VwGH 2012/18/0173

VwGH2012/18/017312.12.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der MS, vertreten durch Dr. Christof Dunst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landesgerichtsstraße 18/1/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 15. März 2010, Zl. SD 1243/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z10;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §66 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z10;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.128,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, ein auf § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 10 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gestütztes, auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei mit einem von 19. Oktober 1998 bis 28. November 1998 gültigen Visum C in Österreich eingereist. Am 26. November 2002 habe sie einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher" (nach den damals geltenden Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997) eingebracht. Sie habe sich dabei auf die am 29. Oktober 2002 vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien bewilligte Annahme an Kindes statt durch den österreichischen Staatsbürger Z berufen.

Im Jänner 2003 habe Z allerdings zugestanden, den Vater der Beschwerdeführerin im Jahr 1986 "bei der Straßenreinigung in Wien" kennengelernt zu haben. Bis 2001 habe er zu diesem keinen Kontakt gehabt. Im Jahr 2001 habe dieser Z gefragt, ob Z seine Tochter (die Beschwerdeführerin) adoptieren würde, damit sie nach Österreich kommen könne. Z habe dem zugestimmt. Die Beschwerdeführerin habe er vor der Adoption lediglich ein Mal gesehen. Finanzielle Vorteile habe er durch die Adoption nicht gehabt. Es habe aber auch niemals zwischen der Beschwerdeführerin und Z eine Vater-Kind ähnliche Beziehung gegeben. Er sei auch nie "Ersatzgroßvater" für ihren Sohn gewesen. Die Beschwerdeführerin habe nie bei ihm gewohnt. Er wisse nicht, wo sie jetzt wohne. Die Adoption sei aus reiner Gefälligkeit erfolgt.

Eine Hauserhebung habe ergeben, dass die Beschwerdeführerin im Wohnhaus ihres Adoptivvaters noch nie gesehen worden sei. Den Nachbarn des Adoptivvaters wäre aber ein Aufenthalt der Beschwerdeführerin in diesem Wohnhaus, hätte er tatsächlich stattgefunden, aufgefallen.

Ausgehend davon gelangte die belangte Behörde zum Ergebnis, das die Annahme an Kindesstatt bewilligende Gericht sei von der Beschwerdeführerin über die wahren Verhältnisse getäuscht worden, indem wahrheitswidrig eine innige Beziehung zwischen ihr und ihrem Wahlvater vorgespiegelt worden sei.

Es seien die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 10 FPG erfüllt. Der Missbrauch des Rechtsinstitutes der Annahme an Kindes statt zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Rechte stelle eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertige. Dieser Rechtsmissbrauch stelle auch eine Gefährdung dar, die zweifellos ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Der Verhinderung und Bekämpfung solcher Adoptionen komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zu.

Die Beschwerdeführerin sei seit mehr als elf Jahren in Österreich aufhältig. Sie verfüge über familiäre Bindungen im Bundesgebiet zu ihrem Ehemann, ihren zwei Kindern sowie ihrer Schwiegermutter, die mittlerweile bereits österreichische Staatsbürgerin sei. Weiters gehe die Beschwerdeführerin einer Beschäftigung nach. Es sei daher von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und somit zum Erreichen eines im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zieles dringend geboten. Wer, wie die Beschwerdeführerin, rechtsmissbräuchlich vorgehe, um sich wesentliche Berechtigungen zu verschaffen, verstoße gegen gewichtige öffentliche Interessen, was die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes als notwendig erscheinen lasse. Die Beschwerdeführerin sei vorerst unangemeldet im Bundesgebiet aufhältig gewesen. Dadurch habe sie sich bis zur Adoption einer Aufenthaltsbeendigung entziehen können. Es sei daher die durch ihren Aufenthalt im Bundesgebiet erzielte Integration "zumindest teilweise" zu relativieren. Auch die Beschäftigung habe sie erst auf Grund der Adoption durch einen österreichischen Staatsbürger und der damit einhergehenden bevorzugten Stellung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz erlangen können. Auch deshalb werde die durch den mehr als elfjährigen Aufenthalt erzielte Integration wesentlich geschmälert. Der Aufenthalt sei zur Gänze unrechtmäßig gewesen. Somit müssten die privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführerin gegenüber dem hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens in den Hintergrund treten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (16. März 2010) nach dem FPG in der Fassung des BGBl. I Nr. 135/2009 richtet.

Die Ausführungen der belangten Behörde zu ihren beweiswürdigenden Überlegungen erwecken keine Bedenken. Die Beschwerde vermag eine Unschlüssigkeit der behördlichen Beweiswürdigung nicht aufzuzeigen.

Vor dem Hintergrund der Feststellungen erweist sich auch die behördliche Ansicht, der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 10 FPG sei erfüllt, als nicht zu beanstanden.

Bei ihrer Beurteilung, ob von der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde (immer noch) eine Gefahr im Sinn des hier maßgeblichen § 60 Abs. 1 FPG vorliegt, ist ihr allerdings ein Fehler unterlaufen.

Der hier gegenständliche Adoptionsvertrag wurde am 5. April 2002 geschlossen. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 29. Oktober 2002 wurde die Annahme an Kindes statt bewilligt. Den in Rede stehenden Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, in dem sich die Beschwerdeführerin auf die Angehörigeneigenschaft zu einem österreichischen Staatsbürger berufen hat, hat sie am 27. November 2002 eingebracht.

Das im ersten Rechtsgang im Jahr 2003 ergangene Aufenthaltsverbot, welches im Jahr 2005 vom Verwaltungsgerichtshof aufgehoben wurde (Erkenntnis vom 15. November 2005, Zl. 2005/18/0324), war ursprünglich mit einer Dauer von fünf Jahren befristet worden; wäre also im Fall seiner Rechtskraft im Jahr 2008 außer Kraft getreten. Der in erster Instanz ergangene Aufenthaltsverbotsbescheid wurde allerdings in der Folge von der belangten Behörde mit Bescheid vom 31. Jänner 2006 gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und das Verfahren an die Behörde erster Instanz zurückverwiesen, weil es dem bislang vorliegenden Sachverhalt an Aktualität mangle. Damit stellte die belangte Behörde unzweifelhaft darauf ab, dass jene Ereignisse zu erforschen seien, die sich zwischenzeitig ereignet haben. Der hier gegenständliche erstinstanzliche Bescheid stammt aus dem Jahr 2006. Auch zu dieser Zeit erachtete die Behörde erster Instanz ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot als hinreichend.

Im Hinblick auf die seitdem mittlerweile vergangene Zeit hätte sich die belangte Behörde aber nicht damit begnügen dürfen, auf das im Jahr 2002 erfolgte Fehlverhalten und dessen Bestreiten in der Berufung hinzuweisen, um begründet davon ausgehen zu können, von der Beschwerdeführerin gehe auch im Jahr 2010 immer noch eine im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG maßgebliche Gefährdung aus, die es gerechtfertigt hätte, ein bis März 2015 gültiges Aufenthaltsverbot zu erlassen.

Im gegebenen Zusammenhang ist zu betonen, dass es sich bei einem Aufenthaltsverbot nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes um keine Strafe für vergangenes Fehlverhalten handelt, sondern um eine im öffentlichen Interesse stehende administrativ-rechtliche Maßnahme, damit nach fremdenrechtlichen Bestimmungen maßgebliche Gefährdungen hintangehalten werden können (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 7. Februar 2008, Zl. 2007/21/0417, und vom 20. Oktober 2011, Zl. 2008/18/0665, jeweils mwN).

Eine Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage in sachverhaltsmäßiger Hinsicht wäre aber auch geboten gewesen, um die nach § 66 FPG vorzunehmende Beurteilung umfassend durchführen zu können. Sollte das spätere Verhalten der Beschwerdeführerin nicht mehr von gravierendem Fehlverhalten geprägt sein, ist es nämlich in Anbetracht der Feststellungen der belangten Behörde zur Dauer ihres Aufenthaltes seit Herbst 1998 und zu ihren familiären Bindungen im Bundesgebiet nicht auszuschließen, dass im Rahmen der Interessenabwägung eine andere Gewichtung vorzunehmen und von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes Abstand zu nehmen wäre.

Da sohin die belangte Behörde keine ausreichende Tatsachengrundlage geschaffen hat, um die nach dem Gesetz gebotene Beurteilung zu ermöglichen, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung - im begehrten Ausmaß - gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 12. Dezember 2012

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