VwGH 94/01/0741

VwGH94/01/074128.6.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Händschke, Dr. Dolp und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des N in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 2. Februar 1994, Zl. UVS-02/32/00050/93-23, betreffend Abgabe von Schüssen und Behinderung der ärztlichen Behandlung am 31. Juli 1993 durch ein Organ der Bundespolizeidirektion Wien (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), beschlossen und zu Recht erkannt:

Normen

AVG §59 Abs1;
AVG §67a Abs1 Z2;
AVG §67c Abs1 Z2;
AVG §67c Abs1;
AVG §67c Abs3;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
B-VG Art131 Abs1 Z1;
B-VG Art131a Abs1 Z1;
B-VG Art144 Abs3;
VwGG §26 Abs1;
VwGG §28 Abs1 Z4;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §34 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
AVG §59 Abs1;
AVG §67a Abs1 Z2;
AVG §67c Abs1 Z2;
AVG §67c Abs1;
AVG §67c Abs3;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
B-VG Art131 Abs1 Z1;
B-VG Art131a Abs1 Z1;
B-VG Art144 Abs3;
VwGG §26 Abs1;
VwGG §28 Abs1 Z4;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §34 Abs2;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird, soweit sie die Abweisung der an die belangte Behörde gerichteten Beschwerde hinsichtlich der Abgabe der ersten beiden Schüsse betrifft, zurückgewiesen, im übrigen jedoch als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 2. Februar 1994 wurde über die Beschwerde des Beschwerdeführers, "mit der er behauptet, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterzogen zu werden, infolge Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, nämlich infolge Abgabe von Schüssen, wobei er durch einen Schuß an der rechten Hand schwer verletzt worden sei, und infolge Behinderung der ärztlichen Behandlung durch ein Organ der Bundespolizeidirektion Wien" am 31. Juli 1993 "verletzt worden zu sein," nach Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung wie folgt entschieden:

"Die Beschwerde wird, insoweit mit ihr die Verletzung des Art. 3 MRK durch Abgabe der ersten beiden Schüsse behauptet wird, als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerde wird, insoweit mit ihr die Verletzung des Art. 3 MRK durch die Abgabe des dritten Schusses, durch den der Beschwerdeführer getroffen wurde, behauptet wird, als unzulässig zurückgewiesen.

Die Beschwerde wird, insoweit mit ihr die Veletzung des Art. 3 MRK durch Behinderung der ärztlichen Behandlung behauptet wird, als unzulässig zurückgewiesen."

Weiters wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 79a AVG der Ersatz von Kosten auferlegt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 26. September 1994,

B 930/94, nach Ablehnung ihrer Behandlung abgetretene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. In der zunächst an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wurde zwar bei Bezeichnung des Beschwerdegegenstandes erklärt, gegen den betreffenden Bescheid der belangten Behörde Beschwerde zu erheben, und abschließend, ebenfalls ohne Einschränkung, der Antrag gestellt, diesen Bescheid "wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte als verfassungswidrig aufzuheben". In Ausführung der Beschwerdegründe hat aber der Beschwerdeführer ausschließlich die Verletzung seines Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art. 83 Abs. 2 B-VG insoweit geltend gemacht, als ihm durch die Zurückweisung der Beschwerde als unzulässig (hinsichtlich der Abgabe des dritten Schusses und der Behinderung der ärztlichen Behandlung) eine Sachentscheidung verweigert worden sei. Daraus ergibt sich - wenn auch nicht ausdrücklich, so doch auf schlüssige Weise - zweifelsfrei, daß der Beschwerdeführer den gegenständlichen Bescheid der belangten Behörde innerhalb der Beschwerdefrist nicht auch hinsichtlich des Punktes, in dem seine Beschwerde als unbegründet abgewiesen worden ist (Abgabe der ersten beiden Schüsse), bekämpft hat. Wenn sich nun demgegenüber in dem nach Abtretung der Beschwerde erstatteten ergänzenden Schriftsatz die ausdrückliche Erklärung findet, daß dieser Bescheid "seinem gesamten Umfang nach angefochten wird", und er in diesem Sinne Ausführungen zu allen die Beschwerde erledigenden, voneinander trennbaren Punkten enthält, so erweist sich die damit vom Beschwerdeführer im Rahmen der Sukzessivbeschwerde vorgenommene Ausdehnung des Streitgegenstandes als unzulässig, was zur Folge hat, daß in Ansehung des nachträglich erweiterten Streitgegenstandes der Behandlung der Beschwerde das Prozeßhindernis der Versäumung der Beschwerdefrist entgegensteht (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Februar 1992, Zl. 91/10/0238).

Die Beschwerde war somit, soweit sie die Abweisung der an die belangte Behörde gerichteten Beschwerde hinsichtlich der Abgabe der ersten beiden Schüsse betrifft, in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat schon aus diesem Grunde gemäß § 34 Abs. 1 und 3 leg. cit. ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung - und demnach ohne Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung - zurückzuweisen, wozu noch kommt, daß im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer in seiner zugrundeliegenden Beschwerde lediglich die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht hat und darüber in diesem Punkt von der belangten Behörde bescheidmäßig abgesprochen (und nicht, wie in den beiden übrigen Punkten, eine Sachentscheidung verweigert) wurde, nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes diesbezüglich ein weiterer Zurückweisungsgrund vorliegen würde (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 23. Februar 1994, Zl. 93/01/0456, und den Beschluß vom 20. Mai 1994, Zl. 93/01/0741).

2. Was die "Abgabe des dritten Schusses" anlangt, so hat die belangte Behörde als erwiesen angenommen, daß dieser Schuß aus der Dienstwaffe des betreffenden Polizeibeamten nicht gezielt auf den Beschwerdeführer abgegeben wurde, sondern sich aus der Dienstwaffe löste, als der Beamte - im Zuge der Verfolgung des Beschwerdeführers wegen des Verdachtes des versuchten Einbruchsdiebstahles und der boshaften Sachbeschädigung an mehreren Kraftfahrzeugen nach Abgabe der beiden ersten, von der belangten Behörde als Warnschüsse gewerteten Schüsse - zu Sturz kam. Es habe sich demnach um ein nicht vorhersehbares Ereignis, also um einen Unglücksfall gehandelt, und der Beamte habe, da er "überhaupt keinen willentlichen Entschluß zur Abfeuerung eines dritten Schusses gefaßt" habe, keine unmittelbare Befehls- und Zwangsgewalt ausgeübt.

Der Beschwerdeführer meint, daß die Zurückweisung seiner Beschwerde bereits deshalb rechtlich verfehlt sei, weil die belangte Behörde "damit eine Entscheidungsform wählte, welche für die "Nichtstattgebung" aus formalrechtlichen Gründen vorgesehen ist", sie hingegen in Wirklichkeit "eine Entscheidung über Beweiswürdigungsfragen traf und damit in merito entschied". Dem Beschwerdeführer ist entgegenzuhalten, daß ein damit von ihm behaupteter Widerspruch zwischen Spruch und Begründung des angefochtenen Bescheides nicht besteht. Ist die belangte Behörde zutreffend davon ausgegangen, daß kein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vorgelegen sei, so mangelte es an einem tauglichen Beschwerdegegenstand (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis vom 23. Februar 1994, Zl. 93/01/0456). Die Zurückweisung der Beschwerde ist daher - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - aus formalen Gründen erfolgt (ebenso wie wenn eine Beschwerde gegen die Erledigung einer Verwaltungsbehörde zufolge fehlender Bescheidqualität zurückzuweisen wäre), woran der Umstand, daß es hiefür der Feststellung eines bestimmten Sachverhaltes aufgrund einer Beweiswürdigung bedurfte, um daraus die erforderlichen Schlüsse ziehen zu können, nichts zu ändern vermag.

Auch der Auffassung des Beschwerdeführers, es habe sich ungeachtet dessen, daß (nach den von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen) der Polizeibeamte in diesem Falle nicht "mit Absicht" von seiner Schußwaffe Gebrauch gemacht habe, um die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gehandelt, kann nicht beigepflichtet werden. Der Beschwerdeführer begründet seine Ansicht damit, daß "der dritte Schuß vom einschreitenden Sicherheitswachebeamten im Zuge der Androhung unmittelbaren Schußwaffeneinsatzes abgefeuert wurde und damit einen Teil der bereits mit Androhung der unmittelbaren Ausübung physischen Zwanges eingesetzten Zwangsgewalt darstellt". "Die Auslösung eines Schusses - auf welche Art und Weise auch immer -" könne "nicht losgelöst von dieser Verfolgungshandlung und der damit eingesetzten Zwangsgewalt beurteilt werden", sondern bilde "einen Bestandteil des damit verwirklichten "verfahrensfreien Verwaltungsaktes"". "Die Bereitschaft zur Abgabe weiterer lebensgefährdender Schüsse nach Abfeuerung von zwei "Schreckschüssen"" sei "während der gesamten Verfolgung aufrecht erhalten" worden, und es sei "die "Loslösung" eines dritten Schusses ohne die Bereithaltung dazu nicht möglich" gewesen. Der Beschwerdeführer übersieht hiebei, daß er selbst nur die Abgabe von Schüssen in Beschwerde gezogen und nicht die gesamte "Verfolgungshandlung", in deren Verlauf die einzelnen Schüsse gefallen sind, als sogenannte faktische Amtshandlung, durch die er sich beschwert erachtet, angesehen hat. Durch die Verfolgung des Beschwerdeführers wurde auch noch kein unmittelbarer Zwang gegen ihn ausgeübt, sondern allenfalls erst durch verschiedene konkrete, bis zu ihrer Beendigung bzw. danach gesetzte und nicht zwangsläufig damit verbundene Maßnahmen. Nach der ständigen (zum früheren Art. 131a B-VG ergangenen und nunmehr auf den § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG anzuwendenden) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nur dann vor, wenn es keines dazwischengeschalteten weiteren Handelns mehr bedarf, um den behördlich gewollten Zustand herzustellen (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 28. April 1992, Zl. 91/11/0170, mit weiteren Judikaturhinweisen). War die Abgabe des dritten Schusses und demnach ein zwangsweiser Eingriff in Rechte des Beschwerdeführers nicht vom Willen des betreffenden Polizeibeamten umfaßt, so kann auch nicht davon die Rede sein, daß ein der Bundespolizeidirektion Wien (der belangten Behörde im Verfahren vor der nunmehr belangten Behörde) zurechenbares Handeln, dem normativer Charakter zukäme und daher mit Beschwerde bekämpft werden könnte, vorgelegen sei.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die Feststellung der belangten Behörde, daß der genannte Polizeibeamte gestürzt sei. Er wendet sich aber gegen die aufgrund ausführlicher Beweiswürdigung erfolgte Annahme der belangten Behörde, daß sich bei diesem Sturz unabsichtlich ein Schuß, durch den er schließlich an einer Hand getroffen wurde, gelöst habe, indem er geltend macht, daß dies technisch gar nicht möglich gewesen sei. Diesbezüglich beruft er sich auf einen von ihm im Verfahren vor der belangten Behörde vorgelegten "Waffentest" in der Fachzeitschrift "Internationaler Waffen-Spiegel" Nr. 5/82, woraus hervorgehe, daß die vom Beamten verwendete Dienstwaffe "als absolut fall- und stoßsicher und unbeabsichtigte Schußauslösung beim Hantieren ausschließende Waffentype gilt". Die belangte Behörde hat sich zwar in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht eigens damit auseinandergesetzt, weist aber in ihrer Gegenschrift zutreffend darauf hin, daß sie bei ihrer Beweiswürdigung sowohl dem Umstand Beachtung geschenkt habe, daß der Beamte in seiner Zeugenaussage erklärt habe, er könne nicht angeben, ob er mit der Waffe zuerst auf den Boden aufgeprallt oder der Schuß schon vorher gefallen sei und er sicherlich mit dem Finger instinktiv einen Druck ausgeübt haben müsse, als auch, daß dies als "Abwehrreaktion" nicht den Erfahrungen des täglichen Lebens widerspreche, und daß das "Testergebnis", wonach bei dieser Waffe "der Abzug nur betätigt werden kann, wenn er von vorn gedrückt wird", "nichts anderes ergeben hat". In diesem Sinne hat die belangte Behörde schon in der Begründung des angefochtenen Bescheides den Antrag des Beschwerdeführers auf Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen "aus dem Bereich Schußtechnik" abgelehnt, weil diesem Antrag die unrichtige Prämisse, der Beamte sei mit dem Finger vom Pistolenlauf abgerutscht, zugrundelag. Es ist daher auch die sich darauf beziehende Verfahrensrüge des Beschwerdeführers nicht berechtigt. In welcher Entfernung sich der Beamte vom Beschwerdeführer befunden hat, als sich dieser Schuß gelöst hat, ist bei der dargestellten Sach- und Rechtslage ohne Belang.

3. Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer behaupteten, von der belangten Behörde aber nicht als erwiesen angenommenen Behinderung seiner ärztlichen Behandlung erschöpfen sich die Beschwerdeausführungen im wesentlichen darin, daß sich die belangte Behörde auch diesbezüglich unzutreffend "der für formalrechtliche Entscheidungen vorbehaltenen Form bedient" habe, weil "die "Nichtstattgebung" der Beschwerde auf (darüber hinaus unzutreffender) Beweiswürdigung beruht". Daß diese Rechtsansicht des Beschwerdeführers verfehlt ist, wurde bereits dargelegt. Im übrigen hat der Beschwerdeführer eine Begründung dafür, wieso die Beweiswürdigung in diesem Punkt "unzutreffend" sei, nicht gegeben, und es ist auch für den Verwaltungsgerichtshof - unter Berücksichtigung der ihm zustehenden Prüfungsbefugnis (vgl. u.a. das insoweit in Slg. Nr. 11894/A nicht veröffentlichte Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) - nicht erkennbar, daß sie einer näheren Überprüfung auf ihre Rechtmäßigkeit nicht standhalten würde.

4. Da sich somit die Beschwerde in Ansehung der Zürckweisung der an die belangte Behörde gerichteten Beschwerde (Punkte 2. und 3.) als unbegründet erweist, war sie in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte diesbezüglich gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich insgesamt auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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