VwGH 2010/21/0233

VwGH2010/21/023329.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des F in G, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Maria-Theresia-Straße 9, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 2. Juni 2010, Zl. E1/18809/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
MRK Art8 Abs2;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
MRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste Ende März 2003 nach Österreich ein und stellte einen Asylantrag, der mit dem im Juni 2009 (im Instanzenzug) ergangenen Erkenntnis des Asylgerichtshofes rechtskräftig abgewiesen wurde. Unter einem wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei zulässig sei.

In der Folge wurde der Beschwerdeführer mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 30. September 2009 gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.

Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 2. Juni 2010 keine Folge gegeben.

In der Begründung gab die belangte Behörde zunächst (zusammengefasst) den wesentlichen Inhalt des erstinstanzlichen Bescheides wieder. Nach Darstellung des Berufungsvorbringens und nach Zitierung der maßgeblichen Rechtsvorschriften führte die belangte Behörde dann aus, der Beschwerdeführer halte sich seit dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens rechtswidrig im Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer befinde sich seit 2003 in Österreich und er sei auch kurzfristigen Erwerbstätigkeiten nachgegangen. Dem sei jedoch gegenüberzustellen, dass das Gewicht der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration maßgebend dadurch gemindert werde, als der Aufenthalt während des Asylverfahrens nur aufgrund eines unberechtigten Antrages temporär berechtigt gewesen sei. Dem Beschwerdeführer sei bewusst gewesen, dass er ein "Privat- und Familienleben" während dieses Zeitraums geschaffen habe, in dem er einen unsicheren Aufenthaltsstatus gehabt habe. Er habe nicht von vornherein damit rechnen dürfen, nach einem allfällig negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu können. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass das Asylbegehren erstinstanzlich bereits am 8. Jänner 2004 "negativ entschieden" worden sei, was ein eindeutiges Indiz für einen nur zeitlich begrenzten weiteren Aufenthalt dargestellt habe. Aus diesem Grund relativiere sich vor allem die "berufliche Integration", wobei dazu noch einmal zu erwähnen sei, dass der Beschwerdeführer in Österreich nur über einen "sehr kurzen Zeitraum" beschäftigt gewesen sei.

Der Beschwerdeführer halte sich seit 18. Juni 2009, also seit ca. einem Jahr, illegal in Österreich auf. Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maße; die Ausweisung sei demnach gemäß § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch die Normadressaten komme nämlich aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu.

Die öffentliche Ordnung werde - so führte die belangte Behörde im Rahmen der Interessenabwägung weiter aus - schwerwiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde unerlaubt nach Österreich begeben, um damit die inländischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Das gelte auch dann, wenn Fremde nach Auslaufen einer Aufenthaltsberechtigung bzw. nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verlassen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Vor diesem Hintergrund sei auch das Ermessen nicht zugunsten des Beschwerdeführers zu üben, insbesondere weil das dem Beschwerdeführer vorwerfbare (Fehl-)Verhalten (ca. einjähriger illegaler Aufenthalt) im Verhältnis zu der von ihm geltend gemachten Integration (Aufenthalt in Österreich seit 2003; kurzfristige Erwerbstätigkeiten) überwiege. Es seien auch sonst keine besonderen Umstände ersichtlich, die eine andere Ermessensübung begründen könnten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der angefochtene Bescheid vom Verwaltungsgerichtshof auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen ist. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im Juni 2010 geltende Fassung des genannten Gesetzes.

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. In der Beschwerde wird nicht bestritten, dass sich der Beschwerdeführer seit dem Abschluss des Asylverfahrens (laut Aktenlage: mit dem Asylgerichtshofserkenntnis vom 12. Juni 2009) nicht mehr rechtmäßig in Österreich aufhält. Die behördliche Annahme, der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei verwirklicht, ist daher zutreffend.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (siehe etwa das Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2010/21/0224).

Der diesbezüglichen Argumentation der belangten Behörde hält die Beschwerde entgegen, die Integration des Beschwerdeführers könne nicht durch den Erhalt der erstinstanzlichen negativen Asylentscheidung geschmälert werden, weil er ein Recht habe, dagegen ein Rechtsmittel einzulegen. Insbesondere könne deshalb die durch besonderes Engagement erreichte zweimalige Beschäftigung mit einer Saisonarbeitsbewilligung während des Wartens auf die Asylberufungsentscheidung nicht gemindert werden.

Dieses Vorbringen ändert nichts daran, dass der Beschwerdeführer (spätestens) nach der erstinstanzlichen Abweisung seines Asylantrages - auch wenn er subjektiv berechtigte Hoffnungen auf ein positives Verfahrensende gehabt haben sollte - im Hinblick auf die negative behördliche Beurteilung seines Antrages von einem nicht gesicherten Aufenthaltsstatus ausgehen musste. Es entspricht aber der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht gemindert ist, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen, worauf auch der EGMR in seiner Judikatur abstellt (vgl. zu einer ähnlichen Beschwerdeargumentation das Erkenntnis vom 29. April 2010, Zlen. 2010/21/0083, 0084). In diesem Sinn ordnet § 66 Abs. 2 Z 8 FPG auch an, dass bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens des Fremden die Frage zu berücksichtigen ist, ob es in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren. Dabei ist freilich ein gradueller Unterscheid dahin zu machen, ob die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte oder während eines einzigen, ohne schuldhafte Verzögerung durch den Beschwerdeführer lange dauernden Asylverfahrens erfolgte (vgl. in diesem Sinn das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 7. Oktober 2010, B 950 - 954/10, Punkt II.2.4.und daran anschließend zuletzt das Erkenntnis vom 15. Dezember 2011, U 760/11 u.a., Punkt II.1.3.2.). Dem entsprechend hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang schon wiederholt betont, die bei der Interessenabwägung vorzunehmende Relativierung der während unsicheren Aufenthalts erworbenen Integration habe schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass ihr überhaupt kein Gewicht beizumessen sei und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (siehe zum Ganzen ausführlich schon Punkt 2.4.2. des Erkenntnisses vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348).

Dafür reichen aber die im vorliegenden Fall in der Beschwerde ins Treffen geführten Umstände - Aufenthaltsdauer (bis zur Bescheiderlassung von etwas mehr als sieben Jahren), dem entsprechende gute Deutschkenntnisse, Beschäftigung als Saisonier vom 2. August bis 31. Oktober 2004 und vom 24. Mai 2009 bis 31. Oktober 2009, Unbescholtenheit, großer Freundes- und Bekanntenkreis und ortsübliche Unterkunft - nicht aus. Aus den genannten Umständen hätte die belangte Behörde nicht ableiten müssen, die Ausweisung des Beschwerdeführers aus Österreich sei unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK am Maßstab der in § 66 Abs. 2 FPG angeführten Kriterien unverhältnismäßig. Die geltend gemachten - nur das Privat- und nicht auch das Familienleben des Beschwerdeführers betreffenden - Umstände stellen sich auch in Verbindung mit der Aufenthaltsdauer nicht als so außergewöhnlich dar, dass unter dem genannten Gesichtspunkt von einer Ausweisung hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass der Beschwerdeführer mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen.

Im Ergebnis ist es im vorliegenden Fall somit nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde das Interesse des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich nicht schwerer gewichtete als das gegenläufige, der Aufrechterhaltung des - hoch zu bewertenden - geordneten Fremdenwesens dienende öffentliche Interesse an der Beendigung des seit Juni 2009 unrechtmäßigen Inlandsaufenthalts des Beschwerdeführers (vgl. zum Ganzen etwa das schon genannte Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2010/21/00224, mwN).

In der Beschwerde werden schließlich auch keine Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinne des Gesetzes erfolgt wäre.

Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 29. Februar 2012

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