VwGH 2011/11/0036

VwGH2011/11/003618.9.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des AB in W, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 19. Jänner 2011, Zl. UVS-FSG/V/48/853/2008-7, betreffend Einschränkung der Lenkberechtigung (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
FSG 1997 §24 Abs1 Z2;
FSG 1997 §24 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
FSG 1997 §24 Abs1 Z2;
FSG 1997 §24 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Gestützt auf ein amtsärztliches Gutachten vom 13. Juli 2007 befristete die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom 24. August 2007 gemäß § 24 Abs. 1 Z. 2 FSG die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers für die Klasse B bis zum 13. Juli 2009. Unter einem wurde als Auflage vorgeschrieben, dass sich der Beschwerdeführer im Zeitabstand von drei Monaten ärztlichen Kontrolluntersuchungen unterziehe.

Der dagegen gerichteten Berufung gab der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (UVS) mit Bescheid vom 7. Dezember 2007 keine Folge und bestätigte den erstbehördlichen Bescheid.

Dieser Berufungsbescheid wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 14. Dezember 2010, Zl. 2008/11/0021, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen aus, es fehle - basierend auf einer Verkennung der Rechtslage durch die belangte Behörde - an einer nachvollziehbaren Begründung für die sowohl für die nachträgliche Befristung als auch für die Anordnung von ärztlichen Nachkontrollen unabdingbare Annahme, es bestünde die konkrete Gefahr, dass sich der gesundheitliche Zustand des Beschwerdeführers künftig maßgeblich verschlechtern könne, weshalb also vorliegendenfalls die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung nur noch für einen bestimmten Zeitraum angenommen werden könne und mit einer Verschlechterung gerechnet werden müsse. Weder der in der verkehrspsychologischen Stellungnahme hervorgehobene Umstand, dass positiv "das vorhandene Problembewusstsein des Beschwerdeführers hinsichtlich des Anlassfalls sowie die Strategien für den künftigen Umgang mit Fahr-Trink-Konflikten" zu bewerten sei, noch der in der von der belangten Behörde eingeholten amtsärztlichen Stellungnahme erwähnte Umstand, dass ein "Laborbefund vom 25. 10. 2007 unauffällige Parameter hinsichtlich MCV, GGT und CDT" zeige, böten für eine solche Annahme den geringsten Hinweis. In diesem Zusammenhang sei auch darauf zu verweisen, dass nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine "absolute Alkoholabstinenz" nicht Voraussetzung für die Bejahung des Vorliegens der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung sei, es vielmehr darauf ankomme, ob die Ergebnisse der verkehrspsychologischen Untersuchung darauf schließen lassen, dass der Betreffende willens und in der Lage wäre, sein Verhalten in Bezug auf Alkoholkonsum an die Erfordernisse des Straßenverkehrs anzupassen (Hinweis auf die hg. Erkenntnisse vom 24. September 2003, Zl. 2002/11/0231, vom 24. November 2005, Zl. 2005/11/0148, und vom 25. April 2006, Zl. 2006/11/0042). Hervorzuheben sei in diesem Zusammenhang, dass die Vorschreibung der Auflage wiederkehrender Untersuchungen auch nicht auf § 24 Abs. 3 FSG gestützt werden könne.

Mit (Ersatz)Bescheid vom 19. Jänner 2011 gab der UVS der Berufung insofern Folge, als der erstbehördliche Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Erstbehörde zurückverwiesen wurde.

Begründend führte der UVS aus, für den bekämpften Bescheid lasse sich nicht feststellen, in welchem Umfang für die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen relevante Tatbestände in die Beurteilung Eingang gefunden hätten. Nur durch die Behebung und Zurückverweisung nach § 66 Abs. 2 AVG sei "ein umfassendes, direktes und abschließendes Verfahren in zwei Instanzen mit Tribunalkontrolle sicherzustellen."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1.1. § 24 FSG lautet (auszugsweise):

"Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

  1. 1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder
  2. 2. die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. Diesfalls ist gemäß § 13 Abs. 5 ein neuer Führerschein auszustellen.

    …"

1.2. § 66 AVG lautet (auszugsweise):

"§ 66. (1) Notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens hat die Berufungsbehörde durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen.

(2) Ist der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft, daß die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, so kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

(4) Außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern."

2. Die Beschwerde ist begründet.

2.1. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 23. Februar 2011, Zl. 2010/11/0197, und vom 19. Dezember 2011, Zl. 2011/11/0179, mwN) ausgeführt hat, bedarf es, um eine bloß eingeschränkte Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen annehmen zu können, auf einem ärztlichen Sachverständigengutachten beruhender konkreter Sachverhaltsfeststellungen darüber, dass die gesundheitliche Eignung, und zwar in ausreichendem Maß, noch für eine bestimmte Zeit vorhanden ist, dass aber eine gesundheitliche Beeinträchtigung besteht, nach deren Art nach Ablauf der von der Behörde angenommenen Zeit mit einer die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder in relevantem Ausmaß einschränkenden Verschlechterung gerechnet werden muss.

2.2.1. Der Beschwerdeführer rügt in der Beschwerde die unrichtige Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch die belangte Behörde. Damit ist er im Recht.

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verweisen, wenn der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde außer dem im Abs. 2 erwähnten Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden.

2.2.2. Sollte die belangte Behörde der Auffassung sein, dass Bedenken gegen das Fehlen der gesundheitlichen Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klasse B gar nicht bestehen, so wäre der Berufung stattzugeben und der erstbehördliche Bescheid ersatzlos zu beheben gewesen.

Sollte die belangte Behörde hingegen die Auffassung vertreten, dass (weiterhin) Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers sehr wohl bestünden, dies jedoch nicht allein anhand des Akteninhaltes beurteilt werden könne, sondern noch eine Ergänzung der fachärztlichen Stellungnahme oder des amtsärztlichen Gutachtens erforderlich sei, so wäre auch dies kein Grund für eine Aufhebung gemäß § 66 Abs. 2 AVG. Der Berufungsbehörde ist eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann gestattet, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich ist, somit nur dann, wenn sich der Mangel nicht anders als mit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung beheben lässt (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 2009, Zl. 2007/11/0083, und das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2011, mwN). In allen anderen Fällen hat die Berufungsbehörde - und als solche ist der UVS eingerichtet - in der Sache selbst zu entscheiden und die dafür notwendigen Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens unter Heranziehung der Behörde erster Instanz oder selbst vorzunehmen.

Dass die belangte Behörde ausgehend von dieser Rechtslage nicht imstande gewesen wäre, den Sachverhalt zu ergänzen, ist aus dem angefochtenen Bescheid nicht ersichtlich und auch sonst nicht erkennbar.

2.2.3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 18. September 2012

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