VwGH 2011/23/0168

VwGH2011/23/016824.4.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des MO, vertreten durch Dr. Susanne Pertl, Rechtsanwältin in 1060 Wien, Loquaiplatz 13/19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 23. Juli 2009, Zl. SD 46/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1970 geborene Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, heiratete am 14. Juni 2002 in Spanien eine österreichische Staatsbürgerin und reiste seinen Angaben zufolge am 30. August 2002 mit einem spanischen Aufenthaltstitel nach Österreich ein. Im Oktober 2002 wurde dem Beschwerdeführer eine - später einmal verlängerte - Niederlassungsbewilligung, am 29. Oktober 2004 ein Niederlassungsnachweis erteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 7. Dezember 2005 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 und 3 erster Fall Suchtmittelgesetz - SMG und des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 und 3 erster Fall SMG als Bestimmungstäter nach § 12 zweiter Fall StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren rechtskräftig verurteilt.

Der Beschwerdeführer hatte zwischen 18. und 20. Februar 2005 gewerbsmäßig Suchtgift in einer großen Menge im Sinne des § 28 Abs. 6 SMG, nämlich 180 g Heroin und/oder Kokain aus Spanien aus- und nach Österreich eingeführt. Ferner hatte er zwischen 30. Oktober 2004 und 11. April 2005 gewerbsmäßig Suchtgift in einer großen Menge im Sinne des § 28 Abs. 6 SMG in Verkehr gesetzt, indem er eine nicht näher feststellbare, zumindest 30 g Heroin betragende Menge Suchtgift in mehrfachen Angriffen einerseits großteils unbekannt gebliebenen Suchtgiftdealern überlassen und andererseits einer Vielzahl von Suchtgiftkonsumenten verkauft hatte.

Darüber hinaus hatte er eine Mittäterin zur gewerbsmäßigen Ein- und Ausfuhr von Suchtgift in einer großen Menge im Sinne des § 28 Abs. 6 SMG, nämlich am 10. und 11. April 2005 zur Ausfuhr aus Nigeria und Einfuhr nach Italien von zumindest 200 g Kokain, bestimmt, indem er sie mit der Schmuggelfahrt beauftragt und ihr dafür EUR 1.200,-- überwiesen hatte.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 23. Juli 2009 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Begründend führte die belangte Behörde aus, auf Grund des der strafgerichtlichen Verurteilung zugrunde liegenden Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers lägen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG vor und es sei die Annahme gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG gerechtfertigt. In Ansehung der gewerbsmäßigen Tatbegehung und der Suchtgiftdelikten immanenten Wiederholungsgefahr könne eine Verhaltensprognose für den Beschwerdeführer, der überdies während der aufrechten Ehe mit seiner österreichischen Ehefrau straffällig geworden sei, nicht positiv ausfallen.

Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG ging die belangte Behörde im Hinblick auf den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit August 2002 und seine hier bestehenden familiären Bindungen zu seiner Ehefrau, der gemeinsamen Tochter und einer Stieftochter von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff in sein Privat- und Familienleben aus. Dessen ungeachtet sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen - dringend geboten.

Auf Grund seines strafbaren Verhaltens könne sich der Beschwerdeführer nicht mit Erfolg auf eine relevante Integration im Bundesgebiet berufen. Auch eine berufliche Integration liege nicht vor. Zwar sei der Beschwerdeführer bei ständig wechselnden Arbeitgebern sporadisch einer Beschäftigung nachgegangen, er sei jedoch erst seit 1. Juli 2008 laufend bei einer Personalleasingfirma angestellt. Bei Suchtgiftdelikten sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch bei völliger sozialer Integration eines Fremden nicht rechtswidrig. Den geminderten privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers stünden hoch zu veranschlagende öffentliche Interessen, insbesondere jene an der Einhaltung strafrechtlicher Normen, gegenüber.

Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die Art und Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Straftaten könne sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet auch unter Berücksichtigung seiner familiären Situation im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens nicht in Kauf genommen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der angefochtene Bescheid vom Verwaltungsgerichtshof auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen ist. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die im Juli 2009 geltende Fassung des genannten Gesetzes.

Die Zulässigkeit des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes wurde von der belangten Behörde im Hinblick auf die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin zutreffend gemäß § 87 FPG am Maßstab des § 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG gemessen. Danach ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Der Ansicht der belangten Behörde, es sei bezüglich des Beschwerdeführers eine Gefährdungsprognose im Sinne der dargestellten Bestimmung zu treffen, tritt dieser im Wesentlichen mit dem Hinweis auf sein Wohlverhalten bis zur Straftat und seit der Haftentlassung und dem Vorbringen einer beruflichen Integration entgegen.

Der Verwaltungsgerichtshof ist jedoch in Bezug auf schwerere Suchtgiftdelinquenz bereits wiederholt davon ausgegangen, diese stelle - auch nach unionsrechtlichen Maßstäben - ein besonders verpöntes Fehlverhalten dar, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben sei und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse bestehe. Angesichts dessen sei es nicht rechtswidrig, in diesen Fällen die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 86 Abs. 1 FPG anzunehmen (vgl. dazu das Erkenntnis vom 12. Oktober 2010, Zl. 2010/21/0335, mwN).

Auch im vorliegenden Fall von gewerbsmäßigem Suchtgifthandel und Suchtgiftschmuggel in Bezug auf eine große Menge gemäß § 28 Abs. 6 SMG hat die belangte Behörde somit im Ergebnis zutreffend angenommen, dass das persönliche Verhalten des Beschwerdeführers im Sinne des § 86 Abs. 1 zweiter Satz FPG eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre.

Obwohl der Beschwerdeführer nur einmal strafgerichtlich verurteilt wurde, kann im Gegensatz zur Beschwerdeansicht im Hinblick auf den mehrmonatigen Zeitraum seines Fehlverhaltens und die Vielzahl an Tathandlungen nicht von einer "einmalig" begangenen Straftat ausgegangen werden. Das beschriebene gravierende Fehlverhalten wurde überdies erst durch die Verhaftung des Beschwerdeführers beendet. Auch deshalb kann die Frage, ob eine positive Zukunftsprognose gefällt werden könnte, iSd ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erst nach einer entsprechend langen Zeit des Wohlverhaltens nach der Entlassung aus der Strafhaft beurteilt werden (vgl. dazu etwa das bereits zitierte Erkenntnis, Zl. 2010/21/0335, mwN). Der seit der bedingten Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft am 11. August 2006 bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides vergangene ca. dreijährige Zeitraum erweist sich, auch wenn man eine ca. einjährige berufliche Tätigkeit über eine Personalleasingfirma berücksichtigt, für die genannte Beurteilung aber als noch zu kurz.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid das der strafgerichtlichen Verurteilung vom 7. Dezember 2005 zugrunde liegende und bei ihrer Gefährdungsprognose berücksichtigte Fehlverhalten des Beschwerdeführers ausreichend dargestellt. Dem Beschwerdevorwurf, vor einer negativen Zukunftsprognose hinsichtlich des Beschwerdeführers hätte es Erhebungen "betreffend die genauen Umstände der strafbaren Handlung" bedurft, fehlt die Relevanzdarstellung.

Inwiefern die in der Beschwerde geforderte Befragung des Beschwerdeführers und seines - nicht näher konkretisierten - "sozialen Umfeldes" zu einer anderen Zukunftsprognose geführt hätte, wird in der Beschwerde nicht dargelegt. Aus diesem Grund zeigt auch der Vorwurf, das Berufungsverfahren habe mehr als drei Jahre gedauert, ohne den Beschwerdeführer zu kontaktieren, keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Entgegen der Beschwerdeansicht hat die belangte Behörde ferner die Manuduktionspflicht schon deshalb nicht verletzt, weil die Anleitungspflicht der Behörde gemäß § 13a AVG nur gegenüber Personen besteht, die nicht durch berufsmäßige Parteienvertreter vertreten sind, der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde jedoch anwaltlich vertreten war.

Schließlich legt die Beschwerde trotz einer entsprechenden Rüge auch nicht konkret dar, welche entscheidungswesentlichen Sachverhaltselemente im Zusammenhang mit der Gefährdungsprognose dem Beschwerdeführer von der belangten Behörde nicht zur Kenntnis gebracht worden seien.

Die Beschwerde bekämpft auch die von der belangten Behörde nach § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung.

Gemäß der genannten Bestimmung ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, mit dem in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere die in § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien zu berücksichtigen.

In diesem Zusammenhang bringt der Beschwerdeführer vor, die belangte Behörde habe es fast gänzlich unterlassen, sich mit den gegen ein Aufenthaltsverbot sprechenden Gründen auseinanderzusetzen. Er habe sich vor Verwirklichung des strafrechtlich relevanten Sachverhaltes bereits zweieinhalb Jahre lang in Österreich aufgehalten, sei hier privat und beruflich in hohem Maße integriert und lebe seit sieben Jahren in aufrechter Ehe mit seiner Ehefrau und mit deren Tochter aus einer früheren Beziehung sowie der gemeinsamen Tochter zusammen. Ferner habe er "sein Bestes getan", um ein regelmäßiges Einkommen für seine Familie zu erzielen.

Bei ihrer Interessenabwägung hat die belangte Behörde den ca. siebenjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sowie die beschriebenen familiären Bindungen ausreichend berücksichtigt und ihrer Beurteilung zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers zugrunde gelegt. Ebenso hat sie die sporadische Beschäftigung des Beschwerdeführers bei ständig wechselnden Arbeitgebern sowie seine durchgehende Anstellung bei einer Personalleasingfirma seit 1. Juli 2008 beachtet. Insoweit kann aber nicht von "in hohem Maß" erfolgter beruflicher Integration die Rede sein. Diesen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht jedoch - wie die belangte Behörde richtig erkannt hat - die massive Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber, die aus den vom Beschwerdeführer über einen mehrmonatigen Zeitraum gesetzten Straftaten im Bereich der schweren gewerbsmäßigen Suchtgiftdelinquenz resultiert.

Im Ergebnis erweist sich die Ansicht der belangten Behörde, dass das gegen den Beschwerdeführer verhängte Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten sei, nicht als rechtswidrig. An dieser Einschätzung kann auch das Vorbringen, dem Beschwerdeführer sei ausschließlich eine strafrechtliche Verfehlung vorzuwerfen, er verfüge zu seiner ursprünglichen Heimat nur "über geringe bis gar keine Bindungen" und seine Familie hätte im Falle der Durchsetzung des Aufenthaltsverbotes erhebliche wirtschaftliche und soziale Nachteile zu befürchten, nichts ändern. Zutreffend hat die belangte Behörde nämlich berücksichtigt, dass nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei Verbrechen gegen das SMG, wie sie dem Beschwerdeführer vorzuwerfen sind, weder ein langjähriger Aufenthalt in Österreich noch eine sonst vollkommene soziale Integration im Inland einem Aufenthaltsverbot entgegenstehen (vgl. das Erkenntnis vom 19. Jänner 2012, Zl. 2011/23/0255, mwN). In diesem Fall haben der Beschwerdeführer und seine Familienangehörigen die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen.

Schließlich ist auch dem Beschwerdevorbringen, die belangte Behörde habe das ihr eingeräumte Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes ausgeübt, nicht zu folgen. Es ist nämlich kein ausreichender Grund ersichtlich, wonach es geboten gewesen wäre, im Rahmen der Ermessensentscheidung von der Erlassung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes Abstand zu nehmen. Überdies wäre nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung eines Fremden - wie hier - wegen einer im § 55 Abs. 3 FPG genannten strafbaren Handlung die auf einer Ermessenserwägung beruhende Abstandnahme von der Verhängung des Aufenthaltsverbotes offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes gelegen (vgl. erneut das bereits zitierte Erkenntnis, Zl. 2011/23/0255, mwN).

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 24. April 2012

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