Normen
AVG §56;
AVG §58 Abs1;
AVG §6 Abs2;
AVG §66 Abs4;
HDG 1985 §14;
HDG 1985 §15;
HDG 1985 §61 Abs1;
HDG 1985 §62 Abs2;
VwGG §42 Abs2 lita;
VwGG §42 Abs2 Z1 impl;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1988:1987090166.X00
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer steht als Offiziersstellvertreter in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Seine Dienststelle ist das Kommando des Truppenübungsplatzes S.
Nach Lage der Akten des Verwaltungsverfahrens hatte der Kommandant des Truppenübungsplatzes S gegen den Beschwerdeführer mit Disziplinarerkenntnis vom 22. Juli 1986 gemäß § 48 Z. 1 iVm § 61 des Heeresdisziplinargesetzes 1985, BGBl. Nr. 294 (HDG), die Disziplinarstrafe des Verweises verhängt, weil er als eingeteilter Offizier vom Tag
1. am 6. Juni 1986 zwischen 22.15 Uhr und 23.30 Uhr nicht erreichbar gewesen sei, als er von Olt. L und Olt. d. Res. E gesucht worden sei,
2. während dieser Zeit nachweislich in Begleitung einer jungen Frau im H des Offizierkasinos zu Konsumationen gewesen sei, obwohl er dasselbe nur zu Kontrollzwecken zu betreten habe,
3. die für 23.00 Uhr befohlene Kontrolle des Munitionslagers nicht ordnungsgemäß durchgeführt habe,
4. die aufgetragenen Kontrollfahrten mit dem Kraftfahrer vom Dienst zum Munitionslager um 15.45 Uhr und 09.00 Uhr nicht durchgeführt habe,
5. in der Zeit zwischen 22.00 Uhr und 23.00 Uhr dem Fahrer vom Dienst den Auftrag gegeben habe, zum Munitionslager zu fahren und dieses zu kontrollieren, obwohl der Beschwerdeführer diese Kontrolle selbst zu Fuß und mit einem Bereitschaftsoldaten hätte durchführen müssen,
6. im Visitierungsauftrag nachweislich bestimmte Falscheintragungen vorgenommen habe.
Gegen dieses Erkenntnis hatte der Beschwerdeführer am 25. Juli 1986 das Rechtsmittel der Berufung erhoben.
In der Folge war seitens des Militärkommandanten der Steiermark am 21. August 1986 folgende Erledigung ergangen:
"An den Kommandanten
Das mit Zl.: 2377-3181/86 am 22 07 86 vom Stv Kdt des S, Olt GR, erlassene Disziplinarerkenntnis gegen den im Gegenstand Genannten wird gem. § 62 Abs. 4 HDG aufgehoben und die Sache an die Disziplinarbehörde 1. Instanz zurückverwiesen.
Beim Verfahren 1. Instanz hat der Beschuldigte weder mündlich noch schriftlich Gelegenheit erhalten, sich zum abschließend erhobenen Sachverhalt zu äußern.
Das Disziplinarverfahren ist in erster Instanz unter Einhaltung der Verfahrensvorschriften zu wiederholen."
In dem sich daran anschließenden sachgleichen Disziplinarverfahren hatte der Kommandant des Truppenübungsplatzes
S mit Disziplinarerkenntnis vom 21. April 1987 - nachdem zwei weitere Disziplinarerkenntnisse vom 11. September 1986 und vom 24. Oktober 1986 von der belangten Behörde aufgehoben bzw. für nichtig erklärt worden waren - im vierten Rechtsgang über den Beschwerdeführer gemäß § 6 Abs. 4 HDG einen Schuldspruch ohne Verhängung einer Strafe ausgesprochen, weil er
1. sich als Offizier vom Tag des Truppenübungsplatzes S am 6. Juni 1986 ohne dienstlichen Auftrag und ohne hiezu berechtigt gewesen zu sein, mindestens eine halbe Stunde im Offizierskasino, H, aufgehalten habe,
2. den für 6. Juni 1986, 23.00 Uhr, angeordneten Kontrollgang zum Munitionslager nicht als solchen durchgeführt und statt dessen in seinem Privatkraftwagen unter Mitnahme des Bereitschaftssoldaten Wehrmann G zur Kontrolle des Munitionslagers gefahren sei,
3. die für 15.45 Uhr am 6. Juni 1986 und 09.00 Uhr am 7. Juni 1986 im Visitierungsauftrag für den Offizier vom Tag vom 6. und 7. Juni 1986 angeordneten Kontrollfahrten mit dem Fahrer vom Dienst zum Munitionslager nicht durchgeführt habe,
4. in dem unter 3. näher bezeichneten Visitierungsauftrag auf der Seite 1 desselben durch eigenhändige Abzeichnung der rot unterstrichenen Kontrollzeiten 15.45 Uhr und 09.00 Uhr, sowie durch seine eigenhändige Eintragung auf der Seite 2 "Whm MG 23.00 Uhr Kontrollgang Mun.Lager mit Ovt." eine nicht wahrheitsgetreue Meldung erstattet habe.
Der gegen diesen Bescheid vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung wurde mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid keine Folge gegeben und das erstinstanzliche Erkenntnis bestätigt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.
Der Gerichtshof hat erwogen:
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen in dem Recht darauf, daß er nicht ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 HDG einer Dienstpflichtverletzung für schuldig erkannt werde, durch unrichtige Anwendung dieser Norm, sowie der Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung, das Parteiengehör und die Bescheidbegründung, sowie weiters in seinem Recht darauf, daß nicht im Widerspruch zu § 24 HDG in Verbindung mit §§ 68 ff AVG sowie im Widerspruch zu dem in jedem ordentlichen Verwaltungsverfahren geltenden Rechtsgrundsatz mehrfach in ein- und derselben Sache entschieden werde, durch unrichtige Anwendung der letztzitierten Normen verletzt. In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes trägt der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes zur Frage der gerügten mehrfachen Entscheidung in ein- und derselben Sache vor, über seine Berufung vom 25. Juli 1986 gegen das Disziplinarerkenntnis des Kommandanten des Truppenübungsplatzes S vom 22. Juli 1986 sei noch nicht entschieden worden. Es seien somit zumindest zwei parallele Entscheidungsvorgänge gegeben, was dem insbesondere aus §§ 68 ff AVG hervorgehenden, aber allgemein gültigen Rechtsgrundsatz widerspreche, daß in einer Sache nur eine Entscheidung ergehen dürfe, soweit nicht eben diese Entscheidung durch eine andere Entscheidung im Rechtsmittelweg oder auf eine andere zulässige Weise aufgehoben oder abgeändert werde. Die gegenständliche Entscheidung hätte daher höchstens darin bestehen dürfen, daß als weitere Konsequenz der bisherigen Nichterledigung der Berufung des Beschwerdeführers vom 25. Juli 1986 auch jener Bescheid als nichtig aufzuheben wäre, auf den sich der in Beschwerde gezogene Bescheid als Berufungsentscheidung beziehe, nämlich das Disziplinarerkenntnis vom 13. Mai 1987. Daß anstatt dessen eine Sachentscheidung erlassen worden sei, erweise sich als rechtswidrig.
Dieses Vorbringen ist begründet.
Nach der im 1. Abschnitt ("Kommandantenverfahren") des 2. Hauptstückes ("Besondere Verfahrensbestimmungen") des Heeresdisziplinargesetzes 1985 unter dem Titel "Disziplinarerkenntnis" geregelten Bestimmung des § 61 Abs. 1 können Disziplinarerkenntnisse mündlich oder schriftlich ergehen. Wenn Disziplinarhaft, eine Geldstrafe oder eine strengere Strafe verhängt wird, sind sie schriftlich zu erlassen. Nach der Anordnung des § 62 Abs. 2 HDG sind im Berufungsverfahren die für das Verfahren der ersten Instanz geltenden Bestimmungen sinngemäß anzuwenden.
Da die Disziplinargewalt rechtlich der Befehlsgewalt (vgl. hiezu Art. 80 Abs. 3 B-VG und § 4 Abs. 1 des Wehrgesetzes 1978, BGBl. Nr. 150) folgt, haben nach dem Heeresdisziplinargesetz 1985 (vgl. die §§ 14 und 15) alle Truppenführer im hierarchischen Aufbau des Bundesheeres vom Kompaniechef über den Bataillonskommandanten bis hinauf zum Bundesminister für Landesverteidigung Disziplinargewalt.
Durch die in § 61 Abs. 1 HDG getroffene Regelung sind die zuständigen Disziplinarvorgesetzten in die Lage versetzt, die (einfachen) Disziplinarstrafen des Verweises und der Geldbuße (§ 48 Z. 1 und 2 HDG) durch mündliche Verkündung des Disziplinarerkenntnisses zu verhängen. Diese Bestimmung ist gemäß § 62 Abs. 2 HDG im Berufungsverfahren "sinngemäß" anzuwenden.
Nach Ausweis der Akten des Verwaltungsverfahrens wurde die oben wiedergegebene Erledigung des Militärkommandanten der Steiermark vom 21. August 1986 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen. Die belangte Behörde führte hiezu in der Gegenschrift aus, diese Entscheidung habe dem Beschwerdeführer erst am 13. Oktober 1986 durch die Disziplinarbehörde erster Rechtsstufe zur Kenntnis gebracht werden können, weil er vom 18. September bis 12. Oktober 1986 infolge Krankheit vom Dienst abwesend gewesen sei.
Weder die oben wiedergegebene und nicht an den Beschwerdeführer, sondern an den Kommandanten des Truppenübungsplatzes S gerichtete Mitteilung des Militärkommandanten der Steiermark (vgl. im Zusammenhang das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. April 1987, Zl. 86/12/0262, und den Beschluß vom 18. Februar 1988, Zl. 88/09/0002) noch das mit der Rechtslage nicht in Einklang zu bringende "zur Kenntnis bringen" einer mündlichen Entscheidung des Militärkommandanten der Steiermark durch die Disziplinarbehörde erster Rechtsstufe können als rechtmäßige Erledigungen der Berufung des Beschwerdeführers vom 25. Juli 1986 qualifiziert werden.
Sobald gegen einen erstinstanzlichen Bescheid Berufung eingebracht wurde, ist zur Entscheidung nur mehr die Behörde zweiter Rechtsstufe zuständig. Ein trotzdem erlassener (zweiter) Bescheid der Behörde erster Rechtsstufe in derselben Sache ist wegen Unzuständigkeit der Behörde aufzuheben. Greift die Berufungsinstanz - wie im Beschwerdefall - die sich daraus ergebende Rechtswidrigkeit nicht auf, begründet dies nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. im Zusammenhang das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Jänner 1979, Zl. 1623/77, Slg. Nr. 9742/A) inhaltliche Rechtswidrigkeit des Berufungsbescheides.
Indem die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden mußte.
Die Entscheidung über den Ausspruch auf Ersatz des Aufwandes gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.
Wien, am 24. März 1988
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