VwGH 2015/04/0001

VwGH2015/04/000122.6.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Mayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde der

  1. 1. Marktgemeinde S vertreten durch den Bürgermeister F K, 2. H K,
  2. 3. H Ko, 4. K P, 5. He Ko, 6. M K, 7. W K, 8. A K, 9. A H,
    1. 10. E H, 11. K H, 12. S A, 13. H Z, 14. I Z, 15. S Z, 16. D Z,
  1. 17. M Z, 18. A Z sen., 19. P L, 20. T B, 21. J S, 22. C S, 23. B S, 24. B Sch, 25. A M, 26. D M, 27. G R, 28. M R, 29. G Ri sen.,

    30. M H, 31. R H, 32. M He, 33. Ma He, 34. Mar He, 35. Ma Her sen., 36. H L, 37. A L, 38. M L, 39. A L sen., 40. C L, 41. S L,

  1. 42. A N, 43. Am N, 44. J N, 45. G S, 46. T S, 47. A S, 48. M S,
  2. 49. L S, 50. M S, 51. Ma S, 52. Jo S, 53. J M, 54. C M, 55. M M,
  3. 56. Ch M, 57. Jo M sen., 58. G H, 59. An M, 60. Si Z, alle in S, alle vertreten durch Dr. Gerhard Lebitsch, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Rudolfskai 48, gegen den Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend vom 29. August 2011, Zl. BMWFJ-66.100/0149-IV/9/2011, betreffend Bewilligung zur Herstellung (Errichtung) einer Aufschlussbohrung nach dem MinroG (mitbeteiligte Partei: R Aktiengesellschaft in W, vertreten durch Onz, Onz, Kraemmer, Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16), zu Recht erkannt:

Normen

12010E004 AEUV Art4;
31985L0337 UVP-RL AnhII Z2 litd;
31985L0337 UVP-RL AnhIII;
62006CJ0409 Winner Wetten VORAB;
62010CJ0606 ANAFE VORAB;
62010CO0476 projektart VORAB;
62013CJ0531 Marktgemeinde Straßwalchen VORAB;
EURallg;
MinroG 1999 §119;
UVPG 2000 §3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
12010E004 AEUV Art4;
31985L0337 UVP-RL AnhII Z2 litd;
31985L0337 UVP-RL AnhIII;
62006CJ0409 Winner Wetten VORAB;
62010CJ0606 ANAFE VORAB;
62010CO0476 projektart VORAB;
62013CJ0531 Marktgemeinde Straßwalchen VORAB;
EURallg;
MinroG 1999 §119;
UVPG 2000 §3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Angefochtener Bescheid:

1.1. Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend (belangte Behörde) vom 29. August 2011 wurde der R AG (mitbeteiligte Partei) gemäß § 119 Mineralrohstoffgesetz (MinroG) und § 94 Abs. 2 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz die Bewilligung zur Herstellung (Errichtung) der Aufschlussbohrung "J 1" auf den Grundstücken Nr. 3515 (Bohrpunkt) und Nr. 3516 in der Katastralgemeinde B, Marktgemeinde S, Bundesland Salzburg, unter Vorschreibung von Auflagen erteilt. Die vor dem Verwaltungsgerichtshof beschwerdeführenden Parteien (im Folgenden: Beschwerdeführer) sind im Bewilligungsverfahren die Standortgemeinde und Nachbarn im Sinne des MinroG.

Die erteilte Bewilligung an die mitbeteiligte Partei umfasst die Errichtung des Bohrplatzes und der Zufahrt, die Aufstellung und Demontage der Bohranlage, die Durchführung der Bohrtätigkeit, die Aufstellung und Demontage der Testanlage, die Durchführung der Testarbeiten, die Durchführung des Rückbaus der von der Bohranlage benötigten Fläche und der Rekultivierungsmaßnahmen im Falle der Nichtfündigkeit, die Durchführung des Rückbaus der von der Bohranlage benötigten Fläche auf die Dimensionen des künftigen Sondenplatzes und die Rekultivierungsmaßnahmen in Randbereichen im Falle der Fündigkeit. Die voraussichtliche Bohrtiefe beträgt ca. 4150 m.

Bei Fündigkeit umfasst die Bewilligung auch eine Testförderung von Erdgas mit einer Gesamtmenge von bis zu 1.000.000 m3, um die Wirtschaftlichkeit der Bohrung nachzuweisen. Dabei sollen 150.000 bis 250.000 m3/Tag gefördert werden. Das geförderte Gas wird in weiterer Folge am Bohrplatzrand abgefackelt. Ein Anschluss an eine Erdgashochdruckleitung ist nicht vorgesehen. Bei Fündigkeit erfolgt weiters (in weitaus geringeren Mengen) eine Testförderung von Erdöl und Erdölbegleitgas (maximal 150 m3 bzw. 18.900 m3/Tag).

1.2. In der Begründung des Bescheides führte die belangte Behörde - soweit vorliegend wesentlich - aus, beim gegenständlichen Projekt handle es sich um eine geplante Bohrung mit mehr als 300 Meter Tiefe, weshalb sie gemäß § 119 MinroG bewilligungspflichtig sei. Nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Sachverständigengutachten (Lärmschutz und Luftreinhaltung) seien bei Einhaltung der im Projekt vorgesehenen Vorkehrungen und bei Erfüllung der vorgeschriebenen Auflagen die entstehenden Emissionen nach dem besten Stand der Technik begrenzt.

Zu den von den Beschwerdeführern im Verfahren rechtzeitig erhobenen Einwendungen, mit denen eine Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) geltend gemacht wurde, führte die belangte Behörde aus, beim vorliegenden Bewilligungsverfahren handle es sich um die Erteilung der Bewilligung zur Herstellung (Errichtung) der Bohrung "J 1" gemäß § 119 MinroG. Die bereits in der Vergangenheit bewilligten Bohrungen, Sonden sowie sonstigen Bergbauanlagen und die künftig allfällig noch vorzulegenden Projekte seien nicht Gegenstand des Ansuchens der mitbeteiligten Partei.

Nicht "Bohrungen" sondern die "Förderung" von Kohlenwasserstoffen ab bestimmten Schwellenwerten sei nach den Bestimmungen des (österreichischen) Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes 2000 (UVP-G 2000) UVPpflichtig (Hinweis auf Anhang 1 Z. 29 lit. a und c des UVP-G 2000). Unter "Förderung von Erdöl und Erdgas" werde nur das (originäre) "Gewinnen", somit das "Lösen oder Freisetzen mineralischer Rohstoffe und die damit zusammenhängenden vorbereitenden, begleitenden und nachfolgenden Tätigkeiten" nach § 1 Z. 2 MinroG verstanden. Aufschlussbohrungen hingegen dienten dem Aufsuchen von mineralischen Rohstoffen, worunter gemäß § 1 Z. 1 MinroG nicht nur jede mittelbare und unmittelbare Suche nach mineralischen Rohstoffen, sondern auch das Erschließen und Untersuchen natürlicher Vorkommen mineralischer Rohstoffe zum Feststellen der Abbauwürdigkeit zu verstehen sei.

Aufschlussbohrungen würden als Erstbohrungen in unbekannte geologische Bereiche "abgeteuft" und dienten ausschließlich der Erkundung bzw. Erforschung der Gesteinsformationen. Der Zweck von Aufschlussbohrungen liege auch in der Bestätigung der im Rahmen der Seismik gewonnenen Erkenntnisse und erarbeiteten geologischen Interpretationen. Würden im Zuge einer Aufschlussbohrung Kohlenwasserstoffe angetroffen und gelänge bei den hiernach folgenden Testarbeiten der Nachweis der Wirtschaftlichkeit für eine Gewinnung, so sei für eine Gewinnung der Kohlenwasserstoffe die Vormerkung eines eigenen Gewinnungsfeldes zu beantragen (siehe §§ 73 ff MinroG). Erst nach Vormerkung eines entsprechenden Gewinnungsfeldes und Durchführung eines weiteren Genehmigungsverfahrens gemäß § 119 MinroG hinsichtlich der Herstellung (Errichtung) einer Fördersonde dürften die durch die Aufschlussbohrung angetroffenen Kohlenwasserstoffe gefördert werden. Erst dann könne der Tatbestand in Anhang 1 Z. 29 lit. a oder c UVP-G 2000 überhaupt einschlägig sein.

Wie das Ermittlungsverfahren ergeben hätte, sollten geringe Mengen allfällig angetroffener Kohlenwasserstoffe zu Testzwecken auch (im Rahmen der Aufsuchtätigkeiten) "gefördert" werden. Diese Fördermengen lägen aber - schon aufgrund der Auslegung der Testanlagen - jedenfalls unter den Anhang 1 Z. 29 lit. a oder c UVP-G 2000 genannten Schwellenwerten.

Eine den Tatbestand des Anhangs 1 Z. 13 UVP-G 2000 betreffende Rohrleitung werde im gegenständlichen Fall nicht errichtet. Aus der Behauptung, dass bestehende - nach dem Gaswirtschaftsgesetz genehmigte - Leitungen UVP-pflichtig gewesen wären, könne im vorliegenden Fall nichts gewonnen werden.

Die Behörde habe daher im vorliegenden Fall die Prüfung der UVP-Pflicht auf die Bohrung "J 1" selbst zu beschränken gehabt, welche wie ausgeführt nicht UVP-pflichtig sei.

2. Beschwerde:

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die Beschwerdeführer machen in ihrer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof dagegen unter anderem geltend, die belangte Behörde sei zur Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht zuständig gewesen, da es sich bei der gegenständlichen Bohrung um ein UVP-pflichtiges Vorhaben handle.

Aufgrund einer Vielzahl von im Gemeindegebiet S bereits realisierten Vorhaben in Zusammenhang mit Erdgasförderung, Erdgasspeicherung und Erdgastransport sowie der Länge der vorhandenen Erdgasleitungen hätte schon bisher eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden müssen. Alle diese Vorhaben stünden in einem räumlichen und funktionellen Zusammenhang mit dem verfahrensgegenständlichen Vorhaben. Der weite Vorhabensbegriff des § 2 Abs. 2 UVP-G 2000 erfordere es, ein oder mehrere Projekte in seiner bzw. ihrer Gesamtheit und unter Einbeziehung jener Anlagen und Anlagenteile, die an sich nicht UVPpflichtig wären, zu beurteilen.

Die gegenständliche Bohrung befinde sich in diesem Gebiet, das bereits durch eine Vielzahl an Bohrungen (im Gemeindegebiet der Marktgemeinde S mehr als 30 Bohrungen) aufgeschlossen sei. Es gebe eine Vielzahl von fündig gewordenen Bohrungen, die hinsichtlich ihrer Umweltauswirkungen bis heute nicht gesamthaft im Sinne des UVP-G 2000 beurteilt worden seien. Die geförderten Erdgasmengen lägen bei Berechnung je Standort über den Schwellenwerten des Anhangs 1 Z. 29 lit. a UVP-G 2000. Diese Bestimmung enthalte eine unzulässige von der Richtlinie 85/337 nicht vorgesehene Einschränkung der Schwellenwerte auf die Sonde und nicht auf den Standort. Diese richtlinienwidrige Einschränkung hätte zur Folge, dass eine nahezu unbegrenzte Erdgasförderung bei entsprechender Anzahl von Sonden in einem Gemeindegebiet ohne UVP durchgeführt werden könnte.

Das (bei Fündigkeit) geförderte Erdgas müsse gespeichert und zum Verbraucher transportiert werden, sodass jede Bohrung, also auch die gegenständliche, Teil des Gesamtvorhabens Förderung, Speicherung und Transport von Erdgas sei. Im gegenständlichen Fall sei daher jedenfalls eine UVP durchzuführen, nach Auffassung der Beschwerdeführer bereits aufgrund der Länge einer Erdgashochdruckleitung, die von der Erdgaslagerstätte im Gemeindegebiet H/S bis zum Übergabepunkt Ü/B an der Staatsgrenze und darüber hinaus in das deutsche Staatsgebiet reiche, was in den bisherigen Feststellungsbescheiden (betreffend die Beurteilung einer UVP-Pflicht) nicht berücksichtigt wurde, sowie aufgrund des Zusammenhangs des nunmehr gegenständlichen Vorhabens mit weiteren, bereits realisierten Vorhaben im Bereich der Marktgemeinde S. Es liege auch ein gemeinsamer Betriebszweck sowie ein räumlicher Zusammenhang der verschiedenen Anlagen vor.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift.

Die mitbeteiligte Partei bringt in ihrer Gegenschrift hiezu vor, bei der bewilligten Aufschlussbohrung handle es sich nicht um die Förderung von Erdgas, sondern um die Erkundung, ob überhaupt ein förderungswürdiges Vorkommen an Erdgas gegeben sei. Erst bei Herstellung (Errichtung) einer Fördersonde wäre eine Förderung gegeben. Ein räumlicher und sachlicher Zusammenhang mit den von den Beschwerdeführern angeführten Erdgashochdruckleitungen sei nicht gegeben. Es sei korrekt, dass im Gemeindegebiet von S 32 Bohrungen durchgeführt ("abgeteuft") worden seien. Ob mit den im Gemeindegebiet geförderten Erdgasmengen insgesamt der Schwellenwert des UVP-G 2000 überschritten sei, sei aber irrelevant, weil das UVP-G 2000 ausdrücklich vorsehe, dass der Schwellenwert pro Sonde überschritten werden müsse. Die Sonden in

S stellten aber jeweils eigenständige Gewinnungsanlagen dar.

  1. 4. Die Beschwerdeführer erstatteten hiezu eine Replik.
  2. 5. Nach Aufforderung mit hg. Verfügung vom 29. Mai 2013, 2011/04/0178-9, teilte die mitbeteiligte Partei mit, dass die verfahrensgegenständliche Aufschlussbohrung zwischenzeitig abgeschlossen worden sei, jedoch noch kein vollständiger Rückbau erfolgt sei, da Gespräche über eine anderweitige Nutzung des Bohrplatzes geführt würden.

    II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Vorauszuschicken ist, dass es sich vorliegend um keinen Übergangsfall nach dem VwGbk-ÜG handelt und somit gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.

2. Aus Anlass des vorliegenden Beschwerdefalls hat der Verwaltungsgerichtshof mit hg. Beschluss vom 11. September 2013, EU 2013/0003 (2011/04/0178), dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Handelt es sich bei einer zeitlich und mengenmäßig begrenzten Testförderung von Erdgas, die im Rahmen einer Aufschlussbohrung zur Erforschung der Wirtschaftlichkeit einer dauerhaften Gewinnung von Erdgas durchgeführt wird, um eine 'Gewinnung von ... Erdgas zu gewerblichen Zwecken' nach Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 175 vom 5.7.1985, S. 40, in der Fassung der Richtlinie 2009/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009, ABl. L 140 vom 5.6.2009, S. 114 (Richtlinie 85/337 )?

Für den Fall, dass die erste Vorlagefrage bejaht wird, werden folgende weitere Fragen gestellt:

2. Steht Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 85/337 einer Regelung des nationalen Rechts entgegen, welche bei der Gewinnung von Erdgas die in Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 85/337 genannten Schwellenwerte nicht an die Gewinnung an sich, sondern an die 'Förderung pro Sonde' knüpft?

3. Ist die Richtlinie 85/337 dahin auszulegen, dass die Behörde in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der die Genehmigung einer Testförderung von Erdgas im Rahmen einer Aufschlussbohrung beantragt wird, zur Feststellung, ob eine Verpflichtung zur Umweltverträglichkeitsprüfung besteht, nur alle gleichartigen Projekte, konkret alle im Gemeindegebiet aufgeschlossenen Bohrungen, auf ihre kumulative Wirkung zu prüfen hat?"

Auf die Begründung dieses Beschlusses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

3. Der EuGH hat diese Fragen mit Urteil vom 11. Februar 2015 in der Rechtssache C-531/13 , Marktgemeinde Straßwalchen u.a., wie folgt beantwortet:

"1. Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten in der Fassung der Richtlinie 2009/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 ist dahin auszulegen, dass eine Aufschlussbohrung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, in deren Rahmen eine Testförderung von Erdgas und Erdöl beabsichtigt ist, um die wirtschaftliche Abbauwürdigkeit einer Lagerstätte zu erforschen, nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fällt.

2. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 85/337 in der Fassung der Richtlinie 2009/31 in Verbindung mit Anhang II Nr. 2 Buchst. d der Richtlinie 85/337 ist dahin auszulegen, dass sich bei einer Tiefbohrung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Aufschlussbohrung aus dieser Vorschrift die Pflicht zur Vornahme einer Umweltverträglichkeitsprüfung ergeben kann. Die zuständigen nationalen Behörden müssen daher eine besondere Prüfung der Frage vornehmen, ob unter Berücksichtigung der Kriterien in Anhang III der Richtlinie 85/337 in der Fassung der Richtlinie 2009/31 eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen ist. In diesem Rahmen ist u.a. zu prüfen, ob die Umweltauswirkungen der Aufschlussbohrungen wegen der Auswirkungen anderer Projekte größeres Gewicht haben können als bei deren Fehlen. Diese Beurteilung kann nicht von den Gemeindegrenzen abhängen."

In den Entscheidungsgründen dieses Urteils kommt der EuGH zum Ergebnis, dass

"eine Aufschlussbohrung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, mit der die wirtschaftliche Abbauwürdigkeit einer Lagerstätte erforscht werden soll und die bis zu einer Tiefe von 4 150 m reichen kann, eine Tiefbohrung im Sinne von Anhang II Nr. 2 Buchst. d der Richtlinie 85/337 ist." (Rn. 31).

Zu der an diese rechtliche Qualifikation der vorliegenden Aufschlussbohrung anknüpfende Verpflichtung zur Prüfung, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach der Richtlinie 85/337 durchzuführen ist, führt der EuGH wie folgt aus:

"39 In Rn. 27 des vorliegenden Urteils ist darauf hingewiesen worden, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 85/337 anhand einer Einzelfalluntersuchung oder anhand der von ihnen festgelegten Schwellenwerte bzw. Kriterien zu bestimmen haben, ob die unter Anhang II der Richtlinie fallenden Projekte einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden müssen.

40 Hinsichtlich der Festlegung dieser Schwellenwerte oder Kriterien räumt Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 85/337 den Mitgliedstaaten insoweit zwar einen Wertungsspielraum ein. Dieser Spielraum wird jedoch durch die in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie festgelegte Pflicht begrenzt, die Projekte, bei denen u. a. aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen zu rechnen ist, einer Untersuchung ihrer Auswirkungen auf die Umwelt zu unterziehen (Urteil Salzburger Flughafen, C-244/12 , EU:C:2013:203, Rn. 29).

41 Demgemäß wird mit den in Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 85/337 erwähnten Kriterien und Schwellenwerten das Ziel verfolgt, die Beurteilung der konkreten Merkmale eines Projekts zu erleichtern, damit bestimmt werden kann, ob es der Pflicht zur Prüfung der Umweltverträglichkeit unterliegt (Urteil Salzburger Flughafen, EU:C:2013:203, Rn. 30).

42 Daraus folgt, dass die zuständigen nationalen Behörden, die mit einem Antrag auf Genehmigung eines Projekts von Anhang II dieser Richtlinie befasst sind, eine besondere Prüfung der Frage vorzunehmen haben, ob unter Berücksichtigung der Kriterien in Anhang III der Richtlinie eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Mellor, C-75/08 , EU:C:2009:279, Rn. 51).

43 Insoweit ergibt sich aus Anhang III Nr. 1 der Richtlinie 85/337 , dass die Merkmale eines Projekts insbesondere hinsichtlich der kumulativen Auswirkungen mit anderen Projekten zu beurteilen sind. Die Nichtberücksichtigung der kumulativen Auswirkung eines Projekts mit anderen Projekten kann nämlich zur Folge haben, dass es der Verpflichtung zur Verträglichkeitsprüfung entzogen wird, obwohl es zusammengenommen mit anderen Projekten erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Brussels Hoofdstedelijk Gewest u. a., EU:C:2011:154, Rn. 36).

44 Dieses Erfordernis muss im Licht von Anhang III Nr. 3 der Richtlinie 85/337 gelesen werden, wonach die potenziellen erheblichen Auswirkungen der Projekte anhand der unter Anhang III Nrn. 1 und 2 der Richtlinie aufgeführten Kriterien zu beurteilen sind und insbesondere der Wahrscheinlichkeit, dem Ausmaß, der Schwere, der Dauer und der Reversibilität der Auswirkungen des Projekts Rechnung zu tragen ist.

45 Daraus folgt, dass es einer nationalen Behörde bei der Überprüfung, ob ein Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muss, obliegt, die Auswirkungen zu prüfen, die das Projekt zusammen mit anderen haben könnte. Mangels einer Präzisierung ist diese Pflicht im Übrigen nicht allein auf gleichartige Projekte beschränkt. Wie die Generalanwältin in Nr. 71 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist in diese Vorprüfung einzubeziehen, ob die Umweltauswirkungen der Aufschlussbohrungen wegen der Auswirkungen anderer Projekte größeres Gewicht haben können als bei deren Fehlen.

46 Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 85/337 in der Tat ernsthaft in Frage gestellt wäre, wenn die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats bei der Entscheidung über die Frage, ob ein Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muss, den in einem anderen Mitgliedstaat durchzuführenden Teil des Projekts außer Acht lassen dürften (Urteil Umweltanwalt von Kärnten, EU:C:2009:767, Rn. 55). Aus denselben Gründen kann die Beurteilung der Auswirkungen anderer Projekte nicht von den Gemeindegrenzen abhängen.

47 Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 85/337 in Verbindung mit deren Anhang II Nr. 2 Buchst. d dahin auszulegen ist, dass sich bei einer Tiefbohrung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Aufschlussbohrung aus dieser Vorschrift die Pflicht zur Vornahme einer Umweltverträglichkeitsprüfung ergeben kann. Die zuständigen nationalen Behörden müssen daher eine besondere Prüfung der Frage vornehmen, ob unter Berücksichtigung der Kriterien in Anhang III der Richtlinie eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen ist. In diesem Rahmen ist u.a. zu prüfen, ob die Umweltauswirkungen der Aufschlussbohrungen wegen der Auswirkungen anderer Projekte größeres Gewicht haben können als bei deren Fehlen. Diese Beurteilung kann nicht von den Gemeindegrenzen abhängen."

Die unmittelbare Anwendung und den Vorrang von unionsrechtlichen Bestimmungen haben sowohl die Gerichte als auch die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten zu beachten. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene nationale Gericht als Organ eines Mitgliedstaats verpflichtet, in Anwendung des in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatzes der Zusammenarbeit das unmittelbar geltende Unionsrecht uneingeschränkt anzuwenden und die Rechte, die es dem Einzelnen verleiht, zu schützen (vgl. den hg. Beschluss vom 29. Oktober 2014, Ro 2014/04/0069, mwN auch auf Rechtsprechung des EuGH).

4. Daraus folgt für den vorliegenden Beschwerdefall Folgendes:

4.1. Nach der hg. Rechtsprechung ist die (Fach)Behörde verpflichtet, ihre Zuständigkeit von Amts wegen unter Berücksichtigung einer allfälligen UVP-Pflicht des eingereichten Vorhabens zu prüfen und auf Grund nachvollziehbarer Feststellungen im angefochtenen Bescheid darzulegen, warum sie vom Fehlen einer UVP-Pflicht und damit von ihrer Zuständigkeit ausgeht (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 31. Juli 2007, 2006/05/0221, vom 20. Februar 2007, 2005/05/0290, und vom 10. Juni 1999, 96/07/0209, 0017).

4.2. Vom EuGH wurde die vorliegende Aufschlussbohrung als eine Tiefbohrung im Sinne von Anhang II Nr. 2 Buchst. d der Richtlinie 85/337 qualifiziert.

Daran knüpft der EuGH die Verpflichtung der "zuständigen nationalen Behörden" zur besonderen Prüfung der Frage, "ob unter Berücksichtigung der Kriterien in Anhang III der Richtlinie eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen ist. In diesem Rahmen ist u.a. zu prüfen, ob die Umweltauswirkungen der Aufschlussbohrungen wegen der Auswirkungen anderer Projekte größeres Gewicht haben können als bei deren Fehlen. Diese Beurteilung kann nicht von den Gemeindegrenzen abhängen".

Eine solche Prüfung hat die belangte Behörde im Rahmen der Prüfung ihrer Zuständigkeit nicht vorgenommen (vgl. dazu nochmals die oben unter 4.1. angeführte hg. Rechtsprechung), sondern stattdessen das gegenständliche Vorhaben sogleich nach MinroG genehmigt.

5. Damit belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, welcher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

6. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht (gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014) auf den §§ 47 ff VwGG iVm § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 22. Juni 2015

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