VwGH 95/19/0321

VwGH95/19/032112.12.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,

Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde der 1974 geborenen SC in Wien, vertreten durch Dr. Gabriel Liedermann, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Gudrunstraße 143, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. März 1995, Zl. 110.262/2-III/11/94, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 §1 Abs1;
AufG 1992 idF 1995/351 §6 Abs1;
AufG 1992 idF 1995/351 §6 Abs2;
AVG §13 Abs1;
AVG §68 Abs1;
ZPO §233;
AufG 1992 §1 Abs1;
AufG 1992 idF 1995/351 §6 Abs1;
AufG 1992 idF 1995/351 §6 Abs2;
AVG §13 Abs1;
AVG §68 Abs1;
ZPO §233;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte unter Verwendung des hiefür vorgesehenen Antragsformulares am 30. September 1994 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Mit dem am 17. Oktober 1994 zugestellten Bescheid der erstinstanzlichen Behörde vom 6. Oktober 1994 wurde dieser Antrag gemäß § 9 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen. Die Beschwerdeführerin erhob Berufung.

Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. März 1995 wurde dieser Berufung "gemäß § 66 Abs. 4 AVG stattgegeben und der zitierte Bescheid ersatzlos behoben". Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe bereits am 16. Mai 1994 beim Landeshauptmann von Wien einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestellt. Dieser Antrag sei mit erstinstanzlichem Bescheid vom 22. August 1994 abgewiesen worden. Dagegen habe die Beschwerdeführerin am 10. Oktober 1994 Berufung erhoben. Dieses Berufungsverfahren sei derzeit bei der belangten Behörde anhängig. Aus diesem Sachverhalt ergebe sich, daß die erstinstanzliche Behörde keine Sachentscheidung über den Antrag der Beschwerdeführerin vom 30. September 1994 hätte treffen dürfen. Aus diesem Grund sei der erstinstanzliche Bescheid ersatzlos zu beheben gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, nach Ablehnung ihrer Behandlung durch den Verfassungsgerichtshof dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Sachentscheidung über ihren Antrag vom 30. September 1994 verletzt. Sie macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Hinblick auf das Datum der Zustellung des angefochtenen Bescheides (10. April 1995) ist für seine Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof die Rechtslage vor Inkrafttreten der Novelle zum Aufenthaltsgesetz, BGBl. Nr. 351/1995, maßgeblich.

§ 6 Abs. 1 und 2 AufG in dieser Fassung lauteten:

"§ 6. (1) Außer in den Fällen des § 7 Abs. 1 werden die Bewilligung und deren Verlängerung auf Antrag erteilt. In dem Antrag ist der Zweck des vorgesehenen Aufenthaltes in Österreich genau anzugeben und glaubhaft zu machen, daß kein Ausschließungsgrund (§ 5) vorliegt.

(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. Der Antrag auf Verlängerung einer Bewilligung kann auch vom Inland aus gestellt werden."

Das Rechtsinstitut der Streitanhängigkeit ist dem AVG grundsätzlich fremd (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 1997, Zlen. 95/19/0566 bis 0571). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gilt allerdings, daß die in erster Instanz zuständige Behörde vor Rechtskraft, aber während eines anhängigen Berufungsverfahrens nicht neuerlich über ein- und dieselbe Sache entscheiden darf. Derartiges sprach der Verwaltungsgerichtshof für die Erlassung eines Abbruchauftrages gemäß § 73 Abs. 2 der Steiermärkischen Bauordnung 1968, LGBl. Nr. 149 (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Jänner 1979, Zl. 1623/77), für die Verhängung eines Schuldspruches in einem Disziplinarverfahren nach dem Heeresdisziplinargesetz 1985, BGBl. Nr. 294 (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. März 1988, Zl. 87/09/0166), aber auch für die Erteilung einer Baubewilligung nach der Burgenländischen Bauordnung, LGBl. Nr. 13/1970 (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. September 1990, Zl. 90/05/0001) aus. In dem letztgenannten Erkenntnis heißt es:

"Solange eine Berufung anhängig ist, ist aber die Baubehörde erster Instanz nicht befugt, neuerlich in derselben Sache auf Grund eines neuerlichen Antrages des Bauwerbers eine Entscheidung zu treffen."

Diese Rechtsprechung ist jedoch - jedenfalls - nicht auf den Bereich des Aufenthaltsrechtes übertragbar, weil aus dem Grunde des § 6 Abs. 2 AufG die Frage, ob sich der Fremde im Zeitpunkt seiner jeweiligen Antragstellung im In- oder im Ausland aufhält, für den Antragserfolg ausschlaggebend sein kann (vgl. zum Charakter des Erfordernisses des § 6 Abs. 2 AufG als Erfolgsvoraussetzung etwa das hg. Erkenntnis vom 26. September 1996, Zl. 95/19/0677). Der Ausgang eines durch einen weiteren Antrag auf erstmalige Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung während der Anhängigkeit eines anderen derartigen Antrages eingeleiteten Verfahrens kann aus Gründen des materiellen Rechtes ein anderer sein als jener des aufgrund des zuerst gestellten Antrages geführten Verfahrens. Der förmlichen Stellung eines weiteren Antrages bei Anhängigkeit eines Aufenthaltsverfahrens (sei es auch in der Berufungsinstanz) kommt daher nicht der Charakter einer bloßen Erinnerung an die Entscheidungspflicht oder eines ergänzenden Vorbringens in dem bereits anhängigen Aufenthaltsverfahren zu. Vielmehr ist über einen solchen Antrag in einem eigenständigen Verfahren zu entscheiden.

"Sache" des Aufenthaltsverfahrens ist daher nicht die Frage, ob dem Fremden überhaupt eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen ist, sondern ob dies aufgrund eines konkreten, von ihm in einem bestimmten Zeitpunkt gestellten Antrages zu geschehen hat.

Nach dem Vorgesagten hätte die belangte Behörde aufgrund der Berufung der Beschwerdeführerin vom 10. Oktober 1994 darüber zu entscheiden gehabt, ob ihr aufgrund ihres Antrages vom 16. Mai 1994 eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen war. Aufgrund der Anhängigkeit dieses Berufungsverfahrens allein kam ihr jedoch keine Zuständigkeit zur Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführerin vom 30. September 1994 zu. Diese Zuständigkeit verblieb vielmehr ungeachtet der am 10. Oktober 1994 erhobenen Berufung gegen die Abweisung des zuerst gestellten Antrages beim Landeshauptmann von Wien, welcher in diesem Zeitpunkt über den zweitgestellten Antrag vom 30. September 1994 noch keinen Bescheid erlassen hatte. Die Auffassung der belangten Behörde, dieser wäre zur Erlassung des Bescheides vom 6. Oktober 1994, die durch Zustellung am 17. Oktober 1994 erfolgte, unzuständig gewesen, ist daher unzutreffend.

Erst aufgrund der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 6. Oktober 1994 wurde die belangte Behörde funktionell auch zur Entscheidung über den Antrag vom 30. September 1994 zuständig. Sie wäre daher verpflichtet gewesen, ungeachtet des bei ihr ebenfalls anhängigen Verfahrens über den Antrag vom 16. Mai 1994 eine meritorische Entscheidung (auch) über den Antrag vom 30. September 1994 zu treffen. Indem sie dies unterließ und den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos behob, verletzte sie die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf eine Sachentscheidung über den letztgenannten Antrag.

Sie belastete daher ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, sodaß dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

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