VwGH 2012/22/0013

VwGH2012/22/001324.4.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Mag. Martin Semrau, Rechtsanwalt in 1180 Wien, Leitermayergasse 33/4, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 12. Dezember 2011, Zl. 122.507/21-III/4/11, betreffend Zurückweisung von Anträgen in einer Angelegenheit nach dem NAG, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §1;
AVG §69 Abs4;
AVG §69;
AVG §70;
ZustG §7 Abs1 idF 2004/I/010;
AVG §1;
AVG §69 Abs4;
AVG §69;
AVG §70;
ZustG §7 Abs1 idF 2004/I/010;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zunächst wird hinsichtlich der Vorgeschichte des Falles des Beschwerdeführers auf das ihn betreffende hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2010, Zl. 2007/21/0379, verwiesen.

In dem am 22. März 2011 beim Landeshauptmann von Wien - der hier als Behörde erster Instanz einschreitenden Behörde - eingelangten Antrag vom 21. März 2011 führte der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, aus, am 26. September 2006 bei der Bezirkshauptmannschaft B einen Antrag auf Verlängerung seiner im Juni 2006 abgelaufenen Niederlassungsbewilligung eingebracht zu haben. Dieser Antrag wäre dem Amt der Niederösterreichischen Landesregierung zur Bearbeitung weitergeleitet worden. Diese Behörde (richtig: der Landeshauptmann von Niederösterreich) hätte den Antrag fälschlicherweise als "Neuantrag" qualifiziert und die Antragsabweisung ins Auge gefasst. Der diesbezügliche Bescheid wäre dem Beschwerdeführer allerdings nie zugestellt worden, obwohl er seine "Zustelladresse" immer richtig angegeben und auch sämtliche Zustellungen kontrolliert hätte. Infolge des oben angeführten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes sei aber der Ansicht der Behörde, es läge ein Erstantrag vor, die Grundlage entzogen.

Da ihm bislang der Bescheid über den Verlängerungsantrag vom 26. September 2006 nie zugestellt worden wäre, beantrage der Beschwerdeführer die Zustellung "eines auf richtiger Sach- und Rechtsgrundlage basierenden Bescheides über den Verlängerungsantrag" vom 26. September 2006. Weiters stellte der Beschwerdeführer den - als hilfsweisen bezeichneten - Antrag auf korrekte Zustellung des Bescheides des Landeshauptmannes von Niederösterreich. Auch beantragte der Beschwerdeführer eventualiter die "Aufhebung/Wiederaufnahme des Verfahrens".

Mit Bescheid vom 17. August 2011 wies der Landeshauptmann von Wien den Antrag auf Zustellung "des Bescheides des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung vom 29.03.2007" gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) zurück (Spruchpunkt 1.). Den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens über den Antrag vom 26. September 2006, "welches mit Bescheid des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung vom 29.03.2007, GZ: (...), rechtskräftig abgeschlossen wurde," wies der Landeshauptmann von Wien mit Spruchpunkt 2. seines Bescheides vom 17. August 2011 gemäß § 69 Abs. 2 AVG gleichfalls zurück.

In ihrer Begründung stellte die Behörde erster Instanz darauf ab, dass der Bescheid vom 29. März 2007 an den damaligen rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Dr. K, adressiert gewesen sei. Von diesem sei dieser Bescheid am 3. April 2007 übernommen worden. Zwar habe Rechtsanwalt Dr. K im Verfahren über den Antrag vom 26. September 2006 nicht über Vertretungsvollmacht verfügt. Allerdings sei der Bescheid dem Beschwerdeführer "zeitnah übergeben" worden. Anlässlich einer Vorsprache des Beschwerdeführers in der Kanzlei von Rechtsanwalt Dr. K "etwa 3-4 Wochen nach Erlassung des erwähnten Bescheides" sei ihm von einer Mitarbeiterin von Dr. K eine Kopie des Bescheides vom 29. März 2007 ausgefolgt worden. Der ursprüngliche Zustellmangel sei damit gemäß § 7 Zustellgesetz (ZustG) geheilt worden.

Da in der Folge gegen den Bescheid vom 29. März 2007 kein Rechtsmittel eingebracht worden sei, sei dieser Bescheid in Rechtskraft erwachsen. Das Anbringen vom 22. März 2011 sei daher wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Soweit der Beschwerdeführer auch die Wiederaufnahme des Aufenthaltstitelverfahrens, welches "vom Amt der Niederösterreichischen Landesregierung" rechtskräftig abgeschlossen worden sei, begehre, könne eine solche schon deshalb nicht erfolgen, weil der darauf abzielende Antrag erst am 22. März 2011 eingebracht worden sei. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides - die Behörde erster Instanz ging insoweit, ohne dies ausdrücklich anzuführen, (auch bei dieser Entscheidung) erkennbar von einem im April oder Mai 2007 gelegenen Datum aus - könne aber ein Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden.

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab die Bundesministerin für Inneres (die belangte Behörde) keine Folge.

Sie schloss sich im Wesentlichen den Ausführungen der Behörde erster Instanz an und ging ebenfalls davon aus, der ursprüngliche im Verfahren des Landeshauptmannes von Niederösterreich unterlaufene Zustellmangel sei durch tatsächliches Zukommen des Bescheides an den Beschwerdeführer geheilt worden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Dem Anbringen des Beschwerdeführers vom 21. März 2011 ist zweifelsfrei zu entnehmen, dass er eine Entscheidung über seinen Antrag vom 26. September 2006 auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels begehrt. Insofern fordert er zum einen eine "auf richtiger Sach- und Rechtsgrundlage" basierende Sachentscheidung ein und begehrt "hilfsweise" die Zustellung des seiner Ansicht nach bislang noch nicht rechtsgültig erlassenen Bescheides vom 29. März 2007.

Zutreffend gingen die Behörde erster Instanz und - ihr folgend - die belangte Behörde davon aus, dass es sich dabei ungeachtet des vom Beschwerdeführer verwendeten Wortes "hilfsweise" inhaltlich um einen einzigen, nämlich auf Vornahme einer Entscheidung über seinen Verlängerungsantrag gerichteten Antrag handelt.

Mit seinem Begehren hat der Beschwerdeführer aber auch zweifelsfrei klargestellt, dass er davon ausgeht, über seinen Antrag vom 26. September 2006 sei bislang nicht rechtskräftig entschieden worden. Demgegenüber vertritt die belangte Behörde die Auffassung, das vom Landeshauptmann von Niederösterreich über den Antrag vom 26. September 2006 geführte Verfahren sei rechtskräftig abgeschlossen.

Vor diesem Hintergrund und unter Bedachtnahme darauf, dass der Beschwerdeführer unzweifelhaft mit seinen Anträgen vom 21. März 2011 keinen neuen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt hat, ist aber nun nicht zu sehen, weshalb der Landeshauptmann von Wien im Zeitpunkt der Erlassung seiner Bescheide befugt gewesen wäre, in erster Instanz über die vom Beschwerdeführer gestellten Anträge vom 21. März 2011 zu entscheiden.

Auszugehen ist zunächst davon, dass im vorliegenden Fall die Heilung eines Zustellmangels gemäß § 7 Abs. 1 ZustG (in der Fassung des BGBl. I Nr. 10/2004) nicht angenommen werden konnte. Die Heilung eines Zustellmangels nach dieser Bestimmung liegt darin, dass das Schriftstück in die Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt. War demgegenüber schon eine falsche Person in der Zustellverfügung als Empfänger bezeichnet, so liegt kein Fall des § 7 Abs. 1 ZustG vor (vgl. etwa das Erkenntnis vom 19. März 2009, Zl. 2006/01/0453). Im vorliegenden Fall wurde in der Zustellverfügung der - den Feststellungen zufolge den Beschwerdeführer nicht vertretende - Rechtsanwalt Dr. K angeführt. Insofern war bereits die Zustellverfügung, die als Empfänger eine nicht mit Vertretungsmacht ausgestattete Person vorsah, fehlerhaft. Infolgedessen konnte aber auch eine Heilung nach § 7 Abs. 1 ZustG nicht eintreten. Schließlich ist aber auch noch darauf hinzuweisen, dass den Feststellungen zufolge dem Beschwerdeführer in der Kanzlei des Rechtsanwaltes Dr. K nicht die ursprünglich an Dr. K übersendete Ausfertigung des Bescheides vom 29. März 2007, sondern lediglich eine Kopie dieses Bescheides übergeben worden ist.

Somit erweist sich die Ansicht des Beschwerdeführers, dass das Verfahren über seinen Antrag vom 26. September 2006 noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, als zutreffend. Bei dem den Verwaltungsakten entnehmbaren Verfahrensstand konnte aber sodann nur davon ausgegangen werden, dass das Verfahren über diesen Antrag im Zeitpunkt der Erlassung der hier angefochtenen Bescheide (immer noch) beim Landeshauptmann von Niederösterreich anhängig ist. Eine Abtretung dieses Antrages nach § 6 AVG an den Landeshauptmann von Wien ist den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen. Der vorliegende Antrag des Beschwerdeführers vom 21. März 2011, der sich auf das - nach dem Gesagten immer noch - beim Landeshauptmann von Niederösterreich anhängige Verfahren bezieht, hätte daher beim gegenwärtigen Verfahrensstand vom Landeshauptmann von Wien keiner inhaltlichen Erledigung zugeführt werden dürfen.

Indem dies die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung nicht berücksichtigt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid insoweit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Aus der Aufhebung des über die Hauptsache absprechenden Bescheides folgt aber jedenfalls, dass der Zurückweisung des Eventualantrages der Boden entzogen ist. Über einen Eventualantrag darf nämlich erst dann entschieden werden, wenn der Hauptantrag erfolglos geblieben ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2010, Zl. 2008/21/0536).

Des Weiteren steht gemäß § 69 Abs. 4 AVG die Entscheidung über die Wiederaufnahme jener Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat, wenn jedoch in der betreffenden Sache ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, diesem. Von dieser Zuständigkeit ist letztlich die Frage zu unterscheiden, wer für die Sachentscheidung im wiederaufgenommenen Verfahren zuständig wäre (vgl. Thienel/Zeleny, Verwaltungsverfahrensgesetze18 (2012), § 69 AVG, Anm. 11). Ändern sich in der Zeit zwischen der letztinstanzlichen Entscheidung und der Entscheidung über die Wiederaufnahme bloß die Kriterien für die örtliche Zuständigkeit - etwa durch Änderung des Wohnsitzes -, bleibt dennoch für die Wiederaufnahme jene Behörde zuständig, die den im wiederaufzunehmenden Verfahren ergangenen Bescheid in letzter Instanz erlassen hat (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG, § 69 Rz 69 mwN). Sohin wäre - ginge man davon aus, das Verfahren über den Antrag vom 26. September 2006 wäre vom Landeshauptmann von Niederösterreich bereits rechtskräftig abgeschlossen worden - zur Entscheidung über den Antrag auf Wiederaufnahme der Landeshauptmann von Niederösterreich berufen gewesen.

Da die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid die oben dargestellte Rechtslage verkannt hat, war er aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 24. April 2012

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte