Normen
AVG §68 Abs1;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §68 Abs1;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte die belangte Behörde die erstinstanzliche Zurückweisung des Antrages des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen des Kosovo, vom 1. März 2010 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 43 Abs. 3 und § 44b Abs. 1 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).
Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 44 Abs. 3 NAG gestellt, der seit Inkrafttreten des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 als Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung" gemäß § 43 Abs. 3 NAG zu werten sei. Diesen Antrag habe die erstinstanzliche Behörde mit Bescheid vom 25. Oktober 2011 als unzulässig zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer sei am 16. Jänner 2006 von seinem österreichischen Onkel und dessen Ehefrau adoptiert worden. Er habe bereits vom Heimatland aus am 23. Juli 2008 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung als Angehöriger eines österreichischen Staatsbürgers gestellt. Dieser Antrag sei "mangels Unterhaltes" abgewiesen worden. Trotzdem sei der Beschwerdeführer am 13. Jänner 2009 illegal eingereist und habe am selben Tag einen Asylantrag gestellt. Dieser sei in erster Instanz mit Bescheid vom 4. März 2009 "negativ entschieden" worden. Die dagegen erhobene Beschwerde habe der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 10. November 2009 als unbegründet abgewiesen. Der Asylgerichtshof habe in seinem Erkenntnis auch die Ausweisung des Beschwerdeführers in die Republik Kosovo ausgesprochen. Dadurch sei bereits eine Abwägung im Sinne des Art. 8 EMRK durchgeführt worden. In seinem Heimatort lebten seine Eltern, eine Schwester und drei Brüder. Mit diesen Personen habe er bis zur Ausreise im Jahr 2009 in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Der Beschwerdeführer sei während seines inländischen Aufenthaltes zu keinem Zeitpunkt einer erlaubten Beschäftigung nachgegangen.
In einer Stellungnahme vom 11. Oktober 2011 habe der Beschwerdeführer bekannt gegeben, dass er bei der Pflege seines Cousins in Abwechslung mit dessen Eltern und Geschwistern mithelfe. Für die Angehörigen wäre es sehr schwierig, die Pflege allein zu übernehmen. Der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde weiter - habe jedoch in seiner Berufung wieder keine näheren Angaben über die Intensität der Mithilfe bei der Pflege gemacht. Er habe nur darauf hingewiesen, dass sich die Familie des Cousins eine fremde Pflegerin nicht leisten könne.
Die belangte Behörde könne in dieser Mithilfe keinen maßgeblich geänderten Sachverhalt erblicken. Es seien vom Beschwerdeführer auch keine näheren Details, weder in der Stellungnahme noch in der Berufung, bekannt gegeben worden. Für die Berufungsbehörde sei nicht erkennbar, dass in der Zeit seit der Ausweisung vom 10. November 2009 bis zur erstinstanzlichen Entscheidung der Niederlassungsbehörde vom 25. Oktober 2011 ein maßgeblich geänderter Sachverhalt eingetreten wäre. Die Zurückweisung des Antrages gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG sei daher zulässig.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Eingangs ist festzuhalten, dass angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides im März 2012 die Bestimmungen des NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 112/2011 anzuwenden sind.
Gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG ist unter anderem ein Antrag gemäß § 43 Abs. 3 NAG als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 NAG ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.
Der Sache nach ist der Zurückweisungsgrund des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG der Zurückweisung wegen entschiedener Sache (§ 68 Abs. 1 AVG) nachgebildet. Die zu § 68 Abs. 1 AVG entwickelten Grundsätze für die Beurteilung, wann eine Änderung des Sachverhalts als wesentlich anzusehen ist, können daher auch für die Frage, wann maßgebliche Sachverhaltsänderungen im Sinne des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG vorliegen, herangezogen werden. Demnach ist eine Sachverhaltsänderung dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die rechtskräftige Entscheidung gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann. Die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides (bezogen auf § 44b Abs. 1 Z 1 NAG: eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK) muss also zumindest möglich sein; in dieser Hinsicht hat die Behörde eine Prognose zu treffen. Dabei ist die Wesentlichkeit der Sachverhaltsänderung nach der Wertung zu beurteilen, die das geänderte Sachverhaltselement in der seinerzeitigen Entscheidung erfahren hat. Bei dieser Prognose sind hier die nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände jedenfalls soweit einzubeziehen, als zu beurteilen ist, ob es angesichts dieser Umstände nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann, dass im Blick auf früher maßgebliche Erwägungen eine andere Beurteilung nach Art. 8 EMRK unter Bedachtnahme auf den gesamten vorliegenden Sachverhalt nunmehr geboten sein könnte. Eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK muss sich zumindest als möglich darstellen (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 20. August 2013, Zl. 2012/22/0119).
Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer letztinstanzlich mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 10. November 2009 ausgewiesen. Die im vorliegenden Fall zu beurteilende Zurückweisung des Antrages nahm die erstinstanzliche Behörde mit Bescheid vom 25. Oktober 2011 vor. Somit unterscheidet sich die Sachlage schon dadurch, dass im Zeitpunkt der Erlassung der rechtskräftigen Ausweisungsentscheidung der im Jänner 2009 eingereiste Beschwerdeführer erst ca. 11 Monate in Österreich aufhältig war, im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides im vorliegenden Aufenthaltstitelverfahren hingegen ca. 2 Jahre und 10 Monate.
Darüber hinaus hat er in der Stellungnahme vom 11. Oktober 2011 vorgebracht, dass er seinen Cousin in Abwechslung mit dessen Eltern und Geschwistern pflege. Der Cousin sei auch auf die Hilfe des Beschwerdeführers angewiesen. Diesem Vorbringen maß die erstinstanzliche Behörde allein damit keine Bedeutung zu, dass die Pflege des Cousins keinen maßgeblich geänderten Sachverhalt darstelle. Dieser Beurteilung schloss sich die belangte Behörde an und verwies darauf, dass der Beschwerdeführer keine näheren Angaben über die Intensität der Hilfe bei der Pflege gemacht habe. Dazu war der Beschwerdeführer jedoch im maßgeblichen erstinstanzlichen Verfahren nicht aufgefordert worden. Weder die erstinstanzliche noch die belangte Behörde sprachen dem Vorbringen des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit ab. Davon ausgehend kann aber nicht gesagt werden, dass eine andere Beurteilung nach Art. 8 EMRK im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung der erstinstanzlichen Niederlassungsbehörde "von vornherein als ausgeschlossen" gelten konnte. Dem stehen - wie bereits erwähnt - nicht nur eine in Relation völlig andere Dauer des Aufenthalts im Inland, sondern auch die (ungeprüft gebliebene) Behauptung maßgeblicher familiärer Interessen für einen Verbleib in Österreich entgegen.
Demnach war der angefochtene Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 3. Oktober 2013
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