VwGH 2011/02/0111

VwGH2011/02/011129.4.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über den Antrag der K Gastronomiebetriebs- und Unterhaltungs-GmbH in W, vertreten durch die Schwartz Huber-Medek & Partner Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Stubenring 2, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen den Bescheid des Berufungssenates der Stadt Wien vom 24. Jänner 2011, Zl. MA 7-6040/10, betreffend Versagung einer Konzession nach dem Wiener Veranstaltungsgesetz (prot. zu hg. Zl. 2011/02/0112), und über die gleichzeitig erhobene Beschwerde gegen diesen Bescheid (prot. zu hg. Zl. 2011/02/0111), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1 impl;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1 impl;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht stattgegeben.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 24. Jänner 2011 wurde der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Erteilung einer Konzession für den Betrieb von zwei Münzgewinnspielapparaten an einem näher genannten Standort gemäß § 18 Abs. 1 i.V.m. § 15 Abs. 2 des Wiener Veranstaltungsgesetzes, LGBl. Nr. 12/1971, abgewiesen.

Dieser Bescheid wurde den Rechtsvertretern der beschwerdeführenden Partei nach deren Vorbringen am 3. Februar 2011 zugestellt.

Mit dem am 30. März 2011 zur Post gegebenen Schriftsatz beantragte die beschwerdeführende Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde gegen diesen Bescheid und holte diese Beschwerde nach.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages wird u. a. vorgebracht, der Rechtsvertreter der beschwerdeführenden Partei habe am 17. März 2011 (dem letzten Tag der Beschwerdefrist) insgesamt sechs Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof vorbereitet. Gegen 18.30 Uhr seien alle sechs Beschwerden fertig gestellt worden. Der Rechtsvertreter habe daraufhin für jede der Beschwerden die Pauschalgebühr in Höhe von EUR 220.-- überwiesen, die Überweisungsbestätigungen ausgedruckt und unterschrieben.

Während dessen habe die Konzipientin die sonstigen Beilagen vorbereitet, die sechs Beschwerden je dreimal ausgedruckt und zur Unterfertigung vorgelegt. Der Rechtsvertreter habe jedes einzelne Beschwerdekonvolut nochmals auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft, danach unterfertigt und die Überweisungsbestätigungen vorgelegt. Danach habe er der Konzipientin die Unterschriftenmappe übergeben und sie gebeten, die Beschwerdekonvolute zu kuvertieren und anschließend zum Postamt "Am Fleischmarkt 24" zu bringen.

Die Konzipientin habe daraufhin die notwendigen Vervielfältigungen für den Handakt und für den elektronischen Akt angefertigt. Danach habe sie die Originalbeschwerden samt Beilagen kuvertiert, auf jedes Kuvert einen "Einschreiber-Beleg" geklebt und diesen beschriftet. Da nur noch fünf "Einschreiber-Belege" da gewesen seien, habe sie das letzte Kuvert mit einem grünen "postit" gekennzeichnet; sie habe den sechsten "Einschreiber-Beleg" bei der Post ausfüllen wollen.

Um ca. 21.10 Uhr sei die Konzipientin in ihr Büro gegangen. Dort habe sie die Kuverts auf ihren Schreibtisch gelegt; das Kuvert mit dem "post-it" habe sie vorsichtshalber neben den Stoß mit den Kuverts gelegt, damit sich das "post-it" nicht löse. Um

21.30 Uhr habe sie die Kanzleiräumlichkeiten verlassen und sei direkt zur Post gegangen. Bei der Kreuzung Dominikanerbastei/Wiesingerstraße habe die Konzipientin bemerkt, dass sie anstatt von sechs nur fünf Kuverts in der Tasche habe. Das beiseite gelegte sechste Kuvert mit dem post-it sei in der Kanzlei vergessen worden. Sie sei daraufhin wieder zurück in die Kanzlei gegangen. Da die Konzipientin seit ihrer Geburt an einer spastischen Hemiparese links leide, habe sie nicht so schnell gehen können wie ein motorisch nicht eigeschränkter gesunder Mensch.

In der Kanzlei angekommen, sei sie gewahr geworden, dass das Kuvert mit dem "post-it" nach wie vor auf dem Schreibtisch gelegen sei. Zu diesem Zeitpunkt sei es bereits 21.45 Uhr gewesen. Sie habe daher rasch das Kuvert genommen und sich wieder - so schnell wie es ihr möglich gewesen sei - auf den Weg gemacht. Dabei habe sie noch beim Postamt angerufen und gefragt, ob dieses nicht einige Minuten länger offen halten könne. Der Postbeamte habe der Konzipientin aber beschieden, dass die Post pünktlich um 22.00 Uhr schließen müsse. Zu diesem Zeitpunkt sei es 21.49 Uhr gewesen.

Als die Konzipientin kurz nach 22.00 Uhr beim Postamt angekommen sei, habe der Portier gerade hinter dem letzten Kunden den Eingang zugesperrt. Er habe sie nicht mehr ins Postamt gelassen. Daraufhin sei die Konzipientin in Panik verfallen und kopflos und weinend nach Hause gefahren. Ihrem Ausbildungsanwalt habe sie erst am nächsten Tag erzählt, dass es ihr nicht gelungen sei, die sechs Beschwerden rechtzeitig zur Post zu bringen. An die Möglichkeit, diese Beschwerden per Telefax einzubringen, habe sie aufgrund ihrer Paniksituation und der Vorwürfe, die sie sich selbst gemacht habe, nicht gedacht.

Für den Rechtsanwalt sei es unvorhersehbar und unabwendbar gewesen, dass es seine Konzipientin - die schon mehrmals mit der fristwahrenden Abfertigung von Schriftstücken betraut gewesen sei und der dabei noch nie ein Fehler unterlaufen sei - innerhalb von 2½ Stunden nicht schaffen werde, sechs komplett fertig gestellte Beschwerden zu einem nahe gelegenen Postamt zu bringen. Die Konzipientin habe ausreichend Zeit gehabt, um die Beschwerde abzufertigen (gelb kopieren, scannen, kuvertieren und zur Post bringen).

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Verstehens handelt.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem als Verschulden anzurechnen, wenn er die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Der bevollmächtigte Anwalt muss den Aufgaben, die ihm aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit nachkommen, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Insbesondere muss der Rechtsanwalt die Organisation des Kanzleibetriebes so einrichten, dass die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt wird. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen u. a. dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. den hg. Beschluss vom 18. Dezember 2000, Zl. 2000/18/0229, 0230).

Welche Anforderungen an die organisatorischen Vorkehrungen in einer Anwaltskanzlei und an die Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleipersonal zu stellen sind, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2003, Zl. 2000/07/0287, m.w.N.).

Die im Wiedereinsetzungsantrag aufgestellte Behauptung, es sei nicht vorhersehbar gewesen, dass die Konzipientin nicht innerhalb von 2½ Std. die komplett fertig gestellten Beschwerden zu einem nahe gelegenen Postamt bringen werde, ist insofern durch die vorgelegte eidesstattliche Erklärung der Konzipientin nicht gedeckt, als diese keinen Zeitpunkt erwähnt, ab dem die Beschwerden tatsächlich komplett fertig gestellt waren. Vielmehr wird in Übereinstimmung mit dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag in der eidesstattlichen Erklärung gleichfalls erwähnt, dass sie die Schriftstücke, die im Original die Kanzlei "verlassen", noch habe "gelb" kopieren, "verakten" und einscannen müssen. Aus der Darlegung der Konzipientin ist auch zu ersehen, dass sie erst um 21.10 Uhr mit den fertigen Unterlagen (Kuverts) in ihr Büro gegangen ist. Es fehlt jedoch an Anhaltspunkten für die Behauptung, dass die Konzipientin bereits 2½ Stunden vor Schließung des Postamtes (also gegen 19.30 Uhr) mit den umfangreichen ergänzenden Arbeiten fertig gewesen sei und daher ausreichend Zeit für die Postaufgabe gehabt hätte. Vielmehr lag für die Konzipientin, die aufgrund ihrer Erkrankung noch dazu an einer raschen Fortbewegung gehindert war, aufgrund der umfangreichen von ihr noch durchzuführenden Arbeiten eine gewisse Stresssituation vor. Dies zeigt sich auch daran, dass sie erst um

21.10 Uhr mit den fertig gestellten Kuverts ihr Büro betrat, um sich anschließend auf die Post zu begeben.

Unterläuft einem Angestellten, dessen Zuverlässigkeit glaubhaft dargetan wird, erst nach der Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes und nach der Kontrolle desselben durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung und Postaufgabe ein Fehler, so stellt dies ein unvorhergesehenes Ereignis dar. Die Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft diese rein manipulativen Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen. Der Verwaltungsgerichtshof geht jedoch in ständiger Rechtsprechung auch davon aus, dass der Rechtsanwalt nur rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken ohne nähere Beaufsichtigung einer verlässlichen Kanzleikraft überlassen darf, ohne die gebotene Sorgfaltspflicht (Überwachungspflicht) zu verletzen (vgl. den hg. Beschluss vom 21. Jänner 2010, Zl. 2009/18/0527, m.w.N.).

Selbst wenn die Konzipientin bislang - wie im Wiedereinsetzungsantrag behauptet wird - bei den rein manipulativen Tätigkeiten in der Kanzlei einschließlich der rechtzeitigen Aufgabe von Schriftstücken bei der Post zuverlässig und ihr diesbezüglich kein Fehler unterlaufen war, lag im Beschwerdefall insofern eine besondere Situation vor, als es sich noch um eine in Ausbildung befindliche Person handelte, die erst am Abend des 17. März 2011 nach der Kontrolle der Vollständigkeit und Richtigkeit der Schriftsätze durch den Rechtsanwalt noch mit verschiedenen weiteren Tätigkeiten (wie z.B. Kuvertieren der Schriftsätze an den Verwaltungsgerichtshof, Ausfüllen der Aufgabeformulare für die Post, Kopieren der Originalschriftsätze und "Veraktung" dieser Kopien, Scannen der Originalunterlagen) beschäftigt und die aufgrund ihrer gesundheitlichen Probleme darüber hinaus an einer raschen Fortbewegung gehindert war.

Gerade das Verhalten der noch in Ausbildung befindlichen Konzipientin ab dem Zeitpunkt des Entdeckens, dass sie eine Beschwerde (ein Kuvert) in der Kanzlei vergessen hat (Zurückgehen in die Kanzlei, Telefonat mit dem Postamt, neuerliches Hingehen zum Postamt, verspätetes Eintreffen beim Postamt), zeigt deutlich, dass der Rechtsanwalt offenbar keine wie immer gearteten organisatorischen Vorkehrungen für solche Fälle etwa durch entsprechende Schulungen (z.B. betreffend Verwendung eines Taxis, Fax-Aufgabe der Beschwerde) getroffen hat. Diese mangelnden Vorkehrungen stellen ein Verschulden des Rechtsanwaltes dar, das einen minderen Grad des Versehens im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG übersteigt.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war somit nicht stattzugeben.

Die gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag erhobene Beschwerde war gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 29. April 2011

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