VwGH 95/21/1097

VwGH95/21/109712.2.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des JJ in Linz, geboren am 3. Juni 1970, vertreten durch Dr. Erwin Höller und Dr. Reinhold Lingner, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Lederergasse 27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 8. Mai 1995, Zl. St. 146/95, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
EMRK Art3;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
EMRK Art3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid stellte die belangte Behörde gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, daß der Beschwerdeführer in Liberia gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei; seine Abschiebung nach Liberia sei somit zulässig.

Begründend führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe lediglich angegeben, daß er zu einer fünftägigen Schießübung eingezogen worden wäre. Er habe jedoch nicht angegeben, daß dies aus den im § 37 Abs. 2 FrG angeführten Gründen geschehen wäre. Die Behörde könne aber auch keine Gefährdung im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG feststellen, zumal der Beschwerdeführer selbst in der Berufungsschrift angeführt habe, daß es am 21. Dezember 1994 zu einem Friedensabkommen zwischen den Bürgerkriegsparteien gekommen wäre. Entgegen seiner Ansicht lägen der Behörde keine Informationen vor, aus denen der Schluß gezogen werden könnte, daß sich die einzelnen Parteien nicht an dieses Friedensabkommen hielten. Der Wunsch, nicht an Kriegshandlungen teilnehmen zu müssen, sei zwar verständlich; die Bestimmung des § 37 FrG habe jedoch nicht die Bedeutung, vor den allgemeinen Unglücksfolgen von Kriegsereignissen zu schützen. Im übrigen seien die Angaben des Beschwerdeführers bezüglich seiner Einberufung durch keinerlei Dokumente belegt. Bedenke man zusätzlich, daß er sich bei der Einreise in das Bundesgebiet der Republik Österreich einer "Schlepperorganisation" bedient habe und es sicherlich schon zum Service derartiger Schlepperorganisationen gehöre, entsprechende Unterlagen bzw. Informationen für die Geschleppten zu beschaffen, so würden seine Angaben wenig glaubwürdig erscheinen. Möge sein, daß es in seinem Heimatstaat trotz des bestehenden Friedensabkommens noch vereinzelt zu Auseinandersetzungen komme, diese Auswirkungen hätten jedoch alle Bewohner des Heimatlandes in gleicher Weise zu erdulden, sodaß die dadurch bedingten Benachteiligungen als keine gegen den Beschwerdeführer gerichtete individuelle Verfolgung zu werten seien.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, erkennbar auch wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten unter Verzicht

auf die Erstattung einer Gegenschrift vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. September 1998, Zl. 95/21/0229) vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Gefährdung und/oder Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder 2 FrG glaubhaft zu machen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch im Verfahren nach § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen.

Anläßlich der Stellung des gegenständlichen Antrages brachte der Beschwerdeführer vor, er sei gegen seinen Willen - sein Glaube als Zeuge Jehovas verbiete ihm zu kämpfen und zu töten - zu einer "Schießausbildung" eingezogen worden. Dabei sei ihm mitgeteilt worden, daß jeder nach Abschluß der fünftägigen Ausbildung erschossen werde, wenn er nicht für die liberianische Armee kämpfe. Es herrsche in Liberia Bürgerkrieg und er hätte gegen seine Landsleute kämpfen müssen. Er wisse nicht, gegen welche politischen Parteien die liberianische Armee zur Zeit kämpfe, fürchte jedoch um sein Leben, sollte er nach Liberia zurückkehren.

Im Asylverfahren gab der Beschwerdeführer weiters an, er wisse nicht, ob er von "legalen Soldaten" oder von Rebellen "abgeholt" worden sei.

Der Begründung des angefochtenen Bescheides läßt sich nicht entnehmen, daß die belangte Behörde diese Angaben ihrer rechtlichen Beurteilung nicht zugrunde legte. Wenn sie diese auch als "wenig glaubwürdig" bezeichnete, so traf sie doch keine Beweiswürdigung in dem Sinn, daß sie die Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers verneinte. Dies ergibt sich auch daraus, daß sie an anderer Stelle der Begründung das Vorbringen des Beschwerdeführers über die fünftägige Schießübung der Beurteilung nach § 37 Abs. 2 FrG zugrunde legte.

Legt man demgemäß die Angaben des Beschwerdeführers der Überprüfung des angefochtenen Bescheides auf seine Rechtmäßigkeit zugrunde, so ist folgendes festzuhalten: Zwar ergibt sich aus der Aussage des Beschwerdeführers kein Anhaltspunkt dafür, daß sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre (§ 37 Abs. 2 FrG), doch sprach der Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 26. Juni 1997, Zl. 95/21/0294, - im übrigen die Bürgerkriegssituation in Liberia betreffend - aus, daß die Verfolgung einer Bevölkerungsgruppe durch eine andere bei Fehlen einer stabilen räumlichen Abgrenzung der Bürgerkriegsparteien eine hier maßgebliche Gefährdung des Einzelnen zur Folge haben kann. Führt demgemäß eine in einem Land gegebene Bürgerkriegssituation dazu, daß keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht mehr vorhanden und damit zu rechnen ist, daß ein dorthin abgeschobener Fremder - auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bürgerkriegspartei oder verfolgten Bevölkerungsgruppe - mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Gefahr (im gesamten Staatsgebiet) unmittelbar ausgesetzt würde, so wäre dies bei Beurteilung gemäß § 54 FrG beachtlich. Zweifellos stellt die Gefahr, zu Bürgerkriegsdiensten eingezogen und wegen Desertion - gleichviel ob von der regulären Armee oder von einer Rebellengruppe - erschossen zu werden, einen stichhaltigen Grund für die Annahme dar, im Verfolgerstaat einer "unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe" (§ 37 Abs. 1 FrG) unterworfen zu werden. Mit ihrer Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Landes in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Verfolgung im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG gewertet werden, verkannte die belangte Behörde die Rechtslage.

Das Vorhandensein einer inländischen Fluchtalternative legte die belangte Behörde ihrer Beurteilung nicht zugrunde, weshalb nicht unterstellt werden kann, es gebe räumlich stabil abgegrenzte Einflußzonen der Bürgerkriegsparteien und es könne die Abschiebung des Beschwerdeführers in den für ihn sicheren Teil - so es einen solchen gebe - erfolgen (zum letztgenannten Gesichtspunkt vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. November 1998, Zl. 95/21/0344). Der Begründung des angefochtenen Bescheides läßt sich auch nicht mit ausreichender Sicherheit entnehmen, daß keine Auswirkungen einer Bürgerkriegssituation mehr zu befürchten seien; die belangte Behörde hält es hingegen ausdrücklich für möglich, daß es "trotz des bestehenden Friedensabkommens noch vereinzelt zu Auseinandersetzungen kommt".

Dadurch, daß die belangte Behörde die Angaben des Beschwerdeführers als nicht ausreichend wertete, um eine ihm drohende Verfolgung in seinem Heimatstaat glaubhaft zu machen, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 12. Februar 1999

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