VwGH 96/11/0137

VwGH96/11/013729.10.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde der H in S, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 5. September 1995, Zl. VII/3-4/IX/20/1, betreffend Auftrag zur Beseitigung sanitärer Mißstände nach dem Rattengesetz, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §57 Abs1;
AVG §57 Abs3;
AVG §59 Abs1;
AVG §8;
B-VG Art18 Abs1;
RattenG 1925 §1 Abs1;
RattenG 1925 §1 Abs2;
RattenG 1925 §2 Abs1;
RattenG 1925 §2;
RattenG 1925 §4 Abs1;
RattenG 1925 §5 Abs1;
RattenG 1925 §7 Abs1;
RattenG 1925 §7;
ZustG §4;
ZustG §7;
AVG §57 Abs1;
AVG §57 Abs3;
AVG §59 Abs1;
AVG §8;
B-VG Art18 Abs1;
RattenG 1925 §1 Abs1;
RattenG 1925 §1 Abs2;
RattenG 1925 §2 Abs1;
RattenG 1925 §2;
RattenG 1925 §4 Abs1;
RattenG 1925 §5 Abs1;
RattenG 1925 §7 Abs1;
RattenG 1925 §7;
ZustG §4;
ZustG §7;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Mandatsbescheid der Erstbehörde, der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld, vom 12. Oktober 1994 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 7 Abs. 1 des Bundesgesetzes betreffend die Verhütung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten durch das Überhandnehmen von Ratten, BGBl. Nr. 68/1925 (im folgenden RattenG), aufgetragen, den in einem näher bezeichneten Nebengebäude eines Pensionistenheimes abgelagerten Unrat unverzüglich zu entfernen und ordnungsgemäß zu entsorgen.

Dagegen erhob sie Vorstellung. Mit Bescheid der Erstbehörde vom 16. Februar 1995 wurde die Vorstellung abgewiesen; gleichzeitig wurde festgestellt, daß der in Rede stehende Unrat am 12. Dezember 1994 entfernt worden war; das Verlangen, das Außerkrafttreten des Mandatsbescheides vom 12. Oktober 1994 festzustellen, wurde abgewiesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom 16. Februar 1995 insofern stattgegeben, daß es - anstelle der Abweisung der Vorstellung und der Feststellung der erfolgten Entfernung - zu lauten habe, der Mandatsbescheid vom 12. Oktober 1994 bleibe aufrecht; im übrigen wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen.

In ihrer an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend und beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Vorauszuschicken ist, daß der angefochtene Bescheid den Inhalt hat, daß der Mandatsbescheid vom 12. Oktober 1994 nach wie vor aufrecht besteht. Dieser Spruch hat nach seinem Wortsinn, aber auch nach der Begründung des Bescheides den Inhalt, daß der Mandatsbescheid nicht gemäß § 57 Abs. 3 AVG außer Kraft getreten ist, sowie daß er rechtmäßig (die dagegen erhobene Vorstellung unbegründet) ist. Die - hinsichtlich aller anderen "Beschwerdegründe" - in einem eigenen Spruchpunkt erfolgte Abweisung der Berufung geht daher als eigener Spruchteil ins Leere, sie hat keinen über den eingangs wiedergegebenen und gedeuteten Ausspruch hinausgehenden normativen Inhalt.

Vorauszuschicken ist ferner, daß die Vorgangsweise der Behörden des Verwaltungsverfahrens, der Beschwerdeführerin ihre Erledigungen an ein Postfach zuzustellen, rechtswidrig war, weil es sich bei diesem Postfach nicht um eine Abgabestelle im Sinne des § 4 des Zustellgesetzes handelt. Eine solche "Zustellung" hätte nur in Ansehung der Aufforderung, eine Abgabestelle bekanntzugeben, erfolgen dürfen. Gleichwohl sind die erfolgten Zustellungen im Hinblick auf das tatsächliche Zukommen der jeweiligen Sendungen rechtswirksam geworden (§ 7 des Zustellgesetzes).

1. Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, es seien die Voraussetzungen zur Erlassung eines Mandatsbescheides nach § 57 Abs. 1 AVG nicht vorgelegen, genügt ein Hinweis auf die Mitteilung der Amtsärztin der Erstbehörde vom 13. September 1994 (im angefochtenen Bescheid freilich zu Unrecht als Gutachten bezeichnet) betreffend "seuchenhygienische Mißstände" (übler Geruch, Infektionsgefahr, somit Gefahr der Ausbreitung von Krankheiten) und die Notwendigkeit der "umgehendsten" Beseitigung dieses Übelstandes. Es liegt auf der Hand, daß die Beseitigung eines derartigen Mißstandes als wegen Gefahr im Verzug unaufschiebbar angesehen werden konnte. Daß die Erlassung des Mandatsbescheides erst ca. vier Wochen nach Einlangen der in Rede stehenden amtsärztlichen Anzeige erfolgte, hat noch nicht zur Folge, daß die Erlassung eines Mandatsbescheides unzulässig geworden wäre, wird doch die in der Anzeige geschilderte Gefahr durch bloßen Zeitablauf nicht geringer und würden selbst allfällige in der Zwischenzeit erfolgte Ermittlungsschritte der Erlassung eines Mandatsbescheides nicht entgegenstehen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. März 1989, Zl. 88/11/0270).

2. Zum Beschwerdevorbringen betreffend Rechtswidrigkeit des Ausspruches, der Mandatsbescheid vom 12. Oktober 1994 sei aufrecht und nicht gemäß § 57 Abs. 3 AVG außer Kraft getreten, sei aus dem vorgelegten Verwaltungsakt festgestellt:

Der Mandatsbescheid wurde der Beschwerdeführerin offenbar am 22. Oktober 1994 zugestellt (durch tatsächliches Zukommen nach Entleerung des Postfaches). Die Beschwerdeführerin richtete am 24. Oktober 1994 zwei Schreiben an die Erstbehörde (eines davon an die Amtsärztin), die am 25. Oktober 1994 bei dem jeweiligen Adressaten einlangten und in denen die Beschwerdeführerin um bestimmte Mitteilungen betreffend den Mandatsbescheid, zum Teil unter Berufung auf das Auskunftspflichtgesetz, ersuchte. Diese Schreiben schlossen jeweils mit den Worten: "In Erwartung des Erhaltes Ihres fristgerechten Antwortschreibens". Auf der Rückseite eines dieser Schreiben befindet sich ein Aktenvermerk, der mit 25. Oktober 1994 datiert ist und der wie folgt lautet:

"Rechtsmittel? wäre rechtzeitig. Ermittlungsverfahren einleiten. Anfrage an LPH, ob Unrat entfernt wurde."

Mit Schreiben vom 27. Oktober 1994 berichtete die Beschwerdeführerin der Erstbehörde über ihre Bemühungen zur Entfernung der ihr gehörigen Gegenstände und über die Gründe des bisherigen Scheiterns dieser Bemühungen. Sie ersuchte um Hilfe bei ihren Bemühungen. Mit Schreiben vom 5. November 1994 brachte sie schließlich zahlreiche Gründe vor, aus denen ihrer Auffassung nach der Mandatsbescheid rechtswidrig sei; sie bezeichnete ihre Eingabe abschließend als Vorstellung; dieses Schreiben langte am 7. November 1994 bei der Erstbehörde ein. Mit 7. November 1994 ist auch ein Aktenvermerk datiert, in dem ein fernmündlicher Auftrag an den Leiter des Pensionistenheims zur Entfernung der der Beschwerdeführerin gehörenden Gegenstände dokumentiert wird.

Mit Schreiben vom 22. November 1994 (abgefertigt am 24. November 1994) ersuchte die Erstbehörde schließlich das in Rede stehende Pensionistenheim um Mitteilung, ob der vom Mandatsbescheid betroffene Unrat von der Beschwerdeführerin bereits entfernt worden sei.

Aus diesen Feststellungen ergibt sich, daß der Mandatsbescheid vom 12. Oktober 1994 gemäß § 57 Abs. 3 AVG außer Kraft getreten ist. Nach dem ersten Satz dieser Gesetzesbestimmung hat die Behörde binnen zwei Wochen nach Einlangen der Vorstellung das Ermittlungsverfahren einzuleiten, widrigenfalls der angefochtene Bescheid von Gesetzes wegen außer Kraft tritt. Eine Vorstellung, deren Einlangen bei der Erstbehörde den Lauf der zweiwöchigen Frist auslöst, ist erst im Schreiben vom 5. November 1994 zu erblicken. Die vorher an die Erstbehörde gerichteten Schreiben sind weder nach ihrem Inhalt noch nach ihrer Form auf die Aufhebung oder Abänderung des Mandatsbescheides abzielende Eingaben. Zweitens ist die Einholung einer Information über die Befolgung der mit dem Mandatsbescheid getroffenen Anordnung kein Schritt zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens - also zur Feststellung des für die Anordnung maßgebenden Sachverhaltes oder zur Gewährung des Parteiengehörs. Es handelt sich vielmehr um Schritte in Richtung der allenfalls erforderlichen Vollstreckung des Mandatsbescheides.

Das hat zur Folge, daß innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 57 Abs. 3 AVG kein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist. Der angefochtene Bescheid ist in Ansehung seines diesbezüglichen Ausspruches inhaltlich rechtswidrig.

3. Was die inhaltliche Rechtmäßigkeit des - nach dem oben Gesagten - mit dem Vorstellungsbescheid vom 16. Februar 1995 in erster Instanz erlassenen und von der belangten Berufungsbehörde bestätigten Entfernungsauftrages anlangt, ist die Beschwerdeführerin ebenfalls im Recht.

Ein Entfernungsauftrag nach § 7 Abs. 1 RattenG ist an den "Grundbesitzer (Pächter, Nutznießer)" zu richten. Damit ist nach Wortsinn und Systematik des Gesetzes (vgl. § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 und § 5 Abs. 1, in welchen Bestimmungen nur vom Eigentümer, Pächter und Nutznießer von Liegenschaften bzw. Realitäten die Rede ist) der über das betroffene Grundstück wirtschaftliche Verfügende zu verstehen. Der Eigentümer von bloß tatsächlich auf fremdem Grund gelagerten Sachen scheidet als Bescheidadressat aus.

Die belangte Behörde tritt in ihrer Gegenschrift dieser Ansicht ausdrücklich bei, versucht aber § 1 Abs. 1 RattenG als Bescheidgrundlage, die die Anordnung von Maßnahmen auch gegenüber Personen wie der Beschwerdeführerin zuläßt, anzuführen. Nach dieser Bestimmung haben die politischen Behörden im Falle des Überhandnehmens von Ratten zum Zwecke der Verhütung des Auftretens übertragbarer Krankheiten die planmäßige Vertilgung der Ratten anzuordnen und den hiebei einzuhaltenden Vorgang festzusetzen.

Abgesehen davon, daß die Behörden des Verwaltungsverfahrens in den Begründungen ihrer Bescheide nur mit § 7 RattenG, aber nie mit § 1 Abs. 1 argumentierten, stellt § 1 Abs. 1 keine selbständig vollziehbare Bestimmung dar. Diese Gesetzesstelle ist nur eine einleitende programmatische Bestimmung, die durch die folgenden Bestimmungen näher ausgeführt wird. § 1 Abs. 2 definiert den Begriff der Ratte mit zoologischen Termini. In den §§ 2ff sind dann die von Behörden und von privaten Personen zu setzenden Handlungen im einzelnen beschrieben. Wäre § 1 Abs. 1 RattenG selbständig vollziehbar, so wäre diese Bestimmung im Hinblick auf Art. 18 Abs. 1 B-VG in hohem Maße bedenklich, weil die Behörden dann in ihren Anordnungen betreffend Rattenvertilgung rechtlich nahezu ungebunden wären.

Die Erteilung eines auf § 7 Abs. 1 RattenG gestützten Auftrages an die Beschwerdeführerin war somit ebenfalls inhaltlich rechtswidrig.

Der angefochtene Bescheid war daher zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die beantragte Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG unterbleiben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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