VwGH 2011/21/0227

VwGH2011/21/02272.10.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und den Hofrat Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der E in S, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom 1. August 2011, Zl. UVS-5/14207/2-2011, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §120 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
EMRK Art8;
VStG §19 Abs1;
VStG §19;
VStG §6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §120 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
EMRK Art8;
VStG §19 Abs1;
VStG §19;
VStG §6;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 1. Dezember 2010 bestätigte die belangte Behörde - mit hier nicht relevanten Maßgaben - das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 29. Juni 2010. Der Beschwerdeführerin, einer mazedonischen Staatsangehörigen, wurde zu Last gelegt, sie habe sich zumindest seit dem 18. Februar 2010 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, da sie nach rechtskräftigem Abschluss ihres Asylverfahrens weder über einen Aufenthaltstitel noch über eine sonstige - näher umschriebene - Aufenthaltsberechtigung verfügt habe, und sie habe dadurch § 120 Abs. 1 Z 2 iVm § 31 Abs. 1 FPG verletzt. Deswegen wurde über sie gemäß § 120 Abs. 1 Z 2 FPG eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 14 Tage) verhängt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und an den Verwaltungsgerichtshof. Der Verfassungsgerichtshof behob den Bescheid - nach Aufhebung der Wortfolge "von 1 000 Euro" in Abs. 1 und der Wendung "1," in Abs. 4 des § 120 FPG durch das Erkenntnis vom 9. März 2011, G 53/10-7 u.a., kundgemacht im BGBl. I Nr. 17/2011 - mit Erkenntnis vom 15. Juni 2011, B 133/11. Das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wurde daraufhin mit Beschluss vom 30. August 2011, Zl. 2011/21/0050, eingestellt.

Im fortgesetzten Verfahren wies die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 1. August 2011 die Berufung als unbegründet ab und bestätigte das erstinstanzliche Straferkenntnis u. a. mit der Maßgabe, dass die Strafzumessungsnorm "§ 120 Abs. 1 Z 2 FPG i.d.F. BGBl I Nr. 17/2011" zu lauten habe.

In ihrer Begründung gab die belangte Behörde zunächst das Berufungsvorbringen der Beschwerdeführerin wieder. Diese hatte geltend gemacht, dass sie am 22. Februar 2010 einen Antrag auf "Erlangung eines humanitären Bleiberechts nach den Bestimmungen der §§ 44 ff NAG und § 66 Abs. 2 FPG" gestellt habe. Es bestehe die begründete Aussicht, so das Berufungsvorbringen weiter, dass ihr entweder ein Aufenthaltstitel nach § 44 Abs. 4 NAG erteilt werde oder im anhängigen Ausweisungsverfahren ihre Ausweisung nach Mazedonien gemäß § 66 Abs. 2 FPG als dauerhaft unzulässig erklärt werde. All dies habe jedoch zur Voraussetzung, dass sie sich weiterhin im Bundesgebiet aufhalte. Nach erfolgter Ausreise könne jedenfalls ein Aufenthaltstitel nach § 44 Abs. 4 NAG nicht mehr erteilt werden. Sollte sich im Verfahren nach "§ 66 und § 53 FPG" tatsächlich herausstellen, dass eine Ausweisung der Beschwerdeführerin nach Mazedonien dauerhaft unzulässig sei, so würde dies bedeuten, dass ihr in Österreich auf Grund des Art. 8 EMRK ein Aufenthalts- und Bleiberecht zukomme, welches dem formell titellosen Aufenthalt die Rechtswidrigkeit nehme. Von einem verwaltungsstrafrechtlich relevanten Verschulden der Beschwerdeführerin könne daher keine Rede sein.

Im Anschluss an die Wiedergabe dieses Berufungsvorbringens führte die belangte Behörde aus, dass in § 31 Abs. 1 FPG die Voraussetzungen für den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet taxativ aufgezählt seien. Aus dem vorliegenden Verwaltungsakt und selbst aus dem Berufungsvorbringen der Beschwerdeführerin sei ein "dementsprechender Aufenthaltstitel in Bezug auf sie" nicht zu erkennen. Hinsichtlich ihres Hinweises auf das Bemühen um die Erlangung eines humanitären Bleiberechts nach den Bestimmungen des § 44 NAG und ihres diesbezüglichen Antrags - welcher nach ihrem eigenen Vorbringen zwischenzeitlich erstinstanzlich abgewiesen worden sei - sei auf § 44 Abs. 5 NAG zu verweisen, wonach derartige Anträge kein Aufenthalts- oder Bleiberecht nach dem FPG begründeten. Es könne somit unter keinen Umständen ein Anhaltspunkt für einen rechtmäßigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet erkannt werden. Somit sei vom Vorliegen eines tatbildlichen Sachverhaltes auszugehen.

Sodann führte die belangte Behörde hinsichtlich der Strafbemessung aus, dass die in § 120 FPG vorgesehene Mindeststrafe von EUR 1.000,-- aufgehoben worden sei. Unabhängig von dieser Änderung werde der erstinstanzlich festgesetzte Strafbetrag in Höhe von EUR 1.000,-- weiterhin für angemessen erachtet. Der Einhaltung der Bestimmungen des Fremden- und Aufenthaltsrechts sei ein wesentliches und grundlegendes öffentliches Interesse beizumessen, einem diesbezüglichen Verstoß sei "ein nicht unwesentlicher verwaltungsstrafrechtlich pönalisierter Unwert" zu unterstellen. Dieser rechtfertige nach Ansicht der belangten Behörde eine Straffestsetzung "abseits der verwaltungsstrafsanktionellen Bagatellgrenze". Der Verfassungsgerichtshof habe bei seiner die Mindeststrafe aufhebenden Entscheidung ganz andere Sachverhalte vor Augen gehabt. Hinsichtlich des unrechtmäßigen Aufenthalts eines Fremden in Österreich über den Zeitraum von mehreren Monaten sei "keine Unsachlichkeit der Mindeststrafe" anzunehmen.

Aus dem Berufungsvorbringen in Bezug auf das Vorliegen verschuldensausschließender Umstände auf Grund des Antrags gemäß § 44 NAG und der damit im Zusammenhang stehenden Verpflichtung zum weiteren Aufenthalt im Inland sei kein Strafausschließungsgrund zu erkennen. Der Beschwerdeführerin sei zuzugestehen, dass sich "in der Zusammenschau der hiezu einschlägigen Bestimmungen aus dem Fremdenpolizeigesetz und dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz differente normative Verhaltensmuster auftun". Im vorliegenden Fall habe sich die Beschwerdeführerin offenbar bewusst für ihren weiteren, unstrittig "konsenswidrigen" Aufenthalt in Österreich entschieden und damit die vorgeworfene Übertretung in Kauf genommen. Einer Anwendung des § 21 VStG stehe der Unrechtsgehalt der Tat entgegen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die belangte Behörde hat weder festgestellt, dass die Beschwerdeführerin bereits - unter Vornahme einer Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK - rechtskräftig ausgewiesen worden sei und die dafür maßgeblichen Umstände auch im Tatzeitraum vorgelegen seien, noch hat sie im Rahmen einer Vorfragenbeurteilung selbst die gebotene Interessenabwägung im Hinblick auf die Zulässigkeit einer Ausweisung vorgenommen. Diese Unterlassung ist für den Verfahrensausgang relevant (vgl. dazu des Näheren das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zlen. 2011/21/0211, 0222, mwN).

Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben. Hinsichtlich der Strafbemessung wird im Übrigen auf das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2011/21/0259, verwiesen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 2. Oktober 2012

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