VwGH 2011/11/0179

VwGH2011/11/017919.12.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des F K in R, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 26. August 2011, Zl. Senat-AB-11-0190, betreffend Einschränkung der Lenkberechtigung (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
FSG 1997 §24 Abs4;
FSG 1997 §24;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
FSG 1997 §24 Abs4;
FSG 1997 §24;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Verwaltungsakt erliegt ein amtsärztliches Gutachten zur gesundheitlichen Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klasse B vom 4. Juli 2011. Im Feld "Klinischer Gesamteindruck" ist angegeben:

"Zn über 50 Geschwindigkeitsüberschreitungen

Fa f Psychiatrie v. 23.6.2011: befürwortende Stellungnahme unter Befristung auf 1 Jahr bei Fehlen noopsychischer Einbußen od psychischen Erkrankungen, keine pathologischen Auffälligkeiten der Persönlichkeitsstruktur. Harnscreening negativ"

Die Amtsärztin hielt den Beschwerdeführer für "befristet geeignet auf 1 Jahr" bei "Vorfallsfreiheit bez.

straßenverkehrsassoziierten Übertretungen oder Delikten" und begründete dies wie folgt:

"FS Gr 1 Kl B kann aus amtsärztlicher Sicht bei befürwortender FA-Stellungnahme/FA f Psychiatrie unter Vorfallsfreiheit bezüglich straßenverkehrsassoziierter Übertretungen oder Delikten vorerst auf 1 Jahr befristet werden."

Gestützt auf dieses Gutachten befristete die Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld mit Bescheid vom 8. Juli 2011 gemäß § 24 Abs. 4 FSG die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers für die Klasse B bis zum 4. Juli 2012.

Der dagegen gerichteten Berufung gab der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (UVS) mit Bescheid vom 26. August 2011 insoweit Folge, als der erstbehördliche Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Erstbehörde zurückverwiesen wurde.

Begründend führte der UVS nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens aus, die im amtsärztlichen Gutachten bezeichnete befürwortende fachärztliche Stellungnahme lasse sich aus der verkehrspsychologischen Stellungnahme vom 23. Juni 2011 nicht ableiten. Eine für die gesundheitliche (Nicht)Eignung nachvollziehbare und schlüssige Erklärung amtsärztlicherseits für die ausgesprochene Befristung sei dem Gutachten nicht zu entnehmen. Die Voraussetzungen für die Beschränkung der Lenkberechtigung lägen daher aufgrund der vorliegenden Beweisergebnisse nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1.1. § 24 FSG lautet (auszugsweise):

"Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

  1. 1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder
  2. 2. die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. Diesfalls ist gemäß § 13 Abs. 5 ein neuer Führerschein auszustellen.

    …"

1.2. § 66 AVG lautet (auszugsweise):

"§ 66. (1) Notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens hat die Berufungsbehörde durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen.

(2) Ist der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft, daß die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, so kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

(4) Außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern."

2. Die Beschwerde ist begründet.

2.1. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 2011, Zl. 2010/11/0197 mwN) ausgeführt hat, bedarf es, um eine bloß eingeschränkte Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen annehmen zu können, auf einem ärztlichen Sachverständigengutachten beruhender konkreter Sachverhaltsfeststellungen darüber, dass die gesundheitliche Eignung, und zwar in ausreichendem Maß, noch für eine bestimmte Zeit vorhanden ist, dass aber eine gesundheitliche Beeinträchtigung besteht, nach deren Art nach Ablauf der von der Behörde angenommenen Zeit mit einer die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder in relevantem Ausmaß einschränkenden Verschlechterung gerechnet werden muss.

2.2.1. Der Beschwerdeführer rügt in der Beschwerde die unrichtige Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch die belangte Behörde. Damit ist er im Recht.

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verweisen, wenn der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde außer dem im Abs. 2 erwähnten Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden.

2.2.2. Sollte die belangte Behörde - wofür der Satz in der Begründung des angefochtenen Bescheides, die Voraussetzungen für die Beschränkung der Lenkberechtigung lägen aufgrund der vorliegenden Beweisergebnisse nicht vor, sprechen könnte - der Auffassung sein, dass Bedenken gegen das Fehlen der gesundheitlichen Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klasse B gar nicht bestehen, so wäre der Berufung stattzugeben und der erstbehördliche Bescheid ersatzlos zu beheben gewesen.

Sollte die belangte Behörde hingegen die Auffassung vertreten, dass Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers sehr wohl bestünden, dies jedoch nicht allein anhand des Akteninhaltes beurteilt werden könne, sondern noch eine Ergänzung der fachärztlichen Stellungnahme oder des amtsärztlichen Gutachtens erforderlich sei, so wäre auch dies kein Grund für eine Aufhebung gemäß § 66 Abs. 2 AVG. Der Berufungsbehörde ist eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann gestattet, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich ist, somit nur dann, wenn sich der Mangel nicht anders als mit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung beheben lässt (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 2009, Zl. 2007/11/0083, mwN). In allen anderen Fällen hat die Berufungsbehörde in der Sache selbst zu entscheiden und die dafür notwendigen Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens unter Heranziehung der Behörde erster Instanz oder selbst vorzunehmen, und zwar selbst dann, wenn von der Vorinstanz kein Ermittlungsverfahren durchgeführt wurde. Eine andere Auffassung ist im Übrigen auch dem von der belangten Behörde in der Gegenschrift ins Treffen geführten hg. Erkenntnis vom 14. November 2007, Zl. 2006/04/0132 (= Slg.Nr. 17.315/A) nicht zu entnehmen, in welchem für den hier interessierenden Zusammenhang nur klargestellt wird, dass die Unterlassung eines Widerspruchs nach § 67h AVG einer Inanspruchnahme des § 66 Abs. 2 AVG nicht entgegensteht.

Dass die belangte Behörde ausgehend von dieser Rechtslage nicht imstande gewesen wäre, den Sachverhalt zu ergänzen, ist aus dem angefochtenen Bescheid nicht ersichtlich und auch sonst nicht erkennbar.

2.2.3. Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 19. Dezember 2011

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte