VwGH 2012/16/0001

VwGH2012/16/000128.2.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma, die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der E in G, vertreten durch die Freimüller Obereder Pilz & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1080 Wien, Alser Straße 21, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 17. November 2011, Zl. RV/2435-W/11, betreffend Haftung nach §§ 9 und 80 BAO, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
KO idF vor 1. 7. 2010 §156;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2014:2012160001.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 610,60 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin war Geschäftsführerin der WE GesmbH und danach deren Liquidatorin, nachdem mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 9. Juni 2009 der beantragte Konkurs mangels Vermögens abgewiesen worden war.

Mit Bescheid vom 23. Mai 2011 zog das Finanzamt die Beschwerdeführerin gemäß den §§ 9 und 80 BAO zur Haftung für Abgabenschuldigkeiten der WE GesmbH in Höhe von rund 8.800 EUR heran. Die Abgabenschulden betrafen die Umsatzsteuer, die Körperschaftsteuer und die Kapitalertragsteuer für in Bescheid näher aufgegliederte Zeiträume sowie Nebenansprüche.

Mit Schriftsatz vom 20. Juni 2011 berief die Beschwerdeführerin dagegen mit der Begründung, seit der Schließung des von der WE GesmbH betriebenen Unternehmens bereits Ende 2005 und der Räumung des Geschäftslokals Anfang 2006 sei keine weitere Befriedigung vorhandener Gläubiger erfolgt. Die Vorschreibungen datierten aus der Zeit "nach faktischer Schließung und Einstellung von Zahlungen an Gläubiger".

Mit Schreiben vom 30. August 2011 forderte die belangte Behörde die Beschwerdeführerin auf, zur Feststellung des für die aliquote Erfüllung der Abgabenschuld zur Verfügung stehenden Teiles vom Gesamtbetrag der liquiden Mittel einen Liquiditätsstatus in Form einer Gegenüberstellung aller liquiden Mittel und Verbindlichkeiten ab dem jeweiligen Fälligkeitstag der haftungsgegenständlichen Abgaben bis zur Konkurseröffnung (somit ab 7. Jänner 2005 bis 9. Juni 2009) vorzulegen, wobei die Fälligkeitstage der einzelnen Abgaben angeführt wurden. Es komme dabei auf die Abgabenverbindlichkeiten einerseits und die Summe der übrigen Verbindlichkeiten andererseits sowie auf die Verwendung der vorhandenen Mittel an, wobei auch die Zug-um-Zug-Geschäfte zu berücksichtigen seien. Die belangte Behörde schloss mit einem Hinweis, wie aus den vorhandenen liquiden Mitteln, den Gesamtverbindlichkeiten, den Entrichtungen auf dem Abgabenkonto und den Abgabenverbindlichkeiten (aushaftend und entrichtet) eine Gesamtquote und eine Abgabenquote berechenbar seien.

Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2011 legte die Beschwerdeführerin Übersichten über das Verhältnis vorhandener liquider Mittel zu Gesamtverbindlichkeiten mit Werten aus den Bilanzen zum 31. Dezember 2004, 2005, 2006 und 2007 sowie Aufzeichnungen von Einnahmen und Ausgaben des Jahres 2008 vor. Daraus berechnete die Beschwerdeführerin "Befriedigungsquoten" unter Zugrundelegung von Verbindlichkeiten zu den Bilanzstichtagen. Die Berechnung der Abgabenquote sei ihr nicht möglich, weil die diesbezüglichen Unterlagen nicht mehr der Aufbewahrungspflicht unterlägen und dementsprechend auch nicht mehr vorhanden seien.

Weiters brachte die Beschwerdeführerin vor, im Jahr 2006 sei ein außergerichtlicher Ausgleich der WE GesmbH mit einer Quote von 39,72 % angenommen worden. Ein betraglich bedeutender Teil der in Rede stehenden Abgaben beträfen die Jahre 2004 und 2005. Diese Beträge seien jedoch erst im Rahmen einer Steuerschätzung im Jahr 2008 festgesetzt worden. Diese Abgaben entfielen wegen der "rückwirkenden" Fälligkeit dem außergerichtlichen Ausgleich des Jahres 2006 und seien entsprechend der erzielten Quote zu verringern.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Nach Schilderung des Verwaltungsgeschehens und rechtlichen Ausführungen hielt die belangte Behörde fest, der Zeitpunkt, für den zu beurteilen sei, ob der Vertretene die für die Abgabenentrichtung erforderlichen Mittel gehabt habe, bestimme sich danach, wann die Abgaben bei Beachtung der abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wären. Bei Selbstbemessungsabgaben sei maßgebend, wann die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären. Dabei sei ausschließlich der Zeitpunkt der Fälligkeit maßgebend, unabhängig davon, wann die Abgabe bescheidmäßig festgesetzt werde. Dies halte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin und deren Einwand entgegen, der Großteil der haftungsgegenständlichen Abgaben sei erst nach einer Betriebsprüfung nach der Einstellung des Unternehmens festgesetzt worden.

Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, nach der Schließung des Unternehmens Ende 2005 sei keine weitere Befriedigung vorhandener Gläubiger vorgenommen worden, entgegnete die belangte Behörde, die für das Jahr 2008 vorgelegten Bank- und Kassakonten würden laufende Zahlungen von damals noch unberichtigt aushaftenden Schulden an Gläubiger ausweisen. Eine allfällige Gleichbehandlung der Gläubiger wäre von der Beschwerdeführerin zu beweisen gewesen. Die Beschwerdeführerin habe als Geschäftsführerin der WE GesmbH ausreichend Einblicke in die Gebarung gehabt, es wäre an ihr gelegen, das Ausmaß der quantitativen Unzulänglichkeit der in den Fälligkeitszeitpunkten der Abgaben zur Verfügung stehenden Mittel nachzuweisen.

Das Verschulden der Beschwerdeführerin zeige sich auch aus dem Betriebsprüfungsbericht vom 15. Oktober 2008 hinsichtlich der Jahre 2004 bis 2007, wonach grobe Mängel der Buchführung und der Aufzeichnungen festgestellt worden seien, die dann in weiterer Folge zu den Schätzungen der Bemessungsgrundlagen geführt hätten. Gleiche Mängel habe bereits eine Betriebsprüfung über die Jahre 1995 bis 1996 in einem Bericht vom 21. Mai 1999 aufgezeigt.

Dem von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren ins Treffen geführten außergerichtlichen Ausgleich aus dem Jahr 2006 halte die belangte Behörde die analog zu berücksichtigende Bestimmung des § 156 Abs. 6 KO entgegen. Die erst nach dem außergerichtlichen Ausgleich festgesetzten Kapitalertrag- und Umsatzsteuern seien von der Beschwerdeführerin nicht rechtzeitig und vollständig gemeldet worden.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich die Beschwerdeführerin im Recht verletzt erachtet, nicht für Abgabenschulden der WE GesmbH zu haften.

Die belangte Behörde legte Verwaltungsakten vor und reichte eine Gegenschrift ein, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Beschwerdefall sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 122/2013 die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden.

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff leg. cit. bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabenpflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflicht nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Verletzung im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO annehmen darf. Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. März 2013, 2011/16/0187).

Nach der ebenfalls ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haftet der Vertreter für nicht entrichtete Abgaben des Vertretenen auch dann, wenn die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Entrichtung aller Verbindlichkeiten des Vertretenen nicht ausreichten, es sei denn, er weist nach, dass er die Abgabenschulden im Verhältnis nicht schlechter behandelt hat als bei anteiliger Verwendung der vorhandenen Mittel für die Begleichung aller Verbindlichkeiten. Auf dem Vertreter lastet auch die Verpflichtung zur Errechnung einer entsprechenden Quote und des Betrages, der bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen der Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre. Eine Betrachtung der Gläubigergleichbehandlung hat zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zu erfolgen (vgl. das erwähnte hg. Erkenntnis vom 18. März 2013).

Dem Vertreter obliegt es auch, entsprechende Beweisvorsorgen - etwa durch das Erstellen und Aufbewahren von Ausdrucken - zu treffen. Dem Vertreter, der fällige Abgaben der Gesellschaft nicht oder nicht zur Gänze entrichten kann, ist schon im Hinblick auf seine mögliche Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger zumutbar, jene Informationen zu sichern, die ihm im Falle der Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger die Erfüllung der Darlegungspflicht im oben beschriebenen Sinn ermöglichen (vgl. abermals das erwähnte hg. Erkenntnis vom 18. März 2013, mwN).

Die Beschwerdeführerin wendet gegen den im angefochtenen Bescheid erhobenen Vorwurf, sie habe die Abgabenquote nicht berechnet, ein, die diesbezüglichen Unterlagen seien mangels Aufbewahrungspflicht nicht mehr vorhanden gewesen. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Unterlagen betreffend Abgaben aus den Jahren 2004 und 2005 spätestens bei Erkennen der Zahlungspflicht nach der erwähnten Betriebsprüfung im Jahr 2008 im Lichte der wiedergegebenen Rechtsprechung zu sichern gewesen wären.

Konnte aber die Beschwerdeführerin nach ihren eigenen Angaben mangels Zugriffs auf die dazu erforderlichen Unterlagen den von der belangten Behörde gewünschten Liquiditätsstatus nicht erstellen, erübrigen sich die Beschwerdevorwürfe hinsichtlich der Klarheit des erteilten Auftrages und der behaupteten Verletzung einer die belangte Behörde treffenden Manuduktionspflicht.

Die Beschwerdeführerin trägt vor, § 156 IO sei nicht analog anzuwenden, sondern es sei in ergänzender Vertragsauslegung zu ergründen, was redliche Parteien im Jahr 2006 in Kenntnis des tatsächlich höheren Abgabenrückstandes vereinbart hätten. Allenfalls wäre der Vergleich mit einer geringeren Quote als 39,72 % geschlossen worden.

§ 156 der Konkursordnung in der im Beschwerdefall noch maßgeblichen Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 974/1993 bestimmte in seinem Abs. 1, dass der Gemeinschuldner durch den rechtskräftig bestätigten Ausgleich von der Verbindlichkeit befreit wurde, seinen Gläubigern den Ausfall, den sie erleiden, nachträglich zu ersetzen, gleichviel ob sie am Konkursverfahren oder an der Abstimmung über den Ausgleich teilgenommen oder gegen den Ausgleich gestimmt haben oder ob ihnen ein Stimmrecht überhaupt nicht gewährt worden ist.

Gemäß § 156 Abs. 6 KO konnten jedoch Gläubiger, deren Forderungen nur aus Verschulden des Gemeinschuldners im Ausgleich unberücksichtigt geblieben sind, nach Aufhebung des Konkurses die Bezahlung ihrer Forderungen im vollen Betrage vom Gemeinschuldner verlangen.

Im Beschwerdefall kann dahingestellt bleiben, ob diese Bestimmung auf außergerichtliche Ausgleiche analog anzuwenden ist, wie es die belangte Behörde annimmt.

Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 25. März 2010, 2009/16/0104, vom 23. März 2010, 2009/13/0094, vom 26. Juni 2007, 2007/13/0046, und vom 13. April 2005, 2001/13/0283, mwN) stellt der Ausgleich (auch der Zwangsausgleich) des Primärschuldners keinen Grund für die Befreiung des Haftungspflichtigen dar, weshalb eine rechtskräftige Bestätigung des Ausgleiches des Primärschuldners der Geltendmachung der Haftung des Vertreters für die die Ausgleichsquote übersteigenden Abgabenschulden nicht entgegensteht.

Wirkte die in § 156 Abs. 1 KO normierte Befreiung von Verbindlichkeiten aber nicht für den Haftungspflichtigen, bedürfte es für die Geltendmachung der Haftung der von der belangten Behörde analog herangezogenen Einschränkung einer solchen Befreiung nach § 156 Abs. 6 KO gar nicht.

Der von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte außergerichtliche Ausgleich zwischen der WE GesmbH und ihren Gläubigern stellt einen zivilrechtlichen Vergleich dar. Eine solche vertragliche Vereinbarung (Vergleich) über Abgabenschulden ist indes gesetzlich nicht vorgesehen, weshalb die Abgabenschuld dadurch nicht erlöschen könnte (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 24. September 2008, 2007/15/0282, vom 21. Februar 2007, 2005/17/0088, vom 20. September 2006, 2005/14/0124, VwSlg 8.158/F, und vom 16. März 2005, 2003/14/0005, VwSlg 8.015/F, mwN). Ein hypothetisch anderer Inhalt des Vergleiches bei Kenntnis des Abgabengläubigers vom Bestehen der in Rede stehenden Abgabenschuldigkeiten könnte daran nichts ändern. Im Übrigen behauptet die Beschwerdeführerin nicht ausdrücklich, dass das Finanzamt (der Bund als Abgabengläubiger) Vertragspartei des Vergleiches gewesen wäre.

Dass die in Rede stehenden Abgabenschulden nicht Gegenstand eines im Jahr 2006 geschlossenen außergerichtlichen Ausgleiches zwischen der WE GesmbH und ihren Gläubigern gewesen sind, ist für die Haftung der Beschwerdeführerin sohin unerheblich.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der im Beschwerdefall noch anzuwendenden VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 28. Februar 2014

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