Normen
FrPolG 2005 §120 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
EMRK Art8;
VStG §19 Abs1;
VStG §19;
VStG §6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §120 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
EMRK Art8;
VStG §19 Abs1;
VStG §19;
VStG §6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheiden vom 8. Februar 2011 bestätigte die belangte Behörde die Straferkenntnisse der Bundespolizeidirektion Salzburg je vom 1. Oktober 2010, mit denen den beschwerdeführenden Parteien, chinesischen Staatsangehörigen, jeweils zur Last gelegt wurde, sie hätten sich zumindest seit dem 29. April 2010 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Wegen der dadurch bewirkten Verletzung des § 31 Abs. 1 iVm § 120 Abs. 1 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG wurde über sie jeweils eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe vierzehn Tage) verhängt.
Gegen diese Bescheide erhoben die beschwerdeführenden Parteien Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof und an den Verwaltungsgerichtshof. Der Verfassungsgerichtshof behob die Bescheide - nach Aufhebung der Wortfolge "von 1 000 Euro" in Abs. 1 und der Wendung "1," in Abs. 4 des § 120 FPG durch das Erkenntnis vom 9. März 2011, G 53/10-7 u.a., kundgemacht im BGBl. I Nr. 17/2011 - mit Erkenntnis vom 20. Juni 2011, B 303, 304/11. Die Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wurden daraufhin mit Beschluss vom 30. August 2011, Zlen. 2011/21/0049, 0051, eingestellt.
Im fortgesetzten Verfahren wies die belangte Behörde mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden neuerlich die Berufungen ab und bestätigte die erstinstanzlichen Straferkenntnisse, wobei sie unter anderem aussprach, dass die Strafsanktionsnorm jeweils "§ 120 Abs. 1 Z 2 FPG 2005 in der Fassung des BGBl. I Nr. 17/2011" zu lauten habe.
In der Begründung der angefochtenen Bescheide gab die belangte Behörde zunächst die Berufungen der beschwerdeführenden Parteien wieder, in denen diese darauf verwiesen hatten, dass sie im Juli 2010 Anträge auf "Erlangung eines humanitären Bleiberechts nach den Bestimmungen der §§ 44 ff NAG" gestellt hätten. Es bestehe die begründete Aussicht, so das weitere Berufungsvorbringen, dass ihnen Aufenthaltstitel nach § 44 Abs. 3 oder Abs. 4 NAG erteilt würden und in den anhängigen Ausweisungsverfahren ihre Ausweisung nach China gemäß § 66 FPG als dauerhaft unzulässig erklärt werde. All dies habe jedoch zur Voraussetzung, dass sie sich weiterhin im Bundesgebiet aufhielten. Nach erfolgter Ausreise könne jedenfalls ein Aufenthaltstitel nach § 44 Abs. 4 NAG nicht mehr erteilt werden. Sollte sich in den Verfahren nach "§§ 66 und 53 FPG" tatsächlich herausstellen, dass eine Ausweisung der beschwerdeführenden Parteien nach China dauerhaft unzulässig sei, so würde dies bedeuten, dass ihnen in Österreich auf Grund des Art. 8 EMRK ein Aufenthalts- und Bleiberecht zukomme, welches dem formell titellosen Aufenthalt die Rechtswidrigkeit nehme. Von einem verwaltungsstrafrechtlich relevanten Verschulden der beschwerdeführenden Parteien in Bezug auf die Fortsetzung ihres Aufenthaltes nach Beendigung ihres Asylverfahrens zum Zwecke der Erlangung eines Aufenthaltstitels nach § 44 Abs. 3 oder Abs. 4 NAG könne nicht die Rede sein, zumal sie sich bereits seit dem Jahr 1999 in Österreich aufhielten.
Im Anschluss an die Wiedergabe dieses Berufungsvorbringens führte die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheiden jeweils aus, dass die Voraussetzungen für den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet in § 31 Abs. 1 FPG taxativ aufgezählt seien. Aus dem vorliegenden Verwaltungsakt und selbst aus dem Berufungsvorbringen der beschwerdeführenden Parteien sei ein "dementsprechender Aufenthaltstitel in Bezug auf sie" nicht zu erkennen. Hinsichtlich ihres Hinweises auf das Bemühen um die Erlangung eines humanitären Bleiberechts nach den Bestimmungen des § 44 NAG und ihres diesbezüglichen Antrags sei auf § 44 Abs. 5 NAG zu verweisen, wonach derartige Anträge kein Aufenthalts- oder Bleiberecht nach dem FPG begründeten. Es könne somit unter keinen Umständen ein Anhaltspunkt für einen rechtmäßigen Aufenthalt der beschwerdeführenden Parteien im Bundesgebiet erkannt werden. Somit sei vom Vorliegen eines tatbildlichen Sachverhaltes auszugehen.
Hinsichtlich der Strafbemessung führte die belangte Behörde aus, dass die in § 120 FPG vorgesehene Mindeststrafe von EUR 1.000,-- aufgehoben worden sei. Unabhängig von dieser Änderung werde der erstinstanzlich festgesetzte Strafbetrag in Höhe von EUR 1.000,-- weiterhin für angemessen erachtet. Der Einhaltung der Bestimmungen des Fremden- und Aufenthaltsrechts sei ein wesentliches und grundlegendes öffentliches Interesse beizumessen, einem diesbezüglichen Verstoß sei "ein nicht unwesentlicher verwaltungsstrafrechtlich pönalisierter Unwert" zu unterstellen. Dieser rechtfertige nach Ansicht der belangten Behörde "eine Straffestsetzung abseits der verwaltungsstrafsanktionellen Bagatellgrenze". Der Verfassungsgerichtshof habe bei seiner die Mindeststrafe aufhebenden Entscheidung ganz andere Sachverhalte vor Augen gehabt, hinsichtlich des unrechtmäßigen Aufenthalts eines Fremden in Österreich über den Zeitraum von nahezu einem halben Jahr sei "keine Unsachlichkeit der Mindeststrafe" anzunehmen. Aus dem Berufungsvorbringen in Bezug auf das Vorliegen verschuldensausschließender Umstände im Hinblick auf den Antrag gemäß § 44 NAG und der damit im Zusammenhang stehenden Verpflichtung zum weiteren Aufenthalt im Inland sei kein Strafausschließungsgrund zu erkennen. Den beschwerdeführenden Parteien sei zuzugestehen, dass sich "in der Zusammenschau der hiezu einschlägigen Bestimmungen aus dem Fremdenpolizeigesetz und dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz differente normative Verhaltensmuster auftun". Im vorliegenden Fall hätten sich die beschwerdeführenden Parteien offenbar bewusst für ihren weiteren, unstrittig "konsenswidrigen" Aufenthalt in Österreich entschieden und damit die vorgeworfene Übertretung in Kauf genommen. Einer Anwendung des § 21 VStG stehe der Unrechtsgehalt der Tat entgegen.
Über die gegen diese Bescheide erhobenen, wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbundenen Beschwerden hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Die beschwerdeführenden Parteien machen im Wesentlichen geltend, ihrer Bestrafung seien die noch anhängigen Verfahren betreffend ihre Ausweisung und betreffend ihre Anträge auf Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels entgegengestanden.
Damit zeigen sie im Ergebnis die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide auf:
Die belangte Behörde hat weder festgestellt, dass die beschwerdeführenden Parteien bereits - unter Vornahme einer Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK - rechtskräftig ausgewiesen worden seien und sich die für die Beurteilung nach Art. 8 EMRK maßgeblichen Umstände seither nicht geändert hätten (nach der Aktenlage lagen tatsächlich keine rechtskräftigen Ausweisungen vor), noch hat sie im Rahmen einer Vorfragenbeurteilung selbst die gebotene Interessenabwägung im Hinblick auf die Zulässigkeit einer Ausweisung vorgenommen. Diese Unterlassung ist für den Verfahrensausgang relevant. Hätte sich nämlich ergeben, dass eine (hypothetische) Ausweisung der beschwerdeführenden Parteien im Tatzeitraum nicht gerechtfertigt gewesen wäre, so hätte sich dies im Ergebnis auch auf die Strafbarkeit des inländischen Aufenthaltes gemäß § 120 Abs. 1 Z 2 FPG auswirken müssen. Denn wären auch Fremde, die derart gravierende private und familiäre Bindungen in Österreich haben, dass ihr Interesse an deren Aufrechterhaltung die entgegenstehenden öffentlichen Interessen an einer Ausweisung überwiegt, von der Strafdrohung der genannten Norm erfasst, so läge darin ein dem Gesetzgeber nicht zusinnbarer Wertungswiderspruch. Es muss daher das Vorliegen eines gesetzlichen Strafausschließungsgrundes nach § 6 VStG angenommen werden, wenn einer Ausweisung des Fremden eine zu seinen Gunsten ausfallende Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Weg steht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 2012, Zlen. 2010/21/0049, 0050, mwN).
In Verkennung dieser Rechtslage hat die belangte Behörde die Zulässigkeit einer (hypothetischen) Ausweisung der beschwerdeführenden Parteien bezogen auf den in Frage stehenden Tatzeitraum ungeprüft gelassen und keine Feststellungen, insbesondere zur Dauer und zu den Umständen des Aufenthalts der beschwerdeführenden Parteien im Inland sowie zu ihren näheren privaten und familiären Verhältnissen getroffen.
Damit belastete die belangte Behörde die angefochtenen Bescheide mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, sodass sie schon deswegen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war. Hinsichtlich der Strafbemessung wird im Übrigen auf das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2011/21/0259, verwiesen.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 2. Oktober 2012
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