Normen
AVG §19 Abs1;
AVG §19 Abs2;
B-VG Art144 Abs3 idF 1984/296;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §48 Abs1 Z1;
AVG §19 Abs1;
AVG §19 Abs2;
B-VG Art144 Abs3 idF 1984/296;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §48 Abs1 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, der am 23. März 1988 in das Bundesgebiet eingereist ist, wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. Februar 1992 als Flüchtling anerkannt.
Am 26. März 1992 teilte die Bundespolizeidirektion Wien dem Bundesministerium für Inneres "im Hinblick auf § 69 AVG" mit, daß dem Beschwerdeführer am 15. Februar 1989 von der türkischen Botschaft in Wien ein ursprünglich bis zum 7. Juni 1990 gültiger Reisepaß ausgestellt worden sei, dessen Gültigkeit bis 28. März 1995 verlängert worden sei.
In weiterer Folge lud die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom 5. Oktober 1993 den Beschwerdeführer gemäß § 19 AVG zum persönlichen Erscheinen am 2. November 1993. Als Gegenstand der Amtshandlung wurde angeführt: "Wir haben wegen Überprüfung ihres Aufenthaltes gegen Sie Erhebungen zu führen."
Als Zwangsfolge für den Fall des unentschuldigten Ausbleibens wurden die zwangsweise Vorführung bzw. die Erlassung eines Festnahmeauftrages angedroht. Dieser Ladungsbescheid wurde dem Beschwerdeführer durch Hinterlegung am 8. Oktober 1993 zu eigenen Handen zugestellt.
Der Beschwerdeführer leistete dieser Ladung Folge und gab - nachdem er von der Absicht des Bundesasylamtes, ihm die Flüchtlingseigenschaft abzuerkennen, in Kenntnis gesetzt wurde - an, keine Angaben mehr machen zu wollen und die Angelegenheit seinem Rechtsanwalt zu übergeben. Er erklärte weiters, seinen Reisepaß übernehmen zu wollen, weil er sonst kein Ausweisdokument habe, und bestätigte dessen Übernahme mit seiner Unterschrift.
Mit dem beschwerdegegenständlichen Bescheid vom 29. November 1993 lud die Bundespolizeidirektion Wien (die belangte Behörde) den Beschwerdeführer neuerlich gemäß § 19 AVG zum persönlichen Erscheinen am 28. Dezember 1993. Als Gegenstand der Amtshandlung wurde wiederum angeführt: "Wir haben wegen Überprüfung ihres Aufenthaltes gegen sie Erhebungen zu führen". Als Zwangsfolge für den Fall des unentschuldigten Ausbleibens wurden die zwangsweise Vorführung bzw. die Erlassung eines Festnahmeauftrages angedroht. Dieser Ladungsbescheid wurde dem Beschwerdeführer durch Hinterlegung am 3. Dezember 1993 zu eigenen Handen zugestellt.
2. Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluß vom 28. Februar 1994, B 2173/93, die Behandlung der gegen den Ladungsbescheid vom 29. November 1993 erhobenen Beschwerde ab und trat diese in der Folge antragsgemäß an den Verwaltungsgerichtshof ab.
In der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgenommenen Beschwerdeergänzung machte der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes, Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
3. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Zurückweisung der Beschwerde als unzulässig, in eventu die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Die belangte Behörde verweist in ihrer Gegenschrift darauf, daß der Beschwerdeführer - wie aus der im Verwaltungsakt erliegenden Vollmacht vom 3. Februar 1989 zu ersehen sei - seit diesem Zeitpunkt anwaltlich vertreten gewesen sei. Der angefochtene Bescheid hätte daher an den Vertreter - und nicht an den Beschwerdeführer selbst - zugestellt werden müssen. Eine Heilung dieses Zustellmangels durch tatsächliches Zukommen des Bescheides an den Zustellungsbevollmächtigten gemäß § 9 Abs. 1 letzter Satz ZustG sei nicht behauptet worden. Mangels rechtswirksamer Zustellung sei der angefochtene Bescheid daher als nicht erlassen anzusehen, weshalb die Beschwerde zurückzuweisen sei.
1.2. Dieser Ansicht vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht beizupflichten. Falls ein Vertretungsverhältnis zu Rechtsanwalt Dr. P bestanden haben sollte, so wäre der bezeichnete Zustellmangel jedenfalls dadurch gemäß § 9 Abs. 1 ZustG geheilt, daß dem Genannten der angefochtene Bescheid tatsächlich zugekommen ist. Daß letzteres der Fall ist, ergibt sich schon daraus, daß Dr. P gemeinsam mit der Beschwerde eine Ausfertigung des Bescheides vorgelegt hat.
2. Gemäß § 19 Abs. 1 erster Satz AVG ist die Behörde berechtigt, Personen, die in ihrem Amtsbereich ihren Aufenthalt (Sitz) haben und deren Erscheinen nötig ist, vorzuladen. Gemäß § 19 Abs. 2 leg. cit. ist in der Ladung außer Ort und Zeit der Amtshandlung auch anzugeben, was den Gegenstand der Amtshandlung bildet, in welcher Eigenschaft der Geladene vor der Behörde erscheinen soll (als Beteiligter, Zeuge, usw.) und welche Behelfe und Beweismittel mitzubringen sind. In der Ladung ist ferner bekanntzugeben, ob der Geladene persönlich zu erscheinen hat oder ob die Entsendung eines Vertreters genügt und welche Folgen an ein Ausbleiben geknüpft sind. § 19 Abs. 3 AVG sieht vor, daß, wer nicht durch Krankheit, Gebrechlichkeit oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten ist, die Verpflichtung hat, der Ladung Folge zu leisten und zur Erfüllung dieser Pflicht durch Zwangsstrafen verhalten oder vorgeführt werden kann. Die Anwendung dieser Zwangsmittel ist nur zulässig, wenn sie in der Ladung angedroht waren und die Ladung zu eigenen Handen zugestellt war; sie obliegt den Vollstreckungsbehörden. Gemäß § 19 Abs. 4 leg. cit. ist gegen die Ladung oder die Vorführung kein Rechtsmittel zulässig.
2. Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid insofern für rechtswidrig, als seine persönliche Vorladung nicht nötig gewesen sei, weil er - aktenkundig - anwaltlich vertreten gewesen sei und sämtliche Verfahrenshandlungen von seinem Vertreter gesetzt hätten werden können. Der angefochtene Bescheid leide auch an Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde. Der Beschwerdeführer sei anerkannter Flüchtling, dem auf Grund der Flüchtlingseigenschaft die unbefristete Aufenthaltsberechtigung zugestanden sei und nach wie vor zustehe, sodaß die belangte Behörde keine sachliche Zuständigkeit zur Überprüfung seines Aufenthaltes gehabt habe. Der angefochtene Bescheid sei auch rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weil die belangte Behörde die Tatsachenumstände, weswegen das persönliche Erscheinen des Beschwerdeführers notwendig sei und eine Vertretung ausscheide, anzugeben gehabt habe.
3. Die Beschwerde ist im Ergebnis aus folgenden Gründen im Recht: Im vorliegenden Fall wurde der angefochtene Bescheid auf § 19 AVG gestützt. Die Erlassung eines Ladungsbescheides, mit welchem das persönliche Erscheinen des Geladenen angeordnet wird, ist nach § 19 Abs. 1 AVG und der hiezu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 21. September 1988, Slg. Nr. 12772, und vom 4. Februar 1994, Slg. Nr. 13999, vgl. auch Hauer-Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage 1996, 200 ff, und Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, 430 ff, jeweils zu § 19 AVG) nur dann zulässig, wenn die Behörde den mit der Ladung verfolgten Zweck auf andere Weise - etwa schriftlich oder fernmündlich - nicht erreichen kann. Dem angefochtenen Bescheid kann nur entnommen werden, daß Gegenstand der Amtshandlung gemäß § 19 Abs. 2 AVG die "Überprüfung des Aufenthaltes" des Beschwerdeführers bilden solle. Dies genügt jedoch nicht. Die belangte Behörde hat es entgegen § 19 Abs. 1 und 2 AVG nämlich unterlassen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, im Hinblick auf die Klärung welcher noch offener Fragen das persönliche Erscheinen des Beschwerdeführers, eines anerkannten Flüchtlings, erforderlich sei. Sie war offensichtlich der Auffassung, sich mit der Notwendigkeit seines persönlichen Erscheinens nicht befassen zu müssen und hat den angefochtenen Bescheid damit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 1996, Zl. 95/21/1014).
4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
5. Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte im Hinblick auf § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.
6. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Im Falle der Abtretung einer Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG gebührt dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren obsiegenden Beschwerdeführer kein Ersatz für Stempelgebühren, die er im vorangegangenen Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof entrichten mußte. Es steht ihm daher nur der Ersatz der Stempelmarken für die Beschwerdeergänzung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu (vgl. den hg. Beschluß vom 17. März 1986, Zl. 86/08/0002).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)