VwGH 2013/04/0075

VwGH2013/04/007512.9.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Zirm, über die Beschwerde der X in Y, vertreten durch Bachmann & Bachmann Rechtsanwälte in 1010 Wien, Opernring 8, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 2. April 2013, Zl. 143520-2013, betreffend Widerruf der öffentlichen Bestellung nach dem Wirtschaftstreuhandberufsgesetz, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §38;
WTBG 1999 §104 Abs1 Z1;
WTBG 1999 §8 Abs1 Z2;
WTBO §9 Z1 lita;
AVG §38;
WTBG 1999 §104 Abs1 Z1;
WTBG 1999 §8 Abs1 Z2;
WTBO §9 Z1 lita;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde wurde die der Beschwerdeführerin durch öffentliche Bestellung erteilte Berechtigung zur selbständigen Ausübung des Wirtschaftstreuhandberufes Steuerberater gemäß § 104 Abs. 1 Z. 1 iVm § 8 Abs. 1 Z. 2 des Wirtschaftstreuhandberufsgesetzes (WTBG) widerrufen.

Nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und der maßgeblichen Rechtsvorschriften stellte die belangte Behörde zunächst fest, dass die Beschwerdeführerin mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 29. November 2011, rechtskräftig seit 8. November 2012, wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs. 1 und 2 zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten verurteilt worden ist, wobei ein Strafteil von 27 Monaten bedingt nachgesehen wurde. Dem Urteil zufolge habe die Beschwerdeführerin im Zeitraum von 2004 bis 2008 die ihr in ihrer Eigenschaft als Wirtschafts- und Steuerberaterin von zwei Unternehmen und somit durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, wissentlich missbraucht und diesen Unternehmen einen Vermögensnachteil zugefügt, indem sie rechtsgrundlos Steuerguthaben dieser Unternehmen in der Höhe von über EUR 257.000,-- auf ihr eigenes Steuer- bzw. Bankkonto überwiesen habe.

Die Beschwerdeführerin sei somit von einem Gericht wegen einer mit Vorsatz begangenen strafbaren Handlung zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, weshalb der "Widerrufsgrund des § 9 Abs. 1 lit. a WTBG" vorliege. Bei der Prüfung, ob das Tatbestandsmerkmal einer derartigen Verurteilung vorliege, handle es sich nicht um die Lösung einer Vorfrage, sondern um die Feststellung einer Tatsache. Bei der Beschwerdeführerin sei somit die allgemeine Voraussetzung der besonderen Vertrauenswürdigkeit nicht mehr gegeben. Die durch öffentliche Bestellung erteilte Berechtigung zur selbständigen Ausübung des Wirtschaftstreuhandberufes Steuerberater sei daher zu widerrufen.

Im Hinblick auf das im Verwaltungsverfahren erstattete Vorbringen der Beschwerdeführerin betreffend die Stellung eines Antrages auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens führte die belangte Behörde aus, dass - wenn die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 104 Abs. 1 Z. 1 iVm § 8 Abs. 1 Z. 2 und § 9 Z. 1 lit. a WTBG vorliegen - daran auch nichts ändern könne, dass möglicherweise die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens gegeben wären. Die Entscheidung über den Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens stelle daher im Widerrufsverfahren keine Vorfrage iSd § 38 AVG dar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die für den vorliegenden Fall relevanten Bestimmungen des WTBG in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 54/2012 lauten wie folgt:

"Voraussetzungen

§ 8. (1) Allgemeine Voraussetzungen für die

öffentliche Bestellung sind:

1. die volle Handlungsfähigkeit,

2. die besondere Vertrauenswürdigkeit,

3. geordnete wirtschaftliche Verhältnisse,

4. eine aufrechte Vermögensschaden-

Haftpflichtversicherung und

5. ein Berufssitz.

…"

"Besondere Vertrauenswürdigkeit

§ 9. Die besondere Vertrauenswürdigkeit liegt

dann nicht vor, wenn der Berufswerber rechtskräftig verurteilt

oder bestraft worden ist

1. a) von einem Gericht wegen einer mit Vorsatz

begangenen strafbaren Handlung zu einer mehr als dreimonatigen

Freiheitsstrafe oder

b) von einem Gericht wegen einer mit

Bereicherungsvorsatz begangenen strafbaren Handlung oder

c) von einem Gericht wegen eines Finanzvergehens oder

d) von einer Finanzstrafbehörde wegen eines

vorsätzlichen Finanzvergehens mit Ausnahme einer

Finanzordnungswidrigkeit und

2. diese Verurteilung oder Bestrafung noch nicht

getilgt ist oder solange die Beschränkung der Auskunft gemäß § 6 Abs. 2 oder Abs. 3 des Tilgungsgesetzes 1972, BGBl. Nr. 68, noch nicht eingetreten ist."

"Widerruf der öffentlichen Bestellung

§ 104. (1) Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder hat eine durch öffentliche Bestellung erteilte Berechtigung zur selbständigen Ausübung eines Wirtschaftstreuhandberufes zu widerrufen, wenn

1. eine der allgemeinen Voraussetzungen für die

öffentliche Bestellung nicht mehr gegeben ist oder

2. die Einholung der Genehmigung gemäß § 93 Abs. 4 unterlassen wurde.

(2) Über den Widerruf der Bestellung ist ein schriftlicher Bescheid zu erlassen.

(3) Gegen diesen Bescheid steht das Rechtsmittel der Berufung zu. Über die Berufung hat der Landeshauptmann zu entscheiden.

..."

Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht das Vorliegen der dargestellten rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung. Sie verweist aber auf das "anhängige strafgerichtliche Prüfungsverfahren zur Zulässigkeit einer Wiederaufnahme" und vertritt die Auffassung, die belangte Behörde hätte dieses Verfahrens (bzw. dessen Ergebnis) als Vorfrage iSd § 38 AVG beurteilen müssen.

Dazu ist Folgendes anzumerken:

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist präjudiziell - und damit Vorfragenentscheidung im verfahrensrechtlich relevanten Sinn - nur eine Entscheidung, die erstens eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar - d.h. eine notwendige Grundlage - ist, und die zweitens diese Rechtsfrage in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regelt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2013, Zl. 2012/03/0072, mwH).

Hauptfrage im vorliegenden Fall ist, ob bei der Beschwerdeführerin eine der allgemeinen Voraussetzungen für die öffentliche Bestellung, nämlich die besondere Vertrauenswürdigkeit gemäß § 8 Abs. 1 Z. 2 WTBG, nicht mehr gegeben ist und damit ein Widerrufsgrund iSd § 104 Abs. 1 Z. 1 WTBG vorliegt. Die fallbezogen maßgebliche Regelung über das Nichtvorliegen dieser Voraussetzung in § 9 Z. 1 lit. a WTBG knüpft an das Bestehen einer (näher umschriebenen) Verurteilung an. Bei der Prüfung, ob das Tatbestandsmerkmal einer derartigen Verurteilung erfüllt ist, handelt es sich - wie auch die belangte Behörde zutreffend ausgeführt hat - nicht um die Lösung einer Vorfrage, sondern um die Feststellung einer Tatsache (vgl. in diesem Sinn betreffend das Vorliegen einer Verurteilung gemäß § 13 Abs. 1 Z. 1 der Gewerbeordnung 1994 das hg. Erkenntnis vom 14. Jänner 2009, Zl. 2007/04/0199, mwN; siehe weiters Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 Rz 11).

Ausgehend von der unbestritten gebliebenen Verurteilung der Beschwerdeführerin wegen einer vorsätzlich begangenen strafbaren Handlung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 30 Monaten hat die belangte Behörde zutreffend das Tatbestandsmerkmal nach § 9 Z. 1 lit. a WTBG als erfüllt und damit die allgemeine Voraussetzung der besonderen Vertrauenswürdigkeit gemäß § 8 Abs. 1 Z. 2 WTBG als nicht mehr gegeben angesehen.

Durch den bloßen Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens - dass diesem Antrag stattgegeben und die Wiederaufnahme bewilligt worden wäre, wird auch in der Beschwerde nicht behauptet - wird diese Verurteilung aber nicht beseitigt (vgl. in diesem Sinn zu einer ähnlichen Konstellation das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2009, Zl. 2008/08/0217). Die belangte Behörde hatte ihrer Entscheidung vielmehr - weiterhin - das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung zugrunde zu legen.

Daher ist aber die Beurteilung der Frage, ob einem Antrag auf Wiederaufnahme allenfalls stattzugeben wäre, nicht präjudiziell - und somit keine unabdingbare Grundlage - für die hier maßgebliche Frage, ob ein Widerrufsgrund iSd § 104 Abs. 1 Z. 1 WTBG vorliegt.

Ausgehend davon kommt auch dem weiteren Beschwerdevorbringen, wonach sich dem angefochtenen Bescheid nicht entnehmen lasse, wieso die belangte Behörde von dem in § 38 zweiter Satz AVG eingeräumten Ermessen hinsichtlich der Aussetzung des Verfahrens keinen Gebrauch gemacht hat, keine Berechtigung zu, weil ein derartiges Ermessen mangels Vorliegens einer Vorfrage nicht bestand.

Da sich somit bereits auf Grund des Beschwerdevorbringens erkennen lässt, dass dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden. Der EGMR hat wiederholt dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigen. Das Vorliegen solcher außergewöhnlicher Umstände wurde etwa angenommen, wenn es nicht um Fragen der Beweiswürdigung geht und die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten werden (vgl. in diesem Sinn jüngst die Entscheidung vom 18. Juli 2013, Nr. 56422/09, Schädler-Eberle/Liechtenstein). Im gegenständlichen Fall geht es nur um die Lösung der in der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfrage, ob die Prüfung der Zulässigkeit einer Wiederaufnahme eine Vorfrage iSd § 38 AVG darstellt. Art. 6 EMRK steht daher dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen.

Wien, am 12. September 2013

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