VwGH 2013/21/0198

VwGH2013/21/019822.1.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der Z H in W, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Türkenstraße 25/11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 13. Juni 2013, Zl. UVS-FRG/53/11316/2011-9, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines befristeten Einreiseverbotes (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FNG-AnpassungsG 2014;
FrPolG 2005 §52 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs2 Z8 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 Abs2 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 Abs2 Z9 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §65b idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §65b idF 2013/I/068;
FrPolG 2005 §67 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
MRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FNG-AnpassungsG 2014;
FrPolG 2005 §52 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs2 Z8 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 Abs2 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 Abs2 Z9 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §65b idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §65b idF 2013/I/068;
FrPolG 2005 §67 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
MRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, reiste am 30. Juli 2000 mit einem Visum C rechtmäßig nach Österreich ein. Sie verblieb auch nach Ablauf der Gültigkeitsdauer dieses Visums im Bundesgebiet und heiratete am 14. Juli 2003 den österreichischen Staatsbürger H. Im Hinblick darauf stellte sie am 30. Juli 2003 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung mit dem Zweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher", der letztlich im dritten Rechtsgang mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. März 2008 abgewiesen wurde.

Im Zuge dieses Verfahrens waren umfangreiche Ermittlungen wegen des Verdachtes des Vorliegens einer sogenannten "Aufenthaltsehe" ("Scheinehe") vorgenommen worden, die dazu führten, dass die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom 14. Mai 2007 gegen die Beschwerdeführerin ein auf § 87 iVm § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG gestütztes, mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erließ. Der dagegen erhobenen Berufung gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien mit Bescheid vom 7. März 2011 keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Der gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde erkannte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 1. Juli 2011 die aufschiebende Wirkung zu. Nachdem der Berufungsbescheid vom 7. März 2011 mit Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 6. September 2011 von Amts wegen für nichtig erklärt worden war, stellte der Verwaltungsgerichtshof sein Verfahren mit Beschluss vom 21. November 2011 ein.

Schließlich wurde der Berufung gegen den Bescheid vom 14. Mai 2007 vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (vom belangten UVS) mit dem angefochtenen Bescheid vom 13. Juni 2013 "insofern Folge gegeben, als eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 des Fremdenpolizeigesetzes (FPG) in Verbindung mit einem Einreiseverbot von 5 Jahren gemäß § 53 Abs. 2 Z 8 FPG verhängt" wurde.

Die Begründung des angefochtenen Bescheides beginnt zunächst mit einer wörtlichen Zitierung des Inhalts des erstinstanzlichen Bescheides, der eine ausführliche Darstellung des Verwaltungsgeschehens enthält. Daran schließt die wörtliche Wiedergabe der Berufung an, die - als Ergebnis der Beweisaufnahme des belangten UVS durch Einsicht in den Verwaltungsakt - von einer neuerlichen Darstellung der Aktenlage gefolgt wird. Nach Zitierung der §§ 52 und 53 FPG führte der belangte UVS dann rechtlich aus, die Beschwerdeführerin halte sich in Österreich unrechtmäßig auf, weil sie nach Ablauf ihres für die Einreise ausgestellten Visums keinen Aufenthaltstitel habe erlangen können. Auf die Beschwerdeführerin seien daher - unter Berücksichtigung der seit Erlassung des erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotes eingetretenen Änderung der Gesetzeslage - die genannten Bestimmungen des FPG, die sich auf nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältige Drittstaatsangehörige beziehen, anzuwenden.

Daran anschließend folgt nachstehende weitere Begründung:

"Die Berufungswerberin vermochte außer ihren eigenen Angaben keinerlei Beweismittel dafür beizubringen, dass sie mit Herrn H. jemals nach ihrer Eheschließung ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Artikel 8 EMRK geführt hat. Vielmehr gab der Ehemann der Berufungswerberin mehrmals an, dass es sich um eine Scheinehe handle, die vor dem Hintergrund geschlossen wurde, der Berufungswerberin den Aufenthalt in Österreich und den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Auch Ortserhebungen an den angeblichen Örtlichkeiten des gemeinsamen Wohnsitzes konnten einen solchen nicht verifizieren. Auch mehrere einvernommene Zeuginnen aus dem Bekanntenkreis der Berufungswerberin konnten keine Angaben zur Person des angeblichen Ehemannes machen. Durch die gegenständliche Rückkehrentscheidung mag sich zwar eine Beeinträchtigung des Privatlebens der Berufungswerberin ergeben, nicht jedoch eine Beeinträchtigung des Familienlebens, da ein solches nicht einmal von der Berufungswerberin selbst plausibel dargelegt werden konnte. Auch beruht die Aufhebung der bereits vorangegangenen Berufungsentscheidung im Sinne einer Bestätigung des zehnjährigen Aufenthaltsverbotes lediglich darauf, dass der geänderten Zuständigkeit für die Berufungsentscheidung Rechnung getragen wurde. Auch wurden nach der aufhebenden Entscheidung des Bundesministeriums für Inneres kein neues Vorbringen bzw. keine neuen Beweisanträge zur Widerlegung der Beurteilung als Scheinehe angeboten. Die im Ergebnis zum ursprünglichen Aufenthaltsverbot kürzere Frist von fünf Jahren der Wirksamkeit des Einreiseverbotes ergibt sich aufgrund der geänderten Rechtslage. Bei der Bemessung dieser Frist waren die fehlende Bereitschaft der Berufungswerberin, an der Sachverhaltsfeststellung mitzuwirken und den wahren Sachverhalt zu verschleiern, (zu berücksichtigen,) weshalb spruchgemäß zu entscheiden war."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass gemäß dem letzten Satz des § 79 Abs. 11 VwGG in der Fassung des BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren - soweit (wie für den vorliegenden "Altfall") durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist - die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.

Weiters ist vorweg darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung (im Juni 2013) zu überprüfen hat.

Im erstinstanzlichen Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 14. Mai 2007 wurde das gegen die mit einem Österreicher aufrecht verheiratete Beschwerdeführerin erlassene Aufenthaltsverbot noch auf § 86 Abs. 1 iVm § 87 FPG in der Fassung vor dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 (FrÄG 2011), BGBl. I Nr. 38, gestützt. Der vorliegend angefochtene Berufungsbescheid vom 13. Juni 2013 wurde erst nach dem Inkrafttreten des FrÄG 2011 (mit 1. Juli 2011) erlassen. Da für die Berufungsbehörde grundsätzlich die (Sach- und) Rechtslage zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung maßgeblich ist, war von der belangten Behörde somit mangels abweichender Übergangsbestimmungen bereits die neue Rechtslage anzuwenden (vgl. Punkt 1. der Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom 24. Jänner 2013, Zl. 2012/21/0212, mwN). Demzufolge wäre das Aufenthaltsverbot auf Basis der Rechtslage nach dem FrÄG 2011 auf § 67 Abs. 1 FPG iVm § 65b FPG - diese Normen entsprachen im Wesentlichen den davor geltenden § 86 Abs. 1 iVm § 87 FPG - zu gründen gewesen. Die für Familienangehörige von "nicht unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten" Österreichern geltende Verweisnorm des § 65b FPG wurde jedoch durch das FNG-Anpassungsgesetz, BGBl. I Nr. 68/2013, mit Wirksamkeit ab 18. April 2013 dahin abgeändert, dass für die genannte Personengruppe § 67 FPG nicht mehr zur Anwendung kommt. Das gilt auch für damals im Berufungsstadium anhängige Verfahren, zumal das FNG-Anpassungsgesetz diesbezüglich keine Übergangsbestimmung enthält. Dieser Rechtslagenänderung hat der belangte UVS im Ergebnis Rechnung getragen, indem er im Spruch insoweit eine Maßgabebestätigung des erstinstanzlich erlassenen Aufenthaltsverbotes vorgenommen hat, dass gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 52 (Abs. 1) FPG eine Rückkehrentscheidung und gemäß § 53 Abs. (1 und) 2 Z 8 FPG ein Einreiseverbot erlassen wurde.

Die genannten Bestimmungen des FPG lauten in der hier

maßgeblichen Fassung des FrÄG 2011:

"Rückkehrentscheidung

§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen ist, sofern nicht anderes bestimmt ist, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Rückkehrentscheidung wird mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. ...

Einreiseverbot

§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung wird ein Einreiseverbot unter Einem erlassen. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von mindestens 18 Monaten, höchstens jedoch für fünf Jahre zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, ob der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige

...

8. eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt hat oder

..."

Es ist unbestritten, dass sich die drittstaatszugehörige Beschwerdeführerin in Österreich nicht rechtmäßig aufhält und demzufolge die im ersten Satz des § 52 Abs. 1 FPG normierte Voraussetzung für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung erfüllt ist. Der belangte UVS ist erkennbar weiters davon ausgegangen, dass der zitierte, grundsätzlich die Erlassung eines Einreiseverbotes rechtfertigende Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 8 FPG verwirklicht ist. Er hat dabei - ohne allerdings diesbezüglich ausdrückliche Feststellungen zu treffen - offenbar unterstellt, die Beschwerdeführerin habe sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels und zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt auf die mit dem österreichischen Staatsbürger H. geschlossene Ehe berufen, obwohl sie mit ihrem Ehemann ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt hat.

Darauf bezieht sich die oben wörtlich wiedergegebene Begründung im angefochtenen Bescheid, die in der Beschwerde dahin bemängelt wird, dass sich der belangte UVS mit den Ergebnissen des mehr als zehnjährigen Verwaltungsverfahrens in seiner Beweiswürdigung "mit lediglich drei Sätzen" auseinandergesetzt habe. Danach sei aber keinesfalls ersichtlich, worauf der UVS die von ihm getroffenen Annahmen gegründet bzw. welche Überlegungen er bei der Beweiswürdigung angestellt habe.

Dieser Einwand ist berechtigt:

Gemäß § 60 AVG hat die Begründung eines Bescheides (u.a.) die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen zu enthalten. Diesen Anforderungen werden die diesbezüglichen Ausführungen des belangten UVS nicht gerecht. Sie lassen nämlich zunächst nicht erkennen, weshalb den Angaben des Ehemannes der Beschwerdeführerin zum Bestehen einer Aufenthaltsehe gegenüber dem bestreitenden Vorbringen der Beschwerdeführerin der Vorzug gegeben wurde, obwohl Ersterer auch wiederholt ein Zusammenleben mit der Beschwerdeführerin behauptet hatte. Der Begründung des angefochtenen Bescheides lässt sich auch nicht entnehmen, aufgrund welcher bei den Erhebungen an verschiedenen Adressen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten ermittelten Umstände vom fehlenden Nachweis eines gemeinsamen Wohnsitzes der Eheleute auszugehen war. Schließlich fehlt auch eine nähere Auseinandersetzung mit den Angaben der drei Zeuginnen, die jeweils ausgesagt hatten, die Beschwerdeführerin und ihren Ehemann in deren Wohnung besucht zu haben und auch ihn zu kennen.

Die bloße Wiedergabe des Inhalts des Verwaltungsaktes, mögen sich daraus auch mehrere Anhaltspunkte für das vom belangten UVS angenommene Vorliegen einer Aufenthaltsehe ergeben, kann aber eine - für die Parteien und den Verwaltungsgerichtshof - nachvollziehbare Beweiswürdigung nicht ersetzen. Vielmehr muss sich aus der Begründung des UVS ableiten lassen, welche Schlüsse er aus den einzelnen Ergebnissen der Ermittlungen gezogen hat (vgl. zum Ganzen die Judikaturnachweise bei Hengstschläger/Leeb, AVG, Rz 21 zu § 60).

Der belangte UVS ist im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, dass durch die Erlassung der gegenständlichen aufenthaltsbeendenden Maßnahme in das Privatleben der Beschwerdeführerin eingegriffen wird. Diese Annahme ist schon aufgrund der Dauer ihres Aufenthalts in Österreich (bis zur Bescheiderlassung) von mittlerweile fast 13 Jahren, einer dem entsprechenden sozialen Integration und den sich aus dem Akt ergebenden Beschäftigungen gerechtfertigt. Demnach hätte der belangte UVS eine Interessenabwägung am Maßstab des § 61 FPG vornehmen müssen. Diese Bestimmung lautet in der hier maßgeblichen Fassung des FrÄG 2011:

"Schutz des Privat- und Familienlebens

§ 61. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

  1. 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
  2. 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
  3. 4. der Grad der Integration;
  4. 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;
  5. 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
  6. 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

    8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

    9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist."

    Eine die genannten Kriterien berücksichtigende Interessenabwägung ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Auch das wird in der Beschwerde zu Recht kritisiert.

    Außerdem ist der vorliegende Fall durch die Dauer des Verwaltungsverfahrens von insgesamt fast zehn Jahren und des Berufungsverfahrens von mehr als sechs Jahren gekennzeichnet. Eine derart überlange Verfahrensdauer wäre aber nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Z 9 des oben zitierten § 61 Abs. 2 FPG zu berücksichtigen gewesen, sondern es wäre für eine dem Gesetz entsprechende Beurteilung der Voraussetzungen nach § 61 FPG auch eine Verbreiterung der Entscheidungsgrundlagen vorzunehmen gewesen. Überdies wäre bei der Frage der Aktualität einer Gefährdung iSd § 53 Abs. 2 FPG und bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes auch darauf Bedacht zu nehmen gewesen, dass die Eheschließung und die Berufung auf diese Ehe im Rahmen des Aufenthaltstitelverfahrens bereits im Juli 2003 erfolgt waren (vgl. idS das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 2012, Zl. 2012/18/0173, und mehrere daran anschließende Erkenntnisse, etwa aus der letzten Zeit jenes vom 10. September 2013, Zl. 2013/18/0064). Für die gebotene Verfahrensergänzung hätte sich aber am zweckmäßigsten - auch zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks - die Durchführung einer mündlichen Verhandlung angeboten, deren Unterlassung im Übrigen im angefochtenen Bescheid nicht begründet wurde.

    Im Hinblick auf die dargestellten Verfahrens- und Begründungsmängel war somit der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

    Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

    Wien, am 22. Jänner 2014

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