Spruch:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Der Spruch des Bescheides des Finanzamtes Graz-Stadt vom 27. Oktober 1988 wird hinsichtlich des Zeitraumes ab dem 1. Dezember 1988 dahingehend abgeändert, daß er wie folgt zu lauten hat:
Ab 1. Dezember 1988 wird der Antrag des WR auf Gewährung der Familienbeihilfe abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 27. Oktober 1988 gab die Abgabenbehörde erster Instanz einem Antrag der Ehegattin des Beschwerdeführers vom 1. August 1988 auf Gewährung der Familienbeihilfe für das zu deren gemeinsamen Haushalt gehörige Kind AR für die Zeit ab 1. Dezember 1988 statt. Zugleich stellte die Abgabenbehörde fest, daß ab diesem Zeitpunkt dem Beschwerdeführer die Familienbeihilfe nicht mehr gebühre und sein Antrag vom 10. März 1975 daher hinsichtlich des genannten Kindes abgewiesen werde. Die Begründung des Bescheides stützt sich auf § 11 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, wonach die überwiegende Pflege eines Kindes den vorrangigen Anspruch auf Familienbeihilfe begründe.
In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung (datiert mit 1. Dezember 1988, eingebracht beim Finanzamt am 29. November 1988) machte der Beschwerdeführer zunächst geltend, daß mangels leserlicher Unterschrift des Bescheides der Name des "Genehmigenden" nicht festgestellt werden könne und damit ein "Nicht-Bescheid" vorliege. Weil der "Bescheid" nicht ihm, sondern seinem Vater zugestellt worden sei, läge auch wegen "Fehlers der Postbehörde" keine ordnungsgemäße Zustellung vor. Weiters sei der Bescheiderlassung offenbar kein "ordentliches" Ermittlungsverfahren vorangegangen, insbesondere sei ihm zum Antrag der Gattin nicht das Parteiengehör gewährt worden. Er betone, daß er den Sohn überwiegend pflege und den Unterhalt fast zur Gänze aus seinen Mitteln bestreite. Da seine Ehegattin die Erziehung des Sohnes grob vernachlässigt habe, habe er beim Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz unter Zl. 20 P 192/88 die Übertragung der elterlichen Rechte und Pflichten beantragt. Das Verfahren sei - ebenso wie das laufende Scheidungsverfahren - noch offen. Er beantrage die Aufhebung des "Bescheides" vom 27. Oktober 1988 und - "nach ordnungsgemäß durchgeführtem Ermittlungsverfahren unter Wahrung des Parteiengehörs" - die Abweisung des Antrages seiner Gattin sowie die Weitergewährung der Familienbeihilfe bis zur rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über die Ausübung der elterlichen Rechte und Pflichten.
Aktenkundig sind sodann ein im erwähnten pflegschaftsgerichtlichen Verfahren erstattetes "kinderpsychiatrisch-psychologisches Gutachten" vom 14. November 1988 und ein ebenfalls hiezu erstatteter Bericht des Magistrates Graz (Amt für Jugend und Familie) vom 7. November 1988. Das Gutachten kommt zu dem Schluß, daß hinsichtlich A.R. kein Erziehungsnotstand seitens der Mutter vorliege, allerdings eine massive Konfliktsituation zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Sohn bestehe. Der Beschwerdeführer sei mit dem Erziehungsstil seiner Gattin nicht einverstanden und es solle ihm das Sorgerecht nur deshalb zuerkannt werden, um seinen Sohn in einem Stiftsgymnasium "unterbringen" zu können. Selbst betreuen und versorgen könne der Beschwerdeführer aufgrund seiner Berufstätigkeit den Minderjähren nicht. Aufgrund der erhobenen Familiensituation sei nach Ansicht der Gutachterin der Antrag auf Übertragung des Sorgerechtes abzulehnen. Im Bericht des Magistrates Graz ist ebenfalls davon die Rede, daß keine Gründe vorlägen, die es rechtfertigten, der Kindesmutter die elterlichen Rechte hinsichtlich A.R. abzuerkennen. Angeschlossen waren dazu Berichte über bei der Familie durchgeführte Hausbesuche, bei denen keine Vernachlässigung der Erziehung und des Haushaltes durch die Kindesmutter festgestellt wurde.
Mit Vorhalt vom 14. Februar 1989 ersuchte die Abgabenbehörde erster Instanz den Beschwerdeführer bezüglich Berufungserledigung bekanntzugeben bzw. persönlich darzustellen, welche Tatsachen dafür sprächen, daß er den Sohn überwiegend pflege. Nachdem dieser dem Beschwerdeführer am 20. Februar 1989 zugestellte Vorhalt unbeantwortet geblieben war, erging am 6. April 1989 neuerlich ein diesbezügliches Ergänzungsersuchen des Finanzamtes (Zustellung an den Beschwerdeführer am 18. April 1989). Auch dieser Vorhalt blieb unbeantwortet.
Mit Berufungsvorentscheidung vom 12. Mai 1989 wies die Abgabenbehörde erster Instanz die Berufung des Beschwerdeführers als unbegründet ab. Im Sinne des § 11 Familienlastenausgleichgesetz 1967 sei zu prüfen gewesen, welcher Elternteil tatsächlich den Sohn überwiegend pflege. Maßgebend sei, wer das Kind tatsächlich betreue und somit die Wahrung des körperlichen und geistigen Wohles und der Gesundheit des Kindes übernommen habe. Die Gattin sei lediglich halbtägig berufstätig, daher schon zeitlich mehr in der Lage, das Kind zu betreuen. Außerdem führe sie den Haushalt, koche, wasche und komme für alle anderen Bedürfnisse des Sohnes auf. Nach den Aussagen der Gattin sei der Beschwerdeführer auch öfters nicht zu Hause, sodaß die überwiegende Pflege zweifelsfrei - schon zeitlich gesehen - durch die Mutter wahrgenommen werde. An der überwiegenden Pflege durch die Mutter könne auch die derzeitige Unterbringung dreimal wöchentlich in einem Tagesheim nichts ändern. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung der elterlichen Rechte und Pflichten sei mit Beschluß des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 29. Dezember 1988 zurückgewiesen worden. Aufgrund der Aussagen der Mutter und den dem Amt zugänglichen Unterlagen könne geschlossen werden, daß für das Wohl des Kindes überwiegend die Mutter beitrage.
Am 9. Juni 1989 stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Entscheidung über seine Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz. Er verweise nochmals auf seine ausführliche Berufungsbegründung und insbesondere den mangelnden Bescheidcharakter der Entscheidung vom 27. Oktober 1988, worauf in der Berufungsvorentscheidung nicht eingegangen worden sei.
Am 13. Februar 1990 brachte der Beschwerdeführer Säumnisbeschwerde gemäß Art. 132 B-VG gegen die belangte Behörde ein, weil diese mehr als sechs Monate über seine Berufung nicht entschieden und damit ihre Entscheidungspflicht verletzt habe.
Nachdem der Verwaltungsgerichtshof über diese Säumnisbeschwerde gemäß § 35 Abs. 3 VwGG das Vorverfahren eingeleitet hatte, wies die belangte Behörde die Berufung mit Berufungsentscheidung vom 17. Juli 1990, GZ B 188-4/89, als unbegründet ab.
Gegen diese Berufungsentscheidung erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gemäß Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG, weil ihm dieser Bescheid erst am 4. September 1990 und damit außerhalb der vom Verwaltungsgerichtshof der säumigen Behörde aufgetragenen Frist nach § 36 Abs. 2 VwGG zugestellt worden sei.
Daraufhin hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 22. Oktober 1991, 90/14/0218, die angefochtene Berufungsentscheidung wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde auf.
Einem Antrag auf Wiederaufnahme des mittlerweile mit Beschluß vom 7. September 1990, 90/14/0036, abgeschlossenen Säumnisbeschwerdeverfahrens gab der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß vom 28. Jänner 1992, 91/14/0237, gemäß § 45 Abs. 1 Z. 5 VwGG Folge.
Über die Berufung hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Gemäß § 96 BAO müssen alle schriftlichen Ausfertigungen der Abgabenbehörden die Bezeichnung der Behörde enthalten sowie mit Datum und - soweit an deren Stelle nicht die Beglaubigung tritt - mit der Unterschrift dessen versehen sein, der die Erledigung genehmigt hat.
Der angefochtene Bescheid vom 27. Oktober 1988 des Finanzamtes Graz-Stadt weist auf dem Unterschriftsfeld die für eine Unterschrift erforderlichen charakteristischen Merkmale eines individuellen Namenszuges auf. Daß die Unterschrift des einen Bescheid Genehmigenden lesbar sein muß, fordert - im Gegensatz zur Ansicht des Beschwerdeführers - die BAO nicht (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Februar 1987, 85/15/0350, 0351). Da auch nichts dafür spricht, daß der den angefochtenen Bescheid Genehmigende als unzuständiges Organ des Finanzamtes tätig geworden sein könnte, liegt ein den gesetzlichen Formerfordernissen entsprechender Bescheid vor. Der Bescheid ist dem Beschwerdeführer unbestritten tatsächlich zugekommen, sodaß allfällige Zustellmängel nach § 7 Zustellgesetz als geheilt anzusehen sind.
Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im § 2 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 genanntes Kind hat nach dem zweiten Absatz dieser Bestimmung jene Person, zu deren Haushalt das Kind gehört.
"Sache" des Erkenntnisses ist die Frage der Gewährung der Familienbeihilfe für A.R. ab dem 1. Dezember 1988. Eine diesbezügliche Eingrenzung des Verfahrensthemas hat der Berufungsantrag des nunmehrigen Beschwerdeführers gebracht, welcher auf die "Weitergewährung" der Familienbeihilfe über den 1. Dezember 1988 hinaus gerichtet war.
§ 11 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (zuletzt in der Fassung des BGBl. Nr. 646/1977 - § 11 des Familienlastenausgleichsgesetz 1967 ist nach § 50a Abs. 5 leg. cit. in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 367/1991 mit 31. Dezember 1991 außer Kraft getreten) bestimmte, daß die Familienbeihilfe im Falle konkurrierend erhobener Ansprüche beider Elternteile, zu deren gemeinsamen Haushalt das Kind gehört, jenem Elternteil zu gewähren ist, der das Kind überwiegend pflegt. Welcher der Anspruchswerber als jener anzusehen ist, der das Kind überwiegend pflegt, ist eine von der Behörde zu lösende Tatfrage (siehe das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Dezember 1993, 91/13/0174). Zum Begriff der Pflege ist auf das Zivilrecht zu verweisen, welches darunter besonders die Wahrung des körperlichen Wohles und der Gesundheit sowie die unmittelbare Aufsicht versteht (vgl. § 146 Abs. 1 ABGB sowie Burkert-Hackl-Wohlmann-Galetta, Kommentar zum Familienlastenausgleich, Kommentar zum § 11). Eine rückwirkende Gewährung der Familienbeihilfe war nach dem zweiten Satz des § 11 Abs. 1 leg. cit. nur für Zeiträume zulässig, für die die Familienbeihilfe für das Kind noch von keinem Anspruchsberechtigten bezogen worden war.
Ab dem 1. Jänner 1992 regelt § 2a Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (in der Fassung BGBl. Nr. 367/1991) die Konkurrenzsituation dahingehend, daß der Anspruch des Elternteiles, der den Haushalt überwiegend führt, dem Anspruch des anderen Elternteiles vorgeht. Bis zum Nachweis des Gegenteiles wird vermutet, daß die Mutter den Haushalt überwiegend führt.
Daß die Ehegattin des Beschwerdeführers die Pflege des Sohnes nicht vernachlässigt hat, vielmehr für diese überwiegend aufgekommen ist und den Haushalt überwiegend geführt hat, wird durch die aktenkundigen Unterlagen aus dem Pflegschaftsverfahren (insbesondere das kinderpsychiatrisch-psychologische Gutachten und die Protokolle zweier Hausbesuche von Diplomsozialarbeitern) eindeutig bestätigt. Demgegenüber hat der Beschwerdeführer trotz zweimalig gebotener Gelegenheit zum Parteiengehör (Vorhalte vom 14. Februar und 6. April 1989) keine für seinen Standpunkt sprechenden Umstände vorgebracht. Auch die in der Berufungsvorentscheidung unter Hinweis auf Aussagen der Ehegattin enthaltenen Sachverhaltsfeststellungen betreffend überwiegende Pflege des Kindes und Haushaltsführung durch die Ehegattin hat der Beschwerdeführer in seinem Vorlageantrag nicht weiter bekämpft, obwohl es an ihm gelegen gewesen wäre, sich mit diesen Feststellungen auseinanderzusetzen und diese gegebenenfalls zu widerlegen (vgl. dazu und zur Bedeutung einer Berufungsvorentscheidung als Vorhalt im Sinne des § 183 Abs. 4 BAO das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. April 1989, 88/16/0243, 0244, mit Hinweisen auf Vorjudikatur).
Damit erweist sich aber der Berufungsantrag des Beschwerdeführers auf "Weitergewährung" der Familienbeihilfe über den 1. Dezember 1988 hinaus als unbegründet.
Zum Berufungsvorbringen, der Beschwerdeführer beziehe die Familienbeihilfe aufgrund der "seinerzeitigen, inzwischen rechtskräftigen Entscheidung" ist zu sagen, daß den Eintragungen in der Familienbeihilfenkarte gemäß § 13 Abs. 4 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 die Wirkung rechtskräftiger Bescheide nicht zukommt.
Änderungen des Sachverhaltes wurden vom Beschwerdeführer trotz seiner Mitwirkungspflicht nicht behauptet. Es kann daher davon ausgegangen werden, daß wesentliche Sachverhaltsänderungen bis zur Schöpfung des Erkenntnisses nicht eingetreten sind.
Eine positive Entscheidung über den Familienbeihilfenantrag der Ehegattin des Beschwerdeführers war nicht in Bescheidform zu treffen (§ 13 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967). Der erstbehördliche Bescheidabspruch war daher so richtigzustellen, daß er einen solchen Ausspruch nicht enthält.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers
BGBl. Nr. 104/1991.
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