Normen
ASVG §49 Abs1;
ASVG §49 Abs2;
ASVG §49 Abs3 Z2 idF 1989/660;
ASVG §49 Abs3 Z2;
AVG §37;
AVG §39a Abs1;
B-VG Art8;
EStG §68 Abs1;
EStG §68 Abs5;
EStG §68 Abs7;
ASVG §49 Abs1;
ASVG §49 Abs2;
ASVG §49 Abs3 Z2 idF 1989/660;
ASVG §49 Abs3 Z2;
AVG §37;
AVG §39a Abs1;
B-VG Art8;
EStG §68 Abs1;
EStG §68 Abs5;
EStG §68 Abs7;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die mitbeteiligte Partei betreibt ein Natursteinbearbeitungsunternehmen. Die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse verpflichtete sie auf Grund einer (den Zeitraum von Oktober 1995 bis Februar 1996 umfassenden) Beitragsprüfung mit Bescheid vom 31. Juli 1996, für an Arbeitnehmer ausbezahlte Schmutzzulagen Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von S 226.919,07 nachzuentrichten.
In dem dagegen erhobenen Einspruch machte die mitbeteiligte Partei geltend, in den kollektivvertraglichen Regelungen seien Bestimmungen enthalten, nach denen Schmutzzulagen beitragsfrei abgerechnet werden könnten. Die Arbeitstätigkeiten seien mit einer ungewöhnlichen Staubentwicklung verbunden, wie sie in vergleichbaren Betrieben nicht vorkäme, weil diese Tätigkeiten fast ausschließlich in einer Halle durchgeführt würden. Wegen dieser Staubentwicklung müsse die Arbeitskleidung täglich gereinigt werden. Die Arbeiten in diesem Betrieb seien mit so viel Schmutz und Staub verbunden, dass die Verschmutzungen über das übliche Maß hinausgingen.
Die belangte Behörde gab dem dagegen erhobenen Einspruch der mitbeteiligten Partei - ausgenommen die nicht mehr streitgegenständliche Vorschreibung von Sozialversicherungsbeiträgen hinsichtlich des Dienstnehmers Manfred B. - Folge und hob den erstinstanzlichen Bescheid in diesem Umfang auf, wodurch sich der Beitragsnachrechnungsbetrag auf S 18.413,82 verringerte.
Nach Wiedergabe der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen führte die belangte Behörde aus, die Dienstnehmer der mitbeteiligten Partei seien
"während der gesamten Arbeitszeit überwiegend mit Steinmetzarbeiten mit Natursteinen beschäftigt. Diese Arbeiten umfassen insbesonders: Fräsen, Schleifen (Nass- und Trockenschleifen), Schneiden, Polieren, Stocken. Bei diesen Arbeiten werden die Dienstnehmer und ihre Kleidung durch Staub und Wasser (mit Staub vermengtes Wasser) und teilweise durch Öl zwangsläufig erheblich verschmutzt. Die feinen Staubpartikel und das mit Staub vermengte Wasser bewirken üblicherweise eine außerordentliche Verschmutzung der Dienstnehmer und ihrer Kleidung. Der Staub breitet sich nicht nur an der Arbeitsstätte (Werkhalle), sondern auch außerhalb der Werkhalle im angebauten Gebäude (zB auch in dem im ersten Stock am angebauten Gebäude untergebrachten Büro wurden deutliche Staubablagerungen festgestellt) aus. Die Arbeitskleidung der Dienstnehmer wird täglich nach Arbeitsende mit einer Druckluftpistole gereinigt."
Dieser Sachverhalt sei "bei der Einvernahme von Dienstnehmern im Zuge der mündlichen Verhandlung am 17.11.1997 und bei dem am gleichen Tag durchgeführten Lokalaugenschein an Ort und Stelle (insbesonders in der Werkhalle) festgestellt" worden. Der Verschmutzungsgrad werde im Betrieb der mitbeteiligten Partei - abgesehen davon, dass bei Steinmetzarbeiten üblicherweise erhebliche Verschmutzungen auftreten - noch dadurch erhöht, dass diese Arbeiten in einer Werkshalle durchgeführt würden. Daraus folgerte die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht, dass die mitbeteiligte Partei die gewährten Schmutzzulagen zu Recht beitragsfrei behandelt habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat den Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 49 Abs. 3 ASVG enthält eine Aufzählung jener Geld- und Sachbezüge, die nicht als Entgelt im Sinne der Abs. 1 und 2 leg. cit. gelten, das heißt die an sich die Merkmale der in den Abs. 1 und 2 angeführten Art aufweisen, jedoch Kraft besonderer gesetzlicher Vorschriften in Abs. 3 des § 49 leg. cit. von der Bewertung als beitragspflichtiges Entgelt ausgenommen sind.
Nach § 49 Abs. 3 Z. 2 ASVG (in der zeitraumbezogen anzuwendenden, ab 1. Jänner 1990 geltenden Fassung der Novelle BGBl. Nr. 660/1989) gelten Schmutzzulagen, soweit sie nach § 68 Abs. 1, 5 und 7 des Einkommensteuergesetzes 1988 nicht der Einkommensteuer(Lohnsteuer)pflicht unterliegen, nicht als Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1 und 2 ASVG.
§ 68 Abs. 1 und 5 EStG 1988 lauten samt Überschrift:
"Besteuerung bestimmter Zulagen und Zuschläge
§ 68. (1) Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen sowie Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit und mit diesen Arbeiten zusammenhängende Überstundenzuschläge sind insgesamt bis 4 940 S monatlich steuerfrei.
(...)
(5) Unter Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen sind jene Teile des Arbeitslohnes zu verstehen, die dem Arbeitnehmer deshalb gewährt werden, weil die von ihm zu leistenden Arbeiten überwiegend unter Umständen erfolgen, die
- in erheblichem Maß zwangsläufig eine Verschmutzung des Arbeitnehmers und seiner Kleidung bewirken,
- im Vergleich zu den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen eine außerordentliche Erschwernis darstellen, oder
- infolge der schädlichen Einwirkungen von gesundheitsgefährdenden Stoffen (...) zwangsläufig eine Gefährdung von Leben, Gesundheit oder körperlicher Sicherheit des Arbeitnehmers mit sich bringen.
Diese Zulagen sind nur begünstigt, soweit sie
(...)
7. innerbetrieblich für alle Arbeitnehmer oder bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern gewährt werden.
(...)."
Abgesehen von den dargelegten, im vorliegenden Fall nicht strittigen sonstigen Voraussetzungen läge Beitragsfreiheit dann vor, wenn die Schmutzzulagen im Sinne des § 68 Abs. 5 EStG 1988 den Arbeitnehmern "deshalb gewährt" worden wären, weil die zu leistenden Arbeiten "überwiegend unter Umständen erfolgen, die in erheblichem Maß zwangsläufig eine Verschmutzung des Arbeitnehmers und seiner Kleidung bewirken".
Bei den unerlässlichen Feststellungen zu dieser Frage kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer während der gesamten Arbeitszeit überwiegend - nicht etwa nur gelegentlich - mit Arbeiten betraut war, die als solche (nicht etwa nur auf Grund wetterbedingter Umstände) zwangsläufig eine außergewöhnliche Verschmutzung bewirkten. Dies erfordert einen überprüfbaren Nachweis, für welche Arbeiten die Schmutzzulage gewährt wird und in welchem Umfang diese Arbeiten von den einzelnen Arbeitnehmern geleistet worden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Oktober 2002, Zl. 99/08/0128). Die mitbeteiligte Partei ist im Einspruchsverfahren ihrer diesbezüglichen Mitwirkungspflicht (vgl. das eben zitierte Erkenntnis) nachgekommen und hat mit der Eingabe vom 6. Februar 1997 eine genaue Beschreibung der einzelnen Arbeitsplätze (Fräsmaschinen, Kunststeinblockfertigung, Gesteinsgatter, Schleif- und Polierstraße, Steinmetzarbeiten und Verlegerarbeiten) vorgenommen und die dabei auftretenden unausweichlichen und insbesondere mit nassem Staub verbundenen Verschmutzungen ausführlich dargestellt. Am 17. November 1997 hat die belangte Behörde bei der mitbeteiligten Partei unter Beiziehung von zwei Vertretern der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse einen Lokalaugenschein durchgeführt und dabei die Zeugen Ilic S., Ahmet A., Cilingier A., Hamulic N. und Alban G. zu den bei ihrer Arbeit auftretenden Beschmutzungen vernommen.
In der darüber aufgenommenen Niederschrift hielt die belangte Behörde fest, dass Ahmet A. "wegen fehlender Sprachkenntnisse" keine präzisen Angaben machen könne und Hamulic N. der Befragung "wegen Sprachschwierigkeiten" nur schwer habe folgen können. Dessen ungeachtet deponierte der zuletzt genannte Zeuge - der Niederschrift zu Folge - u.a. dass er durch Wasser, Staub und Öl in großem Ausmaß verschmutzt worden sei. Er reinige seine Kleidung einmal pro Woche und darüber hinaus täglich mit einer Druckluftpistole.
Der Zeuge Ilic S. gab an, dass die Verschmutzung manchmal so stark gewesen sei, dass man die Mitarbeiter nicht mehr gesehen habe. Der Zeuge Alban G. gab an, dass der bei den Arbeiten auftretende Staub auch durch technische Hilfsmittel (Absauganlagen) nicht auf ein normales Maß habe reduziert werden können. Die starke Staubbelastung habe die gesamte Halle in Mitleidenschaft gezogen, alle Mitarbeiter erfasst und sei zum Teil so groß gewesen, dass die Sicht sehr eingeschränkt gewesen sei. Im Gegensatz zu anderen Betrieben, bei denen für die beschriebenen Arbeiten gesonderte abgeschlossene Räume zur Verfügung stünden, würden bei der mitbeteiligten Partei sämtliche Arbeiten in einer einzigen Werkshalle durchgeführt. Die Mitarbeiter hätten zumeist Staubmasken getragen. Die auf einer Fläche von ca. 100 m2 in der Halle durchgeführten Steinmetzarbeiten hätten eine Staubverschmutzung verursacht, die sich in der gesamten 13 m hohen, 38 m breiten und 100 m langen Halle ausgebreitet habe. Am Ende eines Arbeitstages habe sich in diesem Arbeitsbereich am Boden der Halle Staub in der Höhe von 2 bis 4 cm abgelagert. Drei Brückenfräsen, zwei Gatter, eine Schleifstraße und eine Wandarmschleifmaschine hätten einen mit Wassernebeln vermengten Staub emittiert. Nach Angaben der Zeugen seien die Verschmutzungen praktisch während der gesamten Arbeitszeit aufgetreten.
Die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse brachte vor, "wenn
schon die Behörde die Auffassung vertritt durch Einvernahme von
vier Mitarbeitern, die alle samt nicht einmal verständlich Deutsch
sprechen, ... Feststellungen darüber zu treffen, auf welche Art
und Weise in den vergangenen Jahren hier gearbeitet wurde, so wäre
die belangte Behörde auch verpflichtet gewesen, gegebenenfalls den
Betriebsanlagenakt einzusehen bzw. einzuholen und allenfalls ein
Gutachten ... aufzunehmen".
Mit dieser Verfahrensrüge ist die Beschwerde im Recht. Der hier maßgebliche § 39a Abs. 1 AVG lautet:
"Ist eine Partei oder eine zu vernehmende Person der deutschen Sprache nicht hinreichend kundig, taubstumm, taub oder stumm, so ist erforderlichenfalls der der Behörde beigegebene oder zur Verfügung stehende Dolmetscher (Amtsdolmetscher) beizuziehen. Die §§ 52 Abs. 2 bis 4 und 53 sind anzuwenden."
§ 39a AVG regelt nur den mündlichen Verkehr zwischen der Behörde bzw. den zu vernehmenden Personen. Dem Kreis der zu "vernehmenden Personen" iS des § 39a AVG sind zweifellos auch von der Behörde im Rahmen der Beweisaufnahme als Zeugen einzuvernehmende Personen zuzuzählen. Weil den Angaben aller vernommenen Zeugen für das Verfahrensergebnis, aber auch für die Beweiswürdigung der belangten Behörde, eine wesentliche Bedeutung zugekommen ist, wäre eine dem Gesetz in jeder Hinsicht entsprechende Einvernahme auch der Zeugen Ahmet A. und Hamulic N. - angesichts deren dokumentierten mangelhaften Kenntnissen der deutschen Sprache: unter Beziehung eines Dolmetschers - unerlässlich gewesen. Es kommt nicht darauf an, dass die nicht ausreichend der deutschen Sprache mächtige Person die vernehmende Person in einem nicht näher bezeichneten Sinne "schwer" versteht, sondern es muss die Gewissheit bestehen, dass diese Person jene Fragen verstehen und daher zweckentsprechend beantworten kann, die für die rechtliche Beurteilung der Sache von Bedeutung sind (vgl das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 2003, Zl. 99/08/0146).
Der Verstoß gegen § 39a AVG ist daher im vorliegenden Zusammenhang im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG insofern relevant, als er die Verlässlichkeit eines wesentlichen Beweismittels und damit auch die Beurteilung der Schlüssigkeit der behördlichen Beweiswürdigung beeinträchtigt.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Zur Vermeidung von Missverständnissen ist Folgendes anzumerken: Im Gegensatz zur Auffassung der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse kommt dem Umstand, dass im Zeitpunkt der Durchführung des Lokalaugenscheines die Werkshalle offensichtlich wegen der bevorstehenden Stilllegung des Betriebes bis auf eine Maschine ausgeräumt war, keine Bedeutung zu, weil die belangte Behörde die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter der mitbeteiligten Partei durch entsprechende Ermittlungen rekonstruieren kann (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 23. Oktober 2002, Zl. 99/08/0128).
Sollten sich nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens die Sachverhaltsannahmen der belangten Behörde bestätigen, so bestünden gegen die rechtliche Schlussfolgerung der belangten Behörde aus folgenden Gründen keine Bedenken:
Es läge nämlich eine zwangsläufige, massive und während der überwiegenden Arbeitszeit der betroffenen Mitarbeiter auftretende Verunreinigung vor, die auch durch den Umstand, dass es sich - zumindest teilweise - um leicht entfernbare Substanzen handelt, den Charakter einer erheblichen Verschmutzung nicht verlöre, wenn während des Arbeitstages infolge ständiger Staub- bzw. Schmutzbelastung eine Reinigung nicht möglich war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 1999, Zl. 96/08/0334). Dem "Wertungswiderspruch", der sich nach Ansicht der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse daraus ergeben soll, dass in den Betrieben der Kalk-, Schotter-, Sand- und Kiesindustrie lediglich 50 % der kollektivvertraglich gewährten Schmutzzulagen beitragsfrei seien, käme für die Entscheidung über die Beitragsfreiheit der gegenständlichen, von der mitbeteiligten Partei gewährten Schmutzzulagen keine Bedeutung zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 19. März 2003
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