Normen
BAO §308 Abs1;
VwRallg;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2014:2011150192.X00
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, ein in Tschechien ansässiges Telekommunikationsdienstleistungsunternehmen, schloss mit einem österreichischen Netzbetreiber Roamingverträge ab, die ihren im Drittland ansässigen Kunden das Telefonieren in Österreich ermöglichten. Der österreichische Netzbetreiber stellte der Beschwerdeführerin für die erbrachten Telekommunikationsleistungen Gebühren in Rechnung, in denen auch die österreichische Umsatzsteuer enthalten war.
Mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2007 beantragte die Beschwerdeführerin die Erstattung der vom österreichischen Netzbetreiber verrechneten Umsatzsteuer auf Telekommunikationsleistungen für die Zeiträume Jänner 2002 bis April 2004 und beantragte, "wegen der bereits abgelaufenen Antragsfrist, vorsorglich Wiedereinsetzung in das Verfahren".
Das Finanzamt wies den Antrag auf Wiedereinsetzung mit Bescheid vom 10. Mai 2010 als unbegründet ab und führte begründend dazu u.a. aus, es sei viele Jahre strittig gewesen, ob die Vorsteuer im Zusammenhang mit Roaminggebühren für in Österreich nicht ansässige Unternehmen erstattungsfähig sei. Zuletzt sei dies noch durch die Berufungsentscheidung des unabhängigen Finanzsenates vom 7. Juni 2006, Zl. RV/0009-G/06, verneint worden. Durch die Berufungsentscheidung des unabhängigen Finanzsenates vom 10. August 2007, Zl. RV/0315-G/07, und die am 24. Oktober 2007 erfolgte Änderung der Umsatzsteuerrichtlinien 2000 sei die Vorsteuererstattung für nicht im Inland ansässige Unternehmen bestätigt worden. Nach Ansicht des Finanzamtes seien die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht erfüllt, weil kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis iSd § 308 BAO vorgelegen sei. Die "Rechtsunsicherheit" könne nicht als Rechtsunkenntnis oder Rechtsirrtum gewertet werden, die in Ausnahmefällen Wiedereinsetzungsgründe darstellten, weil das für die Vorsteuererstattung an ausländische Unternehmen zuständige Finanzamt im Zeitraum der bestehenden "Rechtsunsicherheit" von zahlreichen Unternehmen derselben Branche Anträge auf Erstattung der Vorsteuer erhalten habe. Im Gegensatz zu anderen gleichartigen ausländischen Unternehmen habe es die Beschwerdeführerin unterlassen, "innerhalb der Frist - und sei es zum damaligen Zeitpunkt und unter Berücksichtigung des damaligen Wissenstandes nur aus Vorsichtsgründen, um die Frist zu wahren und ohne Aussicht auf Erfolg einer Erstattung der Vorsteuer - einen Antrag auf Erstattung der Vorsteuer innerhalb der gesetzlichen Frist zu stellen".
Die Beschwerdeführerin berief gegen den Abweisungsbescheid und brachte in der Berufung u.a. vor, dass das Finanzamt betreffend den nicht näher ausgeführten Wiedereinsetzungsantrag keinen Mängelbehebungsauftrag erlassen habe. Dies stelle einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, weil die Erlassung des Mängelbehebungsauftrages nicht im Ermessen der Behörde liege.
Entgegen der Auffassung des Finanzamtes liege ein der Wiedereinsetzung zugängliches unvorhergesehenes Ereignis vor. Ein Ereignis sei jedes Geschehen, also auch eine Änderung bzw. allenfalls auch eine bloße Klarstellung der Gesetzeslage. Die Änderung der Gesetzeslage sei für die Beschwerdeführerin nicht vorhersehbar und somit unvorhergesehen gewesen. Selbst Rechtsunkenntnis oder gar Rechtsirrtum würden - wie vom Finanzamt im angefochtenen Bescheid eingeräumt - unter bestimmten Umständen als ein wiedereinsetzungsfähiges unvorhergesehenes Ereignis anerkannt. "Wenn aber in Ausnahmefällen sogar Rechtsunkenntnis oder Rechtsirrtum als Wiedereinsetzungsgründe herangezogen werden können, umso eher muß eine Rechtsänderung als Wiedereinsetzungsgrund heranziehbar sein." Im Streitfall habe der unabhängige Finanzsenat die Erstattungsfähigkeit der Vorsteuer im Zusammenhang mit Roaminggebühren für in Österreich nicht ansässige Unternehmen mit Berufungsentscheidung vom 7. Juni 2006, Zl. RV/0009-G/06, verneint. Erst durch die Berufungsentscheidung des unabhängigen Finanzsenates vom 10. August 2007, Zl. RV/0315- G/07, und die anschließend erfolgte Abänderung der Umsatzsteuerrichtlinien 2000 - die für die Beschwerdeführerin nicht vorhersehbar gewesen seien - sei die Vorsteuererstattungsfähigkeit für nicht im Inland ansässige Unternehmen dann eindeutig möglich geworden. Eine Änderung der Judikatur und Gesetzeslage im Streitfall nicht als Wiedereinsetzungsgrund anzusehen, wäre daher gleichheitswidrig, unsachlich und jedenfalls mit der ständigen Judikatur zu den möglichen Wiedereinsetzungsgründen nicht in Einklang zu bringen.
Vor August 2007 wäre ein von einem im Inland nicht ansässigen Unternehmen eingebrachter Antrag auf Erstattung der Vorsteuern im Zusammenhang mit Roaminggebühren abgewiesen worden. Das Unterlassen der Einbringung eines Antrages, der im Zeitpunkt der Einbringung aussichtslos gewesen wäre, stelle kein auffallend sorgloses Verhalten dar und stehe einer Wiedereinsetzung nicht im Wege. Dass andere im Inland nicht ansässige Unternehmen derartige Anträge eingebracht hätten, ändere daran nichts.
Die Beschwerdeführerin habe umgehend auf die Änderung der Rechtslage reagiert, den Antrag vom 31. Oktober 2007 auf Erstattung der Vorsteuer für Jänner 2002 bis April 2004 eingebracht und "mit Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages rückwirkend - die bis dato nicht mögliche - Vorsteuer ihr zu erstatten beantragt". Der Wiedereinsetzungsantrag sei innerhalb der Dreimonatsfrist eingebracht worden, weil das Hindernis frühestens durch die Berufungsentscheidung des unabhängigen Finanzsenates vom 10. August 2007, Zl RV/0315-G/07, bzw. durch die am 24. Oktober 2007 erfolgte Änderung der Umsatzsteuerrichtlinien 2000 weggefallen sei.
Am 27. Juli 2010 erließ das Finanzamt einen Mängelbehebungsauftrag betreffend den Antrag auf Wiedereinsetzung vom 31. Oktober 2007 und forderte die Beschwerdeführerin auf, das unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis iSd § 308 Abs. 1 BAO genau zu bezeichnen (§ 309a lit. b BAO) und ihren Antrag um jene Angaben zu ergänzen, die zur Beurteilung des fehlenden groben Verschuldens an der Fristversäumnis und zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Antrages notwendig seien (§ 309a lit. c und d BAO).
Die Beschwerdeführerin kam der Aufforderung zur Mängelbehebung mit Schriftsatz vom 19. August 2010 nach und bezeichnete die "Änderung der Gesetzeslage durch einen vorangegangenen Judikaturwandel" als unvorhergesehenes Ereignis. Im Übrigen wiederholte sie ihr Vorbringen in der Berufung.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Sie vertrat die Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nicht erfüllt seien, weil der Antrag nicht binnen einer Frist von drei Monaten nach Aufhören des behaupteten Hindernisses eingebracht worden sei. Abgesehen davon, liege kein unvorhergesehenes oder abwendbares Ereignis, sondern eine bewusste, willentliche Entscheidung der Beschwerdeführerin vor, keine Erstattungsanträge einzubringen. Selbst wenn ein der Wiedereinsetzung zugängliches Ereignis vorläge, wäre der Beschwerdeführerin ein grobes Verschulden an der Fristversäumung vorzuwerfen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 308 Abs. 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Nach Absatz 3 dieser Gesetzesstelle muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen einer Frist von drei Monaten nach Aufhören des Hindernisses bei der Abgabenbehörde, bei der die Frist wahrzunehmen war, bei Versäumung einer Berufungsfrist oder einer Frist zur Stellung eines Vorlageantrages (§ 276 Abs. 2) bei der Abgabenbehörde erster oder zweiter Instanz eingebracht werden. Spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag hat der Antragsteller die versäumte Handlung nachzuholen.
Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers abgesteckt wurde (vgl. Ritz, BAO5, § 308 Tz 20, mit Hinweisen auf die hg. Rechtsprechung).
Von der Beschwerdeführerin wird das "unvorhergesehene" Ereignis - sowohl im Verwaltungsverfahren wie auch in der Beschwerde - darin erblickt, dass der unabhängige Finanzsenat die Erstattungsfähigkeit der Vorsteuer im Zusammenhang mit Roaminggebühren für in Österreich nicht ansässige Unternehmen mit der Berufungsentscheidung vom 7. Juni 2006, Zl RV/0009-G/06, verneint und mit der Berufungsentscheidung vom 10. August 2007, Zl RV/0315-G/07, bejaht habe. Durch die Änderung der Umsatzsteuerrichtlinien (mit Erlass des Bundesministers für Finanzen vom 24. Oktober 2007, BMF-010219/0448-VI/4/2007) sei die Vorsteuererstattungsfähigkeit für nicht im Inland ansässige Unternehmen dann eindeutig möglich geworden, was nach Ansicht der Beschwerdeführerin die in § 308 Abs. 3 BAO normierte Frist ausgelöst habe.
Zu Recht hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid verneint, dass die Beschwerdeführerin damit ein unvorhergesehenes Ereignis iSd § 308 BAO aufgezeigt hat, weil die geänderte Rechtsauslegung durch die Behörden oder unterschiedliche Entscheidungen der Abgabenbehörde zweiter Instanz für sich genommen keine derartigen Ereignisse darstellen.
Rechtsunkenntnis und Rechtsirrtum können zwar in Ausnahmefällen ein maßgebliches "Ereignis" iSd § 308 BAO sein (vgl. Ritz, a.a.O., § 308 Tz 12, mwN). Mit dem bloßen Hinweis auf Entscheidungen des unabhängigen Finanzsenates (Abgabenbehörde zweiter Instanz) ist die Unkenntnis über die Rechtslage bzw. ein Rechtsirrtum in Bezug auf die Rechtslage aber nicht dargetan. Dass ihr die maßgeblichen Rechtsnormen nicht bekannt gewesen wären, behauptet die Beschwerdeführerin nicht. Durch den Verweis auf Entscheidungen des unabhängigen Finanzsenates zeigt sie auch in keiner Weise auf, dass sie sich in Bezug auf die maßgeblichen Rechtsnormen in einem Rechtsirrtum befunden habe oder gar, in Bezug auf welche konkreten Normen ein solcher Rechtsirrtum vorgelegen wäre.
Wenn die belangte Behörde ausgesprochen hat, dass die Beschwerdeführerin jedenfalls auch die Einhaltung des Erfordernisses der Frist von drei Monaten nicht aufzeigen konnte, kann ihr ebenfalls nicht mit Erfolg entgegen getreten werde.
Die Beschwerdeführerin sieht den Fristenlauf mit dem Erlass des Bundesministers für Finanzen vom 24. Oktober 2007, BMF- 010219/0448-VI/4/2007, in Gang gesetzt, mit dem die Umsatzsteuerrichtlinien geändert wurden. Erlässe oder Richtlinien des Bundesministeriums für Finanzen, wie die von der Beschwerdeführerin angesprochenen Umsatzsteuerrichtlinien, stellen für den Verwaltungsgerichtshof keine maßgebende Rechtsquelle dar (vgl. zB das hg. Erkenntnis vom 22. April 2009, 2007/15/0143, mwN). Sie sind für den Steuerpflichtigen nicht verbindlich. Auch der unabhängige Finanzsenat war nicht an sie gebunden. Die Beschwerdeführerin konnte daher weder das Hindernis noch das "Aufhören" des Hindernisses aufzeigen, dass sie daran gehindert hat, rechtzeitig einen Erstattungsantrag zu stellen.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung anzuwenden.
Wien, am 2. Oktober 2014
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