschaffen. Eine ausführliche Begründung werde er in den nächsten beiden Wochen nachreichen. Eine derartige Nachreichung erfolgte jedoch nicht.
Anlässlich der Ladung zu der für den 17. Februar 1998 anberaumten Berufungsverhandlung stellte sich heraus, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers unbekannt ist. Die belangte Behörde stellte daher das Verfahren am 13. Februar 1998 gemäß § 30 Abs. 1 Asylgesetz 1997 - AsylG, BGBl. I Nr. 76, ein.
Über Antrag des Beschwerdeführers vom 10. August 1998 wurde das Verfahren fortgesetzt. Bei der Berufungsverhandlung vom 4. September 1998 wurde der Beschwerdeführer zunächst danach befragt, warum er die Änderung seines Aufenthaltsortes nicht rechtzeitig bekannt gegeben habe, warum er die Berufung trotz entsprechender Ankündigung nicht ergänzt habe und wie schwer er im Zeitpunkt der Verfassung der Berufung erkrankt gewesen sei. Dabei gab er - teilweise nach zunächst ausweichenden Antworten und mehrmaligem Nachfragen - an, den Inhalt der Berufung nicht genau zu kennen und ihn mangels Unterlagen nicht bescheinigen zu können. Er habe - trotz diesbezüglicher Belehrung unter Beiziehung eines Dolmetschers - nicht gewusst, jeden Wohnsitzwechsel der Behörde bekannt geben zu müssen, und sei von einer Unterkunft ohne sein Wissen abgemeldet worden. Er wisse nicht mehr, wie schwer er erkrankt gewesen sei. Er habe trotz dieser Krankheit von Wien nach Linz fahren können.
Demgegenüber ist der Vernehmung des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen nur ein wesentlich kleinerer Teil des Verhandlungsprotokolles gewidmet. Darin führte der Beschwerdeführer aus, dass er bereits drei Monate vor dem 15. September 1997 ebenfalls von der Polizei verhört worden sei. Dabei sei er allerdings nur über die Schule befragt worden. Am 15. September 1997 sei er nicht volle zehn Stunden von der Polizei verhört worden, sondern die gesamte Zeit von seiner Abholung durch die Polizei bis zu seiner Entlassung habe insgesamt zehn Stunden gedauert. Er sei sechseinhalb bis sieben Stunden pausenlos vernommen worden. Er sei damals noch nicht einmal 20 Jahre alt gewesen und habe bei dem Verhör geweint. Man habe ihm trotzdem keine Pause gegönnt.
Mit Bescheid vom 4. September 1998 hat die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG abgewiesen.
Die belangte Behörde verneinte die Glaubwürdigkeit des gesamten Vorbringens des Beschwerdeführers und vertrat davon ausgehend die Rechtsansicht, dass dem Beschwerdeführer keine Flüchtlingseigenschaft zukomme. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer deutliches Desinteresse an seinem Asylverfahren gezeigt habe. Er habe die ihn treffenden verfahrensrechtlichen Pflichten nicht wahr haben wollen und sei trotz Anleitung bei der Meinung geblieben, "selber nichts unternehmen zu müssen". Er habe immer wieder Antworten wie "ich habe einfach unterschrieben", "ich weiß nicht, was ich unterschrieben habe", "ich kann nichts vorlegen, woher soll ich Dokumente beschaffen", "ich weiß nicht, wie ich meine Berufung hätte begründen sollen", gegeben. Der Beschwerdeführer habe mehrmals daran erinnert werden müssen, die Wahrheit zu sagen. Er habe Fragen nicht kurz und präzise beantwortet. Der Beschwerdeführer habe sich auch nicht von sich aus um die Fortsetzung seines Asylverfahrens gekümmert. Unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beschwerdeführers müsse dessen Vorbringen als gänzlich unglaubwürdig eingestuft werden. Im Übrigen werde die Beweiswürdigung der Erstbehörde auch von der Berufungsbehörde übernommen.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde hat ihre Beweiswürdigung primär darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer seinen verfahrensrechtlichen Verpflichtungen im Berufungsverfahren nicht ausreichend nachgekommen sei und bei der Befragung zu diesem Themenbereich ausweichende Antworten gegeben habe. Darüber hinaus hat sie auch die Beweiswürdigung der Erstbehörde übernommen, wonach es mit der Lebenserfahrung nicht im Einklang stehe, dass ein als UCK-Kämpfer verdächtigter Albaner nach einer mehrstündigen Vernehmung mit dem Auftrag, am nächsten Tag wieder zu erscheinen, auf freien Fuß gesetzt werde. Ebenso sei es nicht plausibel, dass die Familienangehörigen eines geflüchteten bzw. sich versteckt haltenden Verdächtigen unbehelligt gelassen würden. Gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers spreche auch, dass er nicht habe angeben können, an welchem Tag er von der Polizei vernommen worden sei.
Diese Beweiswürdigung hält einer Prüfung auf ihre Schlüssigkeit (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) nicht stand.
Dass Albaner aus dem Kosovo von den Behörden unter dem Vorwand, Waffen zu besitzen oder die UCK zu unterstützen, von der Polizei zunächst bei einer längeren Vernehmung eingeschüchtert werden und dann mit dem Auftrag, sich neuerlich zu melden, nach Hause entlassen werden, ist eine dem Verwaltungsgerichtshof aus dem Vorbringen von anderen Asylwerbern albanischer Ethnie aus dem Kosovo in mehreren Parallelverfahren bekannte Vorgangsweise. Ein solches - vor allem gegen junge ethnische Albaner im wehrfähigen Alter, die als UCK-Kämpfer in Betracht kommen, gerichtetes - Vorgehen entbehrt aus der Sicht der serbischen Behörden auch nicht einer gewissen Plausibilität, werden doch die davon Betroffenen gedrängt, aus Furcht vor weiteren Repressionen den Kosovo zu verlassen.
Es ist aber auch nicht ersichtlich, warum im vorliegenden Fall aus dem Fehlen von Verfolgungshandlungen gegen Familienangehörige auf die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens betreffend stattgefundener Verfolgungshandlungen gegen den Asylwerber zu schließen sein soll.
Die beiden letztgenannten aus der Aussage des Beschwerdeführers über seine Fluchtgründe abgeleiteten wesentlichen Argumente der Behörde für die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers sind daher nicht schlüssig.
Die verbleibenden Argumente, dass der Beschwerdeführer nicht habe nennen können, an welchem Wochentag das Verhör erfolgt sei, und er die Verletzung seiner verfahrensrechtlichen Verpflichtungen im Berufungsverfahren nicht ausreichend habe erklären können, vermögen aber für sich allein die Unglaubwürdigkeit des gesamten Vorbringens zu den Fluchtgründen nicht schlüssig zu begründen.
Insoweit belastete die belangte Behörde ihren Bescheid daher mit einem Verfahrensfehler.
Diesem Verfahrensfehler kommt aus folgenden Gründen jedenfalls Relevanz zu:
Der Verwaltungsgerichtshof sieht es insbesondere aufgrund von Medienberichten als notorisch an, dass mit der Reaktion serbischer Sonderpolizei auf einen Überfall auf eine reguläre Polizeipatrouille durch "albanische Separatisten" am 28. Februar 1998 eine neue Stufe der "bewaffneten" Auseinandersetzung im Kosovo begonnen hat. Diese Auseinandersetzungen gingen mit vermehrten Übergriffen insbesondere auf die albanische Zivilbevölkerung in den hievon betroffenen Gebieten und auf solche Personen, die aus anderen Gründen - etwa weil ihnen ein Naheverhältnis zu den "albanischen Separatisten" vorgeworfen bzw. unterstellt wurde - bereits ins Blickfeld der serbischen Behörden geraten waren, einher. Ebenso ist es aber notorisch, dass sich die Kampfhandlungen und die damit verbundenen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung nicht auf das gesamte Gebiet des Kosovo, sondern im Wesentlichen auf das Gebiet Zentral-Kosovo (Region Drenica) sowie westlich davon auf die Verwaltungsbezirke an der albanischen Grenze erstreckten, wobei im September 1998 eine weitere Ausdehnung erfolgte. Der Beschwerdeführer stammt aus dem Raum Prishtina, für den verstärkte Aktionen der genannten Art zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht notorisch sind, doch wäre er bei Unterstellung seiner Angaben als glaubwürdig bereits wegen des Verdachtes, an der militärischen Ausbildung der UCK teilgenommen zu haben, in das Blickfeld behördlicher Ermittlungen gekommen. Diesfalls gehörte der Beschwerdeführer daher zu den Personen, die aufgrund eines ihnen unterstellten Naheverhältnisses zu den "albanischen Separatisten" von den genannten Aktionen besonders betroffen sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 1999, Zl. 98/01/0339).
Aus den dargestellten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 16. Februar 2000
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