VwGH 2011/23/0472

VwGH2011/23/047220.12.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des I in W, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 7. Juni 2010, Zl. E1/191110/2010, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
MRK Art8 Abs2;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
MRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 11. Dezember 2000 illegal in das Bundesgebiet ein, wo er am 13. Dezember 2000 einen Asylantrag stellte. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. April 2001 abgewiesen und gleichzeitig festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei zulässig sei. Mit Erkenntnis vom 25. März 2010 wies der Asylgerichtshof die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 7. Juni 2010 wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend verwies sie auf das negativ abgeschlossene Asylverfahren und führte weiter aus, dass gegen den Beschwerdeführer bereits mit rechtskräftigem Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 12. März 2002 ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden sei, weil er eine ihm nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht erlaubte Beschäftigung ausgeübt habe. Ebenso sei er am 3. November 2004 bei einer solcherart unerlaubten Tätigkeit betreten worden.

Der Beschwerdeführer habe in seiner Stellungnahme im Ausweisungsverfahren ausschließlich auf seinen im Mai 2010 gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen hingewiesen. In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid habe er seinen langen Aufenthalt im Inland betont und vorgebracht, über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 zu verfügen. Eine illegale Beschäftigung könne ihm nicht mehr angelastet werden, weil das Aufenthaltsverbot bereits abgelaufen und es im zweiten Fall zu keinen fremdenrechtlichen Konsequenzen gekommen sei.

Die belangte Behörde sah in ihrer rechtlichen Beurteilung die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung nach § 53 Abs. 1 FPG - vorbehaltlich des § 66 FPG - als erfüllt an, woran auch der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen nichts ändere.

Im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigte die belangte Behörde den insgesamt neuneinhalbjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich, dem jedoch nur eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz zugrunde gelegen sei. Seit 29. März 2010 sei sein Aufenthalt unrechtmäßig. In Österreich bestehe kein Familienleben; in der Türkei würden - nach den Angaben des Beschwerdeführers im Asylverfahren - zwei Brüder leben. Die belangte Behörde nahm bei ihrer Entscheidung ferner eine "glaubhafte Integration" an, wie sie nach einem mehrjährigen Aufenthalt zu erwarten sei, auch wenn hiefür keine Nachweise vorgelegt worden seien. Berufliche Bindungen würden nicht bestehen. Der Beschwerdeführer sei strafrechtlich und verwaltungsstrafrechtlich unbescholten. Zu berücksichtigen sei aber seine - unbestritten gebliebene - zweimalige illegale Beschäftigung, auch wenn sie schon längere Zeit zurückliege.

Eine Gegenüberstellung der für und gegen die Ausweisung sprechenden Gründe bzw. Umstände ergebe ein Übergewicht der Ersteren, komme doch der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sowie der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Die Beeinträchtigung der hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen sei im gegenständlichen Fall von solchem Gewicht, dass die gegenläufigen privaten Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an einer Ausreise des Beschwerdeführers. Zwar sei sein Aufenthalt infolge seines Asylantrags etwa neun Jahre lang formal rechtmäßig gewesen. Da sich jedoch sein Vorbringen einer asylrelevanten Verfolgung als nicht berechtigt herausgestellt habe, müsse die "fremdenpolizeiliche Bedeutung seines Aufenthalts im Bundesgebiet sehr relativiert werden". Gründe für eine positive Ermessensübung lägen nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG oder des NAG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Juni 2010 geltende Fassung.

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. In der Beschwerde wird nicht bestritten, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig negativ beendet ist und ihm kein Aufenthaltstitel erteilt wurde. Die behördliche Annahme, der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei erfüllt, erweist sich daher nicht als rechtswidrig.

Der von der Beschwerde in diesem Zusammenhang ins Treffen geführte, nach Abschluss des Asylverfahrens gestellte Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 43 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) begründet gemäß § 44b Abs. 3 NAG kein Aufenthalts- oder Bleiberecht und vermag an der Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts und der Zulässigkeit der Ausweisung im Grunde des § 53 Abs. 1 FPG nichts zu ändern (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. September 2009, Zl. 2009/18/0278, mwN).

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 17. September 2012, Zl. 2011/23/0471, mwN).

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Interessenabwägung im angefochtenen Bescheid und verweist dazu - wie bereits in seiner Berufung - auf die sich aus seiner langen Aufenthaltsdauer ergebende Integration, seine sozialen Bindungen infolge eines "großen Freundes- und Bekanntenkreises" und seine Deutschkenntnisse. Weiters bewohne er eine "ortsübliche Unterkunft" und sei "ordnungsgemäß versichert". Er sei strafrechtlich unbescholten und habe sich - nach den Betretungen bei unrechtmäßigen Beschäftigungen - jahrelang wohlverhalten.

Diesem Vorbringen ist zunächst zu entgegnen, dass die belangte Behörde den - überwiegend rechtmäßigen - Aufenthalt des Beschwerdeführers über etwa neuneinhalb Jahre und die daraus abzuleitende Integration ohnedies ihrem Bescheid zugrunde gelegt und in die von ihr durchgeführte Interessenabwägung einbezogen hat. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers hätte die belangte Behörde aus den aufgezeigten Umständen aber nicht ableiten müssen, seine Ausweisung sei unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK am Maßstab der in § 66 Abs. 2 FPG angeführten Kriterien unzulässig. Diese - nur das Privat- und nicht auch das Familienleben des Beschwerdeführers betreffenden - Umstände stellen sich nämlich auch in Verbindung mit der Aufenthaltsdauer nicht als so außergewöhnlich dar, dass unter dem genannten Gesichtspunkt von einer Ausweisung hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass der Beschwerdeführer mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen.

Den Beschwerdeausführungen ist zwar insoweit zuzustimmen, dass das persönliche Interesse eines Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer seines bisherigen Aufenthalts im Inland zunimmt. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich. Vielmehr ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Dieses private Interesse ist in seinem Gewicht aber gemindert, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hat, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt in Österreich auszugehen. Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn die integrationsbegründenden Umstände während eines Aufenthalts erworben wurden, der bloß auf einem (von Anfang an) nicht berechtigten Asylantrag beruht hat (vgl. dazu etwa das - auch in der Beschwerde zitierte - Erkenntnis vom 18. Dezember 2008, Zl. 2007/21/0504, mwN).

Im vorliegenden Fall ist die soziale Absicherung des Beschwerdeführers im Inland trotz einer Aufenthaltsdauer - bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides - von mehr als neun Jahren nach dem im Verwaltungsakt erliegenden Sozialversicherungsauszug bislang ausschließlich auf die gewährte Bundesbetreuung zurückzuführen. An der bisher fehlenden rechtmäßigen Integration des Beschwerdeführers in den österreichischen Arbeitsmarkt vermag auch die von der Beschwerde hervorgehobene Einstellungszusage nichts zu ändern. Ein konkretes Tatsachenvorbringen, aus dem eine tiefergehende Integration des Beschwerdeführers ableitbar gewesen wäre, wurde im Verwaltungsverfahren auch nicht erstattet.

Die belangte Behörde durfte bei der Bewertung des privaten Interesses des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich iSd § 66 Abs. 2 Z 8 FPG - wie bereits ausgeführt - aber auch berücksichtigen, dass er auf der Grundlage der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung, die ihm während des Asylverfahrens zugekommen war, nicht damit rechnen durfte, er werde dauernd in Österreich verbleiben können. Zwar ist dem Beschwerdeführer - wie er moniert - die Dauer seines Asylverfahrens nicht anzulasten. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss der Fremde aber (spätestens) nach der erstinstanzlichen Abweisung seines Asylantrags - auch wenn er subjektiv berechtigte Hoffnung auf ein positives Verfahrensende haben sollte - im Hinblick auf die negative behördliche Beurteilung des Antrags von einem nicht gesicherten Aufenthalt ausgehen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 13. September 2012, Zl. 2011/23/0336, mwN). Der im Dezember 2000 gestellte Asylantrag des Beschwerdeführers wurde in erster Instanz jedoch bereits am 9. April 2001, und damit bereits nach vier Monaten, abgewiesen.

Auch die vom Beschwerdeführer nun nachgewiesenen Deutschkenntnisse hätten die belangte Behörde nicht zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts veranlassen müssen. Dem in diesem Zusammenhang geltend gemachten Verfahrensmangel fehlt es daher bereits an Relevanz. Entgegen der Beschwerdeansicht erweist sich der angefochtene Bescheid auch als ausreichend und nachvollziehbar begründet.

Zusammenfassend ist es im vorliegenden Fall daher im Ergebnis nicht als rechtswidrig zu erkennen, dass die belangte Behörde das Interesse des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich nicht schwerer gewichtete als das gegenläufige öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 20. Dezember 2012

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