VwGH 98/20/0411

VwGH98/20/041122.4.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur, Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des BJ in Graz, geboren am 3. April 1982, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger (Amt für Jugend und Familie, 8010 Graz, Schmiedgasse 26), vertreten durch Dr. Alfred Lind, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 22, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 29. Mai 1998, Zl. 201.452/0-II/06/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §27 Abs1;
AsylG 1997 §38;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a idF 1998/I/028;
AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §27 Abs1;
AsylG 1997 §38;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a idF 1998/I/028;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1.1. Der Beschwerdeführer ist mongolischer Staatsangehöriger. Er reiste am 17. September 1997 illegal nach Österreich ein und stellte am 22. September 1997 einen Asylantrag.

Er begründete diesen Antrag damit, dass er bei seiner Großmutter aufgewachsen und nach deren Tod im Jahre 1992 in ein Heim gebracht worden sei. Seine Mutter sei nach seiner Geburt verstorben, seinen Vater habe er nicht gekannt. Wegen der im Heim herrschenden strengen Disziplin und der Unterdrückung durch andere Heiminsassen sei er daraus geflüchtet. Die wirtschaftliche Lage in seinem Heimatland sei schlecht. Er sehe dort keine Zukunft. Sonst könne er keine Fluchtgründe angeben.

Mit dem Bescheid des Bundesasylamtes vom 29. September 1997 wurde der Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen.

1.2. In seiner dagegen erhobenen Berufung vom 6. Oktober 1997 brachte der Beschwerdeführer vor, sein Vater sei wegen antikommunistischer Tätigkeit verhaftet worden und im Jahre 1989 im Gefängnis verstorben. Als Kind eines politischen Häftlings sei er durch Behörden und Menschen verfolgt worden.

Die belangte Behörde schrieb darauf am 28. April 1998 an den Beschwerdeführer, er möge binnen zwei Wochen konkret belegen, dass

"1. Sie als 'Kind eines politischen Häftlings durch die mongolischen Behörden und Menschen' asylrelevante Verfolgung erlitten haben sollen und Ihnen daher in der Mongolei 'Verfolgung' im Sinne des Art. 1 lit A Z 2 GFK drohe,

2. konkret zu beschreiben, aus welchen Gründen Sie vermeinen, einer Minorität anzugehören, die von der Bevölkerung und der Regierung aus dem öffentlichen Leben ausgestoßen worden sei,

3. zu konkretisieren, in welchem Verhältnis der Artikel 22 der UN-Kinderkonvention im gegenständlichen Asylverfahren von Relevanz sein soll."

Nachdem der Beschwerdeführer auf diese Note nicht reagiert hatte, wies die belangte Behörde den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 29. Mai 1998 ab. Dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung drohe, weil er die Aufforderung, am Verfahren mitzuwirken, (nämlich die "Verfahrensanordnung" vom 28. April 1998) bis zum heutigen Tag unbeachtet gelassen habe.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Darin bringt der Beschwerdeführer vor, er sei als Kind geflüchtet und nach wie vor minderjährig. Die Erledigung der Aufforderung vom 28. April 1998 sei ihm nicht zumutbar gewesen. Seine Vertretung (d.h. der Vertreter des Beschwerdeführers) könne nicht mehr dokumentieren, als er in der Lage sei darzulegen. Der Beschwerdeführer habe seine Gründe für die Flucht hinreichend dargelegt. Um seine Aussage einer Bewertung zu unterziehen, hätte er von der belangten Behörde vernommen werden müssen.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Die Aussage des Asylwerbers sei im Asylverfahren das zentrale Beweismittel. Im Asylverfahren bestehe eine besondere Mitwirkungspflicht des Asylwerbers, die auch in dem § 6 Z 4 AsylG 1997 Ausdruck gefunden habe. Die belangte Behörde habe dem Beschwerdeführer durch die Verfahrensanordnung vom 28. April 1998 rechtliches Gehör eingeräumt und ihm Gelegenheit geboten, die im Berufungsschriftsatz erstmals vorgebrachten Neuerungen zu bescheinigen. Dem Beschwerdeführer sei zuzumuten, dass er der belangten Behörde den Namen seines Vaters und auch den Ort seiner Haft mitteile. Weil der Beschwerdeführer dies unterlassen habe, sei die belangte Behörde bereits auf Grund des Akteninhaltes in Verbindung mit der Berufung (vgl. Art. II Abs. 2 Z 43 a EGVG) in der Lage gewesen, über die erhobene Berufung zu entscheiden. Die Vernehmung des Beschwerdeführers hätte zu keinem anderen Ergebnis geführt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer macht zu Recht geltend, dass er (im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde) zu seinem neuen Vorbringen in der Berufung als Partei hätte vernommen werden müssen.

Auf das Verfahren nach dem Asylgesetz 1997 findet das AVG Anwendung. Als besondere Bestimmung für das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten sieht § 67d AVG grundsätzlich die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor, zu welcher die Parteien und die anderen zu hörenden Personen zu laden sind. Nach dem Art. II Abs. 2 lit. D Z 43 a EGVG ist auch auf das behördliche Verfahren des unabhängigen Bundesasylsenates das AVG anzuwenden, § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Dies ist dann der Fall, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und nach schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308).

Wird im Berufungsverfahren ein konkreter, neuer Sachverhalt behauptet, so ist es dem unabhängigen Bundesasylsenat verwehrt, durch Würdigung der Berufungsangaben als unglaubwürdig - gleichgültig ob in an sich schlüssiger oder unschlüssiger Beweiswürdigung - den Sachverhalt ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und insbesondere ohne den Asylwerber selbst persönlich einzuvernehmen als geklärt anzusehen.

2. Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung vom 6. Oktober 1997 Folgendes neu vorgebracht:

"Der Mj. hat seine Heimat aus Angst vor Verfolgung verlassen. Er hatte ein Gefühl der Furcht und Unsicherheit im Hinblick auf seine Zukunft und Ursache seiner Flucht vor Verfolgung war, dass er als Kind eines politischen Häftlings durch die Behörden und Menschen verfolgt wurde.

Außerdem steht nicht alles, was der Mj. bei der Einvernahme erzählt hat. Der Mj. hat bei der Einvernahme geschildert, dass er nicht aus wirtschaftlichen Gründen aus seiner Heimat geflüchtet ist. Seine Mutter ist gleich nach ihrer Geburt gestorben und seinen Vater (ergänze: hat) er nicht gekannt. Sein Vater wurde wegen der antikommunistischen, politischen Tätigkeit verhaftet und starb im Gefängnis 1989. Er wuchs bei seiner Großmutter und nach dem Tod 1992 der Großmutter musste er ins Waisenhaus. Als Kind musste er wegen seinem Vater, der als Feind der Regierung abgestempelt war, leiden. Niemand wollte ihm helfen und unterstützen, da viele von den Behörden und der Regierung Angst hatten verfolgt zu werden.

Somit gehört der Mj. zu einer Minorität und wurde von der Bevölkerung und der Regierung aus dem öffentlichen Leben ausgestoßen.

Die Tatsache, dass der Mj. zu einer solchen Minorität gehört, ist schon allein Anlass zu begründeter Furcht vor Verfolgung."

Dieses Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Berufung war jedenfalls so ausreichend substantiiert, dass es die belangte Behörde im Sinne der oben angeführten Judikatur hätte veranlassen müssen, den Beschwerdeführer im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen mündlichen Verhandlung einzuvernehmen.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vermeidung des in der Beschwerde gerügten Verfahrensfehlers zu einem anderen Bescheid gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. 416/1994.

Wien, am 22. April 1999

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