Normen
ABGB §6;
ASVG §42 Abs3;
ASVG §44 Abs1 Z1;
ASVG §44 Abs2;
ASVG §44 Abs3;
ASVG §49 Abs1;
ASVG §44 PauschV Trinkgelder Friseurgewerbe NÖ 1990;
AVG §46;
VwRallg;
ABGB §6;
ASVG §42 Abs3;
ASVG §44 Abs1 Z1;
ASVG §44 Abs2;
ASVG §44 Abs3;
ASVG §49 Abs1;
ASVG §44 PauschV Trinkgelder Friseurgewerbe NÖ 1990;
AVG §46;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die mitbeteiligte Niederösterreichische Gebietskrankenkasse verlautbarte in der Fachzeitschrift "Soziale Sicherheit" für Dezember 1989 unter der Nr. 111/1989 der amtlichen Verlautbarungen gemäß § 44 Abs. 3 ASVG die vom Verwaltungsausschuss am 17. August 1989 beschlossene und ab 1. Jänner 1990 wirksame "Festsetzung von Pauschalbeträgen für Trinkgelder (Trinkgeldpauschale) im Friseurgewerbe im Bundesland Niederösterreich" (im folgenden: Pauschalierungsverordnung). Punkt II. dieser Verordnung lautet:
"II. Höhe der Pauschalierung
1. Für Dienstnehmer, deren Beschäftigungsverhältnis für mindestens eine Woche vereinbart ist,
a) wenn deren Arbeitsverdienst nach Kalendermonaten bemessen oder abgerechnet wird, der Betrag von S 650,-- für den Kalendermonat, wobei dieser einheitlich mit 30 Tagen anzunehmen ist,
b) ansonsten der Betrag von S 150,-- für die Kalenderwoche;
2. für teilzeitbeschäftigte Dienstnehmer, wenn deren wöchentliche Arbeitszeit unter der Normalarbeitszeit liegt, der der tatsächlichen wöchentlichen Arbeitszeit entsprechende aliquote, auf volle Schilling gerundete Teilbetrag der unter Punkt 1 lit. a) bzw. lit. b) angeführten Beträge;
3. für tageweise Vollbeschäftigte sowie als ständige Wochenendaushilfen tätige Dienstnehmer der Betrag von S 30,-- für jeden Arbeitstag;
4. für tageweise Teilzeitbeschäftigte und als ständige Wochenendaushilfen teilzeitbeschäftigte Dienstnehmer der der tatsächlichen täglichen Arbeitszeit entsprechende aliquote, auf volle Schilling gerundete Teilbetrag des unter Z 3 angeführten Betrages;
5. für Lehrlinge, wenn die Lehrlingsentschädigung nach Kalendermonaten bemessen oder abgerechnet wird, der Betrag von
S 195,-- für den Kalendermonat, ansonsten der Betrag von
S 45,-- für die Kalenderwoche."
Mit Bescheid vom 22. Juli 1991 verpflichtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse den Beschwerdeführer zur Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen in der Höhe von S 5.241,43 mit der Begründung, daß er zu Unrecht für Zeiten, in denen seine Dienstnehmer bzw. Lehrlinge wegen Urlaubs bzw. Berufsschulbesuches nicht im Betrieb anwesend gewesen seien, das Trinkgeldpauschale laut der Pauschalierungsverordung nicht dem beitragspflichtigen Entgelt hinzugerechnet und daher auch nicht der Beitragspflicht unterzogen habe.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Einspruch. Darin und in Äußerungen zu Stellungnahmen der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse während des Einspruchsverfahrens wandte er sich unter drei Gesichtspunkten gegen die Auffassung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse:
Erstens könne das Trinkgeld schon aufgrund der Entgeltdefinition in § 49 Abs. 1 ASVG für Zeiten des Urlaubs bzw. des Berufsschulbesuches kein beitragspflichtiges Entgelt darstellen, weil die Dienstnehmer bzw. Lehrlinge während dieser Zeiten weder einen Anspruch gegen den Beschwerdeführer als Arbeitgeber auf Weiterzahlung des Trinkgeldes noch aufgrund ihrer Abwesenheit von der Arbeit die Möglichkeit hätten, Trinkgelder von Dritten zu erhalten.
Zweitens sei zum Einwand der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse, daß schon bei der Festsetzung der Höhe des Trinkgeldpauschales berücksichtigt worden sei, daß kein Dienstnehmer 52 Wochen im Jahr Trinkgelder in Empfang nehmen könne, zu bemerken, daß § 44 Abs. 3 ASVG keinen eigenen Entgeltbegriff enthalte. Aufgrund dieser Bestimmung könnten zwar zur Verwaltungsvereinfachung Trinkgelder für die Bemessung der Beiträge pauschaliert werden; dadurch könne es auch zu Abweichungen der Beitragsgrundlage innerhalb einer bestimmten Bandbreite vom tatsächlich zufließenden Arbeitsverdienst kommen; Voraussetzung für ein solches Abweichen sei jedoch, daß jene Beträge, für die eine Pauschalierung vorgesehen sei, auch tatsächlich beitragspflichtiges Entgelt im Sinne der §§ 44 Abs. 1 und 49 ASVG seien. Die der Verwaltungsvereinfachung dienende Bestimmung des § 44 Abs. 3 ASVG dürfe aber nicht dazu herangezogen werden, den Entgeltbegriff des ASVG zu erweitern. Gleiches gelte auch für die von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse angeführte Bestimmung des § 46 Abs. 1 ASVG. Auch nach dieser Bestimmung dürften in die Beitragsgrundlage für die Abrechnung nach Lohnstufen nur jene Entgelte einbezogen werden, die tatsächlich beitragspflichtiges Entgelt darstellten. Diese ebenfalls der Verwaltungsvereinfachung dienende Bestimmung dürfe aber nicht dazu herangezogen werden, Beträge, die ein Dienstnehmer erhalte, die aber kein beitragspflichtiges Entgelt seien, dennoch in die Beitragsgrundlage einzubeziehen.
Drittens sei dem unter "zweitens" genannten Einwand der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse entgegenzuhalten, daß sie im Verfahren keinen Beweis für die Berücksichtigung dieses Umstandes bei der Festsetzung der Höhe des Trinkgeldpauschales habe bieten können und sich auch aus der Pauschalierungsverordnung selbst keinerlei Hinweis für eine solche Berücksichtigung ergebe. Ein Vergleich mit dem niedrigeren, unbestritten nicht für Zeiten der Krankheiten und des Gebührenurlaubes anzusetzenden Trinkgeldpauschale für Dienstnehmer im Gast-, Schank- und Beherbungsgewerbe in Niederösterreich spreche vielmehr gegen die von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse behauptete Mitberücksichtigung, weil erfahrungsgemäß die Trinkgelder im Friseurgewerbe nicht höher seien als jene im Gastgewerbe.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch keine Folge und bestätigte den bekämpften Bescheid. In der (auf die Stellungnahmen der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse gestützten) Bescheidbegründung verweist die belangte Behörde zunächst darauf, daß die Pauschalierungsverordnung auf dem Wortlaut eines gemeinsam von der Bundesinnung der Friseure und der Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, Persönlicher Dienst erarbeitenden Entwurfes beruhe. Bei der Festsetzung der einzelnen Wertansätze durch die Interessenvertretungen sei berücksichtigt worden, daß kein Dienstnehmer 52 Wochen im Jahr Trinkgelder in Empfang zu nehmen vermöge. Damit solle eine Verwaltungsvereinfachung bewirkt werden, weshalb die Trinkgeldpauschalen unter Bedachtnahme auf jene Zeiten, in denen es für den Dienstnehmer ausgeschlossen sei, Trinkgelder zu erhalten, in den nunmehr in Geltung stehenden Ausmaßen festgelegt worden seien. Daraus ergebe sich, daß das in Rede stehende Pauschale auch für Lohnzeiträume, in welchen Urlaub bzw. Pflegefreistellung beantragt worden sei, oder in denen der Lehrling die Berufsschule besuche, genauso anwendbar sei wie für die übrigen Zeiträume. Hiebei sei mit der "Festsetzung der einzelnen Wertansätze durch die Interessenvertretungen" gemeint, daß sie bei der Festlegung der einzelnen Pauschalbeträge im Rahmen ihres Anhörungsrechtes nach § 44 Abs. 3 ASVG eine entscheidende Mitwirkungsfunktion gehabt hätten und sie dabei das Trinkgeldpauschale in der letztlich beschlossenen und verlautbarten Form akzeptiert hätten. Bei dieser Festsetzung sei aber bereits das Faktum, daß kein Dienstnehmer 52 Wochen im Jahr Trinkgelder in Empfang zu nehmen vermöge, berücksichtigt worden. Nur dort, wo derartige Überlegungen in die Festlegung eines Pauschalausmaßes nicht eingeflossen seien, seien, wie dies im Bereich des Gast-, Schank- und Beherbergungsgewerbes auch erfolgt sei, konkrete Ausnahmebestimmungen zu treffen. Zum Einwand einer Erweiterung des Entgeltbegriffs im Sinne des § 49 ASVG durch die Pauschalierung der Trinkgelder sei zu bemerken, daß § 44 Abs. 3 ASVG im Zusammenhang mit dem sozialversicherungsrechtlichen Beitragssystem zu sehen sei. Die Beitragsberechnung erfolge grundsätzlich einkommensorientiert, wobei eben § 44 Abs. 3 ASVG auf das engste mit dem am Arbeitsverdienst anknüpfenden Beitragsrecht in Verbindung stehe. Daß sich der Gesetzgeber hier exakt am tatsächlich zustehenden und bezogenen Entgelt anlehne, zeigten die Bestimmungen über den sozialversicherungsrechtlichen Entgeltbegriff, insbesondere § 49 ASVG. Daß im Bereich der Arbeitsverdienste Modifizierungen zu finden seien, habe freilich zwei Ursachen, nämlich zum einen die Berechnungsvereinfachung, zum anderen Maßnahmen zur Hintanhaltung von Störungen in der Erfüllung sozialversicherungsrechtlicher Pflichten. Folgerichtig ergebe sich daraus, daß von der in § 44 Abs. 3 ASVG normierten Ermächtigung die Krankenversicherungsträger insbesondere dann Gebrauch machten, wenn die laufende Erfassung der tasächlichen Bezüge wegen deren ständig wechselnder Höhe allzu großen Schwierigkeiten begegne. Das Abweichen der Beitragsgrundlagen innerhalb einer bestimmten Bandbreite vom tatsächlich zufließenden Arbeitsverdienst bzw. von den tatsächlich bezogenen Leistungen sei hiebei eine logische Konsequenz, zumal andernfalls die angestrebte Verwaltungsvereinfachung nicht zustande käme. Ähnliche Auswirkungen fänden sich freilich auch bei der Ermittlung der Beitragsgrundlage nach Lohnstufen, wobei § 46 Abs. 1 ASVG gleichfalls ausdrücklich auf die Verwaltungsvereinfachung abstelle. All dies ändere aber nichts an der Tatsache, daß die nach § 44 Abs. 3 ASVG erfolgten Festsetzungen im Range einer Verordnung stünden, denen nach der Verlautbarung in der Fachzeitschrift "Soziale Sicherheit" verbindliche Wirkung zukämen und die allenfalls erst durch neuerliche Verlautbarungen außer Kraft gesetzt werden könnten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde, in der sich der Beschwerdeführer aus den schon im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Argumenten gegen die erfolgte Beitragsnachverrechung wendet.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 44 Abs. 1 erster Satz ASVG ist Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge (allgemeine Beitragsgrundlage) für Pflichtversicherte, sofern im folgenden nichts anderes bestimmt wird, der im Beitragszeitraum gebührende auf volle Schilling gerundete Arbeitsverdienst mit Ausnahme allfälliger Sonderzahlungen nach § 49 Abs. 2. Als Arbeitsverdienst in diesem Sinne gilt bei den pflichtversicherten Dienstnehmern und Lehrlingen nach § 44 Abs. 1 Z. 1 das Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1, 3, 4 und 6. Nach § 44 Abs. 2 ASVG umfaßt der Beitragszeitraum für Pflichtversicherte, deren Arbeitsverdienst nach Kalendermonaten bemessen oder abgerechnet wird, den Kalendermonat, wobei dieser einheitlich mit 30 Tagen anzunehmen ist, für die anderen Pflichtversicherten die Kalenderwoche, in die der Monatserste fällt und die folgenden vollen Kalenderwochen dieses Kalendermonates.
Nach § 44 Abs. 3 ASVG kann der Versicherungsträger nach Anhörung der in Betracht kommenden Interessenvertretungen der Dienstnehmer und der Dienstgeber festsetzen, daß bei bestimmten Gruppen von Versicherten, die üblicherweise Trinkgelder erhalten, diese Trinkgelder der Bemessung der Beiträge pauschaliert zugrunde zu legen sind. Die Festsetzung hat unter Bedachtnahme auf die durchschnittliche Höhe der Trinkgelder, wie sie erfahrungsgemäß dem Versicherten in dem betreffenden Erwerbszweig zufließen, zu erfolgen. Bei der Festsetzung ist auf Umstände, die erfahrungsgemäß auf die Höhe der Trinkgelder Einfluß haben (z.B. regionale Unterschiede, Standort und Größe der Betriebe, Art der Tätigkeit) Bedacht zu nehmen. Derartige Festsetzungen sind in der Fachzeitschrift "Soziale Sicherheit" zu verlautbaren und haben sodann verbindliche Wirkung.
Gemäß § 49 Abs. 1 ASVG sind unter Entgelt die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer (Lehrling) aus dem Dienst(Lehr)verhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus auf Grund des Dienst(Lehr)verhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält.
Aus dem Zusammenhalt der §§ 44 Abs. 1 Z. 1, Abs. 2 und § 49 Abs. 1 ASVG ergibt sich, daß in Fällen, in denen - wie unbestritten im Beschwerdefall - der Dienstnehmer bzw. Lehrling gegen den Dienstgeber bzw. Lehrberechtigten im Zusammenhang mit Trinkgeldern keine Rechtsansprüche, wie z.B. auf (teilweisen) Ersatz entfallender Trinkgelder oder auf garantierte Mindestbeträge an Trinkgeldern, hat (vgl. dazu Tomandl, Arbeitsrecht 2, 53 mit weiteren Literatur- und Judikaturhinweisen), jedenfalls bei Fehlen einer Pauschalierungsverordnung nach § 44 Abs. 3 ASVG (vgl. zur Qualifizierung als Rechtsverordnung das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Juni 1980, VfSlg. 8875, und den Kommentar zu dieser Entscheidung von Mayer in ZAS 1981, 149) in die allgemeine Beitragsgrundlage eines Beitragszeitraumes grundsätzlich nur Trinkgelder einzubeziehen sind, die ein Dienstnehmer bzw. Lehrling "auf Grund des Dienst(Lehr)verhältnisses" (vgl. zu dieser Wendung näher u.a. die Erkenntnisse vom 17. September 1991, Zl. 90/08/0004, und vom 17. November 1992, Zl. 92/08/0060) in diesem Beitragszeitraum von Dritten tatsächlich erhalten hat.
Kann deren Höhe aufgrund diesbezüglicher Ermittlungen nicht zweifelsfrei festgestellt werden, so kann sie der Versicherungsträger nach § 42 Abs. 3 letzter Satz ASVG bzw. der Landeshauptmann als Einspruchsbehörde nach § 46 AVG (vgl. dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 1964, Slg.Nr. 6525/A, und vom 27. Oktober 1983, Zl. 2742/80, und des Verfassungsgerichtshofes vom 13. März 1964, VfSlg. 4658) anhand von Schätzwerten ermitteln, wenn Trinkgelder in gleichartigen oder ähnlichen Betrieben üblich sind. Dies kann, so wie in allen Fällen von Schätzungen, dazu führen, daß das der Beitragsbemessung zugrunde gelegte Entgelt vom tatsächlich bezogenen abweicht; diese verfahrungsrechtliche Ermächtigung darf aber - unter Bedachtnahme auf den obgenannten Grundsatz - nicht so verstanden werden, daß damit auch für Zeiten, in denen der Dienstnehmer bzw. Lehrling gar keine Möglichkeit hat, Trinkgelder zu erhalten, wie z.B. in Zeiten des Urlaubs, der Krankheit, der Pflegefreistellung oder des Berufsschulbesuches, Trinkgelder der Beitragsbemessung zugrunde gelegt werden dürften.
Aber auch § 44 Abs. 3 ASVG enthält nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes keine Ermächtigung an den Versicherungsträger, bei Erlassung einer Pauschalierungsverordnung vom obgenannten Grundsatz in die Richtung abzuweichen, daß der Bemessung der allgemeinen Beiträge für einen Dienstnehmer bzw. Lehrling bezogen auf einen Beitragszeitraum auch dann pauschalierte Trinkgelder (zur Gänze) zugrunde gelegt werden dürften, wenn der betroffene Dienstnehmer bzw. Lehrling in diesem Zeitraum mangels Anwesenheit im Betrieb gar keine (nur teilweise die) Möglichkeit hatte, Trinkgelder zu erhalten. Es handelt sich bei dieser Bestimmung sowohl in der Stammfassung des ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, als auch in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung der 35. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 585/1980, vielmehr nur um eine der Verwaltungsvereinfachung dienende Vorschrift, mit der der Versicherungsträger zur Vermeidung aufwendiger Verfahren zur Ermittlung tatsächlich bezogener Trinkgelder von Versicherten in Fällen, in denen feststeht, daß diese Versicherten üblicherweise Trinkgelder erhalten, ermächtigt wird, unter Bedachtnahme auf näher angeführte Kriterien, die das Postulat nach einer größtmöglichen Nähe zum tatsächlichen Verdienst des einzelnen Versicherten aufzeigen ("erfahrungsgemäß ... in dem betreffenden Erwerbszweig zufließen", "erfahrungsgemäß auf die Höhe der Trinkgelder Einfluß haben"), die Höhe der zu berücksichtigenden Trinkgelder für Zeiten, in denen der Versicherte grundsätzlich die Möglichkeit hatte, Trinkgelder zu erhalten, mit Durchschnittssätzen festzusetzen (vgl. dazu die Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zum ASVG in der Stammfassung, 599 BlgNR 7.GP. Seite 24, die Erläuterungen der Regierungsvorlage zur 35. ASVG-Novelle,
535 BlgNR 15.GP. Seite 18, Krejci-Novak, Probleme der Trinkgeldpauschalierung (§ 44 Abs. 3 ASVG) im Gast-, Schank- und Beherbungsgewerbe, VersRd. 1979, 181, und das schon zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Juni 1980, VfSlg. 8875). Die von der belangten Behörde dargelegte Vorgangsweise läuft aber darauf hinaus, das in einem Kalenderjahr zu erwartende Trinkgeld auf 52 Wochen oder 12 Monate gleichmäßig über das ganze Jahr zu verteilen. Der Verwaltungsgerichtshof verkennt nicht, daß auch diese Vorgangsweise verwaltungsvereinfachend ist. § 44 Abs. 3 ASVG ermächtigt jedoch zwar zu einer zeitraumbezogenen Pauschalierung, nicht aber auch zur Durchschnittsberechnung nach anderen als den Beitragszeiträumen.
Pauschalierungsverordnungen nach § 44 Abs. 3 ASVG sind dementsprechend - entgegen der Auffassung der belangten Behörde und der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse - nicht nur bei ausdrücklicher Anordnung einer Ausnehmung von Nichtanwesenheitszeiten der Versicherten im Betrieb für solche Zeiten unanwendbar, sondern im Gegenteil schon dann im obgenannten Sinn gesetzeskonform zu interpretieren, wenn der Wortlaut der Pauschalierungsverordung in Verbindung mit ihrer gesetzlichen Grundlage zu diesbezüglichen Zweifeln keinen Anlaß gibt (vgl. dazu u.a. das Erkenntnis vom 4. Juli 1985, Zl. 84/08/0197, sowie OGH, RZ 1983, 190). Letzteres trifft auf die gegenständliche Pauschalierungsverordnung zu. Da es sich nämlich um eine nach § 44 Abs. 3 ASVG erfolgte "Festsetzung von Pauschalbeträgen für Trinkgelder im Friseurgewerbe im Bundesland Niederösterreich" handelt und die Verordnung keine Bestimmung enthält, wonach sie auch auf Nichtanwesenheitszeiten der betroffenen Dienstnehmer bzw. Lehrlinge anwendbar ist, gelten die festgesetzten Pauschalsätze für den Kalendermonat bzw. die Kalenderwoche in II. Z. 1 und 5 der Verordnung im konkreten Fall nur dann, wenn der betroffene Dienstnehmer oder Lehrling zufolge Anwesenheit im Betrieb auch die Möglichkeit hatte, Trinkgelder zu erwerben. Angesichts dieser vom Wortlaut und der Systematik her gebotenen Interpretation der Pauschalierungsverordnung ist die zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens kontroverse Frage, ob die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse als Verordnungsgeber und die angehörten Interessenvertretungen der Dienstnehmer und Dienstgeber von einer anderen Interpretation des § 44 Abs. 3 ASVG ausgingen und deshalb für Anwesenheitszeiten der betroffenen Dienstnehmer bzw. Lehrlinge zu niedrigere Durchschnittssätze festgelegt haben, für die Interpretation der Pauschalierungsverordnung unerheblich. Daß schließlich der Hinweis auf die ebenfalls der Verwaltungsvereinfachung dienende Bestimmung des § 46 Abs. 1 ASVG nicht geeignet ist, eine andere Interpretation des § 44 Abs. 3 ASVG und der darauf gestützten gegenständlichen Pauschalierungsverordnung zu begründen, hat schon der Beschwerdeführer zutreffend dargelegt; es genügt diesbezüglich auf die oben wiedergegebenen Einwände zu verweisen.
Aus den angeführten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)