VwGH 2012/21/0148

VwGH2012/21/014812.9.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des CS in G, vertreten durch Dr. Alexander Singer, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Brockmanngasse 91/I, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 24. Mai 2012, Zl. UVS 26.12-9/2011-25, betreffend Ausweisung und Zurückweisung eines Antrags nach § 51 FPG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Normen

FrPolG 2005 §65b idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §66 Abs2 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §66 idF 2011/I/038;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §65b idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §66 Abs2 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §66 idF 2011/I/038;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

I. den Beschluss gefasst:

Im Umfang des Ausspruches nach § 51 FPG wird die Beschwerde als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt. II. zu Recht erkannt:

Im Übrigen wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, reiste am 4. Jänner 2004 nach Österreich ein und beantragte in der Folge die Gewährung von Asyl. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 16. April 2004 als unbegründet ab und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Genannten nach Nigeria zulässig sei. Der Asylgerichtshof bestätigte diesen Bescheid mit am 2. März 2010 zugestelltem Erkenntnis.

Am 20. Oktober 2006 hatte der Beschwerdeführer die aus Nigeria stammende (mittlerweile) österreichische Staatsbürgerin V.E. geheiratet und lebte in der Folge mit ihr zusammen. Das Ehepaar hat keine Kinder.

Am 4. März 2010 beantragte der Beschwerdeführer die Erteilung eines Aufenthaltstitels als Familienangehöriger. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 25. Oktober 2010, bestätigt mit Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 28. Februar 2011, abgewiesen. Eine dagegen erhobene, hg. zu Zl. 2011/22/0126 protokollierte Beschwerde zog der Beschwerdeführer zurück, was zur Einstellung des Verfahrens mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Jänner 2013 führte.

Mit Bescheid vom 31. Mai 2011 hatte die Bundespolizeidirektion Graz den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG (idF vor dem FrÄG 2011) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Begründend ging sie davon aus, dass sich der Beschwerdeführer seit der Rechtskraft der Abweisung seines Asylantrages im März 2010 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Dies stelle eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Auch könne nicht von einer Aufenthaltsverfestigung und einer tatsächlichen Integration im Sinne einer wirtschaftlichen, sozialen und familiären Verankerung gesprochen werden. Der Beschwerdeführer sei während seines Aufenthalts im Bundesgebiet nicht in der Lage gewesen, seinen Lebensunterhalt selbst zu finanzieren. Bis zum 28. Dezember 2006 habe er finanzielle Leistungen im Rahmen der Grundversorgung bezogen. Neben Unterstützungszahlungen habe er in der Folge mit seiner Ehegattin einen "African-Shop" geführt, "welcher jedoch wegen mangelnder Geschäfte geschlossen werden musste." Seither gehe er nach eigenen Angaben keiner Beschäftigung nach und erhalte Unterstützungen von Verwandten sowie seiner "Kirche mit der Bezeichnung ICM". Seine Ehefrau sei bis zum 31. Jänner 2009 "gewerblich selbständig" und danach kurzfristig als Arbeiterin unselbständig tätig gewesen. Ab Februar 2009 habe sie "vorwiegend" Arbeitslosengeld und Notstandshilfe erhalten. Dem Beschwerdeführer sei es trotz des mehrjährigen Aufenthalts bis zum Jahr 2011 nicht gelungen, die deutsche Sprache zu erlernen. Er habe, abgesehen von seiner Ehefrau, keine privaten oder familiären Bindungen zu in Österreich aufhältigen Personen nennen können. Die Ausweisung sei somit unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK und § 66 FPG zulässig, weil "von einem ausgeprägten Privat- und Familienleben in Österreich" nicht gesprochen werden könne und keineswegs eine tiefgreifende wirtschaftliche oder berufliche Verankerung vorliege. Schließlich fehlten Gründe für eine Ermessensübung zu Gunsten des Beschwerdeführers.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 24. Mai 2012 gab der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark (die belangte Behörde) der gegen den genannten erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung keine Folge. Außerdem wurde ein Durchsetzungsaufschub erteilt und ein Antrag nach § 51 FPG auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zurückgewiesen. Als Rechtsgrundlage führte die belangte Behörde die §§ 51, 61, 66 und 70 FPG (nunmehr bereits idF des FrÄG 2011) an.

Die belangte Behörde stellte fest, der Beschwerdeführer sei strafgerichtlich unbescholten und verfüge mit seiner österreichischen Ehefrau über eine 34 m2 große Wohnung. Er habe illegal "als Fahrer für einen Afrikaner" gearbeitet, für den er Personenkraftwagen überstellt und so ein durchschnittliches monatliches Einkommen von 200 bis 300 EUR erzielt habe. Seine Ehefrau habe seit einem Jahr eine Arbeitslosenunterstützung von monatlich 500 EUR bezogen. Der Beschwerdeführer kenne "von seinen illegalen Gartenarbeiten in den Sommermonaten her" auch österreichische Staatsangehörige, "andere Leute" habe er "über die Autoüberstellung kennengelernt". Er arbeite "viel für Farbige", darunter Herrn J.O., der für ihn eine Einstellungszusage abgegeben habe. Er habe sich Deutschkenntnisse, und zwar "ein Straßendeutsch, nicht perfekt", angeeignet; mit seiner Gattin unterhalte er sich "in Pigeon English". In Nigeria, wo er nach dem Schulbesuch keine Berufsausbildung genossen, aber Gelegenheitsarbeiten verrichtet habe, lebten ein Bruder und eine Schwester sowie seine Mutter, zu der er telefonisch Kontakte unterhalten habe.

Rechtlich bejahte die belangte Behörde die Zulässigkeit der Ausweisung des Beschwerdeführers, obwohl er Familienangehöriger einer Österreicherin sei. Der in § 65b FPG enthaltene Hinweis, dass für Familienangehörige von Österreichern die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige (unter anderem) nach § 66 FPG gelten, gehe auch nach der seit dem 1. Juli 2011 bestehenden Rechtslage (des FrÄG 2011) ins Leere, weil "für Familienangehörige von vornherein, die das gemeinschaftsrechtliche Niederlassungsrecht deklarierenden Bestimmungen der §§ 51, 52 und 54 NAG keine Anwendung finden, dies allerdings mit der Einschränkung, dass nunmehr § 66 Abs. 2 FPG bei Erlassung einer Ausweisung zu berücksichtigen ist." Die Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 FPG (zehnjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet) lägen nicht vor.

Der Beschwerdeführer halte sich - so argumentierte die belangte Behörde weiter - seit dem Abschluss seines Asylverfahrens (am 2. März 2010) unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, ein Niederlassungsrecht nach unionsrechtlichen Bestimmungen sei nicht dokumentiert. Seine Ausweisung sei - das ist das Ergebnis weiterer Überlegungen der belangten Behörde - sowohl nach den Gesichtspunkten des § 66 Abs. 2 FPG als auch unter Bedachtnahme auf die Kriterien des § 61 Abs. 2 FPG zulässig.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung einer Gegenschrift und Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde sowie der Einbringung von Gegenäußerungen des Beschwerdeführers erwogen hat:

Zu Punkt I.:

Im Umfang des Ausspruches nach § 51 FPG wurde der Beschwerdeführer, was er in seiner Äußerung vom 5. September 2012 gegenüber dem Verwaltungsgerichtshof bestätigte, durch den auf § 68 Abs. 2 AVG gestützten Aufhebungsbescheid der belangten Behörde vom 30. August 2012 klaglos gestellt.

Die Beschwerde war daher in diesem Umfang gemäß § 33 Abs. 1 VwGG mit Beschluss in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

Zu Punkt II.:

Die belangte Behörde hat auf Grund der Erlassung des angefochtenen Bescheides im Mai 2012 zutreffend das FPG idF des FrÄG 2011 angewendet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 15. Mai 2012, Zl. 2011/18/0255, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, näher dargelegt, dass seit dem Inkrafttreten des FrÄG 2011 auf Grund der Verweisnorm des § 65b FPG (in der hier maßgeblichen Fassung vor dem FNG-Anpassungsgesetz) eine Aufenthaltsbeendigung von Familienangehörigen von Österreichern, auch wenn diese ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen haben, - von Aufenthaltsverbotsfällen abgesehen - nur bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 66 FPG erfolgen dürfe. Dem Gesetzgeber könne nämlich nicht unterstellt werden, dass er entgegen dem klaren und eindeutigen Wortlaut und der sich daraus ergebenden unmissverständlichen Anordnung dennoch das gegenteilige Ziel seiner Norm verfolgen wolle. Somit sei davon auszugehen, dass auf Grund der Verweisnorm des § 65b FPG gegen unrechtmäßig aufhältige Familienangehörige von Österreichern, auch wenn diese ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen haben, keine Rückkehrentscheidung, sondern nur eine Ausweisung nach § 66 FPG erfolgen dürfe.

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid zwar nach dem Wortlaut seines Spruches unter anderem auf diese Bestimmung gestützt, das inhaltliche Vorliegen der Voraussetzungen auch ihres ersten Absatzes aber infolge Verkennung der in § 65b FPG enthaltenen Verweisung und damit der Anwendbarkeit der gesamten Norm des § 66 FPG (Abs. 2 dieser Bestimmung stellt, anders als die belangte Behörde offenbar meint, keine eigenständige Grundlage für eine Ausweisung dar) auf den Beschwerdeführer als Ehegatten einer nicht freizügigkeitsberechtigten Österreicherin ungeprüft gelassen. Schon hieraus folgt eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides.

Dazu kommt, dass die belangte Behörde auch den festgestellten Umständen, insbesondere dem seit 4. Jänner 2004 andauernden Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und der aufrechten Wohnversorgung, vor allem aber der mehrjährigen (seit 20. Oktober 2006) gelebten Ehegemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin, in ihrer Abwägung insgesamt zu geringes Gewicht beigemessen hat (vgl. in diesem Sinn etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2011, Zl. 2009/21/0109).

Der angefochtene Bescheid war daher, soweit er nicht (im Umfang seines Ausspruches nach § 51 FPG) bereits mit Bescheid der belangten Behörde vom 30. August 2012 gemäß § 68 Abs. 2 AVG behoben worden war, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 12. September 2013

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte