VwGH 98/08/0203

VwGH98/08/020329.3.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde der A, vertreten durch Dr. H und Dr. P, Rechtsanwälte in I, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Salzburg vom 16. Mai 1997, Zl. LGSSBG/5/1218/1997, VNR.: 6542 02 01 69, betreffend Anspruch auf Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Normen

61996CJ0262 Sürül VORAB;
AlVG 1977 §33 Abs1;
AlVG 1977 §33;
AlVG 1977 §34;
AlVG 1977 §7 Abs1;
AlVG 1977 §7 Abs2;
AlVG 1977 §7 Abs3 Z1;
AlVG 1977 §7 Abs3;
AlVG 1977 §7 Abs4;
ARB1/80 Art3;
ARB1/80 Art6 Abs1;
ARB1/80 Art6 Abs2;
B-VG Art7;
FlKonv Art33 Abs1;
FrG 1993 §37;
FremdenG 1993;
FremdenG 1997;
MRK Art14;
MRK Art6;
MRK Art8;
MRKZP 01te Art1;
61996CJ0262 Sürül VORAB;
AlVG 1977 §33 Abs1;
AlVG 1977 §33;
AlVG 1977 §34;
AlVG 1977 §7 Abs1;
AlVG 1977 §7 Abs2;
AlVG 1977 §7 Abs3 Z1;
AlVG 1977 §7 Abs3;
AlVG 1977 §7 Abs4;
ARB1/80 Art3;
ARB1/80 Art6 Abs1;
ARB1/80 Art6 Abs2;
B-VG Art7;
FlKonv Art33 Abs1;
FrG 1993 §37;
FremdenG 1993;
FremdenG 1997;
MRK Art14;
MRK Art6;
MRK Art8;
MRKZP 01te Art1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom 22. April 1997 wurde dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 10. April 1997 auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gemäß § 7 AlVG mangels Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt keine Folge gegeben. In der Begründung wurde nach auszugsweiser Wiedergabe des § 7 AlVG ausgeführt, die Aufenthaltsbewilligung der Beschwerdeführerin sei nur für den "privaten Aufenthalt" ausgestellt worden.

Mit Schreiben vom 24. April 1997 an diese regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gab die Beschwerdeführerin bekannt, dass sie den Antrag auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes damit begründet habe, dass sie in den letzten Jahren insgesamt mehr als 52 Wochen gearbeitet habe und daher die Anwartschaft erfülle. Sie sei auch zum Aufenthalt in Österreich berechtigt. Die ihr erteilte Aufenthaltsbewilligung werde gleichzeitig vorgelegt. Darüber hinaus sei sie als türkische Staatsangehörige, die bereits mehr als vier Jahre in Österreich lebe, auf Grund des "Assoziationsabkommen" Österreichern gleichzustellen.

Gegen den Bescheid der regionalen Geschäftsstelle erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Darin macht sie im Wesentlichen geltend, § 7 AlVG sei verfassungswidrig. Wer "Arbeitslosengeld" einzahle, habe auch bei allgemeinen Voraussetzungen Anspruch auf Auszahlung eines solchen. Es sei unbestritten, dass die Beschwerdeführerin sich legal auf Grund der Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in Österreich aufhalte und daher die Voraussetzungen auch des § 7 Abs. 4 AlVG erfülle.

Die belangte Behörde gab dieser Berufung mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. In der Begründung führte sie nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und auszugsweiser Wiedergabe des § 7 AlVG aus, die regionale Geschäftsstelle habe durch Einsicht in den Reisepass der Beschwerdeführerin festgestellt, dass sie eine Aufenthaltsbewilligung mit dem Aufenthaltszweck "privater Aufenthalt" besitze. Dabei handle es sich nicht um eine der im § 7 Abs. 4 Z. 1 bis 3 taxativ genannten Aufenthaltsbewilligungen. Mit der von der Beschwerdeführerin in Kopie vorgelegten Aufenthaltsbewilligung dürfe sie nach den Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes keine Beschäftigung aufnehmen.

Die regionalen Geschäftsstelle habe darüber hinaus einen möglichen Anspruch auf Arbeitserlaubnis bzw. einen Befreiungsschein geprüft. Es seien sämtliche Beschäftigungen der Beschwerdeführerin in Österreich herangezogen worden und zwar vom 18. Dezember 1995 bis 14. April 1996 in der Dauer von 119 Tagen, vom 3. Juni 1996 bis 30. September 1996 in der Dauer von 120 Tagen und vom 15. Dezember 1996 bis 14. April 1997 in der Dauer von 121 Tagen. Für einen Anspruch auf Befreiungsschein hätte die Beschwerdeführerin während der letzten acht Jahre mindestens fünf Jahre im Bundesgebiet erlaubt beschäftigt sein müssen.

Der Anspruch auf eine Arbeitserlaubnis setze in den letzten 14 Monaten insgesamt 52 Wochen, das seien 364 Tage, erlaubter Beschäftigung voraus. Die Beschwerdeführerin habe jedoch nur 360 Tage gearbeitet.

Die Beschwerdeführerin erfülle daher auch nicht die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 Z. 6 AlVG, wonach Ausländer, die eine Arbeitserlaubnis bzw. einen Befreiungsschein besitzen, Anspruch auf Arbeitslosengeld haben.

Auch die Bestimmungen des Assoziationsabkommens zwischen der EWG und der Türkei kämen nicht zum Tragen, weil die Beschwerdeführerin die nach Art. 6 Abs. 1 letzter Satz erforderlichen vier Jahre ordnungsgemäßer Beschäftigung im Mitgliedstaat nicht erfülle. Auch Art. 7 des genannten Abkommens treffe nicht zu. Nach dieser Bestimmung hätten nur Familienangehörige eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Voraussetzung sei, dass die Familienangehörigkeit innerhalb der genannten Zeit durchgehend bestanden habe. Durch die Scheidung von dem Ehegatten, von welchem als Bezugsperson das Recht abgeleitet werde, falle auch der freie Zugang zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates weg. Im Akt liege eine Kopie eines Scheidungsurteiles, wonach die Beschwerdeführerin seit dem 21. März 1995 von ihrem Gatten geschieden sei. Da die Beschwerdeführerin sich erst seit 1994 durchgehend in Österreich aufhalte (erste Aufenthaltserlaubnis im Reisepass ab 1. Februar 1994) habe sie weder die Voraussetzungen nach dem Art. 6 noch die nach dem Art. 7 des Assoziationsabkommens EWG-Türkei erfüllt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte deren Behandlung ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluss vom 9. Juni 1998, B 1345/97).

Vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht, Arbeitslosengeld im beantragten Zeitraum zu erhalten, verletzt. Sie beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Die Beschwerdeführerin replizierte auf die Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Beschwerdefall steht in Streit, ob die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Arbeitslosengeld ab 10. April 1997 dadurch erfüllt, dass sie eine Aufenthaltsbewilligung mit dem Zweck "privater Aufenthalt" besitzt, nicht aber eine der im § 7 Abs. 4 AlVG in der Fassung des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 201/1996, aufgezählten Aufenthaltsberechtigungen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat schon wiederholt ausgesprochen, dass im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte des § 7 AlVG i.d.F. des Strukturanpassungsgesetzes, BGBl. Nr. 201/1996, davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber mögliche andere als die dort aufgezählten Aufenthaltstitel nicht bedacht hat (vgl. die Erkenntnisse vom 12. Mai 1998, 98/08/0033, vom 20. Oktober 1998, 98/08/0130, und vom 22. Dezember 1998, 96/08/0314). Im letztzitierten Erkenntnis vom 22. Dezember 1998, 96/08/0314, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof mit näherer Begründung dargelegt, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (Gaygusuz gegen Österreich, JBL 1997, 364 = ÖJZ 1996/37) und des Verfassungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 11. März 1998, G 363-365/97 u.a.), wonach die Notstandshilfe als (teilweise) beitragsfinanzierte Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung den Eigentumsschutz des - in Österreich im Verfassungsrang stehenden - Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK genießt, auf das Arbeitslosengeld (argumentum a minori ad majus) zu übertragen ist und u.a. zur Konsequenz hat, dass der Gesetzgeber diese Rechte nach Art. 14 EMRK ohne Benachteiligung die im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in den politischen oder sonstigen Anschauungen, in nationaler oder sozialer Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status begründet ist, zu gewährleisten hat.

Diese hindert - wie der Verwaltungsgerichtshof im erwähnten Erkenntnis weiter betonte - freilich weder die Vollziehung gesetzlich vorgesehener fremdenpolizeilicher Maßnahmen, noch bestehen an sich Zweifel daran, dass das Arbeitslosenversicherungsrecht an sich am Fremdenrecht anknüpfen darf, insoweit dies in sachlicher Weise geschieht.

Wer eine Beschäftigung aufnehmen "kann und darf", ist in § 7 Abs. 3 Z. 1 und 2 AlVG in der genannten Fassung des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 201, mit zwei Voraussetzungen näher definiert, nämlich mit dem "Bereithalten" zur Aufnahme einer solchen Beschäftigung, die den in dieser Bestimmung näher bezeichneten Kriterien entspricht, einerseits, und der Erlaubnis, sich im Inland dazu aufhalten zu dürfen, andererseits.

Es ist daher zwar nicht verfassungswidrig, wenn das Gesetz nun denjenigen Arbeitslosen, der sich im Ausland aufhält, mit jenem, der sich zwar tatsächlich im Inland aufhält, dies aber rechtlich nicht darf, der sich also - entgegen seinen Verpflichtungen - nicht in seinen Heimatstaat zurückbegibt, gleichstellt, sofern es nach dem Gesetz zulässig ist, eine aufenthaltsbeendende Maßnahme zu setzen und zu vollstrecken, d.h. den Ausländer gegebenenfalls zwangsweise außer Landes zu schaffen.

In jenen Fällen jedoch, in denen sich ein Ausländer zwar einerseits formell nicht im Inland aufhalten darf, andererseits aber auch aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht gesetzt werden dürfen, trifft diese Argumentation nicht zu. Der Verwaltungsgerichtshof kam daher in dem erwähnten Erkenntnis vom 22. Dezember 1998, 96/08/0314, zu dem Ergebnis, dass nur unter der genannten Voraussetzung der Durchsetzbarkeit des "Auslandsaufenthaltes" keine im Sinne der Entscheidung des EGMR vom 16. Dezember 1996 (Gaygusuz gegen Österreich) unsachliche Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit, sondern eine sachliche Anknüpfung am zulässigen Inlandsaufenthalt als einer unmittelbaren Bedingung für die Möglichkeit einer Vermittlung auf dem inländischen Arbeitsmarkt vorliege. Nur unter diesen Umständen verstieße der Ausschluss von Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung weder gegen Art. 6 EMRK noch gegen Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK, jeweils i.V.m. Art. 14 EMRK bzw. das BVG zur Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung.

Diese Verfassungsrechtslage verbietet umso mehr den Ausschluss von der Gewährung von Arbeitslosengeld in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Arbeitslose sowohl im Zeitpunkt der Antragstellung als auch im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung war. Auch aus dem Blickwinkel des vorliegenden Falles besteht somit kein Hindernis, eine sogar verfassungsrechtlich gebotene Ergänzung des § 7 Abs. 4 AlVG in der genannten Fassung dahingehend vorzunehmen, dass - vor dem Hintergrund der Zwecke der Arbeitslosenversicherung und der verfassungsrechtlichen Schranken, unter denen ihre beitragsfinanzierten Geldleistungen gesetzlich eingeschränkt oder aufgehoben werden dürfen - der Status eines Arbeitslosen, der über eine Aufenthaltsberechtigung verfügt und sich erlaubterweise im Inland aufhält, jenem auf Grund eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 7 Abs. 4 AlVG (nämlich: im Zusammenhang mit der Beurteilung der Verfügbarkeit) gleichzuhalten (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom 13. April 1999, 97/08/0506, und vom 4. Mai 1999, 98/08/0371, und vom 23. Februar 2000, 99/03/0142). Abgesehen von den vorstehenden Erwägungen ist noch darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin als türkische Staatsangehörige das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980, über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und deren Familienangehörige, für sich in Anspruch nehmen kann (zur unmittelbaren Wirkung und Anwendbarkeit dieser Bestimmung vgl. nunmehr EuGH 4. Mai 1999, Rs C-262/96 (Sürül), Rn. 57ff).

Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Der Schriftsatzaufwand nach § 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG erfasst den gesamten Aufwand, der mit der Einbringung der Beschwerde verbunden war. Der Aufwand, der durch weitere Schriftsätze entsteht, ist daher nicht zu ersetzen.

Wien, am 29. März 2000

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