VwGH 92/06/0192

VwGH92/06/01929.3.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Giendl, Dr. Müller und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Stöckelle, über die Beschwerde des B in S, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 19. August 1992, Zl. 03-12 Su 22 - 92/10, betreffend Parteistellung und Nachbareinwendungen in einer Bausache (mitbeteiligte Parteien: 1. WL in B, 2. EL in B, 3. Gemeinde X, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §3;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §8;
BauO Stmk 1968 §4 Abs3;
BauO Stmk 1968 §61 Abs1;
BauO Stmk 1968 §61 Abs2;
BauO Stmk 1968 §71a;
BauONov Stmk 1988 Art1 Z25;
BauRallg;
B-VG Art119a Abs5;
B-VG Art119a Abs8;
B-VG Art18 Abs2;
B-VG Art49 Abs1;
ROG Stmk 1974 §22;
ROG Stmk 1974 §29;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;
ABGB §3;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §8;
BauO Stmk 1968 §4 Abs3;
BauO Stmk 1968 §61 Abs1;
BauO Stmk 1968 §61 Abs2;
BauO Stmk 1968 §71a;
BauONov Stmk 1988 Art1 Z25;
BauRallg;
B-VG Art119a Abs5;
B-VG Art119a Abs8;
B-VG Art18 Abs2;
B-VG Art49 Abs1;
ROG Stmk 1974 §22;
ROG Stmk 1974 §29;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach der Aktenlage wurde auf (nunmehr im Eigentum des Beschwerdeführers stehenden) Grundstücken der KG X im Gemeindegebiet der mitbeteiligten Gemeinde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom 23. September 1947 die gewerbe- und baubehördliche Genehmigung für die Betriebsänderung der auf diesen Grundstücken befindlichen "Sägeanlage" durch Umstellung von Wasserantrieb auf elektrische Energie und mit Bescheid dieser Behörde vom 20. Juni 1949 für diese Betriebsumstellung die Benützungs- und Betriebsbewilligung erteilt. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom 20. Dezember 1965 wurde die bau- und gewerberechliche Bewilligung für den Zubau einer Halle erteilt.

Das Grundstück der erst- und zweitmitbeteiligten Parteien ist durch einen Bachlauf von diesen Betriebsflächen getrennt. Mit Widmungs- und Bauansuchen vom 18. Februar 1979 haben die erst- und zweitmitbeteiligten Parteien um die Widmungs- und Baubewilligung für die Errichtung eines Wohnhauses auf diesem Grundstück angesucht. In diesem Verfahren wurden die Rechtsvorgänger des Beschwerdeführers im Grundeigentum der Betriebsflächen des Sägewerkes nicht als Nachbarn beigezogen und es wurden ihnen auch die über das Ansuchen der erst- und zweitmitbeteiligten Parteien ergangenen Bescheide des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 23. September 1979 (Widmungsbewilligung) und 17. Oktober 1979 (Baubewilligung) nicht zugestellt. Mit Bescheid des Bürgermeisters vom 30. April 1984 wurde den erst- und zweitmitbeteiligten Parteien für ihr Wohnhaus die Benützungsbewilligung erteilt.

Im zeitlichen Zusammenhang mit Auseinandersetzungen zwischen dem Beschwerdeführer und den erst- und zweitmitbeteiligten Parteien betreffend die vom Sägewerk des Beschwerdeführers, insbesondere von einer neu errichteten Entrindungsanlage ausgehenden Lärmemissionen (der Landeshauptmann von Steiermark verfügte nach der Aktenlage im gewerbebehördlichen Verfahren mit Berufungsbescheid vom 2. Oktober 1991 u.a. die "Absiedlung des Betriebes ... innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren"), beantragte der Beschwerdeführer als übergangene Partei die Zustellung des Widmungsbewilligungsbescheides betreffend das Wohnhaus der erst- und zweitmitbeteiligten Parteien vom 23. September 1979 und des Baubewilligungsbescheides vom 17. Oktober 1979 und erhob (nach erfolgter Zustellung) gegen beide Bescheide Berufung; darin führte er im wesentlichen aus, daß die Verbauung der Grundstücke der erst- und zweitmitbeteiligten Parteien (ergänze wohl: mit einem Wohnhaus) im Hinblick auf sein im Nahbereich befindliches Sägewerk unzulässig gewesen sei, weil dadurch der Beschwerdeführer der Gefahr belastender Auflagen im Sinne des § 79 Gewerbeordnung ausgesetzt würde. Insbesondere verwies der Beschwerdeführer auf die "Immissionsschutzbestimmungen der Steiermärkischen Bauordnung", sowie der "Vollständigkeit halber" auf § 61 Abs. 2 lit. b, f und k der Steiermärkischen Bauordnung. Die Behörde hätte beachten müssen, daß der seit Jahrzehnten bestehende Betrieb "keine durchaus örtliche Belastung" (gemeint offenbar: keine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung) aufweise.

Mit Bescheid vom 24. Juni 1992 hat der Gemeinderat der mitbeteiligten Partei der Berufung des Beschwerdeführers stattgegeben und das Ansuchen der erst- und zweitmitbeteiligten Parteien um Erteilung der Widmungs- und Baubewilligung vom 18. Februar 1979 abgewiesen: Dazu wurde begründend ausgeführt daß es im Jahre 1979 verabsäumt worden sei, den Beschwerdeführer zur Widmungs- und Bauverhandlung einzuladen; somit sei wie im Spruch ausgeführt, zu entscheiden gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhoben die erst- und zweitmitbeteiligten Parteien Vorstellung, worin sie im wesentlichen geltend machten, daß die Berufungsbehörde nicht berechtigt gewesen sei, ihr Widmungs- und Bauansuchen ohne nähere Prüfung abzuweisen. Sie bestritten überdies die Nachbareigenschaft des Beschwerdeführers.

Mit Bescheid vom 19. August 1992 hat die belangte Behörde den Berufungsbescheid des Gemeinderates vom 24. Juni 1992 behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde verwiesen. In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde - nach einer Darstellung des bisherigen Verfahrensganges - u.a. aus, daß die Baubehörde II. Instanz im fortgesetzten Verfahren werde prüfen müssen, ob der Beschwerdeführer überhaupt Rechtsnachfolger der (seinerzeitigen) Grundstückseigentümerin (einer näher bezeichneten Agrargemeinschaft) sei; weiters werde zu prüfen sein, ob dieser Agrargemeinschaft im Widmungs- und Baubewilligungsverfahren im Jahre 1979 überhaupt Parteistellung zugekommen sei. In diesem Zusammenhang wies die belangte Behörde darauf hin, daß nach der Steiermärkischen Bauordnung Parteistellung jeder Liegenschaftseigentümer besitze, dessen Liegenschaft sich zu einem geplanten Bauvorhaben in einem solchen Naheverhältnis befinde, daß mögliche Rechtsverletzungen nicht auszuschließen seien. Hinsichtlich des Kreises der beizuziehenden Nachbarn komme es darauf an, um welches Bauvorhaben es sich handle. Es werde daher zu prüfen sein, ob der Beschwerdeführer als Eigentümer des Grundstückes Nr. nn/1 in einem solchen räumlichen Naheverhältnis zum Anwesen der erst- und zweitmitbeteiligten Parteien liege, daß mögliche Beeinträchtigungen seiner Rechtssphäre vom zu bewilligenden Objekt ausgehenden Emissionen nicht auszuschließen seien. Während im umgekehrten Falle die Parteistellung der erst- und zweitmitbeteiligten Parteien zu bejahen wäre, lasse sich dies im Gegenstandsfall nicht ohne weiteres beantworten. Es werde daher dem fortgesetzten Verfahren ein Sachverständiger hinzugezogen werden müssen, der schließlich darzulegen haben werde, ob hinsichtlich des Berufungswerbers ein solches räumliches Naheverhältnis vorliege, welches die Parteistellung begründe. Weiters führte die belangte Behörde aus, daß das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. September 1990, B 1368/67 (ergangen zur Wiener Bauordnung) von anderen Voraussetzungen (ergänze: als im vorliegenden Fall) ausgehe und der Entscheidung nicht zugrundegelegt werden könne. Des weiteren enthielten weder die Steiermärkische Bauordnung noch das Steiermärkische Raumordnungsgesetz eine dem § 16 Abs. 2 des Oberösterreichischen Raumordnungsgesetzes entsprechende, für die inhaltliche Gestaltung des Flächenwidmungsplanes maßgebende Anordnung, wie das dortige "Gebot der möglichen Vermeidung gegenseitiger Beeinträchtigung" sodaß auch das zweite verfassungsgerichtliche Erkenntnis (gemeint: VfSlg. 10703/1985) auf den Anlaßfall nicht anwendbar sei. Sollte die Parteistellung des Beschwerdeführers bejaht werden, wäre der Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung weiters im Sinne des § 71a der Steiermärkischen Bauordnung 1968 zu überprüfen, da eine absolute Verjährung nach fünf Jahren ab Eintritt der Rechtskraft des Benützungsbewilligungsbescheides erfolge und Einwendungen spätestens ab diesem Zeitpunkt nicht mehr erhoben werden könnten. Weiters wäre das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Juni 1980, Zl. 3128/79, zu beachten, wonach das Auftreten einer übergangenen Partei allein noch nicht die Aufhebung des Bewilligungsbescheides und die Anordnung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung rechtfertige. Die übergangene Partei habe vielmehr lediglich das Recht auf nachträgliche Durchführung eines zusätzlichen, auf sie und die Hauptpartei beschränkten Verfahrens. Im Rahmen dieses Verfahrens wäre zu klären, ob der Beschwerdeführer durch das Bauvorhaben (der erst- und zweitmitbeteiligten Parteien) tatsächlich in seinen subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten im Sinne des § 61 Abs. 2 der Steiermärkischen Bauordnung verletzt werde. Die Beeinträchtigung eines Inhabers eines Gewerbebetriebes, von dem nicht zu vermeidende Immissionen ausgehen, durch die Errichtung eines Wohnhauses und damit zusammenhängend durch die Vorschreibung weiterer Auflagen durch die Gewerbebehörde stelle allerdings kein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht im Sinne des § 61 Abs. 2 BO dar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die erst- und zweitmitbeteiligten Parteien haben sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Die mitbeteiligte Gemeinde hat über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes mitgeteilt, daß im Zeitpunkt der Erteilung der Bau- und Widmungsbewilligung an die erst- und zweitmitbeteiligten Parteien im September bzw. Oktober 1979 noch kein rechtskräftiger Flächenwidmungsplan der mitbeteiligten Gemeinde existiert habe. Aus den von der mitbeteiligten Gemeinde vorgelegten Unterlagen ergibt sich, daß die Steiermärkische Landesregierung mit Bescheid vom 22. April 1985 (mitbeteiligten Gemeinde zugestellt am 2. Mai 1985) den am 17. September 1982, 23. März 1984, 3. Mai und 13. Dezember 1984 vom Gemeinderat der mitbeteiligten Partei beschlossenen Flächenwidmungsplan genehmigt hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ungeachtet der von der Vorstellungsbehörde noch für klärungsbedürftig gehaltenen Frage, ob der Beschwerdeführer Rechtsnachfolger der vormaligen Eigentümer der Betriebsgrundstücke seines Sägewerkes ist, steht außer Frage, daß jene am Widmungs- und Baubewilligungsverfahren der erst- und zweitmitbeteiligten Parteien nicht beteiligt wurden. Übergangene Partei (mit der Konsequenz, daß Parteirechte auch noch vom Rechtsnachfolger geltend gemacht werden können), ist der Beschwerdeführer dann, wenn den Eigentümern der Betriebsflächen nach den im Zeitpunkt der Erlassung des Widmungs- und Baubewilligungsbescheides geltenden Rechtsvorschriften Parteistellung zugekommen ist.

§ 61 Abs. 1 und 2 der Steiermärkischen Bauordnung 1968 (BO), LGBl. Nr. 49 (in der bis zur Novelle LGBl. Nr. 14/89 in Geltung gestandenen Fassung) lautet:

"Bauverhandlung

(1) Über das Ansuchen ist eine örtliche Erhebung und mündliche Verhandlung unter Beiziehung der erforderlichen Sachverständigen durchzuführen, es sei denn, daß es bereits auf Grund der Prüfung der Pläne und Unterlagen abzuweisen ist. Zur Bauverhandlung sind der Bauwerber, der Grundeigentümer, die Planverfasser, der Bauführer und die Nachbarn zu laden.

(2) Der Nachbar kann gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen".

Gemäß § 3 Abs. 1 BO war (und ist) diese Bestimmung auch im Widmungsverfahren sinngemäß anzuwenden.

Der Beschwerdeführer bekämpft nicht die Auffassung der belangten Behörde, daß in der Frage seiner Parteistellung unter Zuhilfenahme eines Sachverständigengutachtens zu klären sei, ob zum Grundstück der erst- und zweitmitbeteiligten Parteien ein solches räumliches Naheverhältnis vorliege, welches die Parteistellung begründe. Er wendet sich ausschließlich gegen die Rechtsmeinung der belangten Behörde, daß das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. September 1990, B 1368/87, dem Beschwerdefall nicht zugrundegelegt werden könne und die in diesem Zusammenhang von der belangten Behörde gegebene Begründung.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u. a. das Erkenntnis vom 13. Dezember 1990, Zl. 89/06/0207, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur) binden die tragenden Begründungselemente eines in Rechtskraft erwachsenen kassatorischen gemeindeaufsichtsbehördlichen Vorstellungsbescheides die Gemeindebehörden, die Gemeindeaufsichtsbehörde, aber auch den Verwaltungsgerichtshof selbst. Eine solche Bindung besteht hingegen nicht an Rechtsansichten, die darüber hinaus geäußert wurden, aber für die Aufhebung nicht maßgebend waren (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 30. April 1992, Zlen. 92/06/0017, 0018, 0019, und vom 26. Mai 1992, Zl. 88/05/0169 mit zahlreichen Hinweisen). Deshalb sind die Parteien des aufsichtsbehördlichen Verfahrens auch berechtigt, einen kassatorischen Vorstellungsbescheid ausschließlich deshalb vor dem Verwaltungsgerichtshof zu bekämpfen, weil die die Aufhebung tragenden Gründe ihrer Ansicht nach unzutreffend sind (vgl. u.a. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 22. Oktober 1971, Slg. Nr. 8091/A, ferner die Erkenntnisse vom 8. Februar 1971, Slg. Nr. 7963/A, und vom 3. November 1973, Slg. Nr. 8494/A). Die darüber hinaus geäußerten (und deshalb noch nicht mit bindender Wirkung ausgesprochenen) Rechtsansichten, könnte der Beschwerdeführer daher vor dem Verwaltungsgerichtshof (vorerst) nicht bekämpfen (vgl. das Erkenntnis vom 20. August 1992, Zl. 92/06/0118).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund erweist sich die Beschwerde als zulässig: Die belangte Behörde hat nämlich im Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung der Frage der Parteistellung des Beschwerdeführers ausgeführt, daß "bei Annahme des umgekehrten Falles die Parteistellung (der erst- und zweitmitbeteiligten Parteien) zu bejahen" wäre. Dies im Zusammenhang mit den vom Beschwerdeführer bekämpften Rechtsausführungen läßt erkennen, daß tragender Grund für die Aufhebung des Berufungsbescheides für die belangte Behörde u.a. gewesen ist, daß sie eine unmittelbare Bejahung der Parteistellung des Beschwerdeführers wegen der VON SEINEM GRUNDSTÜCK ausgehenden Emissionen für unzulässig gehalten hat und deshalb (bindend) die nähere Prüfung der Parteistellung des Beschwerdeführers (nämlich zur Klärung möglicher Emissionen von Grundstücken der erst- und zweitmitbeteiligten Parteien auf das Grundstück des Beschwerdeführers) unter Beiziehung eines Sachverständigen für erforderlich gehalten hat.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet:

Der Beschwerdeführer vertritt (unter Hinweis auf die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes, VfSlg. 10703/1985, und vom 28. September 1990, B 1368/87; ebenso das Erkenntnis vom 7. Oktober 1992, B 615 u.a./92), die Auffassung, daß die Bestimmung des § 4 Abs. 3 der Steiermärkischen Bauordnung verfassungskonform nur so ausgelegt werden könne, daß eine Wechselwirkung nicht nur zwischen einem erst zu errichtenden Betrieb und bestehenden Wohnbauten, sondern umgekehrt auch zwischen einem bereits errichteten Betrieb und erst danach errichteten Wohnbauten bestehe. Damit bringt der Beschwerdeführer dem Sinn nach zum Ausdruck, daß auch bei Bewilligung eines Wohnhauses dann größere Abstände zu den Nachbarn (hier: zum Beschwerdeführer) vorzuschreiben wären, wenn nach dem Verwendungszweck der Nachbarliegenschaft (bzw. eines darauf errichteten und konsentierten Betriebes) eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder eine Gefährdung der Nachbarschaft ausgeht, und zwar offenbar u.U. mit der dem Beschwerdeführer vorschwebenden Konsequenz, daß die Widmungs- und Baubewilligung für ein Wohnhaus auch zur Gänze zu versagen wäre, wenn durch eine Abstandsregelung im Rahmen der rechtlichen und faktischen Möglichkeiten eine Reduzierung der Emissionen auf das gemäß § 4 Abs. 3 BO zulässige Ausmaß nicht zu erzielen wäre (vgl. dazu das Erkenntnis vom 21. Mai 1992, Zl. 91/06/0143, zu einer ähnlichen Bestimmung des Vorarlberger Baugesetzes).

§ 4 Abs. 3 BO lautet:

"(3) Läßt der Verwendungszweck von Bauten eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder eine Gefährdung der Nachbarschaft erwarten, so kann die Baubehörde auch größere Abstände als die im Abs. 1 festgelegten, festsetzen."

Den nachbarschützenden Charakter dieser Vorschrift hat der Verwaltungsgerichtshof (auch schon vor der dies ausdrücklich klarstellenden Novelle zur Steiermärkischen Bauordnung, LGBl. Nr. 14/1989) in ständiger Rechtsprechung bejaht (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 13. März 1973, Slg. Nr. 8381/A, vom 28. Mai 1974, Slg. Nr. 8625/A, uva).

Der Verfassungsgerichtshof vertritt in seiner jüngeren Rechtsprechung (beginnend mit dem Erkenntnis VfSlg. 10703/85, vor allem in den Erkenntnissen vom 28. September 1990, B 1368/87, zur Wiener Bauordnung und vom 7. Oktober 1992, B 614-618/92, B 620/92, zur Oberösterreichischen Bauordnung) die Auffassung, daß es an einer sachlichen Rechtfertigung für die Annahme fehle, eine vom Gesetz verpönte, schwerwiegende Beeinträchtigung sei ausschließlich dann zu unterbinden, wenn eine Quelle der Emissionen geschaffen werden soll, nicht hingegen in dem bloß durch die zeitliche Abfolge verschiedenen Fall, daß diese Quelle bereits besteht und erst durch die (nachträgliche) Errichtung von Wohnhäusern ihre beeinträchtigende Wirkung entfalten kann.

Zu der Frage, ob § 4 Abs. 3 der Steiermärkischen Bauordnung im Sinne dieser Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofes "zweiseitig" zu lesen ist, hat der Verwaltungsgerichtshof (ebenso der Verfassungsgerichtshof) bisher noch nicht Stellung genommen. Der Verwaltungsgerichtshof hat allerdings (ganz allgemein) in der Regel die Auffassung vertreten, daß es im Zusammenhang mit dem Immissionsschutz auf die Belästigungen, die vom BAUGRUNDSTÜCK ausgehen und (daher) nur auf dessen Widmung ankommt (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 6. Dezember 1990, Zl. 90/06/0123, vom 13. Dezember 1992, Zl. 91/06/0191, vom 17. Juni 1992, Zlen. 87/06/0131, 0132, vom 24. September 1991, Zlen. 88/06/0098, 0100, sowie Hauer, Der Nachbar im Baurecht2, 173 f). Der Verwaltungsgerichtshof braucht im Beschwerdefall jedoch zu dieser Frage nicht abschließend Stellung zu nehmen:

Der Flächenwidmungsplan der mitbeteiligten Gemeinde (nach der Aktenlage sind das Grundstück der erst- und zweitmitbeteiligten Partei als "reines Wohngebiet", jene des Beschwerdeführers als "Industrie- und Gewerbegebiet I" gewidmet), wurde mit Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 22. April 1985 genehmigt. Er ist sohin vor der Raumordnungsgesetz-Novelle LGBl. Nr. 39/1986 (die gemäß ihrem Art. III am 7. Mai 1986 in Kraft getreten ist) wirksam geworden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist hinsichtlich der zulässigen Flächennutzung die Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlußfassung des Gemeinderates über den Flächenwidmungsplan maßgebend (vgl. das Erkenntnis vom 21. September 1992, Zl. 91/06/0233, u.a.); im Beschwerdefall bestimmt sich daher das Widmungsmaß nach § 23 des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes (ROG), LGBl. Nr. 127/1974 in der Stammfassung. § 23 Abs. 4 lit. a und d ROG lauteten:

"(4) Im Bauland sind entsprechend den örtlichen Erfordernissen Baugebiete festzulegen. Als Baugebiete kommen hiebei in Betracht:

a) reine Wohngebiete, das sind Flächen, die ausschließlich für Wohnbauten bestimmt sind, wobei auch Nutzungen, die zur Deckung der täglichen Bedürfnisse der Bewohner des Gebietes dienen (Kindergärten, Schulen, Kirchen, u.dgl.), oder die dem Gebietscharakter nicht widersprechen, zulässig sind;

  1. b) ...
  2. c) ...
  3. d) Industrie- und Gewerbegebiete I, das sind Flächen, die für Betriebe und Anlagen bestimmt sind, die keine schädlichen Immissionen oder sonstige Belästigungen für die Bewohner der angrenzenden Baugebiete verursachen, wobei auch die für die Aufrechterhaltung dieser Anlagen in ihrer Nähe erforderlichen Wohnungen, Verwaltungs- und Geschäftsgebäude errichtet werden können. Innerhalb dieser Gebiete können Flächen mit besonderer

    Standplatzeignung ... besonders gekennzeichnet werden ... und

    sind dann Betrieben und Anlagen, die solche besonderen Anforderungen an die Qualität des Standplatzes stellen, vorzubehalten.

    ..."

    Dem Beschwerdeführer kommt schon nach der für seine Grundflächen geltenden Widmung "Industrie- und Gewerbegebiet I" kein Recht darauf zu, "schädliche Immissionen oder sonstige Belästigungen für die Bewohner der angrenzenden Baugebiete" zu verursachen, weil er damit das auf seinen Grundstücken zulässige Widmungsmaß überschreiten würde. Selbst für den Fall der "Zweiseitigkeit" des § 4 Abs. 3 BO käme dem Beschwerdeführer daher kein Recht auf "Gefährdung" der Nachbarschaft und damit auf die Festlegung größerer Abstände aus diesem Grunde zu. Der Beschwerdeführer kann aber auch daraus, daß auf seinem Grundstück seit Jahrzehnten ein Sägewerk betrieben wird (weshalb die von dem Sägewerk ausgehenden Lärmemissionen im Prinzip wohl als ortsüblich anzusehen sein werden) kein Recht auf größere Abstände mit der Begründung ableiten, er beabsichtige eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung der erst- und zweitmitbeteiligten Parteien durch KÜNFTIGE Vergrößerungen dieses Sägewerkbetriebes herbeizuführen.

    Soweit sich die Beschwerde gegen tragende Gründe des angefochtenen Bescheides richtet, erweist sie sich somit als unbegründet; sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen. Aus verfahrensökonomischen Gründen weist der Verwaltungsgerichtshof jedoch darauf hin, daß die von der belangten Behörde - wenn auch nicht im Rahmen der die Aufhebung des Berufungsbescheides tragenden Gründe und daher nicht mit bindender Wirkung - ausgesprochene Rechtsauffassung, es wäre für den Fall der Bejahung der Parteistellung des Beschwerdeführers zu prüfen, ob dessen Einwendungen nicht gemäß § 71a BO (idF des Art. I Z. 25 der Steiermärkischen Bauordnungsnovelle 1988, LGBl. 14/1989) verjährt seien, nicht zutrifft; wie der Verwaltungsgerichtshof mittlerweile in seinem Erkenntnis vom 24. September 1992, Zl. 91/06/0233, klargestellt hat, ist die Frist des § 71a BO nicht rückwirkend anzuwenden. Sie beginnt hinsichtlich jener Sachverhalte, die vor dem Inkrafttreten dieser Novelle verwirklicht wurden, mit dem Inkrafttreten der Novelle (1. März 1989) zu laufen. Eine Verjährung allfälliger Einwendungen des Beschwerdeführers konnte daher im Zeitpunkt der Berufungserhebung noch nicht eingetreten sein.

    Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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