VwGH 2011/23/0465

VwGH2011/23/046524.11.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 21. Jänner 2010, Zl. E1/17.075/2010, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
MRK Art3;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
MRK Art3;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, reiste am 8. März 2003 mit einem bis 14. März 2003 befristeten Schengen-Visum nach Österreich ein, wo er am 19. März 2003 einen Asylantrag stellte, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20. November 2003 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abgewiesen wurde; gleichzeitig wurde gemäß § 8 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran zulässig sei. Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 27. Oktober 2009 keine Folge gegeben.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 21. Jänner 2010 wies die belangte Behörde - in Bestätigung des Bescheides der Bundespolizeidirektion Wien vom 21. Dezember 2009 - den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend führte die belangte Behörde nach Feststellung des eingangs dargestellten Sachverhalts und Wiedergabe der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen aus, dass sich der Beschwerdeführer nach rechtskräftiger negativer Beendigung seines Asylverfahrens unrechtmäßig in Österreich aufhalte, weshalb eine Ausweisung veranlasst werden könne, sofern dieser nicht § 66 FPG entgegenstehe. Der Beschwerdeführer befinde sich seit beinahe sieben Jahren in Österreich. Er habe lediglich völlig unsubstantiierte familiäre Bindungen zu einer namentlich genannten Person behauptet, ohne über das Verwandtschaftsverhältnis nähere Angaben zu machen, und zahlreiche Personen aus seinem Bekannten- und Freundeskreis angeführt. Weiters habe er angegeben, Mitglied eines armenischen Sportvereins zu sein. Nach seiner Stellungnahme vom 20. November 2009 gehe er seit April 2009 einer Beschäftigung nach, verfüge monatlich über ein Einkommen von EUR 291,-- und werde als Mitglied der armenisch-apostolischen Kirchengemeinde unterstützt. Der Beschwerdeführer habe unbelegt die Aneignung von Deutschkenntnissen behauptet; Sorgepflichten im Bundesgebiet seien keine geltend gemacht worden.

Auf Grund des langjährigen inländischen Aufenthalts, so führte die belangte Behörde weiter aus, sei von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens, dringend geboten sei. Gerade den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen dieses hohe öffentliche Interesse verstoße der unrechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet nach Beendigung seines Asylverfahrens gravierend. Das Gewicht der aus seinem Aufenthalt resultierenden persönlichen Interessen werde dadurch relativiert, als er bisher lediglich auf Grund eines Asylantrags, der sich als unberechtigt herausgestellt habe, über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz verfügt habe. Aus diesem Grund komme auch den vom Beschwerdeführer nach dem Inhalt des Sozialversicherungsdatenauszugs seit dem Jahr 2007 ausgeübten Beschäftigungen keine wesentliche Bedeutung zu, sodass nicht von einer nachhaltigen Integration in den heimischen Arbeitsmarkt ausgegangen werden könne. Insgesamt sei das Ausmaß seiner Integration in die österreichische Gesellschaft nur als relativ gering zu erachten. Trotz des relativ langen Aufenthalts im Bundesgebiet lägen daher keine besonderen Umstände im Sinn des Art. 8 EMRK vor, die es dem Beschwerdeführer unzumutbar machen würden, für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Österreich auszureisen. Der Beschwerdeführer habe sich den Großteil seines 29-jährigen Lebens im Iran aufgehalten. Trotz fast siebenjähriger Abwesenheit vom Iran müsse auf Grund der Tatsache, dass dort die Eltern und seine Schwester lebten, zumindest von einer losen Bindung an den Heimatstaat ausgegangen werden. Wenn der Beschwerdeführer ausführe, in den Iran wegen seines christlichen Glaubens nicht zurückkehren zu können, sei dem entgegenzuhalten, dass durch die Ausweisung aus Österreich nicht ausgesprochen werde, dass der Beschwerdeführer in ein bestimmtes Land ausgewiesen oder abgeschoben werde.

Die belangte Behörde befand abschließend noch, dass außer der strafgerichtlichen Unbescholtenheit somit keine besonderen Umstände für den Beschwerdeführer sprächen, die Anlass dazu geben hätten können, von der Erlassung der Ausweisung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen. Im Übrigen hielt die belangte Behörde noch der in der Berufung bestrittenen Ausreiseverpflichtung während des Ausweisungsverfahrens entgegen, dabei verkenne der Beschwerdeführer völlig, dass er sich nach dem negativen Abschluss des Asylverfahrens illegal im Bundesgebiet aufhalte und gemäß § 120 FPG eine Verwaltungsübertretung begehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG (in der hier maßgeblichen Fassung vor dem FrÄG 2011) an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. In der Beschwerde wird ausdrücklich zugestanden, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 27. Oktober 2009 rechtskräftig abgewiesen wurde. Im Hinblick darauf begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass sich der Beschwerdeführer seither unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.

Wenn in der Beschwerde abermals - wie bereits in der Berufung - vorgebracht wird, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Ausweisung im Iran lebensbedrohlicher Verfolgung ausgesetzt wäre, ist zu erwidern, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Frage der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Abschiebung im Ausweisungsverfahren keine rechtliche Bedeutung zukommt. Die Frage, ob die Aufenthaltsbeendigung mit Art. 3 EMRK im Einklang steht, ist Gegenstand anderer Verfahren. Eine allfällige, die Abschiebung unzulässig machende Gefährdungs- oder Bedrohungssituation im Heimatstaat ist vor allem im Verfahren über die Gewährung internationalen Schutzes nach dem Asylgesetz zu prüfen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 5. Juli 2011, Zl. 2008/21/0282, mwN). Der Beschwerdeführer ist daher insoweit auch auf das negative Ergebnis seines Asylverfahrens zu verweisen.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG (in der genannten Fassung) nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (siehe etwa das Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2009/21/0204).

In diesem Zusammenhang kritisiert der Beschwerdeführer, die belangte Behörde hätte sich nicht ausreichend mit seinem Vorbringen zu seiner Integration in Österreich auseinander gesetzt. Dazu verweist der Beschwerdeführer im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung auf seinen "relativ langen Aufenthalt im Bundesgebiet", einen "breiten Verwandten-, Bekannten- und Freundeskreis", seine finanzielle Absicherung, die Möglichkeit zu arbeiten, seine perfekten Deutschkenntnisse und seine strafgerichtliche Unbescholtenheit.

Damit zeigt der Beschwerdeführer keinen relevanten Begründungsmangel auf. Die belangte Behörde hat nämlich die in der Beschwerde vorgetragenen integrationsbegründenden Umstände ohnehin zu Grunde gelegt und auch in ihre Interessenabwägung einbezogen. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers hätte die belangte Behörde aus den genannten Umständen aber nicht ableiten müssen, seine Ausweisung aus Österreich sei unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 ERMK am Maßstab der im § 66 Abs. 2 FPG angeführten Kriterien unzulässig. Die geltend gemachten Umstände stellen sich nämlich auch in Verbindung mit der Aufenthaltsdauer (bis zum maßgeblichen Bescheiderlassungszeitpunkt) von knapp sieben Jahren nicht als so außergewöhnlich dar, dass unter dem genannten Gesichtspunkt von einer Ausweisung hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass der Beschwerdeführer mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen ("fait accompli") zu schaffen.

Bei der Bewertung des privaten Interesses des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich durfte die belangte Behörde im Sinne des § 66 Abs. 2 Z 8 FPG vor allem auch berücksichtigen, dass er auf der Grundlage der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung, die ihm während des Asylverfahrens zugekommen war, nicht damit rechnen durfte, er werde dauernd in Österreich verbleiben können. Davon ausgehend wurde das Gewicht der erlangten Integration zutreffend als gemindert angesehen. Die Behauptung in der Beschwerde, dass es dafür keine gesetzliche Grundlage gebe, lässt die genannte Z 8 des § 66 Abs. 2 FPG außer Acht. Entgegen der Beschwerdemeinung hat auch der EGMR in seiner Judikatur darauf abgestellt, ob den betroffenen Personen bewusst war, dass der Aufenthaltsstatus von vornherein unsicher ist. Sei das der Fall, bewirke eine Ausweisung nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ("in exceptional circumstances") eine Verletzung von Art. 8 EMRK (vgl. dazu des Näheren Punkt 2.4.2. der Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348). Freilich - insoweit ist dem Beschwerdeführer beizupflichten - hat dies schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen ist und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (vgl. auch dazu die zuletzt zitierte Stelle in dem genannten Erkenntnis, mwN). Diesfalls müsste der Beschwerdeführer - auch insoweit ist ihm zu folgen - tatsächlich nicht "für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels" aus Österreich ausreisen. Das setzte aber voraus, dass die zu Gunsten des Fremden sprechenden Umstände in ihrer Gesamtheit betrachtet von solchem Gewicht sind, dass sie eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung begründen (vgl. zu einer solchen Konstellation etwa das Erkenntnis vom 26. August 2010, Zl. 2010/21/0009), was hier aber nicht zutrifft.

Im vorliegenden Fall ist es nämlich im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde das Interesse des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich nicht höher einschätzte als das gegenläufige, bei Aufrechterhaltung des - hoch zu bewertenden - geordneten Fremdenwesens dringende öffentliche Interesse an der Beendigung des seit Oktober 2009 unrechtmäßigen Inlandsaufenthalts des Beschwerdeführers. Ein die Unzulässigkeit der Ausweisung bewirkendes, direkt aus Art. 8 EMRK abzuleitendes Aufenthaltsrecht musste dem Beschwerdeführer nicht zugestanden werden (vgl. auch dazu das bereits genannte Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2009/21/0204, das bei sogar längerem Inlandsaufenthalt und wesentlich längerer Dauer der Beschäftigung mit deutlich höherem Einkommen einen sonst ähnlich gelagerten Fall betrifft).

Der Beschwerdeführer meint dazu noch, die Argumentation der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer durch seinen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet nach Abweisung seines Asylantrages eine Verwaltungsübertretung begehe, müsse relativiert werden. Der "verfassungsrechtliche und menschenrechtliche Schutz" im Rahmen des Ausweisungsverfahrens könne nicht dadurch unterlaufen werden, dass der Beschwerdeführer vor Erlassung einer Ausweisung ausreisen und diese Entscheidung im Ausland abwarten müsse.

Dem ist zu entgegnen, dass es im Ausweisungsverfahren nicht darauf ankommt, ob der Beschwerdeführer durch seinen - unbestritten - unrechtmäßigen Aufenthalt nach dem rechtskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens eine Verwaltungsübertretung begeht und dafür zu bestrafen wäre oder ob dem Rechtsschutzüberlegungen entgegenstehen könnten. Entscheidend ist vielmehr, ob es im Hinblick auf gewichtigere Interessen des Beschwerdeführers hingenommen werden muss, dass er seinen Aufenthalt in Österreich fortsetzt, oder ob dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen zumindest gleich hohes Gewicht zukommt und damit die Aufenthaltsbeendigung gerechtfertigt ist. Vor diesem Hintergrund durfte die belangte Behörde aber zu Recht - im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und auch des Verfassungsgerichtshofes (vgl. etwa die Nachweise unter Punkt 2.2.2.2. im Erkenntnis vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293) - davon ausgehen, dass auch in Konstellationen wie hier den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt.

Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die Auffassung der belangten Behörde, die Ausweisung des Beschwerdeführers sei unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht als unverhältnismäßig anzusehen und auch die Ermessensübung sei nicht zu seinen Gunsten vorzunehmen, nicht als rechtswidrig zu erkennen ist.

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 24. November 2011

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