VwGH 2009/21/0109

VwGH2009/21/010924.2.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Manfred Leimer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Landstraße 38, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 26. März 2009, Zl. St 18/09, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

Auswertung in Arbeit!
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Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Ghana, gemäß den §§ 31, 53 und 66 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer sei am 19. August 2002 illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe am gleichen Tag die Gewährung von Asyl beantragt. Das Asylverfahren sei "seit 21.09.2006 rechtskräftig negativ abgeschlossen". Der Verwaltungsgerichtshof habe die Behandlung einer vom Beschwerdeführer in dieser Angelegenheit erhobenen Beschwerde (- ohne dieser aufschiebende Wirkung zuzuerkennen - mit Beschluss vom 20. November 2007, Zl. 2007/01/1177) abgelehnt. Der Beschwerdeführer halte sich seither insofern rechtswidrig im Bundesgebiet auf, als ihm weder ein Einreisetitel nach dem FPG noch ein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt worden sei. Ein Aufenthaltsrecht auf Grund einer anderen gesetzlichen Bestimmung sei weder behauptet worden noch aus der Aktenlage ersichtlich.

Der Beschwerdeführer halte sich seit mehr als sechseinhalb Jahren im Bundesgebiet auf. Er sei seit 25. Juni 2005 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und führe mit ihr ein aufrechtes Familienleben. Seit dem Jahr 2005 sei er "beinahe durchgehend erwerbstätig". Laut eigenen Angaben sei er unbescholten, beherrsche die deutsche Sprache und sei "zur Integration bereit". Ihm sei somit eine diesen Umständen entsprechende Integration zuzugestehen, sodass durch die Ausweisung in erheblicher Weise in sein Privat- und Familienleben eingegriffen werde.

Jedoch werde das Gewicht dieser Integration maßgebend dadurch gemindert, dass sein Aufenthalt während des Asylverfahrens nur auf Grund eines Antrages, der sich letztlich als unberechtigt erwiesen habe, temporär berechtigt gewesen sei. Dem Beschwerdeführer sei bekannt gewesen, dass er sein Privat- und Familienleben während dieses Zeitraumes geschaffen habe, in dem er einen "unsicheren" Aufenthaltsstatus gehabt habe. Er habe nicht von vornherein damit rechnen können, nach einem allfälligen negativen Ausgang des Asylverfahrens in Österreich bleiben zu dürfen. Schon die "erstinstanzlich negative Entscheidung im Asylverfahren" (vom 25. April 2003) habe er als eindeutiges Indiz betrachten müssen, dass sein weiterer Aufenthalt in Österreich gefährdet sei. Die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung als Reinigungskraft und die Familienbande zu seiner Lebensgefährtin (der späteren Ehefrau) seien später entstanden; auch dieser habe bei Beginn der Beziehung klar gewesen sein müssen, dass der gemeinsame Verbleib in Österreich sehr unsicher sei. Unterhaltszahlungen an die Ehefrau könnten - allenfalls in vermindertem Umfang - auch vom Ausland aus erbracht werden.

Der Beschwerdeführer halte sich - so argumentierte die belangte Behörde weiter - seit dem "21.09.2006", also seit rund zweieinhalb Jahren, illegal in Österreich auf. Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maße, sodass die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG zu deren Wahrung dringend geboten sei. Die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften stelle einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch die Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Die öffentliche Ordnung werde schwerwiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, unerlaubt nach Österreich begeben und versuchten, damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Das Gleiche gelte, wenn Fremde nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verließen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Vor diesem Hintergrund seien auch keine besonderen Umstände erkennbar, um das der Behörde durch § 53 Abs. 1 FPG eingeräumte Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers zu üben.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, dass sein eingangs erwähntes Asylverfahren rechtskräftig beendet ist. Auch ist der Beschwerde nicht zu entnehmen, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG - insbesondere die Erteilung eines Aufenthaltstitels - beim Beschwerdeführer vorläge. Es bestehen somit keine Bedenken gegen die behördliche Annahme, der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei im vorliegenden Fall verwirklicht.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß § 66 Abs. 2 FPG in der hier (auf Grund der Erlassung des angefochtenen Bescheides am 4. April 2009) anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

"1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

  1. 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
  2. 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
  3. 4. der Grad der Integration;
  4. 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;
  5. 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
  6. 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

    8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren."

    § 66 Abs. 3 FPG in der genannten Fassung lautet:

"(3) Über die Zulässigkeit der Ausweisung ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Ausweisung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein gemeinschaftsrechtliches oder unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre."

Der Beschwerdeführer vertritt dazu den Standpunkt, dass die Ausweisung unverhältnismäßig in sein Privat- und Familienleben eingreife. Er verweist auf seine vollständige Integration, sehr gute Deutschkenntnisse, den ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet seit dem 19. August 2002, die am 25. Juni 2005 erfolgte Heirat mit einer Österreicherin, mit der er seither zusammen lebe und für die er sorge, den Erhalt einer Arbeitsbewilligung im Jahr 2005 und die seither durchgehende unselbständige Erwerbstätigkeit sowie seine Unbescholtenheit. Die nur mit Blick auf die Abweisung des Asylantrages und seinen darauffolgenden unrechtmäßigen Verbleib im Bundesgebiet vorgenommene Interessenabwägung verletze zu seinem Nachteil Art. 8 ERMK.

Diese Ausführungen verhelfen der Beschwerde zum Erfolg:

Der Verwaltungsgerichtshof teilt die Ansicht des Beschwerdeführers, dass die belangte Behörde den eben dargestellten Umständen, insbesondere seinem seit 19. August 2002 andauernden Aufenthalt im Bundesgebiet, aber vor allem der mehrjährigen Ehegemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin sowie der jahrelangen Berufstätigkeit und Selbsterhaltungsfähigkeit, in ihrer Abwägung insgesamt zu geringes Gewicht beigemessen hat.

Dazu kommt, dass sich die belangte Behörde - in offensichtlicher Verkennung der rechtlichen Notwendigkeit - auch nicht mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob der (wenn auch nach der Aktenlage aus Ghana stammenden) Ehefrau des Beschwerdeführers, einer österreichischen Staatsbürgerin, ein Familienleben mit dem Beschwerdeführer in dessen Herkunftsland zur Aufrechterhaltung der Ehegemeinschaft möglich und zumutbar wäre (vgl. dazu zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 9. November 2010, Zl. 2009/21/0031, mwN).

Die nach dem Gesagten und vor dem Hintergrund der aus § 66 Abs. 3 letzter Satz FPG erkennbaren besonderen Wertung in Bezug auf Angehörige von österreichischen Staatsbürgern unzureichende Auseinandersetzung mit den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich kann im Hinblick auf deren Gewicht nicht allein durch den Verweis auf die Unsicherheit des weiteren Aufenthaltes ab der erstinstanzlichen Asylentscheidung sowie dadurch substituiert werden, dass die belangte Behörde den Umstand hervorhob, dass den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch die Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukommt. Dabei ist sie im Übrigen unzutreffend davon ausgegangen, dass sich der Beschwerdeführer bis zur Bescheiderlassung zweieinhalb Jahre unrechtmäßig in Österreich aufgehalten habe, weil der Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates tatsächlich erst vom 18. September 2007 datiert.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des ziffernmäßigen Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 24. Februar 2011

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