VwGH 2011/23/0256

VwGH2011/23/025620.12.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des S, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 15. April 2008, Zl. E1/123047/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, war am 17. Mai 2000 illegal in das Bundesgebiet eingereist, wo er am 19. Mai 2000 einen Asylantrag gestellt hatte, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 24. Juli 2000 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abgewiesen worden war. Unter einem war gemäß § 8 AsylG festgestellt worden, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan zulässig sei. Über die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung war bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht entschieden worden.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 15. April 2008 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 62 Abs. 1 und 2 iVm § 60 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein mit fünf Jahren befristetes Rückkehrverbot erlassen.

Als den das Rückkehrverbot rechtfertigenden Tatbestand stellte die belangte Behörde fest:

"Der (Beschwerdeführer) wurde - von ihm unbestritten - zu den Zl. S 0002795/J/06 und S 0164728/J/07, rechtskräftig seit 22.02.2006 bzw. 05.11.2007, wegen Lenkens eines Kraftfahrzeugs in alkoholisiertem Zustand bestraft."

Nach Wiedergabe der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen führte die belangte Behörde rechtlich aus, dass auf Grund dieser Verwaltungsstrafen der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 2 FPG erfüllt sei. Das diesen zu Grunde liegende Verhalten rechtfertige aber auch die Annahme, dass ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit gefährde und überdies anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Der Beschwerdeführer habe durch seine wiederholten Verstöße gegen Normen, deren Einhaltung die Sicherheit im Straßenverkehr und den Schutz anderer Verkehrsteilnehmer gewährleisten solle, ein Fehlverhalten gesetzt, das angesichts der großen Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer durch alkoholisierte Kraftfahrzeuglenker das gewichtige öffentliche Interesse an der Sicherheit im Straßenverkehr massiv beeinträchtige. Auch wenn man wegen des noch anhängigen Asylverfahrens und des etwa achtjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet von einem mit dem Rückkehrverbot verbundenen Eingriff in das Privatleben ausgehen wolle, wäre die Zulässigkeit dieser Maßnahme im Grunde des § 66 FPG zu bejahen. Im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Teilnahme am Straßenverkehr in alkoholisiertem Zustand sei die Erlassung des Rückkehrverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Das geschilderte und wiederholte Fehlverhalten des Beschwerdeführers verdeutliche augenfällig seine Gefährlichkeit für die Ordnung auf straßenpolizeilichem Gebiet und "sein Unvermögen oder seinen Unwillen, die Rechtsvorschriften einzuhalten". Eine positive Verhaltensprognose könne für den Beschwerdeführer im Hinblick auf die Tatwiederholung und den damit verbundenen erheblichen Unrechtsgehalt unter keinen Umständen erstellt werden, auch nicht bezogen auf den wahrscheinlichen Zeitpunkt der Durchsetzbarkeit des Rückkehrverbotes, zumal es sich bei der Übertretung des § 5 StVO um einen der gröbsten Verstöße gegen dieses Gesetz "iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK" handle. Das Rückkehrverbot sei - so begründete die belangte Behörde noch näher - auch iSd § 66 Abs. 2 FPG zulässig; eine Ermessensentscheidung (zu Gunsten des Beschwerdeführers) komme nicht in Betracht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der angefochtene Bescheid vom Verwaltungsgerichtshof auf Basis der Sach- und Rechtslage seiner Erlassung zu überprüfen ist. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (April 2008) geltende Fassung des genannten Gesetzes.

Die Beschwerde releviert u.a. fehlende Feststellungen zu den dem Rückkehrverbot zu Grunde liegenden Verwaltungsübertretungen und davon ausgehend eine fehlerhafte, das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers nicht berücksichtigende Gefährdungsprognose der belangten Behörde. Sie argumentierte dabei wie im Berufungsvorbringen mit die Gefährlichkeit abschwächenden Begleitumständen und einem Gefährdungswegfall infolge eigener Verletzungen, die der Beschwerdeführer selbst anlässlich eines Verkehrsunfalls erlitten habe.

Gemäß § 62 Abs. 1 FPG kann gegen einen Asylwerber ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 62 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen iSd Abs. 1 u.a. jene des § 60 Abs. 2 Z 2 FPG. Nach dieser Bestimmung hat als die erwähnte Gefährdungsprognose rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder mehr als einmal wegen einer Verwaltungsübertretung u.a. gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) iVm § 26 Abs. 3 Führerscheingesetz oder gemäß § 99 Abs. 1, 1a, 1b oder 2 StVO rechtskräftig bestraft worden ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei Erstellung der für jedes Rückkehrverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose - wie im Fall eines Aufenthaltsverbotes - das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die im § 62 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es demnach - anders als bei der Frage, ob der (auf bestimmte strafgerichtliche Verurteilungen Bezug nehmende) Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt ist - nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (vgl. das Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2008/21/0576). Dasselbe gilt für das Bestrafungen nach den Verwaltungsgesetzen zu Grunde liegende Verhalten (vgl. idS das Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2007/21/0368).

Demzufolge reichen die wiedergegebenen Feststellungen zur Bestrafung des Beschwerdeführers im angefochtenen Bescheid für eine nachvollziehbare Darstellung der Gefährdungsannahme nicht aus. So führte die belangte Behörde weder die in den Strafbescheiden konkret angelasteten Tatbestände, die Tatzeiten noch die Höhe der verhängten Strafen aus. Sie traf auch keine näheren Feststellungen in Bezug auf die Tathandlung des Lenkens eines Kraftfahrzeugs in betrunkenem Zustand, etwa hinsichtlich des Alkoholisierungsgrads des Beschwerdeführers. Da - wie bereits ausgeführt - auf die Art und die Schwere der Verwaltungsübertretungen und ein sich daraus ergebendes Persönlichkeitsbild abzustellen ist, wären diese Feststellungen erforderlich gewesen, um die Ansicht der belangten Behörde, es sei die Gefährdungsannahme des § 62 Abs. 1 FPG gerechtfertigt, und das öffentliche Interesse sei zumindest gleich hoch zu bewerten wie das sich schon aus dem langen Aufenthalt des Beschwerdeführers ergebende private Interesse, überprüfen zu können.

Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 20. Dezember 2011

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