VwGH 2010/21/0429

VwGH2010/21/042929.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, in der Beschwerdesache 1. des S, 2. der B, 3. der T, und 4. der Ta, alle in Schwendau und vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2/1, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres jeweils vom 21. Juli 2010,

  1. 1.) Zl. 312.843/9-III/4/10 (hg. Zl. 2010/21/0429),
  2. 2.) Zl. 312.843/10-III/4/10 (hg. Zl. 2010/21/0430),
  3. 3.) Zl. 312.843/8 III/4/10 (hg. Zl. 2010/21/0431) und
  4. 4.) Zl. 312.843/7 III/4/10 (hg. Zl. 2010/21/0432), jeweils betreffend die ersatzlose Behebung eines Bescheides, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
NAG 2005 §43 Abs2;
NAG 2005 §44b Abs1 Z3;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
NAG 2005 §43 Abs2;
NAG 2005 §44b Abs1 Z3;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 57,40 (insgesamt also EUR 229,60) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander verheiratet, die Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen sind ihre gemeinsamen Kinder; alle sind Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina. Der Erstbeschwerdeführer war seit 2000, die Zweitbeschwerdeführerin (spätestens) seit 2002 regelmäßig als Saisonarbeitskraft im Gastgewerbe in Österreich tätig. Die Drittbeschwerdeführerin (ab 2002) und die Viertbeschwerdeführerin (ab 2004) verfügten jeweils über eine (befristete) Aufenthaltserlaubnis als Schülerin.

Am 8. Februar 2010 stellten die Beschwerdeführer jeweils Anträge auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" gemäß § 43 Abs. 2 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG.

Im darüber abgeführten Verfahren äußerte sich die Sicherheitsdirektion Tirol am 10. März 2010 gemäß § 44b Abs. 2 NAG. Sie legte - soweit im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung - näher dar, dass die Beschwerdeführer gut integriert seien, deutsch sprächen und strafgerichtlich unbescholten seien. Jedoch sei ihr Privat- und Familienleben in Österreich zur Gänze während einer Zeit entstanden, in der sie sich ihres vorübergehenden Aufenthaltsstatus (als Saisonarbeiter bzw. zum Schulbesuch) bewusst gewesen seien oder jedenfalls hätten bewusst sein müssen. Die Eltern hätten Österreich in den Zwischensaisonen verlassen, um in ihrem Haus in Bosnien zu leben, während ihre Kinder hier, beaufsichtigt von einer in Österreich lebenden Tante, die Schule besucht hätten. Eine diesbezügliche Trennung von ihren Kindern hätten sie somit seit vielen Jahren immer wieder in Kauf genommen. Diesen Status beizubehalten, sei ihnen daher zumutbar. Das Privat- und Familienleben der Fremden wöge "im Sinn des Art. 8 EMRK nicht zu Gunsten der Fremden", sodass sich im Ergebnis ihre Ausweisung, sollte sie erforderlich werden, als nicht unverhältnismäßig und zulässig erweise.

Mit im zweiten Rechtsgang (nach gemäß § 66 Abs. 4 AVG aufhebender Entscheidung der belangten Behörde vom 17. Mai 2010) ergangenen Bescheiden vom 19. Mai 2010 (betreffend die Dritt- und die Viertbeschwerdeführerin) sowie vom 15. Juni 2010 (betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin) wies die Bezirkshauptmannschaft Schwaz namens des Landeshauptmannes von Tirol die genannten Anträge gemäß § 43 Abs. 2 und § 44b Abs. 1 Z. 3 NAG als unzulässig zurück.

Begründend führte sie jeweils (u.a.) aus, die Sicherheitsdirektion für Tirol habe festgestellt, dass eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Ausweisung) nicht nur vorübergehend zulässig sei. Es sei bereits eine Abwägung iSd Art. 8 EMRK durchgeführt worden, ein maßgeblich geänderter Sachverhalt komme insoweit nicht hervor. Die Anträge erwiesen sich daher als unzulässig und seien zurückzuweisen.

Dagegen erhoben die Beschwerdeführer Berufung mit den Anträgen, die genannten Bescheide in der Weise abzuändern, "dass die beantragten Bewilligungen erteilt werden".

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 21. Juli 2010 gab die belangte Behörde (hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin aus dem Gesamtzusammenhang der jeweiligen Bescheide ausreichend erkennbar) den Berufungen jeweils gemäß § 66 Abs. 4 AVG statt und behob die genannten Bescheide vom 19. Mai 2010 sowie vom 15. Juni 2010 ersatzlos.

Begründend führte sie - soweit im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung - im Wesentlichen gleichlautend unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Juni 2010, Zl. 2010/22/0046, aus, die von der Sicherheitsdirektion Tirol angenommene Zulässigkeit einer Ausweisung sei nicht mit der bloß vorübergehenden Unzulässigkeit einer Ausweisung iSd § 44b Abs. 1 Z. 3 NAG gleichzusetzen. Infolge dieses Rechtsirrtums sei den Berufungen stattzugeben, die angefochtenen Bescheide seien ersatzlos zu beheben. Die (von den Berufungen angestrebte) materielle Entscheidung über die Anträge vom 8. Februar 2010 komme nicht in Betracht, weil die Berufungsbehörde lediglich zu prüfen habe, ob die Zurückweisung der Anträge rechtskonform gewesen sei. Abschließend werde bemerkt, dass für die Niederlassungsbehörden erster Instanz eine Bindungswirkung an die abgegebene Stellungnahme der Sicherheitsdirektion bestehe. Dementsprechend habe die Niederlassungsbehörde erster Instanz den Antrag - nach Wahrung des Parteiengehörs - bei Vorliegen einer negativen Stellungnahme zurückzuweisen.

Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung (nach seinen Ausführungen in der Begründung ohne Prüfung des Vorliegens sämtlicher Prozessvoraussetzungen) mit Beschluss vom 6. Oktober 2010, B 1202-1205/10-3, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Die Beschwerde erweist sich als unzulässig:

Mit den vorliegend angefochtenen Bescheiden hat die belangte Behörde die von der Erstbehörde ausgesprochene Zurückweisung der Anträge vom 8. Februar 2010 gemäß § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos behoben. Eine von den Beschwerdeführern - auch im gegenständlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof - nach dieser Gesetzesstelle vorrangig angestrebte Entscheidung der belangten Behörde in der Sache selbst kam nicht in Betracht, weil die Behörde erster Instanz das Vorliegen einer Voraussetzung für die Zulässigkeit der erwähnten Anträge verneint und diese daher, ohne eine Prüfung in der Sache vorzunehmen, zurückgewiesen hat. Eine erstmalige Sachentscheidung durch die belangte Behörde hätte somit den Gegenstand des Berufungsverfahrens (Rechtmäßigkeit der Verweigerung einer inhaltlichen Behandlung des Antrages durch die Erstbehörde) überschritten und sich daher schon mangels Zuständigkeit der (belangten) Berufungsbehörde als unzulässig erwiesen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2005, Zl. 2004/07/0010, sowie Hengstschläger/Leeb, AVG, § 66 Rz 60 und 62 mwN aus der Lehre und der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).

Im Übrigen wäre eine solche Entscheidung auch im Hinblick auf die Ausführungen in dem in den bekämpften Bescheiden erwähnten hg. Erkenntnis vom 15. Juni 2010, Zl. 2010/22/0046, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, verfehlt.

Die Beschwerdeführer machen zur Begründung ihres Rechtsschutzinteresses geltend, die belangte Behörde habe der Erstbehörde eine nicht zutreffende Rechtsansicht (nämlich das Vorliegen einer Bindung an die Stellungnahme der Sicherheitsdirektion) überbunden. Auch diese Ansicht trifft nicht zu:

Selbst im - hier nicht vorliegenden - Anwendungsbereich des § 66 Abs. 2 AVG entfalten nämlich Bemerkungen und Rechtsansichten außerhalb der die Entscheidung durch verbindlich geäußerte Rechtsanschauung tragenden Gründe keine Bindungswirkung (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 1998, Zl. 96/19/3520, sowie Hengstschläger/Leeb, AVG, § 66 Rz 27 mwN aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).

Im vorliegenden Fall hat die oben erwähnte, am Ende der Begründung der angefochtenen Bescheide jeweils getätigte Anmerkung der belangten Behörde (zum Bestehen einer Bindungswirkung der Stellungnahme der Sicherheitsdirektion) im aufhebenden Spruch dieser Bescheide im Übrigen keine Deckung.

Die angefochtenen Bescheide konnten die Erstbehörde nur insofern binden, als sie die Anträge (bei gleicher Sach- und Rechtslage) nicht neuerlich gemäß § 44b Abs. 1 Z. 3 NAG zurückweisen durfte (vgl. etwa zu den Rechtswirkungen der ersatzlosen Behebung einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache Hengstschläger/Leeb, AVG, § 68 Rz 46).

Die ersatzlose Behebung der die Beschwerdeführer (durch Zurückweisung ihrer Anträge) belastenden Erstbescheide hat diese nach dem Gesagten (etwa durch die erwähnten obiter getätigten Äußerungen, denen im weiteren Verfahren keine bindende Wirkung zukommt) somit nicht in ihren Rechten verletzt.

Die Beschwerde war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG wegen des Mangels der Berechtigung zu ihrer Erhebung in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 29. September 2011

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