VwGH 2011/15/0145

VwGH2011/15/014527.2.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des Finanzamtes Neunkirchen Wiener Neustadt in 2620 Neunkirchen, Triester Straße 16, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 14. Juli 2011, Zl. RV/1740-W/11, betreffend Einkommensteuer 2009 (mitbeteiligte Partei: JW in P), zu Recht erkannt:

Normen

EStG §34;
EStG 1988 Außergewöhnliche Belastungen 1996/303 §3;
EStG 1988 Außergewöhnliche Belastungen 1996/303 §4;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2014:2011150145.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Der Mitbeteiligte beantragte im Rahmen seiner Arbeitnehmererklärung für das Jahr 2009 die Kosten für die Anschaffung eines Elektromobils "Neptun" in Höhe von 5.300 EUR als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. Zudem beanspruchte er den Freibetrag für Körperbehinderte, die zur Fortbewegung ein eigenes Kraftfahrzeug benützen.

Im Einkommensteuerbescheid 2009 berücksichtigte das Finanzamt Pauschbeträge nach der Verordnung des BMF über außergewöhnliche Belastungen wegen eigener Behinderung in Höhe von 2.676 EUR und nachgewiesene Kosten aus der eigenen Behinderung nach der angesprochenen Verordnung in Höhe von 1.096,41 EUR. Die Aufwendungen für das Elektromobil wurden mit der Begründung nicht anerkannt, dass es sich dabei um keinen Heilbedarf handle.

Der Mitbeteiligte erhob Berufung, wobei er sich auf § 4 der vom Finanzamt angesprochenen Verordnung bezog und die Ansicht vertrat, dass das Elektromobil in seinem Fall als Hilfsmittel im Sinne der Verordnung anzusehen sei, weil es ihm auf Grund seiner Behinderung sonst nicht möglich wäre, sich außerhalb des Hauses fortzubewegen. Das Elektromobil sei notwendig, um die mit seiner Gehbehinderung verbundene Beeinträchtigung zu beseitigen. Die Anschaffung eines Rollstuhls hätte gegenständlich keinen Sinn gemacht, weil der Mitbeteiligte so weit außerhalb des Ortskerns wohnhaft sei, dass er eine derart weite Strecke nicht mit einem Rollstuhl bewältigen könne. Ohne Elektromobil wäre es ihm nicht möglich, täglich anfallende Tätigkeiten wie Einkaufen oder die Erledigung von Bankgeschäften alleine zu erledigen oder an einem Gesellschaftsleben außerhalb seines Hauses teilzunehmen.

In einer abweisenden Berufungsvorentscheidung führte das Finanzamt aus, dass im Beschwerdefall schon der Freibetrag für Körperbehinderte, die zur Fortbewegung ein eigenes Kraftfahrzeug benützen, berücksichtigt worden sei und daher die Kosten für die Anschaffung eines Elektromobils als zweites Behindertenkraftfahrzeug nicht steuermindernd anerkannt werden können.

Im Vorlageantrag erläuterte der Mitbeteiligte, dass das Elektromobil kein zweites Behindertenfahrzeug darstelle, sondern als ergänzendes Hilfsmittel im Sinne der Verordnung anzusehen sei. Das Elektromobil sei mit einem herkömmlichen Personenkraftwagen nicht vergleichbar, weil es über keine geschlossene Karosserie und nur über eine maximale Geschwindigkeit von 12 km/h verfüge. Der Freibetrag für die Benützung eines Personenkraftwagens sei auf Grund des Vorliegens der entsprechenden Voraussetzungen auf jeden Fall zu berücksichtigen. Die Kosten, die nicht mit dem Betrieb des Fahrzeuges verbunden seien und für andere Hilfsmittel anfielen, seien zusätzlich anzuerkennen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Mitbeteiligten statt. Der im Jahr 1921 geborene Mitbeteiligte sei zu 70 % behindert. Dem Mitbeteiligten sei auf Grund seiner Gehbehinderung die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bescheinigt. Der Mitbeteiligte sei Eigentümer und Fahrzeughalter eines PKW Citroen. Für dieses Fahrzeug stünde ihm der Freibetrag des § 3 der Verordnung des BMF über außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1996, auf Grund des Vorliegens der Voraussetzungen zu.

Am 28. Jänner 2009 habe der Mitbeteiligte ein näher beschriebenes Elektromobil um den Preis von 5.600 EUR abzüglich 300 EUR für den Eintausch eines anderen Elektromobils gekauft. Das Elektromobil verfüge über keine geschlossene Karosserie und diene nur zur Beförderung des Fahrzeugführers. Der Wohnsitz des Mitbeteiligten liege außerhalb des Ortskerns der Gemeinde. Anders als ein Elektrorollstuhl sei ein Elektromobil auf eine (bloße) Gehbehinderung ausgelegt und im Unterschied zu diesem sei es direkt zu lenken, sodass der Fahrzeugführer beide Hände einsetzen und den Ein- und Ausstieg in das Fahrzeug selbständig bewältigen können müsse.

Gemäß (dem bei Bescheiderlassung noch in Kraft gestandenen) § 2 Abs. 1 Z 18 KFG 1967, BGBl. Nr. 267/1967, sei ein Invalidenfahrzeug ein Kraftfahrzeug mit einem Eigengewicht von nicht mehr als 300 kg mit einer Bauartgeschwindigkeit von nicht mehr als 30 km/h bei einer Belastung von 75kg, das nach seiner Bauart und Ausrüstung dazu bestimmt sei, von Körperbehinderten gelenkt zu werden.

Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13. März 2003, B 785/02, ausgesprochen habe, sei der Begriff "Hilfsmittel" in § 4 der zitierten Verordnung weit auszulegen sei. Die Definition für Hilfsmittel sei dem § 154 ASVG entnommen. Auch im Anwendungsbereich dieses Gesetzes sei eine extensive Auslegung des Begriffes geboten. Bei Auslegung des § 4 der Verordnung ergebe sich, dass Hilfsmittel Gegenstände und Vorrichtungen seien, die geeignet seien, die Funktion fehlender oder unzulänglicher Körperteile zu übernehmen oder die mit einer Behinderung verbundenen Beeinträchtigungen zu mildern oder zu beseitigen.

Nach der allgemeinen Verkehrsauffassung sei ein Elektromobil ein Hilfsmittel, das geeignet sei, für einen gehbehinderten Menschen die Funktion der unzulänglichen Beine zu übernehmen und die mit der Behinderung verbundenen Beeinträchtigungen zu mildern. Auch Wanke in Wiesner/Grabner/Lattner, MSA, EStG, § 34 Anm. 57, vertrete die Ansicht, dass sowohl ein motorgetriebener Rollstuhl als auch ein Invalidenfahrzeug unter § 4 der zitierten Verordnung fielen.

Der Meinung des Finanzamtes, dass die Kosten eines zweiten Behindertenfahrzeuges nicht anzuerkennen seien, könne nicht gefolgt werden. Dass dem Mitbeteiligten der Freibetrag gemäß § 3 der zitierten Verordnung gewährt werde, bedeute nicht, dass die Kosten der Anschaffung dieses PKW oder die laufenden tatsächlichen Kosten des Betriebes dieses PKW berücksichtigt werden; es würden damit lediglich Mehraufwendungen für besondere Behindertenvorrichtungen abgegolten. Die Anschaffungskosten des Elektromobils stünden nicht mit dem PKW Citroen in Zusammenhang und seien als Kosten für ein nicht regelmäßig anfallendes Hilfsmittel zusätzlich zum geltend gemachten Freibetrag als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen.

Die vom Finanzamt gemäß § 292 BAO idF vor dem FVwGG 2012, BGBl. I Nr. 14/2013, gegen diese Entscheidung erhobene Beschwerde wendet sich gegen die Anerkennung des Elektromobils als Hilfsmittel im Sinne des § 4 der Verordnung BGBl. Nr. 303/1996.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

§ 34 Abs. 1 EStG 1988 lautet:

"Bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen sind nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muß folgende Voraussetzungen erfüllen:

  1. 1. Sie muß außergewöhnlich sein (Abs. 2).
  2. 2. Sie muß zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).
  3. 3. Sie muß die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).

    Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein."

    § 34 Abs. 6 EStG 1988 lautete in der Fassung vor dem BudBG 2011, BGBl. I Nr. 11/2010, auszugsweise:

    "Folgende Aufwendungen können ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden:

    (...)

"§ 3. (1) Für Körperbehinderte, die zur Fortbewegung ein eigenes Kraftfahrzeug benützen, ist zur Abgeltung der Mehraufwendungen für besondere Behindertenvorrichtungen und für den Umstand, daß ein Massenbeförderungsmittel auf Grund der Behinderung nicht benützt werden kann, ein Freibetrag von 153 Euro monatlich zu berücksichtigen.

(...)

§ 4. Nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (zB Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung sind im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen."

Das Finanzamt vertritt die Auffassung, ein Elektromobil stelle kein "Hilfsmittel" iSd § 4 der angeführten Verordnung dar, weil es sich dabei um ein Kraftfahrzeug iSd KFG handle, für welche der Verordnungsgeber in § 3 eine spezielle Bestimmung vorgesehen habe. Mit dieser Spezialbestimmung habe der Verordnungsgeber Kraftfahrzeuge im kraftfahrrechtlichen Sinne dem Anwendungsbereich des § 4 entzogen. Dies müsse gleichermaßen für einen "normalen" PKW gelten wie auch für ein - kraftfahrrechtlich als Kraftfahrzeug zu beurteilendes - Elektromobil.

Unter Belastungen im Sinne des § 34 EStG 1988 sind nur vermögensmindernde Ausgaben, also solche zu verstehen, die mit einem endgültigen Verbrauch, Verschleiß oder sonstigen Wertverzehr verknüpft sind. Ihnen stehen die Ausgaben gegenüber, die nicht zu einer Vermögensminderung, sondern zu einer bloßen Vermögensumschichtung führen und die deshalb nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden. Aufwendungen für den Erwerb von Wirtschaftsgütern stellen dann keine außergewöhnliche Belastung dar, wenn durch sie ein entsprechender Gegenwert erlangt wird, wenn also eine Vermögensumschichtung und keine Vermögensminderung eintritt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. März 2009, 2008/15/0292, mwN).

Ausgaben für den Erwerb eines Wirtschaftsgutes sind daher in der Regel von einer Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung ausgeschlossen. Diesem Umstand trägt der Verordnungsgeber Rechnung, indem er in § 3 Kraftfahrzeuge anspricht, deren Anschaffung zu einem Vermögenswert führt, sodass nur jene Mehraufwendungen (pauschalisierend) als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, die auf die behindertengerechte Ausstattung entfallen und bei denen realistischerweise davon ausgegangen werden muss, dass sie bei einem unterstellten Verkauf nicht abgegolten werden (vgl. zu Aufwendungen für die behindertengerechte Ausstattung einer Wohnung nochmals das hg. Erkenntnis 2008/15/0292).

§ 4 der streitgegenständlichen Verordnung betrifft hingegen Hilfsmittel, die infolge Verwendbarkeit für nur bestimmte individuelle Personen (z.B. deren Prothesen, Seh- und Hörhilfen) oder wegen ihrer spezifisch nur für Behinderte geeigneten Beschaffenheit (z.B. Rollstühle) keinen oder nur einen sehr eingeschränkten allgemeinen Verkehrswert haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 1996, 92/14/0172).

Ob Aufwendungen für ein Elektromobil dem § 3 oder § 4 der Verordnung zu unterstellen sind, bestimmt sich entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht nach kraftfahrrechtlichen Bestimmungen, sondern dem Zweck des § 34 EStG 1988 entsprechend danach, ob das Fahrzeug auf Grund seiner Beschaffenheit eine im Wesentlichen nur eingeschränkte Verkehrsfähigkeit besitzt (diesfalls liegen Aufwendungen iSd § 4 vor) oder ob dies - wie bei üblichen Kraftfahrzeugen - nicht der Fall ist (diesfalls liegen Aufwendungen iSd § 3 vor).

Das beschwerdeführende Finanzamt bringt in diesem Zusammenhang vor, dass sich Elektromobile bei älteren Menschen allgemeiner Beliebtheit erfreuten. Ein Elektromobil verlange im Unterschied zu einem Elektrorollstuhl, dass es selbst gelenkt und bestiegen werden könne. Aus diesem Grund stelle ein derartiges Kraftfahrzeug auch für nicht behinderte Menschen einen Nutzen dar.

Zu Recht hält die belangte Behörde diesen Ausführungen entgegen, dass das streitgegenständliche Elektromobil zwar theoretisch auch von nicht gehbehinderten Personen benützt werden könne, diese jedoch von der Möglichkeit, es zu erwerben bzw. zu benützen, in der Regel keinen Gebrauch machen. Dass die Verwendung von Elektromobilen durch nicht gehbehinderte Personen (bereits) allgemein üblich geworden sei, zeigt das beschwerdeführende Finanzamt mit dem Hinweis auf "ältere Menschen" nicht auf. Elektromobile der gegenständlichen Bauart werden als Fortbewegungsmittel für gehbehinderte Personen wahrgenommen und stehen nach der allgemeinen Verkehrsauffassung Elektrorollstühlen näher als den in § 3 der Verordnung angesprochenen gewöhnlichen Kraftfahrzeugen.

Es kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden, dass die belangte Behörde die Anschaffungskosten des Elektromobils dem § 4 der angeführten Verordnung subsumiert hat.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung anzuwenden.

Wien, am 27. Februar 2014

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