VwGH 2012/22/0053

VwGH2012/22/005330.5.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, in der Beschwerdesache der T, vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof und Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwälte in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau vom 2. August 2011, Zl. 30406-353/1003/1/2-2008, betreffend Aufenthaltstitel, über den Antrag, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist zu bewilligen (prot. zu hg. Zl. 2012/22/0053), sowie über die neuerlich erhobene Beschwerde gegen den vorgenannten Bescheid (prot. zu hg. Zl. 2012/22/0054), den Beschluss gefasst:

Normen

NAG 2005 §3 Abs2 idF 2011/I/112;
VwGG §26 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs2;
NAG 2005 §3 Abs2 idF 2011/I/112;
VwGG §26 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs2;

 

Spruch:

1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht stattgegeben.

2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 2. August 2011 gab die Bezirkshauptmannschaft S einem Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 Abs. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, den sie nach Inkrafttreten der Änderungen auf Grund des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 - FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38, als solchen auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 43 Abs. 4 NAG wertete, nicht statt.

Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 13. Oktober 2011, Zlen. 2011/22/0265 bis 0267, wegen Nichterschöpfung des Instanzenzuges zurück.

Eine parallel zur Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhobene Berufung vom 18. August 2011 wurde mit Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 16. Februar 2012 als unzulässig zurückgewiesen, weil am 8. Dezember 2011 die Änderung des § 3 Abs. 2 NAG durch das Budgetbegleitgesetz 2012, BGBl. I Nr. 112/2011, in Kraft getreten war, die den Instanzenzug an die Bundesministerin (wieder) ausschloss.

Im nunmehr gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist macht die Beschwerdeführerin geltend, dass in der neuerlichen Gesetzesänderung ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis liege. Dieser Wiedereinsetzungsgrund sei ihr erstmals mit Zustellung des zurückweisenden Bescheides der Bundesministerin für Inneres am 12. März 2012 zur Kenntnis gelangt. Der Antrag auf Wiedereinsetzung werde zudem auf den Umstand gestützt, dass der bekämpfte Bescheid der Bezirkshauptmannschaft S jedenfalls zum Zeitpunkt der Zustellung eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung enthalten habe. Entgegen der Rechtsmittelbelehrung sei eine Berufung zulässig und daher die Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig gewesen. Es lägen daher die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 und 2 VwGG vor.

In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Berufungsbehörde durch eine Änderung der Rechtslage während des anhängigen Berufungsverfahrens ihre Zuständigkeit zur sachlichen Entscheidung über das Rechtsmittel verliert, sodass der Bescheid der Unterinstanz zu einem letztinstanzlichen wird, beginnt die Frist zur Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegen den Bescheid mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem er zu einem letztinstanzlichen Bescheid geworden ist, somit mit dem Zeitpunkt der Änderung der Rechtslage (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 18. Juni 1968, Zl. 201/66, VwSlg. 7370 A; vgl. auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 15. Juni 1984, V 29/82, VfSlg. 10.049).

Demnach hat die Beschwerdefrist im vorliegenden Fall erst mit dem Inkrafttreten des § 3 Abs. 2 NAG in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2012 am 8. Dezember 2011 zu laufen begonnen. Die Gesetzesänderung konnte somit kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen, das die Beschwerdeführerin an der rechtzeitigen Einbringung der Beschwerde gehindert hätte, sondern hat vielmehr erst den Beginn des Laufs der Beschwerdefrist ausgelöst. Ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis könnte bloß in der Unkenntnis dieser Änderung der Rechtslage liegen. Daran hat die schon im Verwaltungsverfahren anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin aber ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden getroffen, weil von einem Rechtsanwalt - dessen Verschulden sich die Beschwerdeführerin zurechnen lassen muss - zu erwarten ist, dass er sich über Änderungen der in laufenden Verfahren maßgeblichen Rechtslage informiert hält und Vorkehrungen trifft, um in diesen Verfahren entsprechend reagieren zu können; dies insbesondere in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die belangte Behörde der anzuwendenden, durch das FrÄG 2011 neu geschaffenen, für die Partei günstigeren Rechtslage in der Rechtsmittelbelehrung trotz des neuen Wortlautes das Verständnis der bisherigen, weniger günstigen Rechtslage unterlegte. Der Rechtsvertreter hat dies im Übrigen erkannt und beide damals in Betracht zu ziehenden Rechtsbehelfe ergriffen.

Es kann auch nicht gesagt werden, es sei erst mit der Zurückweisung der Berufung durch die Bundesministerin für Inneres geklärt gewesen, dass der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft S zu einem letztinstanzlichen Bescheid geworden sei; diese Rechtsfolge hat sich vielmehr eindeutig schon aus § 3 Abs. 2 NAG in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2012 ergeben (zu Fällen, in denen die neue Rechtslage hinsichtlich des Instanzenzuges unklar war, vgl. demgegenüber etwa den hg. Beschluss vom 24. Februar 1975, Zl. 185/75, und das hg. Erkenntnis vom 22. November 2004, Zl. 2001/10/0034).

Ein Fall des § 46 Abs. 2 VwGG oder eine einem solchen vergleichbare Konstellation liegt hier schon deswegen nicht vor, weil die Rechtsmittelbelehrung nicht ursächlich für die hier zu beurteilende Säumnis war.

Da die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 46 Abs. 1 und 2 VwGG somit nicht vorliegen, konnte dem Antrag nicht stattgegeben werden.

Damit war die Beschwerde gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist des § 26 Abs. 1 Z 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 30. Mai 2012

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