VwGH 2012/21/0224

VwGH2012/21/022424.1.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerden 1.) des GG, 2.) der BL, und 3.) der ME, alle in Graz und vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark jeweils vom 21. August 2012, 1.) Zl. UVS 26.20-28/2011-2 (hg. Zl. 2012/21/0224), 2.) Zl. UVS 26.20-29/2011-2 (hg. Zl. 2012/21/0225) und 3.) Zl. UVS 26.20-27/2011-2 (hg. Zl. 2012/21/0226), jeweils betreffend Rückkehrentscheidung und (hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin) Einreiseverbot (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 Abs2;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art51 Abs1;
AVG §67d Abs1;
AVG §67d;
FrPolG 2005 §52 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §9 Abs7 idF 2011/I/038;
EMRK Art6;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 Abs2;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art51 Abs1;
AVG §67d Abs1;
AVG §67d;
FrPolG 2005 §52 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §9 Abs7 idF 2011/I/038;
EMRK Art6;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin, die miteinander verheiratet sind, reisten im April 2006 nach Österreich ein und beantragten ohne Erfolg die Gewährung von internationalem Schutz (ihre Anträge wurden mit 12. Mai 2010 rechtskräftig abgewiesen, es ergingen jeweils Ausweisungsentscheidungen). Die Drittbeschwerdeführerin ist ihre (in Österreich geborene) Tochter. Die Genannten sind Staatsangehörige der Mongolei.

Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) Rückkehrentscheidungen sowie gegen den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin darüber hinaus, gestützt auf § 53 Abs. 1 und 3 FPG, ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot.

In ihrer Begründung führte die belangte Behörde jeweils aus, der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin seien mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 29. November 2010 wegen (teils versuchten) gewerbsmäßigen Diebstahls (der Erstbeschwerdeführer zu 10 Monaten Freiheitsstrafe, davon 9 Monate bedingt nachgesehen, die Zweitbeschwerdeführerin zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 9 Monaten) verurteilt worden. Die Taten seien sehr professionell (zuletzt unter Verwendung eines Magnets zur Entfernung von Sicherungen der angebotenen Waren und einer mit Alufolie präparierten Umhängetasche) erfolgt.

Die Beschwerdeführer hielten sich unrechtmäßig in Österreich auf. § 61 FPG stehe, nach Abwägung der in seinem Abs. 2 angeführten Kriterien, den gegenständlichen Entscheidungen nicht entgegen. Die Beschwerdeführer lebten nach der Aktenlage von Unterstützungen und beherrschten nicht die deutsche Sprache, eine soziale oder berufliche Integration sei insgesamt nicht feststellbar. Das gemeinsame Familienleben könne im Heimatstaat, in den die Drittbeschwerdeführerin ihren Eltern zu folgen habe, fortgeführt werden.

Über die gegen diese Bescheide gerichteten Beschwerden, die auf Grund des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden wurden, hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Beschwerdeführer machen geltend, die belangte Behörde habe es unterlassen, den die angestellte Prognosebeurteilung betreffenden Sachverhalt umfassend zu ermitteln. Insbesondere wäre die Durchführung einer mündlichen Verhandlung jedenfalls erforderlich gewesen. Dabei hätte die belangte Behörde einen persönlichen Eindruck von den Beschwerdeführern gewinnen, das Vorliegen ausreichender Deutschkenntnisse des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin (auf dem "Niveau A 2") feststellen und insgesamt das ihr eingeräumte Ermessen anders üben können.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerden zum Erfolg.

Die belangte Behörde hat in den angefochtenen Bescheiden ihre Erwägungen, weshalb sie von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen hat, nicht offengelegt. Die Beschwerdeführer haben zwar keinen ausdrücklichen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung gestellt, jedoch haben sie in ihren Berufungen sachverhaltsbezogenes Vorbringen erstattet. Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem bereits festgehalten, dass solche Gesichtspunkte, wie sie auch im gegenständlichen Verfahren zu prüfen waren, insbesondere die Intensität der privaten und familiären Bindungen in Österreich, nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduziert werden können. Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichtshof auch betont, dass im fremdenpolizeilichen Berufungsverfahren, soweit - was (auch) hier zutrifft - im Sinn des Art. 51 Abs. 1 Grundrechtecharta (GRC) in Durchführung von Unionsrecht gehandelt wird, jedenfalls nach Maßgabe des § 67d AVG (und allenfalls auch des § 9 Abs. 7 FPG) grundsätzlich ein Anspruch auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung nicht zuletzt im Hinblick auf die Bestimmung des Art. 47 Abs. 2 GRC besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Juni 2012, Zl. 2011/21/0278).

Des Weiteren kann auch im Anwendungsbereich des Art. 47 Abs. 2 GRC (ebenso wie im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK) bei einer unvertretenen Partei - den vorgelegten Verwaltungsakten zufolge trifft dies im gegenständlichen Fall für das Verwaltungsverfahren zu - nur dann vom Vorliegen eines schlüssigen Verzichts auf die Durchführung einer Verhandlung ausgegangen werden, wenn diese über die ihr nach § 67d AVG eingeräumte Möglichkeit einer Antragstellung auf Durchführung einer solchen Verhandlung belehrt wurde oder wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie von dieser Möglichkeit hätte wissen müssen (vgl. zum Ganzen zuletzt das hg. Erkenntnis vom 7. November 2012, Zl. 2012/18/0057). Im vorliegenden Fall der im Verwaltungsverfahren noch unvertretenen Beschwerdeführer ist weder das eine noch das andere ersichtlich.

Nach dem Gesagten ist der belangten Behörde somit eine Verletzung ihrer Pflicht zu verhandeln vorzuwerfen, sodass die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben waren.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 und Z. 5 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 24. Jänner 2013

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