VwGH 2013/21/0017

VwGH2013/21/001718.4.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des ASK in W, vertreten durch Mag. Dr. Georg Vetter, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Landesgerichtsstraße 7, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 25. September 2012, Zl. UVS-01/16/13593/2012-4, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §83 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §83 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Gambias, reiste am 9. April 2005 illegal nach Österreich ein und beantragte die Gewährung von internationalem Schutz. Mit zweitinstanzlich ergangenem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 9. Juli 2009 wurde dieser Antrag vollinhaltlich abgewiesen, mit dieser Entscheidung war eine Ausweisung nach Gambia verbunden.

Bereits mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20. Februar 2008 war über den Beschwerdeführer wegen (zwischen November 2006 und November 2007 begangenen) Suchtgifthandels eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten (davon fünf Monate bedingt nachgesehen) verhängt worden. Die Bundespolizeidirektion Wien erließ ihm gegenüber deshalb mit rechtskräftigem Bescheid vom 10. September 2008 gemäß § 62 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG (in der Fassung vor dem FrÄG 2011) ein auf zehn Jahre befristetes Rückkehrverbot.

Mit weiterem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10. Juni 2011 (im Strafausspruch abgeändert durch Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 19. September 2011) wurde über den Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften und der falschen Beweisaussage eine Freiheitsstrafe von 20 Monaten verhängt. Die oben erwähnte bedingte Strafnachsicht wurde widerrufen und der Beschwerdeführer in der Folge bis zum 14. September 2012 in Strafhaft angehalten.

Mit Bescheid vom 28. November 2011 hatte die Bundespolizeidirektion Wien über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie seiner Abschiebung nach § 46 FPG verhängt. Die Rechtsfolgen dieses Bescheides sollten nach der Entlassung aus der Gerichtshaft eintreten.

Begründend stellte sie die hohe Gefahr näher dar, die von dem - vor seiner Inhaftierung - obdachlosen, nicht integrierten, mittellosen und wiederholt straffällig gewordenen Beschwerdeführer ausgehe. Dieser verfüge nicht über Dokumente und habe sich im Verfahren zur Beschaffung eines Heimreisezertifikates stets unkooperativ verhalten. Da zudem eine behördliche Meldung fehle, sei insgesamt ein Sicherungsbedarf zu bejahen. Die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG komme nicht in Betracht, weil die Behörde keinen Grund zur Annahme habe, dass der Zweck der Schubhaft auch durch dessen Anwendung erreicht werden könnte.

Der Beschwerdeführer wurde vom 14. September bis zum 23. November 2012 in Schubhaft angehalten. Die Enthaftung erfolgte, weil er eine Mitwirkung im Verfahren zur Erlangung von Ersatzreisedokumenten fortgesetzt verweigert und auch die (in London befindliche) Botschaft der Republik Gambia auf entsprechende Ersuchen und deren Urgenzen durch die Bundesministerin für Inneres nicht reagiert hatte.

Am 21. September 2012 erhob der Beschwerdeführer eine an die belangte Behörde gerichtete Administrativbeschwerde, in der er unter anderem vorbrachte, dass er kein Reisedokument besitze und auch keine Aussicht auf Erlangung eines Heimreisezertifikates von der Botschaft Gambias bestehe. Dazu beantragte er die Einvernahme eines Zeugen (eines Mitarbeiters der Landespolizeidirektion Wien) in einer mündlichen Verhandlung. Eine Abschiebung sei "jedenfalls zumindest derzeit nicht möglich." Die Haft stelle sich somit mangels Aussicht auf zeitnahe Abschiebung als unverhältnismäßig und unrechtmäßig dar.

Die Landespolizeidirektion Wien äußerte sich dazu über Aufforderung durch die belangte Behörde am 24. September 2012 dahin, dass der Beschwerdeführer nunmehr greifbar sei und nach entsprechendem Verlangen der Botschaft, die bislang allerdings auf Anfragen nicht geantwortet habe, "auch vorgeführt" werden könnte.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 25. September 2012 wies die belangte Behörde die Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 Abs. 1, 2 und 4 FPG als unbegründet ab und stellte fest, dass zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen weiterhin vorlägen.

Begründend bejahte sie, ohne Durchführung der beantragten Beweisaufnahme, nach Darstellung der strafgerichtlichen Verurteilungen und des bisherigen unkooperativen Verhaltens des Beschwerdeführers, einen nur durch Haft abdeckbaren Sicherungsbedarf im Sinne des § 76 Abs. 1 FPG. Das Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates sei "im Laufen". Die Schubhaft erweise sich somit als rechtmäßig. Von der beantragten mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können, weil "der entscheidungswesentliche Sachverhalt feststeht".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Der hier herangezogene Tatbestand des § 76 Abs. 1 FPG setzt - unter dem fallbezogen allein in Betracht kommenden Aspekt der Sicherung der Abschiebung - voraus, dass die Ausstellung eines notwendigen Ersatzreisedokumentes für den Beschwerdeführer nach der administrativen Praxis der für ihn zuständigen Botschaft (hier Gambias) von vornherein nicht aussichtslos erscheinen musste. Eine derartige Aussichtslosigkeit hat der Beschwerdeführer aber geltend gemacht. Darüber hätte die belangte Behörde, die das Vorbringen in der Administrativbeschwerde nicht ohne weitere Ermittlungen für unrichtig erachten durfte, Erhebungen durchführen und Feststellungen treffen müssen.

Unter Berücksichtigung der divergierenden Argumentation der Landespolizeidirektion Wien in ihrer Stellungnahme zur Administrativbeschwerde einerseits und des Beschwerdeführers andererseits zu diesem Thema kann auch nicht von einem im Sinn des § 83 Abs. 2 Z 1 FPG geklärten Sachverhalt und folglich auch nicht von der Ermächtigung der belangten Behörde ausgegangen werden, von der mündlichen Verhandlung abzusehen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 5. Juli 2012, Zl. 2010/21/0238).

Im Hinblick auf die dargestellte Verletzung von Verfahrensvorschriften, der Relevanz nicht abgesprochen werden kann, war der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 18. April 2013

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