VwGH 2012/02/0203

VwGH2012/02/020316.11.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Beck und Dr. Köller als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz in Wien, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 5. Juli 2012, Zl. UVS 30.4-24/2012-22, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (mitbeteiligte Partei: E in H), zu Recht erkannt:

Normen

ArbeitsmittelV 2000 §17 Abs1;
ASchG 1994 §130 Abs1 Z16;
AVG §58 Abs2;
AVG §58;
AVG §60;
VStG §5 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ArbeitsmittelV 2000 §17 Abs1;
ASchG 1994 §130 Abs1 Z16;
AVG §58 Abs2;
AVG §58;
AVG §60;
VStG §5 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis vom 12. Jänner 2012 hat die BH H dem Mitbeteiligten vorgeworfen, er habe es als verantwortlicher Beauftragter der N AG zu verantworten, dass am 12. April 2011 der Arbeitnehmer M im Betrieb in H in den Rohmilchtank 2 eingestiegen sei, sich das im Tank befindliche Propellerrührwerk zu drehen begonnen habe, wobei nicht dafür gesorgt worden sei, dass beim Einsteigen durch geeignete Maßnahmen ein unbeabsichtigtes, unbefugtes oder irrtümliches Einschalten des Arbeitsmittels (Propellerrührwerk im Tank 2) verhindert worden sei.

Dadurch habe der Mitbeteiligte § 130 Abs. 1 Z 16 ASchG iVm § 17 Abs. 1 Arbeitsmittelverordnung (AM-VO) iVm §§ 59 und 60 Arbeitnehmerschutzverordnung übertreten, weshalb über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 1.200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe zwei Tage und 12 Stunden) verhängt wurde.

Nach der Begründung habe die Arbeitsinspektion auf Grund einer Meldung eines schweren Arbeitsunfalles durch die Polizei am 12. April 2011 festgestellt, dass im Betrieb der N AG nicht dafür gesorgt worden sei, dass beim Einsteigen des Arbeitnehmers M in den Rohmilchtank 2 durch geeignete Maßnahmen ein unbeabsichtigtes, unbefugtes oder irrtümliches Einschalten des Arbeitsmittels verhindert worden sei. Der Arbeitnehmer M sei in den Tank eingestiegen und habe sich mit der linken Hand am Tankboden aufgestützt und mit der rechten Hand an der Propellerwelle abgestützt, als in diesem Moment diese sich zu drehen begonnen habe. Die Propellerflügel hätten ihn erfasst und ihm am rechten Oberarm schwere Verletzungen zugefügt. Im Tank habe sich ein Schalter befunden, welcher drei Stellungen aufweise. Den Schalter könne man auf Handbetrieb, auf Null oder auf Automatik stellen. Beim Unfall sei der Schalter jedenfalls nicht auf Null gestellt gewesen. Eine weitere Sicherung sei bei diesem Tank nicht eingebaut. Im Betrieb stehe auch ein Rohmilchtank 4, der über einen Endkontaktschalter am Mannloch verfüge. Dies bedeute, dass beim Öffnen des Mannloches die Anlage stromlos gesetzt werde. Durch diesen Umstand könne das Propellerrührwerk nicht mehr in Betrieb genommen werden.

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung des Mitbeteiligten hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 zweiter Fall VStG eingestellt.

In der Begründung gibt die belangte Behörde den Verfahrensgang sowie die Angaben der in der mündlichen Berufungsverhandlung vernommenen Personen wieder. Sodann stellt sie rechtliche Überlegungen an und führt aus, die rechtliche Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes ergebe, dass nicht davon ausgegangen werden könne, es liege die Strafbarkeitsvoraussetzung des Verschuldens im Sinne des § 5 Abs. 1 VStG vor. Das umfangreich durchgeführte Berufungsverfahren habe vor allem auf Grundlage der Zeugeneinvernahmen ergeben, dass tatsächlich im Sinne der Ausführungen in der Berufung und des Vorbringens des Mitbeteiligten selbst davon auszugehen sei, dass der Arbeitsunfall vom 12. April 2011 durch eine Verkettung unglücklicher, nicht vorhersehbarer Umstände passiert sei. Der Mitbeteiligte habe sich als gemäß § 23 Arbeitsinspektionsgesetz verantwortlich Beauftragter der N AG in seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Betriebsleiter nichts zuschulden kommen lassen, es seien sämtliche in den verschiedenen Genehmigungsverfahren vorgeschriebenen Auflagen und Aufträge eingehalten und Betriebsüberprüfungen durchgeführt worden. Der Mitbeteiligte habe auch aus der TÜV-Bescheinigung vom 16. November 2010 jene Schlüsse gezogen, die seiner Erfahrung und seinem Ausbildungsstand entsprechen. Der Vertreter des Arbeitsinspektors, der den Unfall aufgenommen habe, habe konkret erklärt, aus seiner Beurteilung könne aus der TÜV-Bescheinigung vom 16. November 2010 der Schluss gezogen werden, dass keinerlei Unterlassung gewerberechtlicher oder arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften bzw. eine Nichteinhaltung von Regeln der Technik vorwerfbar wäre. Der gleiche Schluss sei auch aus der Aussage des als Zeugen einvernommenen zuständigen Elektrikers zu ziehen, der seit etwa fünf Jahren zwei bis drei Mal pro Woche im Unternehmen mit elektrotechnischen Arbeiten befasst sei und erklärt habe, vor dem Unfall vom 12. April 2011 sei aus den bereits beschriebenen Überlegungen die Notwendigkeit, bei allen Tanks des Unternehmens eine Endkontaktsicherung einzubauen, nie ein Thema gewesen. Um die Notwendigkeit einer solchen zusätzlichen Sicherung erkennen zu können, hätte der Mitbeteiligte somit fachkundiger als die vor dem Unfall tätig gewordenen Experten sein müssen. Daraus ergebe sich zwingend, dass die Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 VStG hinsichtlich des Vorliegens von zumindest fahrlässigem Verhalten nicht vorlägen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Mitbeteiligte hat eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 17 Abs. 1 AM-VO dürfen Einstell-, Wartungs-, Instandhaltungs- und Reinigungsarbeiten sowie Arbeiten zur Beseitigung von Störungen nicht an in Betrieb befindlichen Arbeitsmitteln durchgeführt werden. Durch geeignete Maßnahmen ist ein unbeabsichtigtes, unbefugtes oder irrtümliches Einschalten der Arbeitsmittel zu verhindern.

Gemäß § 130 Abs. 1 Z 16 ASchG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von EUR 145,-- bis 7.260,--, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe EUR 290,-- bis EUR 14.530,-- zu bestrafen, wer als Arbeitgeber entgegen diesem Bundesgesetz oder den dazu erlassenen Verordnungen die Verpflichtungen betreffend die Beschaffenheit, die Aufstellung, die Benutzung, die Prüfung oder die Wartung von Arbeitsmitteln verletzt.

Die belangte Behörde äußert im angefochtenen Bescheid die Rechtsansicht, der Mitbeteiligte habe nicht fahrlässig gemäß § 5 Abs. 1 VStG gehandelt, weil er fachkundiger als die vor dem Unfall tätig gewordenen Experten hätte sein müssen, um die Notwendigkeit einer zusätzlichen Sicherung erkennen zu können.

Dabei übersieht die belangte Behörde, dass nach der Rechtsprechung etwa auch eine Zertifizierung eines Arbeitsmittels durch die AUVA und trotz zahlreicher Kontrollen durch das Arbeitsinspektorat, das das Arbeitsmittel unbeanstandet gelassen hat, es am Arbeitgeber liegt, sich mit den einschlägigen Vorschriften vertraut zu machen und im Zweifel bei der Behörde anzufragen. In der Unterlassung von diesbezüglichen Erkundigungen liegt zumindest ein fahrlässiges Verhalten. Die Unkenntnis eines Gesetzes kann nur dann als unverschuldet angesehen werden, wenn jemandem die Verwaltungsvorschrift trotz Anwendung der nach seinem Verhältnissen erforderlichen Sorgfalt unbekannt geblieben ist (vgl. das Erkenntnis vom 23. März 2012, Zl. 2010/02/0294 mwN).

Mit Blick auf diese spezifisch arbeitnehmerschutzrechtlichen Anforderungen an ein Arbeitsmittel ist vor diesem rechtlichen Hintergrund, ohne der belangten Behörde bei dem erst - wie unten gezeigt wird - festzustellenden Sachverhalt vorgreifen zu wollen, im vorliegenden Zusammenhang darauf zu verweisen, dass für den Fall, dass bei einem anderen Tank eine der AM-VO entsprechende Sicherung vorhanden gewesen ist, sich der Mitbeteiligte schon allein aus diesem Umstand mit der vorhandenen Ausstattung des in Rede stehenden Tanks nicht hätte zufrieden geben dürfen.

Für eine abschließende Beurteilung hätte es jedoch im Beschwerdefall eindeutiger Feststellungen bedurft, die nach der Rechtsprechung für eine den §§ 58, 60 AVG entsprechende Begründung eines Bescheides erforderlich sind. Dafür ist es notwendig, jenen Sachverhalt, den die Behörde als erwiesen annimmt, unzweideutig in eigenen Worten festzustellen und nicht bloß in Form der indirekten wörtlichen Wiedergabe der Aussagen der vernommenen Personen, die sich nicht in allen Details decken müssen. Welche der Darstellungen die Behörde im Falle der Inkongruenz dieser Aussagen sodann den Vorzug gibt, ist Aufgabe der Darlegung der beweiswürdigenden Überlegungen der Behörde (vgl. das Erkenntnis vom 18. Dezember 2001, Zl. 2000/09/0076).

Diesen Anforderungen genügt die Begründung des angefochtenen Bescheides nicht, weil die belangte Behörde nicht preisgibt, von welchem konkreten Sachverhalt sie überhaupt ausgegangen ist. Eine Überprüfung des angefochtenen Bescheides ist daher mangels eines von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG) nicht möglich.

Vor diesem Hintergrund wird die belangte Behörde im weiteren Verfahren die Rechtsfrage unter Beachtung der dargestellten Rechtslage auf Grund der von ihr konkret getroffenen Feststellungen neuerlich zu beurteilen haben.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 16. November 2012

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