VwGH 95/21/0814

VwGH95/21/08146.11.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des AB, (geboren am 4. Juli 1968), in Lafnitz, vertreten durch Dr. Günter Wappel, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stock im Eisen-Platz 3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 29. Mai 1995, Zl. FR 507/4-1994, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Angelegenheit des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtenen Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem am 23. März 1994 zugestellten Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Hartberg vom 21. März 1994 wurde der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger der Bundesrepublik Jugoslawien, gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes ausgewiesen.

Mit am 15. April 1994 bei der Bezirkshauptmannschaft Hartberg eingelangtem Schriftsatz vom 13. April 1994 stellte der Beschwerdeführer gemäß § 71 AVG den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den ihm gegenüber erlassenen Ausweisungsbescheid und begründete dies wie folgt: Er habe diesen Bescheid am 23. März 1994 in Empfang genommen und sei krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen, innerhalb der Berufungsfrist von zwei Wochen eine Berufung einzubringen. Er sei am Montag, den 28. März 1994 zu einem namentlich genannten Bekannten nach Wien gefahren. Ursprünglich habe er diesen nur für drei Tage besuchen und anschließend seine Berufung einbringen wollen. Durch eine Erkrankung sei er jedoch gezwungen gewesen, länger als geplant in Wien zu bleiben. Aufgrund der Schwere seiner Erkrankung (Grippe mit hohem Fieber) habe ein Arzt beigezogen werden müssen. Der Beschwerdeführer habe erst am 8. April 1994 das Bett verlassen können. Es sei ihm nachweislich nicht möglich gewesen, innerhalb der Berufungsfrist eine Berufung einzubringen. Der Beschwerdeführer legte eine Bestätigung eines praktischen Arztes in Wien bei, wonach der Beschwerdeführer während eines Besuches bei der Familie seines Bekannten in Wien in der Zeit vom 30. März bis zum 8. April 1994 an einem grippalen Infekt erkrankt und ihm strenge Bettruhe verordnet worden sei. Mit dem selben Schriftsatz erhob der Beschwerdeführer auch Berufung gegen den genannten Ausweisungsbescheid.

Dieser Antrag wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 29. Mai 1995 abgewiesen. Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im wesentlichen damit, daß der Beschwerdeführer den genannten Bescheid bereits am 23. März 1994 persönlich übernommen habe und bis zu seiner Abreise nach Wien, am Montag den 28. März 1994, insgesamt fünf Tage verstrichen seien, die der Beschwerdeführer zur Einbringung seiner Berufung in schriftlicher Form nicht genützt habe. Er habe auch noch in Wien bis einschließlich 29. März 1994 die Möglichkeit gehabt, eine Berufung zur Post zu geben. Der Beschwerdeführer habe sich bei seinem Bekannten in dessen Wohnung aufgehalten. Es sei seine Dispositionsfähigkeit weiter vorhanden gewesen, da davon ausgegangen werden könne, daß zumindest eine Bezugsperson in der Wohnung aufhältig gewesen sei, die gefälligkeitshalber zur Hilfeleistung, wie z.B. Einholung rechtlicher Auskünfte und Amtswege, herangezogen hätte werden können. Der Beschwerdeführer sei der von ihm zu erwartenden Mitwirkungspflicht und Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen. Auch ab Übernahme des gegenständlichen Bescheides bis zu seiner Abreise nach Wien hätte er die Möglichkeit nützen können, um eine Kurzmitteilung bei der Behörde erster Instanz einzubringen, daß er gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Hartberg eine Berufung einlege und einen begründeten Berufungsantrag postalisch nachreichen werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegenden Beschwerde, mit der die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete einen als "Gegenschrift" bezeichneten Schriftsatz und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in der vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Gemäß Abs. 2 der genannten Gesetzesstelle muß der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden. Im Fall der Versäumung einer Frist hat die Partei die versäumte Handlung gemäß § 71 Abs. 3 AVG gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen. Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist gemäß § 71 Abs. 4 AVG die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die die versäumte Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat.

Vorliegend war die belangte Behörde im Hinblick darauf, daß nach § 63 Abs. 5 AVG in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 471/1995 die Berufung sowohl bei der Behörde, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat, als auch bei der Behörde, die über die Berufung zu entscheiden hat, eingebracht werden konnte, im Grunde des § 71 Abs. 4 AVG zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung des Beschwerdeführers zuständig.

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil er am 28. März 1994 zu einem Bekannten nach Wien gefahren sei, in der Absicht, nach drei Tagen wieder nach Lafnitz zurückzukehren und von dort innerhalb der Berufungsfrist die Berufung auszuführen. Die belangte Behörde hätte erheben müssen, ob der Beschwerdeführer die Unterlagen (Ausweisungsbescheid), die für die Erhebung einer Berufung erforderlich gewesen seien, bei sich in Wien gehabt oder in Lafnitz zurückgelassen habe. Für rechtswidrig hält der Beschwerdeführer den angefochtenen Bescheid weiters deswegen, weil die belangte Behörde verkannt habe, daß auch ein unvorhergesehenes, am letzten Tag der Berufungsfrist eintretendes Ereignis die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen könne. Auch seien die Ausführungen der belangten Behörde, der Beschwerdeführer hätte die Möglichkeit gehabt, innerhalb der Berufungsfrist einen nicht begründeten Berufungsantrag einzubringen und diesen erst später zu begründen, rechtlich verfehlt.

Die Beschwerde ist begründet. Der Beschwerdeführer weist zutreffend auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hin, daß eine plötzliche Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit auch dann, wenn sie erst am letzten Tag der Beschwerdefrist eingetreten ist, einen Wiedereinsetzungsgrund im Sinn des § 46 Abs. 1 VwGG darstellen kann, wenn sie im maßgebenden Zeitpunkt zu einer vorübergehend Dispositionsunfähigkeit geführt hat (vgl. die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. Dezember 1972, Zl. 1457/72 und vom 27. Jänner 1994, Zl. 93/15/0219, 0220). Diese Aussage gilt auch für § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Erkrankung kann für ihn ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis im Sinn des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG dargestellt haben. Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer behauptet, durch seine Erkrankung daran gehindert gewesen zu sein, rechtzeitig nach Lafnitz zurückzukehren (wo sich - so ist das einschlägige Beschwerdevorbringen sinnvollerweise zu verstehen - die für die Erhebung der Berufung erforderlichen Unterlagen befunden hätten) und von dort innerhalb der Berufungsfrist die Berufung auszuführen, dies im Hinblick darauf, daß ihm vom Arzt "strenge Bettruhe" verordnet gewesen sei. Im Fall von Zweifeln am Zutreffen der so begründeten Unfähigkeit des Beschwerdeführers, die Berufung von Wien aus zu erheben, hätte die belangte Behörde weitere Ermittlungen hinsichtlich des Grades der Unfähigkeit des Beschwerdeführers, die Berufung rechtzeitig zu erheben, anstellen müssen (vgl. die bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, Wien 1996, 674, dargestellte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes), weil ein grundsätzlich schlüssiger Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht wurde (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1995, Zl. 95/21/0190).

Soweit die belangte Behörde insinuiert, der Beschwerdeführer hätte - offenbar in Voraussicht seiner Erkrankung - vor seiner Abreise aus Lafnitz eine unbegründete Berufung einbringen können, die er zu einem späteren Zeitpunkt hätte ergänzen können, weist der Beschwerdeführer diesbezüglich zutreffend auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hin, daß eine derartige Berufung als unzulässig zurückzuweisen gewesen wäre (vgl. dazu Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, Wien 1995, Rz 522 f). Soweit die belangte Behörde meint, der Beschwerdeführer hätte sich der Mithilfe "einer Bezugsperson" in der Wohnung seiner Gastgeber bedienen müssen, um das ungenutzte Verstreichen der Berufungsfrist zu verhindern, reichen diese Ausführungen ins Spekulative und können die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages des Beschwerdeführers nicht begründen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, daß der Beschwerde nur eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides anzuschließen war. Wien, am 6. November 1998

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