VwGH 2011/22/0018

VwGH2011/22/001822.7.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des F, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 28. Jänner 2010, Zl. 149.903/7- III/4/09, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, gegen den erstinstanzlichen Bescheid, mit dem sein Antrag vom 24. April 2009 auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" zurückgewiesen worden war, gemäß § 44 Abs. 3 und § 44b Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 19. Februar 2003 in das Bundesgebiet eingereist und habe einen Asylantrag gestellt, der mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. Oktober 2003 rechtskräftig zurückgewiesen worden sei. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 8. Jänner 2004 sei der Beschwerdeführer gemäß § 15 Abs. 1 StGB und § 28 Abs. 2 und Abs. 3 erster Fall SMG wegen des Versuchs des gewerbsmäßigen Handels mit Suchtgift in einer großen Menge als Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt worden; am 23. Jänner 2005 sei er aus der Haft entlassen worden.

Am 28. Februar 2005 habe der Beschwerdeführer erneut einen Asylantrag gestellt, der - rechtskräftig mit 20. Februar 2007 - vom unabhängigen Bundesasylsenat abgewiesen worden sei. Unter einem sei er aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen worden. Die Behandlung einer dagegen eingebrachten Beschwerde habe der Verwaltungsgerichtshof abgelehnt.

Am 24. April 2009 habe der Beschwerdeführer den gegenständlichen Erstantrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" zum Zweck der Aufrechterhaltung seines Privat- und Familienlebens eingebracht. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien habe in ihrer Stellungnahme vom 27. August 2009 gemäß § 44b Abs. 2 NAG keine Gründe gesehen, die eine Ausweisung des Beschwerdeführers als unzulässig erscheinen ließen, und habe sich ausdrücklich gegen die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung ausgesprochen.

Unter Hinweis auf § 44b Abs. 1 NAG führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates mit Rechtskraft per 20. Februar 2007 aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen worden. Daher sei sein Antrag (vom 24. April 2009) aus Sicht der belangten Behörde schon gemäß § 44b Abs. 1 Z. 1 NAG als unzulässig zurückzuweisen.

Obwohl bereits der genannte Zurückweisungstatbestand erfüllt sei, habe die belangte Behörde dennoch die Stellungnahme der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien gemäß § 44b Abs. 2 NAG eingeholt, worin diese die Ausweisung des Beschwerdeführers eindeutig als zulässig beurteilt habe. Das vorläufig nach asylrechtlichen Bestimmungen bestanden habende Aufenthaltsrecht könne nicht bewirken, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers vom 20. Februar 2003 bis 20. Februar 2007 "entgegen dem Verfahrensgrundsatz der materiellen Wahrheit (welcher sich insbesondere in § 37 AVG ausdrückt) aus Sicht ex post als rechtmäßig zu bewerten ist". Der Beschwerdeführer sei bereits etwa acht Monate nach seiner Einreise festgenommen und strafgerichtlich verurteilt worden.

Aus der Aktenlage ergebe sich, dass der Beschwerdeführer im Jänner 2007 der Obfrau des Vereins S seine Mitarbeit angeboten habe. Im Laufe der Zeit seien sie einander auch persönlich näher gekommen. Es verbinde die beiden so viel, was mit dem Lebensalter (ca. 16 Jahre Altersunterschied) nichts zu tun habe. Seit Februar 2008 lebe er angeblich mit U O. zusammen, eine Ehe hätten sie jedoch nicht geschlossen. Laut eigenen Angaben habe der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag zur Aufrechterhaltung dieser Lebensgemeinschaft gestellt. Seit 26. Februar 2008 sei er mit Hauptwohnsitz an der Wohnadresse von U O. gemeldet.

Aus diesen Angaben - so die belangte Behörde - folge jedoch, dass der Beschwerdeführer diese Lebensgemeinschaft oder Beziehung zu einem Zeitpunkt aufgenommen habe, zu dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus jedenfalls bewusst gewesen sei. Seine Ausweisung habe ihm zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt sein müssen. Durch die Aufnahme seiner angeblichen (nicht ehelichen) Beziehung zu U O. sei ein maßgeblich geänderter Sachverhalt im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers gemäß § 11 Abs. 3 NAG nicht hervorgekommen.

Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn erhobene Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 30. November 2010, B 401/10-8, dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung abgetreten. Dieser hat über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer hat einen Antrag nach § 44 Abs. 3 NAG (in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2009) gestellt. Gemäß dieser Bestimmung ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen (§ 44a) oder auf begründeten Antrag (§ 44b) eine quotenfreie "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" zu erteilen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z. 1, 2 oder 3 vorliegt und dies gemäß § 11 Abs. 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten ist. Gemäß § 44b Abs. 1 Z. 1 NAG (in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2009) sind, wenn kein Fall des § 44a vorliegt, derartige Anträge als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 NAG ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

Der Beschwerdeführer lässt unbestritten, dass er vom unabhängigen Bundesasylsenat mit dem am 20. Februar 2007 in Rechtskraft erwachsenen Bescheid ausgewiesen wurde. Sein Antrag gemäß § 44 Abs. 3 NAG war daher gemäß § 44b Abs. 1 Z. 1 NAG zurückzuweisen, es sei denn, es wäre im Hinblick auf eine maßgebliche Sachverhaltsänderung seit der ergangenen Ausweisung eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK erforderlich (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, 2011/22/0127, mwN).

Zunächst irrt die belangte Behörde, wenn sie meint, bei Vorliegen einer rechtskräftigen Ausweisung sei der Antrag "schon gemäß § 44 Abs. 1 Z. 1 NAG" als unzulässig zurückzuweisen, weil auch in einem solchen Fall zu prüfen ist, ob eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK erforderlich ist.

Dennoch hat sie eine - nach Erlassung einer Ausweisung nach § 44b Abs. 2 NAG gar nicht vorgesehene - Stellungnahme der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien eingeholt, in weiterer Folge Feststellungen zum Vorbringen des Beschwerdeführers gemacht und eine - wenn auch unvollständige - inhaltliche Bewertung der von diesem geltend gemachten integrationsbegründenden Umstände vorgenommen. Dabei gelangte die belangte Behörde zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführer die Lebensgemeinschaft oder Beziehung zu U O. zu einem Zeitpunkt aufgenommen habe, als er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen sei, weshalb ein maßgeblich geänderter Sachverhalt im Hinblick auf die Berücksichtigung seines Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 NAG, wonach die Erteilung eines Aufenthaltstitels geboten gewesen wäre, nicht hervorgekommen sei.

Damit hat die belangte Behörde jedoch die Rechtslage verkannt. Mit einer Antragszurückweisung gemäß § 44b Abs. 1 Z. 1 NAG darf nämlich nach Erlassung einer Ausweisung nur dann vorgegangen werden, wenn im Hinblick auf das Antragsvorbringen eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK nicht erforderlich ist. Die belangte Behörde hat jedoch eine - wenn auch unvollständige - inhaltliche Bewertung der vom Beschwerdeführer geltend gemachten integrationsbegründenden Umstände vorgenommen. Ausgehend davon, dass im vorliegenden Fall eine Änderung des Sachverhaltes vorliegt, die einer Neubewertung nach Art. 8 EMRK zu unterziehen ist, erweist sich die nach § 44b Abs. 1 Z. 1 NAG ausgesprochene Antragszurückweisung als rechtlich verfehlt (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis 2011/22/0127, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird).

Im fortzusetzenden Verfahren wird - nach Behebung des erstinstanzlichen Bescheides - aber auch auf das Vorbringen, wonach gegen den Beschwerdeführer (laut Beschwerdevorbringen: am 2. April 2004) ein Aufenthaltsverbot erlassen worden sei, das (im März 2008) durch die Bezirkshauptmannschaft H aufgehoben worden sei, einzugehen sein, und es werden Feststellungen zu den zahlreichen geltend gemachten Tätigkeiten des Beschwerdeführers im künstlerischen, sportlichen oder sozialen Bereich zu treffen sein; diese werden ebenfalls bei der Beurteilung gemäß § 11 Abs. 3 NAG zu berücksichtigen sein.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG unterbleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 22. Juli 2011

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