VwGH 91/11/0156

VwGH91/11/015617.11.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des W in F, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 18. September 1991, Zl. IIb2-K-2187/4-91, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs4;
KFG 1967 §66 Abs1;
KFG 1967 §66 Abs2 litf;
KFG 1967 §66 Abs3;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §73 Abs2;
KFG 1967 §74 Abs1;
StGB §107 Abs1;
StGB §83 Abs1;
StGB §83 Abs2;
StGB §84 Abs1;
VStG §51 Abs4;
AVG §66 Abs4;
KFG 1967 §66 Abs1;
KFG 1967 §66 Abs2 litf;
KFG 1967 §66 Abs3;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §73 Abs2;
KFG 1967 §74 Abs1;
StGB §107 Abs1;
StGB §83 Abs1;
StGB §83 Abs2;
StGB §84 Abs1;
VStG §51 Abs4;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 18. September 1991 wurde die von der Bezirkshauptmannschaft Schwaz gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 ausgesprochene vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers für die Gruppen A und B in eine Entziehung gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 "umgewandelt" und gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 ausgesprochen, daß dem Beschwerdeführer für die Dauer von zwei Jahren, gerechnet ab Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides (am 10. April 1991), keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden dürfe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes zur Gänze aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach den Feststellungen der belangten Behörde hatte der Beschwerdeführer am 26. August 1990 seine Ehefrau und seine Tochter, die mit dem Fahrrad unterwegs waren, vorsätzlich mit seinem Kraftfahrzeug zu Boden gestoßen und dabei schwer verletzt. Überdies hatte er seine Ehefrau durch mehrfaches knappes Überholen mit seinem Auto, wobei er einmal ihr Fahrrad streifte, gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen. Er wurde mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 15. November 1990 wegen der Vergehen der Körperverletzung, der schweren Körperverletzung und der gefährlichen Drohung schuldig erkannt und es wurde über ihn eine Freiheitsstrafe verhängt. Die belangte Behörde erachtete den Beschwerdeführer als nicht verkehrszuverlässig und ging davon aus, daß die von der Erstbehörde ausgesprochene vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung nicht ausreichend sei, um die Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers wiederherzustellen, sondern eine Entziehungsdauer von zwei Jahren erforderlich sei.

Die Beschwerde stützt sich im wesentlichen darauf, daß sich die Lebensumstände des Beschwerdeführers gegenüber dem Begehungszeitraum auf das Gravierendste geändert hätten und von einer Normalisierung auszugehen sei, was die belangte Behörde nicht hinreichend beachtet habe. Insbesondere habe die belangte Behörde es unterlassen, vor der Entziehung der Lenkerberechtigung ein neues ärztliches Gutachten einzuholen, wie es vom Beschwerdeführer beantragt worden sei. Seitens der Erstbehörde sei tatsächlich ein derartiges Gutachten in Auftrag gegeben worden, nur sei es von der belangten Behörde überhaupt nicht berücksichtigt worden.

Die Beschwerde übersieht hiebei jedoch, daß in der Unterlassung der Einholung eines neuerlichen Gutachtens eines medizinischen Sachverständigen kein Verfahrensmangel gelegen ist: Der Beschwerdeführer selbst geht im Einklang mit den Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid davon aus, daß die Entziehung der Lenkerberechtigung wegen Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers erfolgte. Die Verkehrszuverlässigkeit ist jedoch ein den Charakter einer Person betreffender Begriff und unterliegt als solcher keiner ärztlichen Beurteilung (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. September 1985, Zl. 83/11/0128, und vom 12. Februar 1991, Zl. 91/11/0008). Im Sinne dieser Rechtsprechung war somit die belangte Behörde nicht verhalten, ein neuerliches Sachverständigengutachten einzuholen, sondern hatte das Verhalten des Beschwerdeführers rechtlich dahin zu beurteilen, ob seine Verkehrszuverlässigkeit im Sinne des § 66 KFG 1967 gegeben ist oder nicht.

Insoweit der Beschwerdeführer zutreffend darauf hinweist, daß es sich bei der Entziehung der Lenkerberechtigung nicht um eine Strafe, sondern um eine administrative Maßnahme handelt, entbehrt dieses Vorbringen der nötigen Relevanz, weil die belangte Behörde die Entziehung der Lenkerberechtigung ohnehin nicht als Strafmaßnahme eingesetzt hat. Auch insoweit der Beschwerdeführer rügt, daß die belangte Behörde seiner Auffassung nach "die gesetzliche Grundlage des ursprünglich herangezogenen § 74 auf den § 73 KFG 1967 umgewandelt" hätte, ist daraus für ihn nichts zu gewinnen: Beim Verfahren zur Entziehung der Lenkerberechtigung handelt es sich nicht um ein Strafverfahren, bei dem das Verbot der reformatio in peius gilt, sondern um ein Administrativverfahren, bei dem die Berufungsbehörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG berechtigt ist, den bekämpften Bescheid nach jeder Richtung hin, somit auch zu Ungunsten des Berufungswerbers abzuändern (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1983, Slg. Nr. 11237/A).

Den Wertungskriterien der "seither verstrichenen Zeit" und des "Verhaltens während dieser Zeit" wurde hinreichend Bedeutung beigemessen. Im Hinblick auf das anhängige Ermittlungsverfahren, unter Berücksichtigung, daß die Tathandlungen am 26. August 1990 erfolgten, der Entziehungsbescheid der Erstinstanz am 10. April 1991 erlassen wurde, und in der Zwischenzeit, wie sich aus dem im Akt befindlichen Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 15. November 1990 ergibt, der Beschwerdeführer nach der Tathandlung bis 15. November 1990 in Haft war, und er daher seine Verkehrszuverlässigkeit noch nicht hinreichend unter Beweis stellen konnte, kommt den zu seinem angeblichen Wohlverhalten vertretenen Argumenten (Scheidung, getrennter Wohnsitz etc.) nur untergeordnetes Gewicht zu (vgl. in diesem Sinne auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Juni 1988, Zl. 87/11/0239).

Mit dem zuvor genannten Strafurteil wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 2 StGB, des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 1 StGB, sowie des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB nach § 84 StGB unter Anwendung des § 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Sechs Monate der Strafe wurden auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Grundlage dieser Verurteilung war - neben den Vorfällen am 26. August 1990 -, daß der Beschwerdeführer anfangs Februar 1990 seine Ehegattin durch Versetzen eines Stoßes, wodurch diese gegen eine Türkante stieß, am Körper mißhandelt und dadurch fahrlässig eine Verletzung, nämlich eine Rißquetschwunde am Kopf, bewirkt hat. Am 26. August 1990 verletzte der Beschwerdeführer - wie bereits ausgeführt - seine Gattin und seine Tochter vorsätzlich am Körper schwer, indem er diese beiden, die mit dem Fahrrad unterwegs waren, mit seinem Fahrzeug mit erheblicher Geschwindigkeit anfuhr. Zuvor hatte er seine Ehefrau, die mit dem Fahrrad unterwegs war, darüber hinaus durch mehrfaches knappes Überholen mit seinem Auto, wobei er einmal ihr Fahrrad streifte, gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen. Zutreffend hat daher die belangte Behörde bei der Prüfung der Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers insbesondere auch das Vorliegen einer bestimmten Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 angenommen und die besondere Rücksichtslosigkeit des Beschwerdeführers gegenüber anderen Straßenbenützern in den Vordergrund gestellt.

Es versagt auch das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Argument, daß die Handlungen des Beschwerdeführers als Ausfluß einer reinen Beziehungsstörung zu betrachten seien und es sich um eine (bloße) Eifersuchtsreaktion gehandelt habe. Entgegen seiner Darstellung richtete sich die Aggression des Beschwerdeführers nämlich nicht nur gegen seine Ehefrau selbst, sondern insbesondere auch gegen sein Kind. Sein hier zu prüfendes Verhalten im Straßenverkehr war somit - unter Berücksichtigung seiner eigenen Darstellung - von einer derartigen Rücksichtslosigkeit geprägt, daß er nicht nur das offensichtlich gewollte eigentliche Ziel seiner Gewalttätigkeit, nämlich seine frühere Ehefrau, mit Hilfe seines Fahrzeuges zu Schaden brachte, sondern sich hiebei auch nicht vom Vorhandensein eines anderen Straßenbenützers in unmittelbarer Nähe seiner Ehefrau, nämlich seines Kindes, abhalten ließ. Die belangte Behörde hat daher auch aus dem aufgezeigten Verhalten des Beschwerdeführers die richtigen Schlüsse zur Lösung der Frage, wie sich der Beschwerdeführer voraussichtlich im Verkehr verhalten wird, gezogen und seine Verkehrszuverlässigkeit verneint. Gegen die Prognose der belangten Behörde, der Beschwerdeführer werde voraussichtlich erst nach Ablauf von zwei Jahren, beginnend ab Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides, die Verkehrszuverlässigkeit wieder erlangen, sodaß die Zeit gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 dementsprechend festzusetzen war, wobei sie ohnehin berücksichtigte, daß der Beschwerdeführer zumindest im Straßenverkehr bisher nicht nachteilig in Erscheinung getreten ist, hegt der Verwaltungsgerichtshof gleichfalls keine Bedenken. Auch hiebei fällt die besondere Verwerflichkeit seiner Gewalttaten sowie die große Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, ins Gewicht.

Da sich somit die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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