VwGH 94/08/0187

VwGH94/08/018714.11.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der M-Gesellschaft mbH in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 26. Jänner 1994, Zl. MA 15-II-M 29/93, betreffend Haftung für Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 67 Abs. 4 ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, Wien X, Wienerbergstraße 15-19), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §67 Abs4;
VwRallg;
ASVG §67 Abs4;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der mitbeteiligten Wiener Gebietskrankenkasse Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 15. Oktober 1993 sprach die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aus, daß die Beschwerdeführerin als Betriebsnachfolgerin gemäß den §§ 67 Abs. 4 und 83 ASVG verpflichtet sei, der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse die auf einem näher bezeichneten Beitragskonto der Betriebsvorgängerin, der protokollierten Firma I. GmbH, rückständigen restlichen Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom November 1991 bis März 1992 samt Nebengebühren im Betrage von S 29.102,47 zuzüglich näher bezeichneter Verzugszinsen zu bezahlen. Nach der Bescheidbegründung habe die I. GmbH einen Textilhandel mit der Zentrale in Wien XV, und einer Filiale in Wien XVI, betrieben. Am 25. März 1992 sei das in der Zentrale befindliche Inventar von der I. GmbH an die Beschwerdeführerin veräußert worden. Seit 1. April 1992 sei letztere Hauptmieterin des Teilbetriebes in Wien XV. Als Übernahmstag sei daher der 1. April 1992 angenommen worden. Auf dem Beitragskonto der I. GmbH seien für drei (namentlich angeführte) in der Zentrale beschäftigt gewesene Dienstnehmer Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren in der im Spruch genannten Höhe unbeglichen. Die Beschwerdeführerin sei daher gemäß den §§ 67 Abs. 4, 83 ASVG verpflichtet, als Betriebsnachfolgerin die angeführten Beiträge samt Nebengebühren zu bezahlen.

In dem dagegen erhobenen Einspruch wandte die Beschwerdeführerin ein, sie habe ihre Betriebsstätte in Wien XV, nicht von der I. GmbH, sondern von der Immobilienverwaltung B übernommen. Es bestehe daher keine Betriebsübernahme der I. GmbH. Eine Kopie des Mietvertrages mit der Immobilienverwaltung B werde angeschlossen. Aus diesem Mietvertrag vom 31. März 1992 ergibt sich, daß die gegenständlichen Geschäftsräume, bestehend aus einem Verkaufslokal und einem Nebenraum sowie einer Zwischendecke, der Beschwerdeführerin ab 1. April 1992 zum Verkauf von Textilien vermietet wurden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Einspruch der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet ab und bestätigte den bekämpften Bescheid. Nach der Bescheidbegründung stehe aufgrund der Aktenlage, insbesondere der Rechnungen vom 25. März 1992 fest, daß die I. GmbH an die Beschwerdeführerin Inventarsgegenstände und Waren (Bekleidungsstücke) um den Kaufpreis von S 142.800,-- sowie S 67.320,-- verkauft habe. Die bei der I. GmbH bis Ende Februar 1992 beschäftigte Dienstnehmerin S habe in der mündlichen Verhandlung vom 21. Dezember 1993, zum Sachverhalt befragt, im wesentlichen angegeben, daß sie in der Zentrale der I. GmbH bis Ende Februar 1992 mit dem Verkauf von Textilien beschäftigt gewesen sei. Der Geschäftsgang sei normal gelaufen, nur der Februar 1992 sei sehr schlecht gewesen. In der Zentrale habe sich ein, zur Hälfte der Höhe nach abgeteilter, sehr kleiner Verkaufsraum befunden. An Inventar hätten sich im Verkaufsraum zwei Verkaufspulte, ein Schreibtisch, ein oder zwei Sessel sowie im Büro ein "Viererkasterl zum Aufhängen" befunden. Außerdem seien im Lokal Regalwände und Stangen zum Aufhängen der Kleidungsstücke gewesen. Es habe auch eine Probierkabine mit Vorhang und Spiegel gegeben, außerdem noch eine Registrierkasse und einen Eiskasten. In der (einen) Rechnung vom 25. März 1992 seien ihres Wissens nach im wesentlichen die genannten Inventargegenstände enthalten gewesen, die auch schon zum Zeitpunkt, als sie bei der I. GmbH beschäftigt gewesen sei, vorhanden gewesen und von dieser Gesellschaft im Februar 1992 verwendet worden seien. Was die verkaufte Ware betreffe, so habe die I. GmbH. T-Shirts, Jeanshosen, Pullover, Jogger und Slips geführt. Sie nehme an, daß es sich bei den verkauften Wäschestücken um jene Ware gehandelt habe, die nach Februar 1992 übrig geblieben sei. Sie könne zwar nicht bestätigen, ob der gesamte Restbestand an Ware an die Beschwerdeführerin verkauft worden sei, nehme jedoch an, daß es sich bei den verkauften Stücken um den Großteil der Ware gehandelt habe. Diese Niederschrift, so heißt es in der Bescheidbegründung weiter, sei der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht, von ihr jedoch keine Stellungnahme abgegeben worden. Die belangte Behörde gelange aufgrund der Angaben der Zeugin S im Zusammenhang mit den Rechnungen vom 25. März 1992 zur Überzeugung, daß im vorliegenden Fall die nach Betriebsart bzw. Betriebsgegenstand wesentlichen Betriebsmittel der I. GmbH im Wege eines Veräußerungsgeschäftes von der Beschwerdeführerin erworben worden seien, weshalb - im Sinne der ständigen Rechtsprechung - eine Haftung gemäß § 67 Abs. 4 ASVG bejaht werden müsse. Zu den Einspruchsausführungen sei zu bemerken, daß für das Bestehen einer Betriebsnachfolgehaftung nicht erforderlich sei, daß vom Nachfolger sämtliche Betriebsmittel erworben würden. Maßgeblich sei vielmehr, daß die nach Betriebsart und Betriebsgegenstand wesentlichen Betriebsmittel erworben worden seien, diese den Erwerber in die Lage versetzten, den Betrieb fortzuführen. Dies habe im vorliegenden Fall nach Auffassung der belangten Behörde zugetroffen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 67 Abs. 4 ASVG in der Fassung der 41. Novelle, BGBl. Nr. 111/1986, haftet dann, wenn ein Betrieb übereignet wird, der Erwerber für Beiträge, die sein Vorgänger zu zahlen gehabt hätte, unbeschadet der fortdauernden Haftung des Vorgängers sowie der Haftung des Betriebsnachfolgers nach § 1409 ABGB unter Bedachtnahme auf § 1409a ABGB und der Haftung des Erwerbers nach § 25 des Handelsgesetzbuches, für die Zeit von höchstens 12 Monaten vom Tage des Erwerbes zurückgerechnet. Im Fall einer Anfrage beim Versicherungsträger haftet er jedoch nur mit dem Betrag, der ihm als Rückstand ausgewiesen worden ist.

In dem (zu § 67 Abs. 4 ASVG in der Fassung vor der 41. Novelle ergangenen) Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 30. November 1983, Slg. Nr. 11.241/A, hat der Verwaltungsgerichtshof ausführlich dargelegt, daß - abweichend von der bisherigen Rechtsprechung - als "Betriebsnachfolger" gemäß § 67 Abs. 4 ASVG jene Person zu verstehen ist, die den Betrieb oder einen organisatorisch selbständigen Teilbetrieb des Betriebsvorgängers (Beitragsschuldners) auf Grund eines Veräußerungsgeschäftes (von Veräußerungsgeschäften) mit diesem erworben hat. Der Erwerbsvorgang muß sich auf einen lebenden bzw. lebensfähigen (aktivierbaren oder reaktivierbaren) Betrieb (Unternehmen), das heißt auf eine organisierte Erwerbsgelegenheit als Objekt im Rechtsverkehr, in der die durch die Betriebsart und den Betriebsgegenstand bestimmten personellen, sachlichen und ideellen Werte (Betriebsmittel) zusammengefaßt sind, beziehen. Der Erwerb bloßer (nicht zur Organisationseinheit Betrieb aktivierbarer oder reaktivierbarer) Betriebsmittel genügt nicht. Es ist aber nicht erforderlich, daß alle Betriebsmittel erworben werden; vielmehr reicht der Erwerb jener Betriebsmittel, die nach der Betriebsart und dem Betriebsgegenstand die wesentliche Grundlage des Betriebes des Betriebsvorgängers gebildet haben und den Erwerber mit ihrem Erwerb in die Lage versetzen, den Betrieb fortzuführen, aus. Daß nicht an allen Betriebsmitteln Eigentum erworben werden kann und erworben wird, schadet nicht. Der Erwerb einzelner, nicht die wesentliche Grundlage des Betriebes darstellenden Betriebsmittel von einem Dritten schließt die Betriebsnachfolge nicht aus. Es ist auch nicht entscheidend, ob der Betrieb tatsächlich fortgeführt wird und ob im Falle der Fortführung der Betriebsgegenstand und die Betriebsart gleichbleiben.

In diesem Sinne ist, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat (vgl. die Erkenntnisse vom 26. September 1989, Zl. 88/08/0129, und vom 17. Dezember 1991, Zl. 89/08/0211) auch der Ausdruck "Erwerber" in § 67 Abs. 4 ASVG in der Fassung der 41. Novelle zu verstehen.

Unter Bedachtnahme auf diese Grundsätze ist es nicht rechtswidrig, wenn die belangte Behörde, ausgehend von den obgenannten Feststellungen, wonach die Beschwerdeführerin am 25. März 1992 die in der Zentrale der I. GmbH vorhandenen Inventarsgegenstände und einen Großteil der Ware gekauft habe, zum Ergebnis gelangte, daß sie dadurch im Wege von Veräußerungsgeschäften die nach Betriebsart bzw. Betriebsgegenstand (Einzelverkauf von Textilien) wesentlichen Betriebsmittel erworben habe und daß daher, ungeachtet des Umstandes, daß sie die Betriebsräumlichkeiten nicht von der I. GmbH, sondern der Immobilienverwaltung B erworben habe, ihre Wertung als "Erwerber" bzw. "Betriebsnachfolger" nach § 67 Abs. 4 ASVG zu bejahen sei (vgl. zu einer ähnlichen Fallgestaltung das Erkenntnis vom 26. September 1989, Zl. 88/08/0109).

Soweit die Beschwerdeführerin dagegen - unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes - einwendet, die belangte Behörde gehe deshalb "unzulässigerweise vom Bestehen einer Betriebsnachfolgehaftung" aus, weil sie sich nicht mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach "der Betrieb durch die Immobilienverwaltung B übernommen" worden sei, befaßt habe, so ist ihr entgegenzuhalten, daß sie im Verwaltungsverfahren derartiges nie behauptet hat. Sie brachte im Einspruch vielmehr nur vor, die "Betriebsstätte" von der genannten Immobilienverwaltung übernommen zu haben, und legte zur Bescheinigung dieser Behauptung den obgenannten Mietvertrag vor. Da es aber im vorliegenden Fall für die Bejahung einer Betriebsnachfolgehaftung nicht entscheidend ist, daß die Betriebsräumlichkeiten nicht unmittelbar von der Betriebsvorgängerin, sondern einem Dritten angemietet wurden, ist weder die diesbezügliche rechtliche Beurteilung der belangten Behörde rechtswidrig noch stellt es einen Verfahrensmangel dar, daß, was die Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bemängelt, keine vertretungsbefugte Person der genannten Immobilienverwaltung vernommen wurde.

Ein weiterer Verfahrensmangel soll nach Auffassung der Beschwerdeführerin darin liegen, daß sich die belangte Behörde zur Frage des Verkaufs des Warenbestandes lediglich mit der Aussage der Zeugin S begnügt habe, obwohl diese nicht habe bestätigen können, ob der gesamte Restbestand an Waren an die Beschwerdeführerin verkauft worden sei.

Diesem Einwand kommt aus zwei Gründen keine Berechtigung zu. Erstens hat sich die Beschwerdeführerin - trotz gebotener Gelegenheit - zur diesbezüglichen Aussage der Zeugin S im Verwaltungsverfahren nicht geäußert, zweitens - und vor allem - genügte auch der bloße Verkauf der genannten Inventarsgegenstände zur Annahme einer Betriebsnachfolgehaftung (vgl. auch dazu das schon genannte Erkenntnis vom 26. September 1989, Zl. 88/08/0109).

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als

unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994, allerdings begrenzt durch das (den in dieser Verordnung festgelegten Pauschalsatz unterschreitende) Begehren der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse.

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