VwGH 88/08/0129

VwGH88/08/012926.9.1989

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Puck, Dr. Sauberer und Dr. Giendl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Schnizer‑Blaschka, über die Beschwerde der M Handelsgesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Dr. Brigitta Weis, Rechtsanwalt in Wien XXI, Holzmeistergasse 12, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 17. Februar 1988, Zl. MA 14‑M 27/87, betreffend Betriebsnachfolgehaftung gemäß § 67 Abs. 4 ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, Wien X, Wienerbergstraße 15-19), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §67 Abs4
ASVG §67 Abs4 idF vor 1986/111

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1989:1988080129.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,‑ ‑ und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,‑ ‑ binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 22. April 1987 sprach die mitbeteiligte Wiener Gebietskrankenkasse aus, daß die Beschwerdeführerin als Betriebsnachfolger des HP in Wien, T‑straße 87, gemäß § 67 Abs. 4 und § 83 ASVG verpflichtet sei, der mitbeteiligten Partei rückständige Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren (Verzugszinsen berechnet bis 14. April 1987) im Betrage von S 94.901,98 zuzüglich Verzugszinsen seit 15. April 1987, zu bezahlen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Einspruch, in dem sie im wesentlichen vorbrachte, daß der Betrieb des Beitragsschuldners längst eingestellt gewesen sei, als sie sich für die Anmietung des Lokales interessiert habe. Die Bechwerdeführerin habe mit Vertrag vom 28. August 1986 das Lokal von EN angemietet. Erst nach Abschluß des Mietvertrages seien diverse Einrichtungsgegenstände von HP an die Beschwerdeführerin verkauft worden; diese stellten keineswegs Betriebsmittel dar, sondern nur diverse, bereits überalterte Möbelstücke, die die Beschwerdeführerin keinesweg in die Lage versetzten, den Betrieb weiterzuführen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch teilweise stattgegeben und festgestellt, daß die Beschwerdeführerin als Betriebsnachfolger gemäß § 67 Abs. 4 ASVG verpflichtet sei, die auf dem Beitragskonto des Betriebsvorgängers HP, Wien, T‑straße 87, rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren im Betrag von S 61.148,91, zuzüglich Verzugszinsen, an die mitbeteiligte Wiener Gebietskrankenkasse zu bezahlen.

In der Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, vor allem aus den Angaben des HP ergebe sich, daß dieser bis zum 28. August 1987 in der T‑straße 87 ein Möbelgeschäft geführt habe. Der Betrieb sei bis zu seinem Ende unverändert weitergeführt worden, auch die Auftragslage sei unverändert gewesen. Da er die Absicht gehabt habe, das Möbelgeschäft nicht weiterzuführen und sich die Beschwerdeführerin für das Geschäft interessiert habe, habe er die Firma, wie sie lag und stand, am 28. August 1986 an die Beschwerdeführerin veräußert. Mieterin der Räumlichkeiten sei EN gewesen, die diese Räume an HP untervermietet habe. Er habe sich vor Abschluß des Kaufvertrages darum bemüht, daß die Beschwerdeführerin die Untermietrechte an dem Bestandobjekt bekomme. Nur unter diesen Bedingungen sei der Kaufvertrag abgeschlossen worden. Die Untermietrechte seien auch tatsächlich an die Beschwerdeführerin übergegangen. HP habe das gesamte Inventar, Kopierer, Schreibtische, eben alles, was im Geschäft vorhanden gewesen sei, verkauft und übergeben, mit Ausnahme persönlicher Sachen. WG (Geschäftsführer der Beschwerdeführerin) habe in der Niederschrift vom 8. Jänner 1988 bestätigt, von HP sämtliche, in der Anlage zum Kaufvertrag angeführten Gegenstände, welche nahezu das gesamte Inventar darstellten, im Wege eines Veräußerungsgeschäftes am 28. August 1986 erworben zu haben. Auf Grund dieser Angaben ergebe sich aber, daß die Beschwerdeführerin mit Kaufvertrag vom 28. August 1986 die wesentlichen Betriebsmittel, nämlich nahezu das gesamte vorhandene Inventar, mit dem HP bis zum Schluß seinen Betrieb geführt habe, erworben habe, weshalb eine Haftung gemäß § 67 Abs. 4 ASVG anzunehmen sei. Die Einwendungen, das Lokal sei von EN und nicht von HP angemietet worden, gingen ins Leere, da für eine Betriebsnachfolgehaftung nicht erforderlich sei, daß sämtliche Betriebsmittel durch Veräußerungsgeschäfte vom Vorgänger erworben worden seien. Zur Höhe des aushaftenden Betrages sei HP als Betriebsvorgänger zum Sachverhalt befragt worden, welcher in der Niederschrift vom 2. Februar 1988 die Richtigkeit der Höhe der im Bescheid der mitbeteiligten Partei vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge bestätigt habe. Da mittlerweile durch Zahlung der Dienstnehmerbeitragsanteile durch den Insolvenz-Ausfallgeld‑Fonds und Zahlungen von HP sich der Betrag von S 94.901,98 auf S 61.148,91 vermindert habe, habe spruchgemäß entschieden werden müssen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete, ebenso wie die mitbeteiligte Partei, eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Unbestritten ist, daß HP in Wien, T‑straße 87, einen Möbelhandel betrieb und die Beschwerdeführerin mit Vereinbarung vom 28. August 1986 nahezu das komplette Inventar des Lokales zu einem Kaufpreis in der Höhe von netto S 400.000,-- erworben und gleichzeitig mit der Hauptmieterin des gegenständlichen Lokales einen Untermietvertrag abgeschlossen hat.

Mit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 30. November 1983, (Slg Nr. 11.241), hat sich der Verwaltungsgerichtshof mit dem Begriff der Betriebsnachfolge des § 67 Abs. 4 ASVG vor Inkrafttreten der 41. Novelle, BGBl. Nr. 111/1986, auseinandergesetzt. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Erkenntnis ausgesprochen:

Als „Betriebsnachfolger“ ist jene Person zu verstehen, die den Betrieb oder einen organisatorisch selbständigen Teilbetrieb des Betriebsvorgängers (Beitragsschuldners) auf Grund eines Veräußerungsgeschäftes (von Veräußerungsgeschäften) mit ihm erworben hat; die bloße Bestandnahme eines Betriebes (eines Teilbetriebes) begründet daher keine Haftung nach dieser Gesetzesstelle. Zum Betriebserwerb ist es allerdings nicht erforderlich, daß alle zum Betrieb gehörigen Betriebsmittel erworben werden; es genügt vielmehr der Erwerb jener Betriebsmittel, die die (nach Betriebsart und Betriebsgegenstand) wesentliche Grundlage des Betriebes des Betriebsvorgängers gebildet haben und den Erwerber mit ihrem Erwerb in die Lage versetzen, den Betrieb fortzuführen ...... Es ist auch nicht entscheidend, ob der Betrieb tatsächlich fortgeführt wird, und ob im Falle der Fortführung der Betriebsgegenstand und die Betriebsart gleichbleibt.

Auf Grund dieser Rechtsprechung wurde mit der 41. ASVG‑Novelle, BGBl. Nr. 111/1986, § 67 ASVG abgeändert. In den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage wird diesbezüglich unter anderem ausgeführt, der Novellierungsvorschlag des § 67 trage der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes, daß unter Betriebsnachfolger nur jene Person zu verstehen sei, die den Betrieb oder einen selbständigen Teilbetrieb auf Grund eines Veräußerungsgeschäftes mit dem Betriebsvorgänger erworben habe, durch die Neufassung des Abs. 4 Rechnung.

Im hg. Erkenntnis vom 30. November 1983 wird zum „Betriebsbegriff“ ausgeführt, daß ein lebender bzw. lebensfähiger (aktivierbarer oder reaktivierbarer) Betrieb (Unternehmen) erworben werden muß, d.h. eine organisierte Erwerbsgelegenheit als Objekt im Rechtsverkehr, in der die durch die Betriebsart und den Betriebsgegenstand bestimmten personellen, sachlichen und ideellen Werte (Betriebsmittel) zusammengefaßt sind. Der Erwerb bloßer (nicht zur Organisationseinheit Betrieb aktivierbarer oder reaktivierbarer) Betriebsmittel genügt nicht.

Unter Berücksichtigung dieser Judikatur kann der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie den Erwerb des nahezu gesamten Inventars (das laut Liste auch den gesamten Warenbestand der zu verkaufenden Möbel enthielt) des Betriebes von HP, der ebenso wie die Beschwerdeführerin in Wien, T‑straße 87, einen Möbelhandel führte, im Wege eines Veräußerungsgeschäftes am 28. August 1986 als die nach Betriebsart und Betriebsgegenstand wesentlichen Betriebsmittel des Möbelgeschäftes von HP qualifizierte.

Im Hinblick auf die Art dieses Geschäftes ist es nicht entscheidend, ob der Kundenstock übernommen wurde oder als der Übernehmer in Lieferverträge eingetreten ist. Nach dem zitierten Erkenntnis ist es auch nicht entscheidend, als der Übernehmer den Betrieb tatsächlich fortführte, es müsse jedoch zumindest die Möglichkeit einer Fortführung geben.

Mit Erkenntnis vom 27. September 1988, Zl. 86/08/0074, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, daß es für die Betriebsnachfolgehaftung nicht maßgebend ist, ob der Vorgänger auf Dauer in der Lage war, mit den Betriebsmitteln, die auf den Nachfolger übergingen, ohne nennenswerte Investitionen Gewinne zu erzielen oder zumindest Verluste zu vermeiden; ausschlaggebend sei vielmehr, ob vom Nachfolger eine organisierte Erwerbsgelegenheit als Objekt im Rechtsverkehr erworben wurde, die als solche geeignet war, unabhängig von den im Zeitpunkt des Erwerbes gegebenen Gewinnchancen oder Verlustgefahren, wirtschaftlich werthafte Leistungen auf dem für sie in Betracht kommenden Markt zu erbringen.

Da nahezu das komplette Inventar des Unternehmens des HP verkauft wurde, mit dem dieser bis Ende August 1986 einen Möbelhandel betrieben hat, war es unter Berücksichtigung der oben zitierten Judikatur auch unerheblich, welches Ergebnis in den Bilanzen, der Kundenkartei oder den Auftragsbüchern ausgewiesen war.

Der Beschwerdeeinwand, die Firma der Beschwerdeführerin bestehe seit längerem und diese habe lediglich ihren Standort an die Anschrift Wien, T‑straße 87 verlegt, die Firma HP hingegen habe ihren Betrieb keineswegs aufgegeben, sondern lediglich ihren Standort nach Wien nn verlegt, geht ins Leere, da nach dem bereits zitierten Erkenntnis vom 30. November 1983, da nach dem Erwerb eines organisatorisch selbständigen Teilbetriebes unter den dort angeführten Voraussetzungen die Haftung des Betriebsnachfolgers begründet. Da die laut Inventarliste erworbenen Betriebsmittel dem Erwerber in die Lage versetzen, an diesem Standort den Betrieb fortzuführen, ist es somit unerheblich, ob dieser Betrieb allenfalls nur einen organisatorisch selbständigen Teilbetrieb und nicht den Hauptbetrieb des Betriebsvorgängers darstellte, und der Betriebsvorgänger an einem anderen Standort mit anderen Betriebsmitteln einen Betrieb führte.

Zum Beschwerdevorbringen, die belangte Behörde hätte nähere Erhebungen bezüglich des Bestandverhältnisses durch Beischaffung des Räumungsaktes sowie Einvernahme der Hauptmieterin durchführen müssen, ist festzustellen, daß die belangte Behörde ohnedies davon ausgegangen ist, daß der Bestandvertrag nicht zwischen dem Betriebsvorgänger und der Beschwerdeführerin abgeschlossen wurde, sondern zwischen der Beschwerdeführerin und EN. Da die belangte Behörde somit ohnedies den Ausführungen der Beschwerdeführerin gefolgt ist, erübrigten sich diesbezüglich weitere Ermittlungen. Da es nicht erforderlich ist, daß alle Betriebsmittel erworben werden, war auch der Umstand, daß das Lokal von dritter Seite in Bestand genommen wurde, nicht geeignet, eine Betriebsnachfolge auszuschließen.

Das Beschwerdevorbringen, die belangte Behörde habe sich mit der Höhe der aushaftenden Beträge nicht auseinandergesetzt, widerspricht der Aktenlage. So wurde am 2. Februar 1988 eine Niederschrift mit HP und eine mit Dr. H als Vertreterin der mitbeteiligten Partei bezüglich der Höhe der aushaftenden Beträge durchgeführt. Eine Abschrift dieser beiden Niederschriften sowie des Rückstandsausweises wurden der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 2. Februar 1988, zugestellt zu Handen der ausgewiesenen Vertreterin am 4. Februar 1988, zur Kenntnis gebracht. Eine weitere Stellungnahme der Beschwerdeführerin zur Höhe der aushaftenden Beträge erfolgte sodann nicht mehr. Daß die belangte Behörde nicht in der Lage gewesen sei, die geforderten Beträge in nachvollziehbarer Weise aufzuschlüsseln, hätte die Beschwerdeführerin allenfalls im Verfahren geltend machen müssen; es wird jedoch nicht einmal in der Beschwerde dargetan, auf Grund welcher Umstände die Höhe der vorgeschriebenen Beiträge unrichtig sein sollte. Der Verwaltungsgerichtshof ist daher nicht in der Lage, eine Rechtswidrigkeit bei der Ermittlung der vorgeschriebenen Beiträge durch die belangte Behörde zu erkennen.

Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 26. September 1989

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