VwGH 2013/05/0036

VwGH2013/05/003630.4.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde der I S in S, vertreten durch Riel Grohmann Rechtsanwälte in 3500 Krems, Gartenaugasse 1, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 4. Februar 2013, Zl. RU1-BR-1752/001-2012, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. J V und 2. B V, beide in S, sowie 3. Stadtgemeinde S), zu Recht erkannt:

Normen

BauO NÖ 1996 §50;
BauO NÖ 1996 §51;
BauO NÖ 1996 §6 Abs2 Z3;
BauO NÖ 1996 §70 Abs1 Z1;
BauO NÖ 1996 §50;
BauO NÖ 1996 §51;
BauO NÖ 1996 §6 Abs2 Z3;
BauO NÖ 1996 §70 Abs1 Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

Der Beschwerde und dem angefochtenen Bescheid ist Folgendes zu entnehmen:

Mit Eingabe vom 14. Juni 2012 beantragten die erstmitbeteiligte und die zweitmitbeteiligte Partei (im Folgenden: Bauwerber) die Erteilung einer Baubewilligung für den Zubau eines Wintergartens zum bestehenden Wohnhaus auf dem Grundstück Nr. 34/10, KG (S.). Den Einreichunterlagen zufolge soll der Wintergarten im Erdgeschoss dieses Wohnhauses an der Nordseite (Hinterseite) und westlich an das Gebäude am (seitlichen) Nachbargrundstück, welches im Eigentum der Beschwerdeführerin steht, angebaut werden.

Das Baugrundstück ist laut dem bestehenden Flächenwidmungsplan als "Bauland-Wohngebiet" gewidmet. Im Bebauungsplan sind die geschlossene Bebauungsweise, eine Bebauungsdichte von 40%, die Bauklasse I sowie eine vordere und eine hintere Baufluchtlinie festgelegt.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 13. Juli 2012 wurde den Bauwerbern die beantragte Baubewilligung erteilt. Die von der Beschwerdeführerin dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Stadtrates der mitbeteiligten Gemeinde vom 18. September 2012 als unbegründet abgewiesen.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid der belangten Behörde vom 4. Februar 2013 wurde die von der Beschwerdeführerin gegen diesen Berufungsbescheid erhobene Vorstellung als unbegründet abgewiesen. Unter anderem führte die belangte Behörde unter Hinweis auf § 70 Abs. 1 Z 1 NÖ Bauordnung 1996 (BauO) aus, dass der Wintergarten auf einer Fläche mit geschlossener Bebauungsweise errichtet werden solle. Die Anrainerin könne im Hinblick auf diese Bebauungsweise nicht verlangen, dass ein Zubau zu einem bestehenden Gebäude einen Abstand von der Nachbargrundgrenze einhalte, wenn das bestehende bewilligte Gebäude direkt an der Grundgrenze situiert sei. Dass mit dem Vorhaben eine Beeinträchtigung der Belichtungsverhältnisse im Sinne des § 53 Abs. 8 BauO verbunden wäre, sei vom Amtssachverständigen verneint worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im Beschwerdefall sind die Bestimmungen der BauO in der Fassung LGBl. 8200-20 maßgeblich. § 6 BauO lautet auszugsweise:

"§ 6

Parteien, Nachbarn und Beteiligte

(1) In Baubewilligungsverfahren und baupolizeilichen Verfahren nach § 32, § 33 Abs. 2, § 34 Abs. 2 und § 35 haben Parteistellung:

(…)

3. die Eigentümer der Grundstücke, die an das Baugrundstück angrenzen oder von diesem durch dazwischen liegende Grundflächen mit einer Gesamtbreite bis zu 14 m (z.B. schmale Grundstücke, Verkehrsflächen, Gewässer, Grüngürtel) getrennt sind (Nachbarn), und

(…)

Nachbarn sind nur dann Parteien, wenn sie durch das Bauwerk und dessen Benützung in den in Abs. 2 erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechten berührt sind.

Beteiligte sind alle sonstigen Personen, die in ihren Privatrechten oder in ihren Interessen betroffen werden.

(2) Subjektiv-öffentliche Rechte werden begründet durch jene Bestimmungen dieses Gesetzes, des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000, der NÖ Aufzugsordnung, LGBl. 8220, sowie der Durchführungsverordnungen zu diesen Gesetzen, die

1. die Standsicherheit, die Trockenheit und den Brandschutz der Bauwerke der Nachbarn (Abs. 1 Z. 4)

sowie

2. den Schutz vor Immissionen (§ 48), ausgenommen jene, die sich aus der Benützung eines Gebäudes zu Wohnzwecken oder einer Abstellanlage im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß (§ 63) ergeben,

gewährleisten und über

3. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe, den Bauwich, die Abstände zwischen Bauwerken oder deren zulässige Höhe, soweit diese Bestimmungen der Erzielung einer ausreichenden Belichtung der Hauptfenster (§ 4 Z. 9) der zulässigen (bestehende bewilligte und zukünftig bewilligungsfähige) Gebäude der Nachbarn dienen.

(…)"

Die Beschwerdeführerin ist Nachbar im Sinn des § 6 Abs. 1 Z 3 leg. cit. Das Mitspracherecht des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren ist in zweifacher Weise beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen, und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat. Daraus folgt, dass die Prüfungsbefugnisse der Berufungsbehörde sowie der Aufsichtsbehörde und auch der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts im Falle des Rechtsmittels einer Partei des Verwaltungsverfahrens mit beschränktem Mitspracherecht, wie dies auf Nachbarn nach der BauO im Baubewilligungsverfahren zutrifft, auf jene Fragen beschränkt ist, hinsichtlich derer dieses Mitspracherecht als subjektivöffentliches Recht besteht und soweit rechtzeitig im Verfahren derartige Einwendungen erhoben wurden. Ein Nachbar als Beschwerdeführer kann durch die erteilte Baubewilligung nur dann in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt sein, wenn seine öffentlich-rechtlichen Einwendungen von den Baubehörden in rechtswidriger Weise nicht berücksichtigt worden sind. Im Übrigen sind nach der ständigen hg. Rechtsprechung die subjektivöffentlichen Nachbarrechte in § 6 Abs. 2 BauO taxativ aufgezählt, sodass der Nachbar keine über die in dieser Gesetzbestimmung festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechte hinausgehenden Rechte geltend machen kann. Ferner gehen die Verfahrensrechte einer Partei nicht weiter als ihre materiellen Rechte, sodass Verfahrensfehler für Nachbarn nur dann von Relevanz sein können, wenn damit eine Verletzung ihrer materiellen Nachbarrechte gegeben wäre (vgl. zum Ganzen aus der ständigen hg. Judikatur etwa das Erkenntnis vom 29. Jänner 2013, Zl. 2011/05/0049, mwN).

Gemäß § 4 Z 5 BauO gilt im Sinne dieses Gesetzes als Bauwich:

der vorgeschriebene Mindestabstand eines Gebäudes zu den Grundstücksgrenzen (seitlicher und hinterer Bauwich) oder zur Straßenfluchtlinie (vorderer Bauwich).

Die §§ 50 und 51 BauO lauten:

"§ 50

Bauwich

(1) Der seitliche Bauwich (§ 70 Abs. 1 Z 2 bis 5) muß im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes der halben Gebäudehöhe entsprechen. Wenn er nicht in den folgenden Bestimmungen oder im Bebauungsplan durch Baufluchtlinien anders geregelt ist, muß er mindestens 3 m betragen.

Ab einer Gebäudehöhe von mehr als 8 m und einer Länge der der Grundstücksgrenze zugewandten Gebäudefront von mehr als 15 m muß der Bauwich für jenen Teil der Gebäudefront, der über diese 15 m hinausreicht, der vollen Gebäudehöhe entsprechen (abgesetzte Gebäudefront).

(2) Zwischen einem Gebäude und der hinteren Grundstücksgrenze ist grundsätzlich bei jeder Bebauungsweise ein Bauwich im Ausmaß nach Abs. 1 einzuhalten, sofern im Bebauungsplan nichts anderes festgelegt ist und nicht § 51 Abs. 4 zutrifft.

(3) Ein geringerer Bauwich als nach Abs. 1 und 2 genügt, wenn

1. dies zur Wahrung des Charakters der Bebauung in Schutzzonen, erhaltungswürdigen Altortgebieten und zusammenhängend bebauten Ortsgebieten erforderlich ist,

2. der freie Lichteinfall unter 45 Grad auf die Hauptfenster zulässiger Gebäude auf den Nachbarbauplätzen gewährleistet ist und

3. keine hygienischen oder brandschutztechnischen Bedenken bestehen.

Einen anderen Bauwich als nach Abs. 1 und 2 darf die Baubehörde für Betriebsgebäude

(4) Wenn die Grundstücksgrenze und die Gebäudefront nicht parallel zueinander verlaufen, muß jeweils der geringste Abstand das im Abs. 1 oder 2 bestimmte Ausmaß aufweisen.

(5) Bei Fahnengrundstücken (§ 10 Abs. 2 Z 4), darf der streifenförmige Grundstücksteil je zur Hälfte seiner Breite dem Bauwich der angrenzenden Grundstücke angerechnet werden. Einfriedungen oder sonstige Bauwerke auf diesem Grundstücksteil dürfen den freien Lichteinfall unter 45 Grad auf die Hauptfenster der zulässigen Gebäude auf den Nachbargrundstücken nicht beeinträchtigen."

"§ 51

Bauwerke im Bauwich

(1) Im seitlichen und hinteren Bauwich dürfen Nebengebäude und -teile errichtet werden, wenn

  1. 1. der Bebauungsplan dies nicht verbietet,
  2. 2. die Grundrißfläche dieser Nebengebäude und -teile insgesamt nicht mehr als 100 m2 und

    3. die Gebäudehöhe dieser Nebengebäude und -teile nicht mehr als 3 m beträgt; bei Hanglage des Grundstücks darf diese Höhe hangabwärts entsprechend dem gegebenen Niveauunterschied überschritten werden, wenn der freie Lichteinfall unter 45 Grad auf die Hauptfenster zulässiger Gebäude auf den Nachbargrundstücken nicht beeinträchtigt wird.

(2) Im vorderen Bauwich darf eine Kleingarage (Grundrißfläche bis 100 m2) errichtet werden, wenn

(3) Bei der gekuppelten und der einseitig offenen Bebauungsweise muß der seitliche Bauwich, bei der offenen Bebauungsweise und der freien Anordnung von Gebäuden ein seitlicher Bauwich von Nebengebäuden freigehalten werden.

(4) Im Bauland mit den Widmungsarten Kerngebiet, Betriebsgebiet, Industriegebiet, Agrargebiet und Sondergebiet ohne Schutzbedürftigkeit, darf ein Gebäude oder -teil im hinteren Bauwich errichtet werden, wenn im Bebauungsplan keine hintere Baufluchtlinie festgelegt ist und der freie Lichteinfall unter 45 Grad auf die Hauptfenster zulässiger Gebäude auf den Nachbargrundstücken nicht beeinträchtigt wird.

(5) Bauliche Anlagen sind im Bauwich zulässig, wenn - sie den freien Lichteinfall unter 45 Grad auf die Hauptfenster zulässiger Gebäude auf Nachbargrundstücken nicht beeinträchtigen

und

- der Bebauungsplan dies nicht verbietet.

Für Vorbauten gilt § 52.

(6) Bei Bauplätzen, die nicht oder nur mit einem streifenförmigen Grundstücksteil (§ 10 Abs. 2 Z 4) an eine öffentliche Verkehrsfläche grenzen, richtet sich die Beurteilung des Bauwichs als seitlicher oder hinterer nach dem des angrenzenden Bauplatzes."

§ 70 BauO lautet auszugsweise:

"§ 70

Regelung der Bebauung

(1) Die Bebauungsweise regelt die Anordnung der Gebäude auf dem Grundstück. Sie kann unter anderem auf eine der folgenden Arten festgelegt werden:

1. geschlossene Bebauungsweise

die Gebäude sind von seitlicher zu seitlicher Grundstücksgrenze oder bis zu einer Baufluchtlinie (z.B. Eckbauplätze) zu bauen; Gebäude und Gebäudegruppen mit geschlossener, einheitlicher baulicher Gestaltung (z.B. Einfriedungsmauer) an oder gegen Straßenfluchtlinien gelten ebenfalls als geschlossene Bebauungsweise; (…)

(…)"

Die Beschwerde bringt vor, dass zwischen dem Gebäude der Bauwerber und der hinteren Grundstücksgrenze eine Fläche mit einer Tiefe von 13,5 m bestehe, wovon nur ein Streifen von 6,0 m als hinterer Bauwich ausgewiesen, aber (die Fläche) nicht mit der "vorgenannten Fläche" identisch sei, wie dies von der belangten Behörde gesagt werde. Innerhalb der Baufluchtlinien seien Vorhaben, die der Wohngebietsnutzung entsprächen, zulässig, im hinteren Bauwich jedoch nur Nebengebäude. Für beide Bereiche gälten allerdings die Bestimmungen über den seitlichen Bauwich nach § 50 und § 51 BauO.

Dieses Vorbringen lässt nicht erkennen, inwieweit die Beschwerdeführerin in einem subjektiv-öffentlichen Nachbarrecht im Sinn des § 6 Abs. 2 BauO verletzt wäre.

So stellt die Beschwerde nicht in Abrede, dass im Bebauungsplan der mitbeteiligten Gemeinde für das Baugrundstück die geschlossene Bebauungsweise festgelegt ist. Aus dem der Beschwerde als Beilage A angeschlossenen Planausschnitt ergibt sich, dass der (darin so bezeichnete) "Zubau Wintergarten" keine Baufluchtlinie überragt.

Die von der Beschwerdeführerin angeführten Bestimmungen der §§ 50 und 51 BauO regeln den Bauwich bzw. die Zulässigkeit von Bauwerken im Bauwich. Da für die Bauliegenschaft, wie bereits erwähnt, die geschlossene Bebauungsweise vorgeschrieben ist und insoweit keine Abstandsvorschriften bestehen, dürfen die Bauführer auf dieser Liegenschaft bis zur Grenze der beiden Grundstücke heranbauen. Ein (seitlicher) Bauwich ist somit nicht einzuhalten, weshalb der Beschwerdehinweis auf die §§ 50 und 51 leg. cit. fehlgeht (vgl. in diesem Zusammenhang etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Mai 2012, Zl. 2010/05/0141). Zwar gilt § 50 Abs. 2 BO für alle Bebauungsweisen; hier ist jedoch durch die hintere Baufluchtlinie etwas "anderes" festgelegt. Die hintere Baufluchtlinie wird durch den Zubau nicht überschritten.

Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 30. April 2013

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